Asien galt als der absolute Boom-Kontinent im Weltfußball, schien Afrika nicht nur überholt, sondern längst abgehängt zu haben. Und dann das: Eine WM, bei der Asiens vier Vertreter so hergeprügelt wurden, dass am Ende drei Remis und neun Pleiten zu Buche standen, aber nicht ein einziger Sieg. Nun, ein halbes Jahr später, steigt in Australien der 16. Asiencup. Dieser wird der erste Anhaltspunkt sein, wer die Kurve am besten gekriegt hat. Die Favoriten sind die üblichen Verdächtigen: Japan, Südkorea, Australien, mit Abstrichen der Iran. Und zwei gefallene Riesen kämpfen um den Anschluss.
Titelverteidiger Japan (Gruppe D)
Vor vier Jahren war Japan die deutlich beste Mannschaft des Turniers und fuhr mit einem 1:0-Finalsieg gegen Australien den verdienten Titel ein. Bei der WM vor einem halben Jahr aber zeigte man sich etwas überaltert und über dem Zenit – eine Blutauffrischung tat Not. Javier Aguirre, der schon zweimal Mexiko bei WM-Endrunden betreut hatte, übernahm von Alberto Zaccheroni und versuchte sich schon an einer sanften Verjüngung.
Die Zeit für einen echten Neuaufbau war aber zu kurz, so müssen es überwiegend noch die Alten richten – vor allem in der Mittelfeld-Zentrale gibt es Baustellen. Kapitän Hasebe und Routinier Endo haben ihre besten Jahre lange hinter sich, in den Testspielen war Dortmunds Kagawa gesetzt – trotz mangelnder Spielpraxis und völliger Formfreiheit. Auch Torjäger von internationalem Format konnte sich Aguirre in den sechs Monaten nicht schnitzen, so wird wohl wieder der Mainzer Okazaki vorne ran müssen. Der ist zwar ein guter Stürmer, wäre aber noch wertvoller auf dem Flügel.
Dorthin muss Keisuke Honda ausweichen, der aber eigentlich ein Zehner ist – wie auch Hiroshi Kiyotake von Hannover. Rechts verzichtete Aguirre auf den Schalker Uchida, dessen Klasse hat Gutoku Sakai nicht. Junge Kräfte wie Achter Gaku Shibasaki (22) und die Innenverteidiger Gen Shoji (22) und Naomichi Ueda (20, alle von den Kashima Antlers) sowie Flügelspieler Yoshinori Muto (22, FC Tokio) dürfen mal reinschnuppern, eine Hauptrolle werden sie aber kaum spielen dürfen.
Ernsthafte Konkurrenz haben die Japaner in ihrer Gruppe D dennoch nicht: Weder der Irak (Sensations-Sieger von 2007, aber sonst nicht mehr als ein beständiger Asien-Cup-Viertelfinalist) noch Jordanien (unter dem legendären Ex-Chelsea-Co-Trainer Ray Wilkins) haben die Qualität, um Japan zu gefährden. Palästina hat sich über die Runde der Fußballzwerge qualifiziert und wird dreimal deutlich verlieren.
Südkorea & Gastgeber Australien (Gruppe A)
Trotz dreier Niederlagen hat Australien von allen asiatischen Teams bei der WM den mit Abstand besten Eindruck hinterlassen. Für Teamchef Ange Postecoglou war das Turnier in Brasilien angesichts der übermächtigen Gruppengegner (Holland, Spanien und Chile) auch „nur“ ein Testlauf für den Asiencup im eigenen Land.
Schon vor der WM wurde eine radikale Verjüngung eingeleitet, von den „Alten“ sind nur noch Spielmacher Tim Cahill und die Mittelfeld-Routiniers Jedinak und Bresciano übrig. Das Team zeigte Schwung, unbändigen Willen und steckte nie auf. Die individuelle Qualität ist bei anderen Teilnehmern zweifellos zum Teil deutlich höher, aber kaum ein Titelkandidat präsentierte sich zuletzt annähernd so sehr als verschworene Einheit wie Australien.
