Ein Spiel mit altbekannten Schwächen, guten individuellen Leistungen und einer funktionierenden Adaptierung des Plans in der zweiten Hälfte bringt dem ÖFB-Team den erhofften – und erwarteten – Pflichtsieg zum EM-Auftakt. Zwar machte man sich das Leben gegen Nordmazedonien zuweilen selbst schwer, aber die höhere Qualität bei Österreich setzte sich letztlich durch.
Die Formation
Besonders auffällig bei Österreich war die Formation. Das Personal legte das aus den letzten Spielen bekannte 4-4-1-1 nahe, das gab man auch bei der UEFA so an, in der Praxis aber ließ Foda ein sehr spezielles 3-5-1-1 aufs Feld. Zum ersten Mal überhaupt im Nationalteam begann Alaba als Innenverteidiger – und zwar als zentraler Mann zwischen Dragovic und Hinteregger.
Xaver Schlager sollte vor der Abwehr für die defensive Stabilität sorgen, der Clou war aber die Position von Marcel Sabitzer. Er war im linken Halbfeld als Achter in der Regel tiefer postiert als Linksverteidiger Ulmer, der extrem hoch stand – aus gutem Grund, wie sich zeigen sollte.
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Der stehende Aufbau
Mit welchem Hintergedanken diese Formation aufs Feld geschickt wurde? Die Vermutung liegt nahe, dass man damit Alaba und Hinteregger die Absicherung gibt, dass jeweils einer von ihnen nach vorne aufrückt – so wie sie das gerne machen. Das passierte in der ersten Halbzeit jedoch nur situativ und brachte keinen echten Mehrwert. Aus dem Mittelfeld rückte keiner zurück, alle versteckten sich gekonnt im Deckungsschatten – das war ein durchgängiges Motiv, auch eine Etage weiter vorne.
Bis auf den Ballführenden bewegte sich bei Österreich praktisch niemand. Das Spiel war extrem statisch, niemand bot sich an, keiner suchte sich den Ballführenden, um Optionen zu geben. Marcel Sabitzer hob schon nach 12 Minuten halb fragend, halb hilflos die Hände, weil sich so gar keiner in irgendeine Position bewegen wollte, die einigermaßen sinnvoll anspielbar gewesen wäre.
Geschicktes Freispielen von Sabitzer
Überhaupt, Sabitzer. Oft durfte er im Nationalteam noch nicht auf der Acht in einem Dreiermittelfeld spielen – also jener Position, die er in Leipzig mit hoher Klasse einnimmt. Diesmal durfte er, und er war der mit einigem Abstand beste Spieler auf dem Feld.
Durch die auffällig weit vorgezogene Rolle von Andreas Ulmer wurde der mazedonische Rechtsverteidiger Nikolov hinten festgenagelt. Sabitzer zog es permanent in Ulmers Rücken in Richtung Außenbahn, weg vom rechten mazedonischen Achter Bardhi – dieser war in der Doppelmühle: Ging er mit Sabitzer mit, öffnete er Räume für Schlager und den zurückfallenden Baumgartner. Blieb er im Halbfeld, hatte Sabitzer viel Platz.
Bardhi entschied sich in der Regel dafür, im Halbfeld zu bleiben, und Sabitzer freute sich über ungeahnte Räume. Im Laufe der ersten Halbzeit riss Sabitzer das Spiel zunehmend an sich. Dass seine Hereingabe von Lainer nach 18 Minuten zum 1:0 für Österreich verwertet wurde, belohnte die geschickte Taktik.
Wie zentral Sabitzer eingebunden war, wird auch dadurch verdeutlicht, dass er von drei Spielern zehnmal oder öfter angespielt wurde (Ulmer, Hinteregger, Alaba) – ansonsten hat nur Alaba mehr als einen Spieler, der ihn zehnmal oder öfter angespielt hat.
It’s left wing triangles versus the right wing Lainer-Kalajdzic connection.
What do you make of this Austria passmap?#AUSMKD pic.twitter.com/uVWcpOVfQm
— Between The Posts (@BetweenThePosts) June 13, 2021
Gute Absicherung im Gegenpressing…
Anders als in den letzten Spielen war auch die Absicherung in Gegenpressing-Situationen recht gut. Bei Ballverlusten im Angriffsdrittel gingen konsequent zwei bis drei Österreicher auf den Gegenspieler, dieser wurde damit gut daran gehindert, gezielt von hinten herausspielen zu können. Die hohe Position von Ulmer half dabei ungemein. Wenn sich die Mazedonier doch aus diesen Situationen befreien konnten, zog sich Österreich zurück und erwartete den Gegner in der eigenen Hälfte.
Vom Tor abgesehen, kreierte der Turnier-Debütant praktisch nichts von Belang – und selbst der Treffer war eigentlich keine herausgespielte Torchance, sondern eine zu riskante Entscheidung von Hinteregger beim Klären einer Flanke zwischen die Linien, wodurch der Ball in den Strafraum flipperte, wo ihn Bachmann wiederum nicht festmachen konnte.
Je nach xG-Modell kam Nordmazedonien auf 0,5 (Between The Posts) bzw. 0,7 (Caley Graphics) oder 0,8 (xGPhilosophy) – alleine das Tor sind rund zwei Drittel davon. Österreich beendete das Match mit 2,1 (BtP) bzw. 2,2 (Caley) oder 2,6 (xGP).
