Frauen-WM: Matte Europäer und Favoriten mit Fragezeichen

36 der 54 Spiele der Frauen-WM in Kanada sind absolviert – die K.o.-Phase startet am Samstag mit dem Achtelfinale. Zeit für eine erste Zwischenbilanz: Wer hat die Erwartungen erfüllt, wer übertroffen, wer hat enttäuscht? Ein kurzer Überblick über die Favoriten, über enttäuschende Europäer und zwei sehr ungleich starke Äste auf dem Weg ins Endspiel von Vancouver.

WWC

Die Favoriten: Vollends überzeugt…

…hat bisher genau: Keiner. Klar, die Bilanz von Deutschland mit 15:1 Toren in den drei Spielen liest sich grandios. Aber: Es gab nur einen ernsthaften Gegner, und gegen den nur eine gute Halbzeit. Beim 10:0 gegen die Elfenbeinküste war die größte Schwäche, so seltsam es klingt, wie in der starken ersten Hälfte beim 1:1 gegen Norwegen die Chancenverwertung. Titelverteidiger Japan langweilte sich zu drei mühsamen und knappen Siegen in einer nur mittelmäßig starken Gruppe und Frankreich lieferte mit dem 0:2 gegen Kolumbien die bisherige Peinlichkeit des Turniers ab. Immerhin: Im letzten Gruppenspiel gegen Mexiko gab’s die richtige Antwort, als es schon nach einer halben Stunde 4:0 stand.

Das Team aus den USA kommt genauso bieder daher wie man es befürchten musste, dazu übertreibt es Megan Rapinoe zuweilen mit Eigensinnigkeiten. Die Probleme, die man mit der aggressiven Spielanlage von Australien hatte, lassen nichts Gutes befürchten. Bei Brasilien versteckt sich Marta bisher nach Kräften, war zwei Spiele lang kein Faktor und wurde im dritten geschont. Die meisten Probleme hat aber Gastgeber Kanada: Die Innenverteidigung ist so unsicher, dass Lauren Sesselmann halb durchs zweite Spiel nach dem x-ten Fehler ausgewechselt wurde, Sophie Schmidt bekommt das Spiel nicht aufgezogen, an Christine Sinclair laufen die Partien bisher vorbei. In drei Spielen gab’s nur zwei Tore, davon eines per Elfmeter. Ganz klar: Mit dem Gestalten eines Spiels hat der Gastgeber große Probleme.

Unter den Erwartungen: Europas Rest

Beim ersten Turnier hakt es oft vor allem an der Organisation, heißt es. Bei Europas Debütanten ist das Problem aber eher auf dem Platz zu verorten. Vor allem Spanien enttäuschte: Es gelang nicht, die Offensive um Veró Boquete vernünftig in Szene zu setzen. Folge: Gegen Costa Rica und Südkorea gab es statt sechs Punkten nur einen und damit den letzten Platz in einer wirklich nicht sehr problematischen Gruppe. Die Schweiz hielt gegen Japan brav dagegen und gewann gegen Ecuador zweistellig, blamierte sich aber bei der Pleite gegen Kamerun. Die hochgewettete Offensive von Holland um Miedema und Melis fand überhaupt nicht statt. Immerhin: Diese beiden retteten sich als Dritte ins Achtelfinale.

Auch Schweden agiert weit hinter den Erwartungen: Stürmerstar Schelin in Un-Form, Strategin Seger zu ungenau, Angriffs-Adjutantin Asllani auch irgendwie indisponiert; Teamchefin Sundhage ging von der offensiven Grund-Anlage ab und stellte wieder ein flaches 4-4-2 auf. Wofür das Trekronor-Team steht, weiß man nicht so genau. Nur die Vertretungen aus Norwegen und England spielten bisher ganz gut im Rahmen der Möglichkeiten: Jeweils Zweiter hinter Turnier-Favoriten, jeweils keine Blöße gegen die „Kleinen“ gegeben.

Kampf ums Olympia-Ticket

Bei den europäischen Teams geht’s nun in der K.o.-Phase nicht nur um die WM, sondern auch um die drei Startplätze für das Olympia-Turnier in Brasilien 2016. Sieben UEFA-Teams sind noch im Rennen. Frankreich wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gegen Südkorea in die nächste Runde einziehen, Holland (gegen Japan) und die Schweiz (gegen Kanada) sind klare Außenseiter.