Das alles, verbunden mit dem Heimvorteil und einem Publikum, das in den letzten zehn Jahren immer mehr seine Liebe zum Fußball entdeckt hat, macht Australien sicherlich einem der absoluten Titelkandidaten.
Bei Südkorea musste nach der fürchterlich vercoachten WM Teamchef Hong Myung-Bo gehen, der Rekord-Teamspieler wurde durch den Deutschen Uli Stielike ersetzt. Was die Kaderqualität angeht, ist Südkorea einer der ganz großen Top-Favoriten. Die Frage ist nur, ob es in den vier Monaten von Stielikes Amtszeit gelang, aus einer extrem passiven Herangehensweise eine so aktive zu machen, wie es dem Kader entspräche.
Denn mit Leverkusens Son Heung-Min, dem Mainzer Koo Ja-Cheol und Lee Chung-Yong von Bolton ist wohl mehr Offensiv-Qualität vorhanden als in jeder anderen Mannschaft, mit dem in der Premier League gestählten Ki Sung-Yueng (Sunderland) und Park Joo-Ho (auch aus Mainz) ist auch Erfahung auf hoher Qualität im defensiven Mittelfeld vorhanden. Auch auf den Außenbahnen gibt mit Kim Jun-Su (Hoffenheim) und Cha Doo-Ri (früher Celtic und Freiburg) europäische Erfahrung. Dass es keinen Stoßstürmer von Format gibt, sollte dabei schon zu verschmerzen sein.
Schafft es Südkorea, die vorhandenen PS auf die Straße zu bringen, führt der Titel nur über dieses Team. Es wäre der erste für dieses Land seit 1960.
Mitfavorit Iran (Gruppe C)
Obwohl sie einem No-Budget-Verband unterstehen, zeigte die Mannschaft aus dem Iran eine – im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten – recht ordentliche WM. Entnervt von den vorsintflutlichen Arbeits-Bedingungen wollte Teamchef Carlos Queiroz eigentlich das Handtuch werfen, der frühere Trainer von Real Madrid und „Co“ bei Manchester United blieb dann aber doch.
Er wird beim Asien-Cup nun dem gleichen Personal vertrauen wie bei der WM in Brasilien. Es ist zu erwarten, dass der Iran nicht ganz so defensiv agieren wird wie letzten Sommer, die Probleme im Spiel nach vorne werden aber grundsätzlich die gleichen bleiben: Das zentrale Mittelfeld ist routiniert, aber nicht besonders kreativ. Der Vorwärtsgang ist nicht die Stärke, Stürmer Reza Ghoochannejhad wurde von Englands Zweitligist Charlton zuletzt nach Kuwait verliehen, Flügelspieler Jahanbakhsh spielt in Hollands zweiter Liga und Ashkan Dejagah, einst bei Wolfsburg deutscher Meister, spielt mittlerweile bei Al-Arabi – dem Neunten der Liga von Katar.
Härtester Konkurrent in der Gruppe C wird wohl Katar sein. Sieben Jahre vor der geplanten Heim-WM ist dieses Turnier ein erster wirklicher sportlicher Härtetest auf dem Weg dorthin – von dem Kader, der vor vier Jahren im eigenen Land unter dem mittlerweile verstorbenen Trainer Bruno Metsu sehr ordentlich agiert hat und im Viertelfinale am späteren Sieger Japan knapp gescheitert ist, sind nur noch sieben Spieler übrig, darunter nur drei der damaligen Stammkräfte. Im Gegensatz zu 2011 sind nun auch kaum noch Spieler dabei, die 2022 zu alt sind. Zumindest 15 Kaderspieler sind auch tatsächlich Kataris, acht eingebürgerte Kicker sind dabei. Ob der aktuelle Teamchef Djamel Belmoudi 2022 noch im Amt sein wird, ist hingegen äußerst unwahrscheinlich – seit 1984 amtierte kein Teamchef von Katar länger als drei Jahre.