…aber wieder großes Loch beim Aufrücken
Sehr wohl deutlich zu erkennen war allerdings wiederum das große Loch zwischen aufgerücktem Mittelfeld und zumeist wieder maximal bis zur Mittellinie aufrückender Abwehr. Wie schon in den beiden Qualifikationsspielen (4:1 in Skopje und 2:1 in Wien) bespielten die Mazedonier dieses Loch nicht mit großem Erfolg: Die Dreierkette ermöglichte es Österreich, sich unter der Regie von Alaba passender zu staffeln und letzlich fehlte es den Mazedoniern auch einfach an der Qualität.
Sich darauf zu verlassen, dass solche potenziellen Kontersituationen aber auch gegen Holland und die Ukraine so wegverzögert werden wie gegen Nordmazedonien, ist aber wohl ein gefährliches Spiel. Dänemark hat’s im März gezeigt.
Adaptierung von Alabas Rolle
Sabitzer genoss seine Freiheiten in der ersten Hälfte zwar, aber ansonsten war nicht viel zu sehen, was Laufwege anging. Nicht nur, dass sich selten Mitspieler für kurze Pässe anboten, es wurden auch keine anderen Räume mit geschickten Laufwegen aufgemacht, der Verbund der Mazedonien getestet oder sich gar in den Strafraum kombiniert.
Nach etwa einer Stunde wurde bei Österreich die Rolle von David Alaba adaptiert. Er wechselte mit Martin Hinteregger die Plätze: Hinteregger war damit der zentrale Mann in der Dreierkette, Alaba der linke. Somit konnte Alaba in den extrem offenen freien Raum vor ihm beinahe nach Belieben vorstoßen – Mazedoniens Trainer Angelovski hatte zu diesem Zeitpunkt Bardhi von Sabitzer abgezogen und mit Kostadinov einen neuen, defensiveren Spieler zum Leipzig-Legionär gestellt.
Schwächen der Mazedonier angebohrt
So hatte Österreich nun einen Spieler mehr, der mit Tempo aus der Tiefe in die Räume stoßen konnten; mit Arnautovic und Gregoritsch waren auch zwei frische Spitzen auf dem Feld. Das ÖFB-Team hatte seit Kalajdzic‘ von Dimitrievski pariertem Schuss in der 22. Minute keinen einzigen Torschuss mehr abgegeben. Mit diesen vorgenommenen Umstellungen brachte man wieder Schwung in das kontrollierte, aber ohne Torgefahr vor sich hin plätschernde Spiel zu bringen.
Man kam nun zwar immer noch nicht in den Strafraum, bohrte aber eine markante Schwäche bei den Mazedoniern an: Obwohl drei Innenverteidiger vor Torhüter Dimitrievski lauerten und die Box verbarrikadierten, waren sie erstaunlich anfällig bei weiten Hereingaben von den Außenbahnen. Das 1:0 durch Lainer war schon so entstanden, Kalajdzic‘ Chance kurz danach ebenso, und in der 78. Minute fand sich auch niemand, der Gregoritsch nach Alabas Flanke entscheidend am Treffer hinderte.
Rückzug und Konter zur Entscheidung
Mit dem 2:1 im Rücken zog sich Österreich wie gewohnt weit zurück und erwartete die Mazedonien in der eigenen Hälfte – so weit hinten stand Andi Ulmer im ganzen Spiel nicht wie in der Schlussivertelstunde. Was schon in einer Phase nach Beginn der zweiten Halbzeit so gewirkt hatte, war nun auf jeden Fall so: Mazedonien musste kommen, es ergaben sich Räume für Österreich.
In der 89. Minute schloss Arnautovic einen solchen Gegenstoß zum 3:1-Endstand ab. Der erste Sieg für Österreichs Herren bei der dritten EM-Teilnahme war in trockenen Tüchern.
Fazit: Zunächst zäh, aber Umstellungen wirkten
Das durchdachte Freispielen von Sabitzer war in einer recht zähen ersten Hälfte das einzige, was bei Österreich wirklich gut funktionierte. Der Aufbau war statisch, produktive Laufwege kaum Vorhanden; wieder mussten sich die Ballführenden die Mitspieler suchen anstatt umgekehrt. Das 1:0-Führungstor fiel praktisch aus dem Nichts und danach kam auch 40 Minuten lang wieder so gut wie Nichts. Nordmazedonien war bemüht, aber zumeist harmlos.
Anders als gewohnt war es diesmal aber Franco Foda, der nach einer Stunde an den Stellschrauben drehte und damit das Spiel in Österreichs Richtung kippen ließ – es wurde nicht gewartet, dass der andere was macht, sondern selbst agiert. Die Belohnung war eine deutliche Steigerung in der Schlussviertelstunde, die mit dem verdienten Arbeitssieg belohnt wurde.
Da Holland das Abendspiel gegen die Ukraine nach einer turbulenten Schlussphase doch noch gewonnen hat und die Ukraine damit eben nicht den Bonuspunkt gegen den Gruppenfavoriten geholt hat, kann das ÖFB-Team nun am Donnerstag in Amsterdam ohne den ganz großen Druck auflaufen. Das ist ein Luxus, den man nach dem 0:2 vor fünf Jahren gegen Ungarn nicht hatte, als gegen Portugal im zweiten Match schon „Verlieren Verboten“ galt.
Der 3:1 über Nordmazedonien ist dabei der erste Endrunden-Sieg für Österreich nach neun sieglosen Spielen (vier Remis, fünf Niederlagen). Beim letzten Erfolg, dem 2:1 über die USA in Florenz im letzten Gruppenspiel der WM 1990, gab es den nunmehrigen Gegner noch gar nicht als eigenständiger Staat.