EM Quali 2024: Österreich gegen Belgien - Taktikanalyse

Österreich reagiert (zu) spät auf gnadenlose Belgier – 2:3

Am Ende wäre sich das Remis fast noch ausgegangen. Das ÖFB-Team von Ralf Rangnick liefert Belgien einen Kampf bis zur letzten Minute, unterliegt aber doch mit 2:3. Die Niederlage ist nicht unverständlich, hätte aber nicht sein müssen.

Beide Teams waren vor dem Spiel so gut wie sicher bei der Europameisterschaft 2024 in Deutschland dabei. Es war klar, den Vorsprung von 7 Punkten auf Schweden würden beide in den letzten drei Runden nicht mehr hergeben. Der Gruppensieg und wichtige Punkte für Setzranglisten waren aber im Spiel.

Enorm viele Ausfälle

Das musste beide ersatzgeschwächt antreten. Belgien musste auf Thibaut Courtois (Real), Kevin De Bruyne (ManCity), Leandro Trossard (Arsenal) und Thomas Meunier (BVB) verzichten. Österreich kam mit den Ausfällen von Marko Arnautovic (Inter), David Alaba (Real), Stefan Posch (Bologna), Philipp Mwene (Mainz) und Michael Gregoritsch (Freiburg), sowie den nicht vollfitten Marcel Sabitzer (BVB), Sasa Kalajdzic (Wolverhampton) und Christoph Baumgartner (RB Leipzig) argumentierbar sogar noch deutlich schlechter weg. Die Liste ließe sich noch fortführen.

Die Erwartungen vor dem Spiel mussten demnach als gedämpft gelten.

EM Quali 2024: Österreich gegen Belgien - Taktikanalyse

Rangnick musste improvisieren. Manprit Sarkaria (Sturm Graz) begann im Angriff, Nicolas Seiwald auf der ungewohnten rechten Verteidigerposition. Die Formation war mehr ein 4-2-3-1 als 4-4-2, zeigte sich am Feld aber ohnehin ziemlich flexibel. Das konterfixierte 4-4-2 von Domenico Tedescos Belgien war demgegenüber relativ geradlinig.

Flexibles ÖFB-System

Im Ballbesitz rückten Österreichs Außenverteidiger Seiwald und Maxi Wöber (Gladbach) gerne auf, Grillitsch kippte neben die Innenverteidigung heraus, um eine Dreierkette in einem 3-5-2 zu bilden. Damit schuf Österreich im Mittelfeld Breite und Überzahl im Zentrum. Wobei man vor allem versuchte, den Raum hinter der Mittelfeldlinie der Belgier mannstark zu besetzen. 4-5 Leute tummelten sich dort mitunter.

Spielte Belgien den Ball vom Tormann weg, stellte man sich hingegen in ein 4-1-3-2, in dem Grillitsch den Sechser und Baumgartner den zweiten Stürmer gaben. All die Bewegung war interessant anzusehen und hatte vor allem den Effekt, dass Belgien die meiste Zeit über taktisch deaktiviert schien. Eigene, zwingende Chancen gelangen Österreich über weite Strecken dann auch nicht. Dennoch zeigten sich eher verständliche Schwächen in der Abstimmung und auch eher unverständliche Konzentrationsfehler im Abspiel sorgten immer wieder für ungute Momente.

Die Belgier auf der anderen Seite ließen mit dem Ball die Außenbahnspieler Dodi Lukebakio (Sevilla) und Jeremy Doku (Manchester City) in die Angriffsreihe drängen, standen oft eher in einem 4-2-4. Über sie suchte man den direkteren Weg nach vorne – vor allem in den vielen Phasen, als die zentralen Stürmer bei der österreichischen Innenverteidigung gut aufgehoben waren. Die österreichische 5-Mann-Zustellversuche beim Spiel von hinten wurde entweder mit einem Abschlag weiter zurück gezwungen oder über die Breite doch oft zu einfach umspielt.

Qualität macht im entscheidenden Moment den Unterschied

Schlussendlich muss man in einem Spiel der vielen Ausfälle über die Qualität der Verbliebenen sprechen. Die machten den wesentlichen Unterschied. Das 0:1 (12.) durch Lukebakio entsprach zwar schon irgendwie der bereits angesprochenen belgischen Ausrichtung über außen durchzukommen – war aber auch keine zwingend herausgespielte Torchance, sondern einfach ein knappes Laufduell mit Philipp Lienhart (Freiburg), dass der rechte Flügel der Gäste auch aus der Balance kommend noch gut abschloss.

Auf der anderen Seite scheiterten die Österreicher bei ihren 2-3 größeren Chancen vor der Pause. Der deutlich vermehrte Ballbesitz versandete sonst zu oft. Belgien ließ hinter der Abwehr nicht viel Platz – damit verminderte man die Chance, dass der 36-jährige Innenverteidiger Jan Vertonghen (Anderlecht) auf sein Tempo getestet wurde. War die Möglichkeit doch einmal offen, machte Österreich entweder den Pass oder den Lauf nicht. Das bemühte und gut eingestellte Rumpfteam hatte merkbare Limitierungen in der Kreativität.

Auch nach der Pause hatte Österreich aber mehr vom Spiel, ohne ganz zwingend zu werden. Baumgartner setzte einen Weitschuss knapp daneben, Wöber traf aus spitzem Winkel das Tor nicht (Sarkaria hätte mit etwas mehr Selbstverständnis als Teamspieler vielleicht aus selbst was versuchen statt ablegen können).

