Qualifikation für EM 2016
Spartak Arena, Moskau, 14. Juni 2015
Russland - Österreich
0-1
Tore: 33' Janko

Perfekten Plan früh verlassen, doch Österreich siegt in Russland

Österreich fährt zur EM nach Frankreich! Daran gibt es nach dem 1:0-Sieg in Russland keine Zweifel mehr. Das ÖFB-Team degradierte die Sbornaja in der ersten Hälfte zu Schulbuben und musste nur deswegen noch ein wenig Zittern, weil das so großartige Spiel nach der Pause fahrlässig früh zurückgefahren wurde.

Russland - Österreich 0:1 (0:1)
Russland – Österreich 0:1 (0:1)

Auffällig war schnell, dass Junuzovic oft sogar höher stand als Janko. Logische Erklärung: Die langsamen und etwas hüftsteifen russischen Innenverteidiger sollten angelaufen werden. Das funktionierte sehr gut, genau wie das Unter-Druck-Setzen der Außenverteidiger. Vor allem Dmitri Kombarov auf der linken Seite wurde das Leben von Harnik, Junuzovic und Klein zur Hölle gemacht.

Österreich macht Russland flügellahm

Die Folge des sofort ausgeübten Drucks auf die Sbornaja war, dass Österreich das Spiel praktisch mit Anpfiff voll im Griff hatte und Russland kaum drei Pässe hintereinander an den Mann brachte. Der Zahn war schnell gezogen – schon nach 10, 15 Minuten brauchte es deutlich weniger Anlauf-Aufwand, um bei den Russen Sicherheitspässe entweder von außen auf innen oder von innen auf den Torhüter zu provozieren.

Außerdem stellte Österreich – vor allem auf der eigenen rechten Seite – exzellent Überzahl in Ballnähe her. So traute sich Kombarov schon sehr früh nur noch 15-Meter-Pässe auf seinen Vordermann Juri Shirkov zu, der damit seine größte Stärke, nämlich sein Tempo, nie ausspielen konnte. Wenn Shirkov den Ball haben wollte, musste er mit dem Rücken zum österreichischen Tor die Anspiele von Kombarov erwarten. Ehe er die Kugel annehmen und sich umdrehen konnte, standen oft schon zwei, drei Österreicher um ihn herum. Dass das hochverdiente 1:0 durch Janko über diese Seite eingeleitet wurde: Kein Zufall.

Auf der anderen Seite reichte Arnautovic oft schon die pure Anwesenheit, um Smolnikov in Angst und Schrecken zu versetzen, im Zweifel halfen gerne auch Baumgartlinger oder Fuchs mit, Shatov von der Zufuhr abzuschneiden. Dem russischen Spiel waren die Flügel komplett genommen.

Russland nimmt sich selbst das Zentrum

Die Viererkette und der oft abkippende Sechser Glushakov waren dermaßen verstört, dass auch die Versorgung durch das Zentrum keine echte Option war. Es half der Sbornaja natürlich außerdem nicht direkt weiter, dass sich Achter Ivanov gegen den aggressiven Ilsanker überhaupt nicht zurecht fand, und dass Zehner Roman Shirokov sich sehr hoch bewegte und am umsichtigen Baumgartlinger vorbei kaum anspielbar war.

Wie überhaupt sich die Mittelfeld-Zentrale als besonders vernachlässigter Raum bei den Russen präsentierte. Ein Umschalten von Offensive auf Defensive gab es vor allem von Shirokov, aber auch oft von Ivanov schlicht nicht, sodass sich gerade hier wunderbare Räume für die Österreicher ergaben, wenn Russland doch einmal tiefer in der gegnerischen Hälfte war.

Das ÖFB-Team erkannte die russischen Schwächen – fraglos ein Verdienst von Koller und Janeschitz – und verstärkte sie geschickt. Der einzige Vorwurf, den sich Österreich gefallen lassen muss: Aus der haushohen inhaltlichen Überlegenheit nicht mehr Kapital geschlagen zu haben als „nur“ ein Tor.

Österreich lässt nach der Pause locker

Erstaunlich ist nach der überlegen geführten ersten Hälfte, dass Österreich das so erfolgreiche Spiel nicht weiter verfolgte. Man ließ deutlich locker, lief die russische Verteidigung nur noch halbherzig oder gleich gar nicht mehr an. Und man reagierte nicht darauf, dass Capello den sich nach Kräften versteckenden Ivanov durch den deutlich aktiver am Spiel teilnehmenden Miranchuk ersetzte.

So gelang es Russland, besser ins Spiel zu finden und sich weiter in Richtung österreichisches Tor zu orientieren. Nicht, dass es eine Fülle an gefährlichen Torchancen gegeben hätte – da machten Dragovic und Hinteregger gut zu – aber man merkte dem Gastgeber deutlich an, dass der die Chance, Luft zum Atmen zu bekommen, dankend annahm.

War es in der ersten Hälfte oft noch so, dass angekommene Pässe eher Zufallsprodukte waren, gewann Russland nun an Sicherheit. Es passierte aber immer noch viel über Einzelaktionen und Zufallsprodukte: Russland zeigte in dieser Phase, dass man durchaus über ganz gute Spieler verfügt, aber nicht über ein funktionierendes Team.

Capellos letzter Trumpf sticht nicht

Zwanzig Minuten vor Schluss rotierte Fabio Capello mit seinem letzten Wechsel, um noch mehr Druck zu erzeugen: Für Linksverteidiger Kombarov kam Zentrumsstürmer Kershakov, dafür ging Kokorin auf die linke Mittelfeldseite und Shirkov zurück auf die LV-Position. Damit sollte Shirkov, von noch weiter hinten kommend, mehr Tempo aufnehmen können, Kokorin (und Shatov auf der anderen Seite) rückten ein. So entstand ein 4-3-3 bei den Russen.

Doch anstatt immer mehr Druck aufzubauen und massiv auf den Ausgleich zu drängen, erschlaffte das Spiel zusehens wieder, womit man sich auf den gleichen Präsizions-Level hinunter begab wie die Österreicher. Man hatte den Eindruck, dass die Köpfe der Russen leer waren, und damit auch ihr Glaube schwand.

Fazit: Taktische Vorbereitung war perfekt

Ja, es war für viele eine körperlich wie mental schwierige Saison, und mit den Kräften ist es Mitte Juni so eine Sache. Aber wie sehr Österreich nach dem Seitenwechsel jegliche Bemühung eingestellt hat, das so exzellente und konsequente Spiel der ersten Hälfte fortzusetzen, war in seiner ganzen Fahrlässigkeit schon sehr erstaunlich. Man hatte das Team aus Russland zur völligen inhaltlichen Implosion getrieben, und anstatt so lange weiterzumachen, bis man das 2:0 erzielt hatte, weckte man einen toten Gegner auf.

Was aber auch in Erinnerung bleibt, ist eben diese unglaubliche erste Hälfte. Man war um minimum zwei Klassen stärker als ein russisches Team, das ums Überleben kämpft und drei Jahre vor der Heim-WM nun endgültig vor den Trümmern einer planlosen sportlichen Aufbauarbeit steht.

Das Österreich zur EM fährt, steht spätestens mit diesem Sieg außer Frage, und dass man sich das Ticket für Frankreich aber sowas von verdient hat, ebenso. Vor allem die taktische Vorbereitung auf dieses Spiel war auf den Punkt. Wenn man zurückblickt, wie nicht vorhanden jeglicher Plan noch vor vier Jahren war, ist das einfach nur extrem erfreulich.

gruppe g

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.