Mit einer bärenstarken ersten Hälfte und einem enorm willensstarken Auftritt nach dem Seitenwechsel kommen die ÖFB-Frauen bei ihrem ersten großen Turnier-Spiel überhaupt zu einem 1:0-Sieg über die Schweiz. Dieser gelang, weil man selbst seine Stärken lang genug auf den Rasen brachte und man so den Gegner entnervte.
Die große Schwäche des Teams aus der Schweiz – das vor zwei Jahre im WM-Achtelfinale stand – ist die langsame Innenverteidigung. Die Österreicherinnen – allen voran Nina Burger und Nici Billa – pressten also von der ersten Minute an die routinierte Caro Abbé, die große Rahel Kiwic und die Torhüterin Gaëlle Thalmann an.
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Schweiz gehetzt und unterlegen
So hatte die Schweiz zunächst nie die Gelegenheit, sich wunschgemäß zu stellen, um das Tempo und die individuelle Klasse der Offensivkräfte auszuspielen. Das 4-1-3-2 der Schweiz lässt traditionell die defensiven Halbräume sehr weit offen, speziell bei Ballverlusten im Mittelfeld. Auch diesen Schwachpunkt nützte Österreich gut aus, indem schnell in diesen freien Raum aufgerückt wurde. Vor allem Sarah Puntigam tat sich dabei hervor.
Durch das hohe Pressing und den Umstand, dass Österreich überall auf dem Platz praktisch sofort Überzahl in Ballnähe hatte, wurde die Schweiz sichtlich verunsichert. Trainerin Martina Voss-Tecklenburg sagte zwar nach dem Spiel auf SRF, dass man genau gewusst hätte, wie Österreich spielen würde. Hat aber nicht danach ausgesehen.
Führung und Spielweise zeigen Wirkung
Nach zehn Minuten und einer kleinen Unterbrechung – Lisa Makas bekam den Turban nach dem Ellbogen-Einsatz von Crnogorcevic – ließ Österreich erstmals ein wenig vom Druck ab, stellte sich und erwartete die Schweizerinnen. Diese ließen sich ein wenig locken und wurden promt für eine Nachlässigkeit im eigenen Sechserraum bestraft: Ballgewinn, schneller Pass von Zadrazil auf Burger, Tor (15.).
Auch bei der 20-Minuten-Marke ließ sich das druckvolle österreichische Team wieder etwas fallen, zuweilen mit Puntigam zwischen Kirchberger und Aschauer. Die schnellen Schweizerinnen – Ramona Bachmann war im Übrigen am Flügel aufgestellt, erst rechts, dann halb durch die erste Halbzeit auf links, gegen die lange Schiechtl – bekamen so nicht den Raum zwischen den Linien, in dem sie so großen Schaden anrichten können.
Die Folge des ungemütlichen Spiels der Österreicherinnen: Die Akteure aus der Schweiz legten sogar schon Pässe daneben, wenn sie nicht unter Druck standen. Die ÖFB-Frauen hatten zwar kaum wirkliche Torchancen, aber sie ließen der Schweiz deren Stärken zu keinem Zeitpunkt der ersten Hälfte ausspielen.
🇨🇭 kann so ein sexy team sein, aber das ist so konfus und schwach 🇦🇹 wesentlich aufgeräumter #AUTSUI
— Jolle Lahr-Eigen🇪🇺 (@jollinski) 18. Juli 2017
Auch individuell stark
Neben der umsichtigen Puntigam glänzte bei Österreich vor allem Laura Feiersinger. Sie zeigte defensiv eine herausragende Leistung mit einem überragenden Stellungsspiel; sie war im Umschaltspiel auf die Offensive immer einen Schritt schneller als ihre Gegenspielerinnen, sie setzte permanente Impulse und lief wie aufgezogen.
Auch Sarah Zadrazil muss man hervorheben. Offensiv war es vom Assist abgesehen nicht ihre beste Partie, aber defensiv war sie stark und es waren vor allem wieder die kleinen, unauffälligen Dinge, die sie so wertvoll machen – das Nachgehen nach einer eigenen Ecke, um einen gezielten Schweizer Befreiungsschlag zu verhindern, oder das Ziehen eines billigen Fouls, um eine Schweizer Druckaktion zu beenden.
Leider hat sich Zadrazil gegen Ende am Knöchel verletzt, vermutlich ist ihr Turnier schon vorbei. Auch die recht offensichtliche Gehirnerschütterung bei Lisa Makas hat nicht gut ausgesehen. War also wohl ein Pyrrhus-Sieg.
Anderes Spielgesicht nach einer Stunde
In der 57. Minute reagierte Martina Voss-Tecklenburg auf die chaotische Leistung mit einem Doppelwechsel (Abbé und Humm raus), drei Minuten später musste Kiwic per roter Karte aus dem Spiel: Sie hatte als letzte Abwehrspielerin Nina Burger umgerissen. Brunner kam für Reuteler. Nach dieser hektischen Phase bekam das Spiel dann ein völlig anderes Gesicht.