Was heißt: Im Duell zwischen Deutschland und Schweden, mit dem die Achtelfinals eröffnet werden, geht es womöglich schon so ziemlich um alles. Für Deutschland wäre nicht nur ein Achtelfinal-Aus eine Riesen-Blamage, sondern auch das erneute Verpassen des Olympia-Turniers, das im Frauenfußball ja einen ähnlichen Stellenwert wie eine WM hat. Schon in London 2012 war das DFB-Team ja nicht vertreten.

Ein Joker ist die Partie Norwegen-England. Grund: England nimmt nicht an Olympia teil. Gewinnt Norwegen (das Team ist Favorit), fällt der Joker weg. Gewinnt aber England, so wären nur zwei olympiateilnehmende UEFA-Teams verblieben (also Frankreich und der Sieger aus GER-SWE). In diesem Fall würde im Februar 2016 in einem Mini-Turnier mit den im WM-Achtelfinale eliminierten Teams den dritter Olympia-Platz vergeben werden.

Die Backmarkers

Thailand, der eigentlich prognostiziert schlechteste Teilnehmer, schlug sich erstaunlich gut: „Nur“ 0:4-Niederlagen gegen Deutschland und Norwegen und sogar ein 3:2-Erfolg gegen die Elfenbeinküste. Damit sieht die Bilanz des Debütanten dramatisch viel besser aus, als man befürchten musste.

Andere zeigten hingegen deutlich, dass man bei der Aufstockung die Plätze vielleicht doch anders verteilen hätte sollen. Die Naivität, mit der die Elfenbeinküste verteidigte, war erschütternd und passiert in Europa selbst Mittelklasse-U-19-Teams kaum. Auch der Auftritt von Ecuador – 0:6 gegen Kamerun und 1:10 gegen die Schweiz – ist bei einer WM eigentlich nicht zu rechtfertigen.

Dafür machte Costa Rica einen sehr geordneten und soliden Eindruck und zeigte auch Kampfgeist. Dazu war Amelia Valverde, 28-jährige Teamchefin mit großer Hornbrille und Hang zum Psycho-Gesichtsausdruck, eine der unterhaltsameren Erscheinungen auf dem Trainersektor. Der Sieg in der Quali gegen Mexiko war kein Zufall, die Ticas dürften den etablierten Quasi-Nachbarn tatsächlich überholt haben.

Die Route ins Finale

Keine Frage: So easy die Gruppe für Deutschland war, so mörderisch ist für den Europameister der Weg ins Finale. Im Achtelfinale schon gegen Schwedenein traditionsreiches Dauerduell. Dann im Viertelfinale das vorgezogene Endspiel gegen Frankreich. Und wird das überstanden, wartet im Halbfinale vermutlich das US-Team (das weder mit Kolumbien noch mit dem Sieger aus China-Kamerun wirkliche Probleme haben sollte, allen Schwächen zum Trotz).

Der andere Turnier-Ast kommt da entspannter daher. Kanada muss sich zwar deutlich steigern, wenn man nicht bald ein blaues Wunder in Form eines frühen Ausscheidens erleben will – aber es hätte schon deutlich schlimmer kommen können als ein Achtelfinal-Gegner Schweiz und der Sieger aus Norwegen – England im Viertelfinale. Sollte Japan gegen Holland ausscheiden, wäre das eine Sensation. Das wäre ein Aus von Brasilien gegen Australien nicht mehr: Die Matildas haben von dem hilflosen Auftritt im Testspiel in Österreich zuletzt gelernt und pressen im Mittelfeld nun selbst so drauf, wie sie vom ÖFB-Team angepresst wurden. So bereitete man den USA große Probleme, besiegte Nigeria souverän und blieb auch gegen Schweden ungeschlagen.

Und wer wird’s nun?

Der Antwort auf die Frage, wer nun der 7. Frauen-Weltmeister wird, ist man nach der Gruppenphase nicht wirklich näher gekommen. Zwar muss Deutschland als die stärkste Mannschaft gelten, das DFB-Team hat aber eben auch den brutalsten Weg ins Endspiel am 5. Juli in Vancouver vor sich.

Andererseits könnten bisher nicht so überzeugende Teams wie Kanada, Japan oder auch Brasilien ebenso weit kommen – oder es gibt gar Überraschungen durch Australien oder Norwegen.

Kurz gesagt: In der Titelfrage sind noch alle Fragen offen.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.