Es brauchte die Brechstange nach dem Rückstand in der 74. Minute, aber am Ende gab es einen 2:1-Sieg für Österreich im fünften Spiel dieses Nations-League-Herbstes. Der Gegner aus Nordirland zwang das ÖFB-Team dazu, Ideen und entwickeln und diese auch umzusetzen. Dies funktionierte nicht nach Wunsch – vor allem die tiefen Läufe von Marcel Sabitzer haben Potenzial, brachten aber (noch) keinen nachhaltigen Schwung.
Pervan und Hinteregger: Nur zwei Spieler, die beim 3:0 in Luxemburg in der Startformation standen, taten dies im allerdings nur unwesentlich bedeutenderen Spiel gegen Nordirland auch. Unabhängig vom Resultat dieses Spiels fällt die Entscheidung über den Gruppensieg erst im Heimspiel gegen Norwegen am Mittwoch – so dieses stattfinden kann. (UPDATE: Norwegen wird kommen, allerdings mit einem stark umformierten Kader.)
Ian Baraclough veränderte sein Team gegenüber der bitteren 1:2-Niederlage nach Verlängerung im EM-Playoff gegen die Slowakei an acht Positionen – nur Dallas, McNair und Washington blieben in der Startformation; Alistair McCann durfte debütieren. Es brauchte einen Sieg, um wegen des abgesagten und vermutlich für Rumänien strafbeglaubigten Parallelspiels gegen Norwegen die theoretische Chance auf den Verbleib in der B-Gruppe zu wahren.
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Nordirland vornehmlich defensiv
Die Nordiren erwarteten Österreich tief und lenkten die Gastgeber dorthin, wo sie wenig Schaden anrichten konnten. In dem 5-4-1, das Baraclough seinem Team aufgetragen hatte, wurde vor allem das Zentrum und der Sechserraum personell dominiert. So wurde Österreich noch mehr auf die Außenbahnen gezwungen, als das unter Foda ohnehin oft der Fall ist.
In Strafraumnähe jedoch verdichteten die Nordiren auch Außen gut gegen den Ball und die ÖFB-Spieler rannten sich fest. Im besten Fall kam noch eine Flanke vor das Tor, welche die robusten Nordiren aber problemlos wegräumen konnten. Über weite Strecken hielten die Gäste die österreichische Torgefahr ungefähr dort, wo die Außentemperaturen waren: nahe Null.
Alaba wandert linkswärts
Bei Österreich startete David Alaba auf der linken offensiven Position. Schon nach wenigen Minuten rückte er – wie schon bein Hinspiel in Belfast – ins Zentrum ein. Es entstand jedoch im Zentrum kein sichtbarer Vorteil, weil bei Nordirland schon die beiden Stürmer Boyce und Washington geschickte Deckungsschatten stellten, wobei ihnen das geringe Tempo bei Österreich das Leben auch leicht machte.
So ging Alaba nach etwa 20 Minuten auf die ungewohnte rechte Seite; Schlager rückte dafür auf links. Die Wirkung, die Alaba auf der linke Seite entfachte, war jedoch nicht sehr ausgeprägt. Die Abstimmung und damit die Pässe von bzw. zu Lainer wirkten oft improvisiert, weiterhin konnten keine Löcher im nordirischen Verbund gerissen werden. Wie Schlager – der ja eher im Zentrum daheim ist – gab es auch von Alaba keine Laufwege in den Strafraum. So hatte Österreich zwar viel Ballbesitz, war aber gleichzeitig sehr statisch und es fehlte die Präsenz im Strafraum.
Die Gäste eher gefährlich
Das Match fühlte sich an wie ein mittelmäßig bedeutsames Ligacup-Spiel eines mittelguten Erstligisten gegen eine ambitionierte, aber limitierte Drittliga-Truppe. Nordirland bremste den deutlich besser besetzten Gegner auf das eigene Tempo herunter und baute auf schnelle Konter-Situationen.
Auf diese Weise erzeugten die Gäste mehr Torgefahr als die Hausherren, obwohl diese annähernd 75 Prozent Ballbesitz verbuchen konnten. Das Tempo gegen die hoch aufgerückte österreichische Abwehrlinie verursachte einige Male Herzklopfen.
Sabitzers tiefe Rolle
Marcel Sabitzer ist einer jener Spieler, die sich in den letzten ein, zwei Jahren wohl am meisten verbessert haben und auch vielseitiger wurden. Julian Nagelsmann setzt den 26-Jährigen zuweilen sogar auf der Sechs ein, wie etwa bei Sieg über eine zugegeben nicht in Bestbesetzung angetretene Truppe von Paris St. Germain in der Champions League vor zwei Wochen.
Gegen Nordirland war Sabitzer auf der Zehn im 4-2-3-1 aufgestellt, er ließ sich aber situativ zurückfallen, um Überzahl herzustellen und Angriffe durch das Zentrum zu initiieren, wobei durch seine tiefe Position Verwirrung bei den Nordiren geschaffen werden kann. Die beste Chance der ersten Hälfte wurde so herausgespielt, recht oft aber machte es nicht den Anschein, als gäbe es einen erarbeiteten Plan dafür, wie Sabitzers Läufe aus der bzw. seine Positionierung in der Tiefe ins Spiel eingebunden werden sollte.