Die Schweiz ging nun mit einem 4-2-3 volles Risiko, bei Österreich – wo in dieser Phase nach einer Stunde extrem intensiven Spiels merkbar die Kräfte nachließen – wurde das Spiel entsprechend der neuen Schweizer Formation und des gesteigerten Drucks des Gegners adaptiert.
Billa nämlich ging nun aus dem Mittelfeld nach vorne, Prohaska rückte eher ein wenig ein (Makas war zuvor mehr an der Linie geblieben) und es wurde vor allem im Zentrum auf Ballgewinne gegangen. So wollte man die sich nun noch weiter öffnenden Räume in der Schweizer Defensive nützen, obwohl mit Brunner und Wälti nun zwei deutlich mobilere Innenverteidiger auf dem Platz standen als die beiden Immobilien Abbé und Kiwic zuvor.
Dafür kam ein Stilmittel nun sehr häufig zum Einsatz, das im April im Lehrgang vor dem Testspiel in England vermehrt eingeübt wurde: Die Chips aus dem Mittelfeld gegen eine aufrückende Abwehr-Kette. Vier-, fünfmal gelang es Österreich damit, die Schweizer Abwehr zu testen oder gar auszuhebeln, aber die äußerst aufmerksame Torhüterin Thalmann kam stets gut heraus.
Hektische Schlussphase
Viel Plan war im Vorwärtsgang bei der Schweiz zwar auch in der Schlussphase nicht zu erkennen – Bachmann verlor sich oft in aussichtslosen Dribblings, Pässe landeten irgendwo im Nirgendwo, Chancen waren eher Zufallsprodukte – aber die eine oder andere gefährliche Situation hatte Österreich dann doch zu überstehen. Dazu kam noch einmal Glück dazu, als Referee Bibiana Steinhaus einen von Aschauers Ellbogen abgefälschten Schuss nicht als absichtliches Handspiel wertete.
Nach 77 Minuten kam die etatmäßige Kapitänin Viktoria Schnaderbeck (die wegen einer Knieverletzung nicht von Beginn an spielen konnte) für Schiechtl ins Spiel, wenig später brachte Thalhammer auch Pinther für Billa – und just eine Minute später verletzte sich Sarah Zadrazil. Damit musste auch Österreich in den letzten zehn Minuten zu zehnt überleben.
Österreich ging in dieser Schlussphase auf ein 5-3-1 über, in dem man den Strafraum möglichst frei von Schweizerinnen halten wollte. Burger war nun die Alleinunterhalterin ganz vorne, die eingewechselte Pinther (eigentlich eine Sturmspitze) musste auf der linken Seite für die Balance sorgen.
Weil sich die ÖFB-Frauen sensationell gegenseitig unterstützten, Torhüterin Manuela Zinsberger stets die Ruhe bewahrte und diese auch zu jedem Zeitpunkt ausstrahlte, und weil die Brechstangen-Versuche der Schweizerinnen immer mehr an Genauigkeit vermissen ließen, klappte es aber doch mit dem historischen Sieg beim ersten großen Turnier-Spiel.
Fazit: Der bessere, ausgeklügeltere Plan hat gewonnen
Österreich – das Team mit dem jüngsten EM-Kader (23,3 Jahre) und einer mit 24,1 Jahren auch im Vergleich extrem jungen Startformation (nur Wenninger und Burger sind älter als 25 Jahre) – agierte eine Stunde lang extrem abgebrüht, unbeeindruckt vom großen Anlass und mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre man alle zwei Jahre wie selbstverständlich bei einem großen Turnier dabei. Das ist, noch mehr als das Ergebnis, das eigentlich Unglaubliche an diesem EM-Debüt.
Das Team aus der Schweiz – wohlgemerkt, 11 der 14 eingesetzten Spielerinnen spielten 2015 ein WM-Achtelfinale vor 54.000 Zusehern – wirkte wie überrannt von der extrem präzise eingestellten und sehr aggressiv auftretenden österreichischen Mannschaft. Das erging schon Australien so, auch Finnland, auch Norwegen, auch Dänemark – erstaunlich, dass es die vermeintlich großen und auf jeden Fall ambitionierten Teams immer noch nicht verstanden haben.
Der Sieg ist verdient, weil Österreich eine Stunde lange einen exakt ausgearbeiteten Plan hatte und diesen annähernd perfekt umgesetzt hat. Und weil die Schweiz danach nur mit Brechstange und Wucht zu antworten gewusst hat. Die Schweiz, wo das Viertelfinale als Minimalziel ausgegeben worden ist, kann sich im Grunde schon mehr oder weniger als in der Vorrunde gescheitert betrachten. Für Österreich ist das Viertelfinale nun absolut möglich.
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