Die Creme de la Creme, ein halbes Jahr vor der EM: Im dritten Teil unserer Rückschau auf die Nationalteams Europas am Ende der Qualifikation sind die besten 16 Mannschaften an der Reihe. Vom wohl doch recht überschaubaren Kreis an wirklich seriösen Titelkandidaten über den komplett verunsicherten Gastgeber bis hin zur gehobenen Mittelklasse, zu der auch Österreich gehört, spannt sich der Bogen.
Wie schon in Teil 1 und Teil 2 dieser kleinen Serie orientieren wir uns bei der Reihenfolge am Elo-Rating.
Platz 16: Schweiz
Gruppenzweiter. Zwei wiederkehrende Themen gab es in diesem Jahr bei den Eidgenossen: Das Verschenken von frühen Führungen, was zahlreiche Punkte kostete. Und die Differenzen von Kapitän Granit Xhaka und Teamchef Murat Yakin, bei denen es neben der richtigen Position für Xhaka auch um persönliche Animositäten gehen dürfte. Eine Wiederholung des Viertelfinales von 2021 scheint in diesem Zustand für die Schweiz nur schwer möglich.
Platz 15: Schottland
Gruppenzweiter. So gut standen die Schotten sein den Neunzigern nicht mehr da: Die zweite EM-Teilnahme in Folge auf Kosten der Norweger zeichnete sich früh im Verlauf der Qualifikation ab, auch wenn die Breite im Kader nicht mit damals vergleichbar ist. Schottland hat bei elf Turnier-Teilnahmen noch nie die Vorrunde überstanden. Ob sie das dreckige Dutzend 2024 verhindern könnten?
Platz 14: Serbien
Gruppenzweiter. Jünger wird sie nicht, die serbische Generation, die vor acht Jahren U-20-Weltmeister geworden ist. Und besser auch nicht mehr, wie es scheint: Vor vier Jahren nicht qualifiziert, bei der WM 2022 in der Vorrunde gescheitert, wenn auch mehr an den Nerven als am Gegner Schweiz. Und auch jetzt brauchte es in einer wahrlich nicht beeindruckend schweren Gruppe einen Kraftakt, um sich vor Montenegro ins Ziel zu retten, als Zweiter hinter den Ungarn.
Platz 13: Dänemark
Gruppensieger. Der völlig verkorksten WM folgte beim EM-Halbfinalisten von 2021 eine vernünftige, wenn auch nicht bemerkenswerte Qualifikation für das Turnier in Deutschland. Es reichte, um vor Slowenien, Finnland und Kasachstan zu bleiben. Einige Fragen, vor allem die unbefriedigende Besetzung der rechten Seite betreffend, bleiben Hjulmand aber erhalten. Wie stark Dänemark wirklich ist, ist nicht ganz klar.
Platz 12: Ungarn
Gruppensieger. Die starken Resultate der Ungarn in den letzten Jahren lassen sich mit dem Kader nicht erklären. Aber das in weiten Teilen recht durchschnittlich besetzte Team ist extrem präzise gecoacht, mit der sicheren Abwehr werden auch starke Gegner vor große Probleme gestellt und die Gegenstöße sind stets gefährlich. Erstaunlich ist aber, dass die Ungarn auch in der Quali gegen Teams, gegen die sie selbst gestalten müssen, die Gruppe recht problemlos gewonnen haben.
Platz 11: Österreich
Gruppenzweiter. Nach dem Beinahe-Punktverlust zum Auftakt gegen Estland gab es für das ÖFB-Team kaum noch ein Halten. Zwei Arbeitssiege gegen Schweden, keine Ausrutscher gegen die Kleinen, und Belgien zweimal zumindest phasenweise gefordert. Als Lohn schloss man als punktbester Gruppenzweiter ab und ist im innereuropäischen Elo-Rating auf Platz 11 angekommen – zwölf Jahre, nachdem man am Ende der Ära Constantini Rang 34 belegte. Übrigens: Am Höhepunkt der Koller-Zeit war es Platz 13.
Platz 10: Ukraine
Punktgleich mit Italien – und mit einem seriösen Anspruch auf einen Elfmeter in der Nachspielzeit des entscheidenden Duells – hat die Ukraine zwar das direkte EM-Ticket verpasst. Angesichts der Umstände in der Heimat ist das ukrainische Team stark unterwegs, was auch daran liegt, dass man (wohl auch als Folge des Krieges) so viele Legionäre wie noch nie in seinen Reihen hat. Der EM-Viertelfinalist von 2021 ist in seinem Playoff-Ast klar zu favorisieren: Erst geht es gegen Bosnien, dann würde der Sieger aus Island-Israel warten.
Platz 9: Deutschland
Der EM-Gastgeber hat ein Horror-Jahr hinter sich, erstmals in der DFB-Geschichte wurde ein Bundestrainer entlassen. Auch Flick-Nachfolger Nagelsmann hat aber die selben Probleme: Deutschland produziert seit 15 Jahren einen starken offensiven Mittelfeld-Spieler nach dem anderen, aber sonst nichts – keine Stoßstürmer, kaum Innenverteidiger und Außenverteidiger von internationaler Klasse sind beinahe so häufig wie Außerirdische. Aus diesem massiven Ungleichgewicht eine funktionierende Truppe zu zaubern, ist tatsächlich eine Herausforderung.
