Wenn Martin Hinteregger eines ist, dann ist er „anders“. Um Etikette im medial hochgezüchteten Fußballbetrieb scherte sich der Kärntner nie, das verschaffte ihm Kultstatus in Österreich genauso wie in Frankfurt. Der plötzliche Rücktritt mit 29 Jahren ist darum auch „Typisch Hinti“. Ein Nachgeschmack bleibt aber.
Hinti gibt die Richtung vor
Viele Gewinner kannte die Amtszeit von ÖFB-Teamchef Franco Foda wahrlich nicht. Martin Hinteregger ist die große Ausnahme. Er war der wichtigste Spieler im Konzept des Deutschen, über ihn lief die Spieleröffnung praktisch im Alleingang, er gab die Richtung vor, hatte das Spielfeld vor sich und die Mitspieler im Blick. No Hinti, no Party: In 40 der 48 Foda-Spiele war er dabei, stets von Beginn an. Bei fünf Spielen fehlte er verletzt, einmal gesperrt, einmal wurde ihm ein sinnloser Text-Kick gegen Luxemburg erspart. Davon abgesehen war das 0:0 in Polen das einzige Match unter Foda, bei dem Hinteregger nicht gespielt hat, obwohl er gekonnt hätte.
Auch bei Frankfurt war seine Spielübersicht ein großer Faktor, und so zielsicher er auf dem Platz agierte, so zielsicher ging er auch außerhalb des Platzes seinen eigenen Weg. Es ist schwer, bei Hinteregger, aus der 300-Seelen-Ortschaft Sirnitz in den Gurktaler Alpen stammend, nicht das Klischee des schlichten Bergbauernkindes zu bedienen, nach dem Motto: Du bekommst den Buben aus dem Bergdorf, aber nicht das Bergdorf aus dem Buben. Seine Vorliebe für die Jagd ist bekannt. Dass er einmal mit Patronenhülsen im Gepäck vor dem Abflug zum Auswärtsspiel vom Flughafenpersonal erwischt wurde, ist verbrieft. Er selbst erklärte dies damals sinngemäß mit Schusseligkeit und fehlender Sorgfalt.
In Sirnitz begann es, in Sirnitz endete es
Wer schon mal in Sirnitz war, der weiß: Es ist wunderschön dort, aber auch so ein wenig Anus Mundi. Als knapp Siebenjähriger begann der kleine Martin hier zum Kicken, der Trainer war auch sein Vater. Der Bursche zeigte Talent, ging mit 13 Jahren nach Salzburg, Red Bull war dort gerade erst zwölf Monate am Werk. Der Rest ist Geschichte.
Jene letztlich abschließende Geschichte um den Hinti-Cup ist in allen Details breitgetreten worden, erst von Michael Bonvalot, dann von allen anderen. Hinteregger beteuert in seinem von der Eintracht veröffentlichten Statement zwar, dass er sich schon länger mit Rücktrittsgedanken trägt, der Zeitpunkt seines Rücktritts vier Tage nach der Veranstaltung in Sirnitz ist aber zumindest verdächtig, zumal er sich weiterhin uneinsichtig gibt.
Schlechtes Krisenmanagement
Die Causa Hinteregger war seit Bonvalots Artikel am 8. Juni zu einem Lehrstück kaputten Diskurses im Social-Media-Zeitalter geworden. Die eine Hälfte Österreichs hat sich über Hinteregger aufgeregt, weil er mit einer den Identitären zumindest nahestehenden Person mittlerer Prominenz gemeinsame Geschäfte gemacht hat. Die andere Hälfte Österreichs hat sich über die eine Hälfte aufgeregt, viel war von „linkem Gesinnungsterror“ und dergleichen die Rede.
Dazu einige Anmerkungen.
Hinteregger selbst sagt, ihm wäre das politische Wirken von Heinrich Sickl nicht bekannt gewesen. Menschen aus dem medialen Betrieb, die Hinteregger persönlich kennen, halten das sogar für glaubhaft, ebenso wie seine Aussage, dass er „rechtes, intolerantes und menschenverachtendes Gedankengut auf das Schärfste verurteilt“. Gleichzeitig fährt er verbale Attacken gegen Bonvalot – wobei es inhaltlich nichts zu widerlegen gibt. Man mag seine „Meinung und Haltung“ teilen oder nicht, aber sein Artikel war sauber recherchiert, die gesellschaftliche Grundfunktion des Journalismus als Kontrollinstanz, als „vierte Gewalt im Staat“ wahrnehmend.
Grob fahrlässig ins PR-Desaster
Eintracht Frankfurt ist ein Verein, der sich in Person von Präsident Peter Fischer als Speerspitze gegen rechts positioniert. „Es kann niemand bei uns Mitglied sein, der die AfD wählt, in der es rassistische und menschenverachtende Tendenzen gibt“, sagte Fischer vor einigen Jahren. Hinteregger versuchte die Kooperation mit Sickl zu rechtfertigen, dass die AfD „zehnmal schlimmer ist als die FPÖ“ und er von der Existenz der Identitären Bewegung nichts gewusst habe, geschweige denn, für welches Gedankengut sie stehe.