Diese taktische Maßnahme blieb in der „Trial and Error“-Phase stecken, angesichts des gehetzten Kalenders, in das auch noch das völlig sinnbefreite Match in Luxemburg hineingestopft worden ist, blieb natürlich auch kaum Zeit dafür, die dafür erforderlichen Automatismen in gemeinsamen Trainings zu erarbeiten.
Etwas neue Rollen nach der Pause
Für den gelb-rot-gefährdeten Dragovic, der in der Kabine blieb, betrat für die zweite Halbzeit Reinhold Ranftl den Platz. Ilsanker ging dafür in die Innenverteidigung zurück, Schlager ins zentrale Mittelfeld und Alaba wieder nach rechts. Ranftl muss wohl den Auftrag bekommen haben, für den Zug in den Strafraum zu sorgen. Diesen Schluss legt nicht nur Fodas Gestik vor Ranftls Einwechslung nahe, sondern auch seine Laufwege. Innerhalb der ersten paar Minuten tauchte Ranftl gleich zwei-, dreimal im Strafraum auf, um lange Anspiele aufzunehmen.
Sabitzer wurde auch zunehmend zum Box-to-Box-Midfielder, er holte sich einige Male die Bälle sogar schon auf Höhe der Innenverteidiger ab, um mit seinen Läufen aus der Tiefe für Tempo und Schwung zu sorgen. Allzu oft folgte der Aufbau des ÖFB-Teams aber dem schon in der ersten Halbzeit gezeigten Spiel in die Breite und mit langen Bällen, weil man so gar nicht durchkommt.
Und dann nützte Nordirland, dass Ulmer einen Schritt zu spät die Abseitsfalle stellt. Eine Viertelstunde vor Schluss stellte der eingewechselte Magennis auf 1:0 für Nordirland.
Mit der Brechstange (und Glück) zum Erfolg
Foda reagierte umgehend, jetzt musste die Brechstange herhalten. Es wurde auf ein 4-2-4 umgestellt: Aranutovic und Grbic vorne zentral, Schaub links und Sabitzer rechts; dahinter Baumgartlinger und Schlager in der Mitte; Alaba wurde Linksverteidiger. Gleich mit der ersten nennenswerten Angriffsaktion – eine von Lainer geschlagene und von Grbic verlängerte Flanke auf Schaub – glich Österreich aus. Das Glück spielte mit, dann Schaub erzielte das Tor aus einer Abseitsposition heraus.
Wenige Minuten später kam einer der vielen langen Bälle, die praktisch immer leichte Beute der nordirischen Abwehr geworden waren, doch einmal verarbeitbar bei Arnautovic an. Der gerade aus China heimgereiste Arnautovic legte in seinem ersten Länderspiel-Einsatz seit fast auf den Tag genau einem Jahr auf Grbic ab, der zum 2:1-Sieg trag.
Fazit: Anregend war’s nicht, aber es gab den Sieg
Das Spiel lässt sich ähnlich wie jenes in Luxemburg zusammenfassen: Besonders anregend war es nicht, aber immerhin passt das Resultat.
Spielerisch war der Auftritt ziemlich dünn, es fehlte das Tempo und die Kreativität um die Nordiren auseinander zu reißen, sicher auch die Spitzigkeit und die letzte Ernsthaftigkeit, die zweifellos auch dem Spielplan und der tabellarischen Irrelevanz des Matches geschuldet ist.
In diesem Herbst, der (zu) vollgepackt ist mit Spielen, mit generell deutlich mehr Verletzungen und Blessuren als sonst, mit dem ständigen coronabedingten Umdisponieren und den generell einfach widrigen Bedingungen, geht es in solchen Spielen in erster Linie darum, die Ergebnisse einzufahren. Die Zeit, inhaltliche Dinge zu etablieren, ist schlicht und einfach nicht da.
Bei aller Kritik: Das macht das ÖFB-Team in diesem Herbst. Vom auch unglücklich verlaufenen 2:3 gegen Rumänien abgesehen sind alle Länderspiele seit der Corona-Pause im Frühjahr gewonnen worden.
Wenn das gegen Norwegen am Mittwoch auch noch gelingt – mit welcher Elf auch immer und ob überhaupt die Skandinavier in Wien aufkreuzen – und zumindest ein Remis geholt wird, ist Österreich Gruppensieger. Damit wäre nicht nur der Aufstieg in die A-Gruppe verbunden, sondern auch die Chance auf einen Platz im WM-Playoff für die Endrunde in Katar 2022 sehr groß (die besten zwei NL-Gruppensieger, die nicht über die reguläre WM-Quali das Ticket für die Endrunde oder das Playoff sichern, sind dabei). Vom praktisch sicheren Playoff für die EM 2024 in Deutschland mal ganz abgesehen, sollte der Modus beibehalten werden.
In diesem Herbst, ja, vermutlich in dieser ganzen Saison 2020/21 kann man gerade als Nationalteam nur daran anschließen, was in der Vergangenheit als Basis aufgebaut wurde. Wenn man damit so gut durchkommt, wie Österreich es ja schafft, dann soll es so sein.
Und wenn das Glück mithilft, so wie beim 2:1 gegen Nordirland, braucht man sich auch nicht dagegen zu wehren.
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