Kurze Schockstarre bei Österreich

Die erste wirklich herausgespielte Aktion der Belgier setzte Romelu Lukaku (AS Roma) an die Latte. Österreich hatte Glück, die Rechnung glich sich aber umgehend aus. Ein kurz abgespielter Freistoß auf Lukebakio wurde gleich zwei mal abgefälscht und landete beim 0:2 (55.) im kurzen Eck.

Völlig überrumpelt wurde man dann drei Minuten später. Eigentlich in klarer Überzahl gegen zwei Angreifer schien der Schock vom Gegentor noch zu wirken. 1 cleverer Pass von Dolu, ein cleverer Lauf von Lukaku – 0:3. Folgerichtig aus dem Spielverlauf war nichts davon, viel vorzuwerfen hatte sich Österreichs improvisierte Elf auch nicht, aber die Kaltblütigkeit der Belgier war nunmal bei zumindest zwei der Treffer auch kein bloßer Zufall.

Im Rückblick ärgerliches Zögern

Ich hatte zu dem Zeitpunkt “Game over” auf dem Zettel notiert und dabei gar nicht viele Vorwürfe an die ÖFB-Elf gehabt. Was ich vermisste, war vielleicht ein früheres Eingreifen von der Bank. Ja, die Möglichkeiten waren beschränkt. Dass etwa Sabitzer und Kalajdzic einen Unterschied machen könnten, war auf der anderen Seite klar. Natürlich ist auch nicht unverständlich, dass man beide frisch Genesenen nicht unnötig früh riskieren wollte.

Das Spiel tröpfelte in der Folge vor sich hin. Rangnick reagierte schließlich in der 66. Minute mit einem Dreifachtausch. Muhammed Cham (Clermont), Kalajzdic und Samson Baidoo (Salzburg) kamen für Danso, Sarkaria und Baumgartner. Kurz darauf brachte Tedesco Johan Bakayoko (PSV) für Lukebakio und Rangnick noch Alexander Prass (Sturm Graz) für Wöber. In dem Moment hätte man das als “Spielpraxis geben” verzeichnen können. Wenn Rangnick der Meinung war, früher zu wechseln wäre unnütz gewesen, wäre das irgendwie verständlich. (Nach einem langen Tag wollte ich offen gesagt nicht mehr auf die Pressekonferenz nach dem Spiel warten, um es ihn zu fragen.) Kurioserweise widerlegte das ÖFB-Team die These jedenfalls in der Folge.

Österreich kommt doch noch zurück

In der 72. Minute erwachte Österreich dann plötzlich wieder. Konrad Laimer (Bayern) eroberte im Pressing den Ball selbst, machte Meter und zog ab. Nicht nur war das ein Tor, wie man sich das vermutlich im Gameplan so vorgestellt hatte. Anders als bei anderen Versuchen des Tages ging Laimer auch auf Platzierung statt Kraft, schlenzte den Ball ins Eck. 1:3 – das Happel erwachte.

Großchancen blieben bei Österreich dann aber erstmal aus. In der 77. Minute hätte es eine geben können, aber die ÖFB-Spieler verzichteten darauf, den Abschluss zu suchen.

Eine Minute später war die Hoffnung bei Österreich aber endgültig zurück. Amadou Onana (Everton) traf Xaver Schlager (RB Leipzig) etwas unglücklich, aber klar. Er sah Gelb-Rot. Rangnick brachte Sabitzer für Wimmer. Und kurz nach Minute 80 bekam Wout Faes (Leicester) den Ball im Strafraum an die Hand. Aus irgendeinem Grund übersah das nicht nur der Schiedsrichter – auch der Videoassistent brauchte eine Ewigkeit, um ein klares Handspiel zu erkennen. Zwischen dem Vergehen und dem Tor zum 2:3 vom Punkt durch Sabitzer vergingen mehr als drei Minuten.

Unzwingendes Drängen in Schlussphase

Tedesco nahm Bakayoku nach nur 17 Minuten wieder vom Platz, auch Doku vom Feld, wollte das Ergebnis irgendwie drüber bringen. Österreich kam noch zu einer Chance durch Grillitsch (90., ein Schuss etwas über das Tor), ansonsten verzögerte Belgien das Spiel aber über die Zeit.

Was dabei half? Die in der zweiten Spielhälfte bei 8 Wechseln, 4 Toren, einem Ausschluss, mehreren Verletzungspausen, einem 3 Minuten langen VAR-Check und minutenlangem, (quälend ungeahndeten) belgischem Zeitspiel mit 6 Minuten geradezu lächerlich bemessene Nachspielzeit. Der spanische Schiedsrichter Jesus Gil Manzano hat das Spiel sonst an sich gut gepfiffen. Die Zeitlupe gab ihm bei fast allen am ersten Blick im Stadion seltsam wirkenden Pfiffen recht. Er braucht aber eine Nachschulung beim Lesen der Uhr.

Fazit

Lange Rede, kurzer Sinn: Zwei stark ersatzgeschwächte Teams lieferten sich ein gut aufeinander eingestelltes Spiel, in dem je nach Vorliebe der etwas günstigere Spielverlauf oder die etwas höhere übrig gebliebene, individuelle Qualität den Unterschied machte.

Belgien ist nach diesem Sieg schon fix bei der EM 2024 und wird ziemlich sicher Gruppensieger. Wenn die roten Teufel am Montag erwartungsgemäß Schweden zumindest ein Unentschieden abringen oder Österreich gleichzeitig und gleichermaßen erwartungsgemäß in Aserbaidschan gewinnt (oder im November im Estland), fahren auch die Österreicher hin.

Man ist sehr versucht zu garantieren: Irgendetwas davon wird passieren. Vermutlich alles.