Platz 8: Italien
Gruppenzweiter. In was für Zeiten wir leben? Es sind Zeiten, in denen ein italienischer Teamchef beinahe als Held mit magischen Fähigkeiten gefeiert wird – weil sich Italien mit Ach und Krach für eine EM mit 24 Teilnehmern qualifiziert hat. Und das als Titelverteidiger… Luciano Spalletti brachte nach dem unrühmlichen Mancini-Abgang Struktur ins Spiel, er kämpft aber wie seine Vorgänger mit einem kleinen Pool an tauglichen Spielern. Gegen England war man deutlich unterlegen, es liegt also noch einiges an Arbeit auf Spalletti.
Platz 7: Kroatien
Gruppenzweiter. Im Finale der Nations League unterlag Kroatien den Spaniern erst im Elfmeterschießen, in der Qualifikation ließ man dafür einige erstaunliche Punkte liegen: Heimniederlage gegen die Türkei, nur 1:1 gegen Wales in Split, auch in der Türkei nicht gewonnen. Wenn man bei den Kroaten aber eines gelernt hat, dann das: Modric und Co. abzuschreiben, ist ein großer Fehler. Vor dem Abpfiff sowieso. Vor einem ganzen Turnier erst recht.
Platz 6: Niederlande
Gruppenzweiter. Früher konnte man sich darauf verlassen: Holland spielt ein 4-3-3. Heute ist das anders, Ronald Koeman wechselt lustig zwischen 3-4-3 und 3-4-1-2 und 4-3-3 und 4-2-3-1 hin und her. Die ultimative High-End-Qualität vergangener Tage hat Oranje aktuell nicht zur Verfügung und gegen Frankreich war man zweimal chancenlos. Gegen die anderen drei Teams gab’s aber sechs Siege und nur ein Gegentor. Das Talent-Level ist da, zahlreiche junge Spieler versprechen eine besseres nächstes Jahrzehnt, als es das letzte war.
Platz 5: Belgien
Gruppensieger. Domenico Tedesco hat den Belgiern spürbar neues Leben eingehaucht, auch wenn das Personal weitgehend das gleiche ist wie in der Spätphase unter Roberto Martínez. Da ist die Luft schon sehr draußen gewesen, unter Tedesco ist Belgien wieder variabler und in den zehn Matches dieses Jahres auch ungeschlagen geblieben – obwohl Kevin de Bruyne aufgrund seiner Verletzungen so gut wie nie mitmachen konnte. Viel mehr Ausfälle wird man für einen tiefen Run bei der EM nicht verkraften können, aber mit Belgien ist zu rechnen.
Platz 4: England
Gruppensieger. Halbfinale bei der WM 2018, Finale bei der EM 2021, starke WM 2022 – so konstant über mehrere Turniere gut unterwegs war England seit Menschengedenken nicht. Und mit Jude Bellingham, der im Herbst bei Real Madrid durchstartete und im Team auf der Zehn in einem 4-2-3-1 zum Einsatz kommt, gibt es einen echten Hoffnungsträger, dass es damit auch so weitergeht. Die Qualifikation absolvierte England ohne Drama, Italien wurde zweimal verdient besiegt.
Platz 3: Portugal
Gruppensieger. Zehn Spiele, zehn Siege, immer extrem druckvoll und dominant, stets mit vielen Positionswechseln, scheinbar wild, aber unglaublich gut aufeinander abgestimmt. Portugal hat die zugegeben schwache Konkurrenz in der Quali-Gruppe (Slowakei, Luxemburg, Bosnien und Island) nach Lust und Laune kaputtgeschossen. Wie gut die aufregende Truppe von Roberto Martínez in Ernstkämpfen gegen wirklich gute Gegner ist, wird man sehen. Aus der Rolle als EM-Mitfavorit wird sich der Titelträger von 2016 aber nicht rauswinden können.
Platz 2: Spanien
Gruppensieger. Spanien ist Spanien – daran ändert weder ein Generationswechsel noch ein neuer Trainer etwas. Der Nations-League-Sieger drückt wie immer die Gegner hinten rein, erdrückt sie mit Ballbesitz. Nuancen ist neu: Die Achter – Gavi, Merino, Fabián Ruiz – schieben oft weit nach außen, die Außenstürmer dafür eher nach innen. Wie Spanien bei der EM nach dessen Kreuzbandriss ohne Gavi auftreten wird, ist hingegen noch offen. Dafür sollte Pedri, der das Länderspieljahr verletzt komplett auslassen musste, wieder dabei sein. Alles gut also?
Platz 1: Frankreich
Gruppensieger. Komplett unterfordert spazierte der Vize-Weltmeister durch seine Quali-Gruppe. Deschamps konnte auf praktisch jeder Position ohne großen Qualitätsverlust durchwechseln, von ganz hinten bis ganz vorne. Frankreich war in dem knappen Jahrzehnt unter Deschamps sicher nicht das unterhaltsamste Nationalteam Europas, aber ohne Zweifel das beste. Der Titel bei der EM wird auch wieder über Mbappé und Co. führen.
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