Auch ohne Hinteregger gezielte Absicht zu unterstellen, war es doch zumindest grob fahrlässig: Wer bei einem Verein arbeitet, der sich so klar offen positioniert wie Eintracht Frankfurt, muss einfach dafür Sorge tragen, dass es keine Geschäftsbeziehungen in den offen rassistischen Rand der Gesellschaft gibt. Eine Kooperation mit einem gewöhnlichen FPÖ-Mandatar – hätte eine schiefe Optik gehabt, wäre aber wohl aussitzbar gewesen. Eine Kooperation, die auch nur im Geruch ist, Identitäre Standpunkte zu teilen, ist in diesem Kontext ein noch größeres No-Go, als es das auch ohne diesen Zusammenhang wäre.
Von A bis Z war es einfach mega-patschert, es war wieder: Schusseligkeit und fehlende Sorgfalt. Einem Julian Baumgartlinger beispielsweise wäre nichts davon passiert. Auch er war stets einer, der sich wie Hinteregger der medialen Knochenmühle des Profifußballs nie verbiegen ließ, immer er selbst blieb, auch kritische Aussagen tätigte. Unüberlegtes Handeln konnte man dem Kapitän der Generation Koller aber nie unterstellen.
Zwölf intensive Jahre
Mit dem sofortigen Karriere-Ende endet eine zwölfjährige Profikarriere, die in vielerlei Hinsicht bemerkenswert war. Hinteregger war nie längerfristig verletzt, länger als zwei Monate hatte er in seiner Laufbahn nie aussetzen müssen. Auch, wenn er jung reingekommen ist – Debüt bei den Red Bull Juniors unter Niko Kovac mit 17 Jahren, Stammkraft in der Bundesliga mit 18 Jahren – hätte er im Normalfall noch eine Handvoll guter Jahre vor sich gehabt. Andererseits sagt er selbst, dass die Freude im Herbst 2021, als weder er noch die Eintracht gut spielten, stark gelitten hätte. Ohne Freude am Spiel nützt auch ein nach dem Muskelfaserriss vom 5. Mai erholter Körper nichts.
Als 18-Jähriger wurde er in der Saison 2010/11 eben unter Huub Stevens Stammspieler in der Salzburger Bundesliga-Truppe und er blieb das bis zu seiner Leihe zu Gladbach im Jänner 2016. Nach der EM 2016, wo er alle drei Matches für Österreich spielte, verweigerte den von Ralf Rangnick gewünschten Wechsel zu Leipzig. „Lieber in Augsburg um den Abstieg als mit Leipzig um den Titel“, hatte er ausrichten lassen, das Verhältnis zwischen ihm und Rangnick gilt seither als belastet, ob der neue Teamchef langfristig auf ihn oder Alaba als aufbauenden linken Innenverteidiger gesetzt hätte, werden wir nie erfahren.
Zweieinhalb Jahre blieb er in Schwaben, ehe er zur Frankfurter Eintracht wechselte. Hier erlebte er die beste Zeit seiner Karriere, aber selten war ein Hoch ohne Tief, wie im echten Leben eben. 2019 ging es ins Europacup-Halbfinale, Hinteregger vergab im Elferschießen gegen Chelsea den entscheidenden Schuss. 2022 gewann Frankfurt die Europa League, Hinteregger fehlte mit einer Muskelverletzung. „Ich will meine Karriere bei der Eintracht beenden“, sagte er noch vor einer Woche im Standard.
Unangenehme Lage auch für den Klub
Das ist nun schneller gegangen als erwartet. Ob der Ärger über den durch die Organisation des Hinti-Cups entstandenen Wirbel wirklich nur eine untergeordnete Rolle in der Entscheidungsfindung gespielt hat, kann nur er selbst sagen. Vor einem Monat jedenfalls gab er noch zu Protokoll, sich auf die Champions League mit Frankfurt zu freuen und sich „das nicht entgehen lassen“ wollte. Denn ein Champions-League-Spiel hat sich für ihn nie ergeben.
Letztlich war es auch für den Verein keine angenehme Situation. Einerseits kann man es eine Angestellten nicht glaubhaft durchgehen lassen, mit einer den Identiären nahestehenden Person Geschäfte zu machen, ob unwissend oder nicht. Dazu hat man im Klub verschnupft darauf reagiere, dass der Spieler im medialen Alleingang seine drohende Ausmusterung verkündet hat und dass er nach einer angeblich wilden Party-Nacht die Verabschiedung von Ilsanker, Barkok und Da Costa verschlafen hat. Andererseits ist Hinteregger Leistungsträger und Publikumsliebling.
Dass sich der Klub angesichts der Umstände – nolens volens – vom Spieler trennen könnt e, stand vor dem für 23. Juni anberaumten Treffen von Hinteregger und seinem Manager Christian Sand mit Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche ausdrücklich im Raum. Das Karriereende erwischte die Eintracht zunächst aber doch auf dem falschen Fuß. Hinti halt.
Weiterer Lebensweg
Man kündigte an, nun „Abstand zu gewinnen und mein Leben neu auszurichten“. Wie immer das aussehen mag, man möchte Martin Hinteregger wünschen, dass er im Leben nach dem Fußball ankommt und dass es ihn so ausfüllt wie das Fußballspielen. Er ist seit rund einem Jahr mit seiner Michele zusammen, hat im Frühjahr ein Gasthaus in der Nähe von Frankfurt übernommen. Dieses startet seinen Betrieb am 24. Juni 2022, am Tag nach seinem Rücktritt vom Profifußball.
Als Trainer kann man ihn sich nur schwer vorstellen, als TV-Experte wäre er sicher unterhaltsam, vielleicht zieht er sich auch komplett aus der Öffentlichkeit zurück und geht, wie etwa Rubin Okotie, in seiner Rolle als Gastronom auf.
Was immer es wird: Alles Gute dabei, Hinti.