Hauptgegner im Kampf um den erneuten Viertelfinal-Einzug für Katar ist das Team aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain ist mit einiger Sicherheit das schwächste Glied in dieser Gruppe.
Usbekistan und die schlafenden Riesen (Gruppe B)
Direkt sexy ist das Team aus Usbekistan, zumindest aus europäischer Sicht, ja nicht. Zwei Spieler aus der russischen Liga (Denisov von Lok Moskau und Ahmedov von Krasnodar), der Rest spielt überwiegend in verschiedenen asiatischen Ligen (China, Korea, Emirate). Auch eine prickelnde Spielweise ist vom Halbfinalisten des letzten Asiencups nicht zu erwarten.
Eher eine kompakt stehende Mannschaft, die mit guten Verteidigern daherkommt und einem routinierten Mittelfeld. Im Elo-Ranking ist Usbekistan der drittbeste Teilnehmer (hinter Südkorea und dem Iran, gleichauf mit Australien), ist daher auch als Gruppenkopf gesetzt. Deutlich interessanter sind, zumindest was die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit angeht, allerdings die Gruppengegner China und Saudi-Arabien.
Bei beiden Ländern klaffen seit geraumer Zeit Anspruch und Wirklichkeit ganz massiv auseinander. Beide sind zuletzt in der WM-Quali nicht einmal in die mit zehn Teams besetzte Finalrunde eingezogen, beide Teams sind beim letzten Asiencup vor vier Jahren kläglich in der Vorrunde gescheitert. Und beide Länder verfügen über finanzstarke Ligen, wo es für die heimischen Spieler wenig Anreiz gibt, ins Ausland zu wechseln.
Bei den Saudis ist der Rumäne Cosmin Olaroiu seit dem Desaster vor vier Jahren bereits der vierte Teamchef, weder Ex-Barça-Coach Frank Rijkaard noch Ex-Real-Madrid-Coach Ramon Lopez Caro konnten einen Aufschwung einleiten. Die Liga, aus der sich der komplette Kader rekrutiert, ist laut AFC-Ranking die zweitbeste Asiens, Olaroiu hat acht Spieler des Champions-League-Finalisten Al-Hilal mit dabei. Das größte Problem ist aber das permanente Chaos, die fehlende Kontinuität und die Inkompetenz im nationalen Verband. Dass die Saudis ihre Teamchefs nach einem schlechten Start während der Turniere entlassen, ist eher die Regel als die Ausnahme.
In China hatte José Antonio Camacho nach den unsagbar peinlichen Vorstellungen vor vier Jahren vom heillos überforderten Teamchef Gao Hongbo übernommen, besser wurde es nicht. Im Gegenteil: Camacho kassierte fürstliche 16 Millionen Dollar in zwei Jahren, in denen er China zielsicher von Platz 47 im Elo-Ranking auf Rang 69 führte und nach einem 1:5-Debakel gegen Thailand entlassen wurde. Alain Perrin, einst Meistertrainer von Olympique Lyon, übernahm. Die mit europäischen Startrainern wie Marcello Lippi, Sven-Göran Eriksson und Radomir Antic künstlich hochgepimpte Liga ist zahlungskräftig, aber Chinas Spieler würden von mehr davon profitieren, gingen sie in sportlich bessere Meisterschaften wie jene in Japan oder Südkorea, oder gar nach Europa. Von ausrangierten Altstars wie Gilardino und Misimovic und einer Heerschaar an mittelmäßigen Brasilianern lernen sie nicht genug.
Dass bei Nordkorea die WM-Teilnahme 2010 eine Eintagsfliege war, ist mittlerweile auch evident. Zwar spielen im aktuellen Kader für das Land ungewöhnlich viele Legionäre (vier – zwei in Japan, zwei in der Schweiz). Aber der Rest schmort in der eigenen Liga, deren Klubs vom Diktator befohlen nicht einmal an Asiens Klub-Bewerben teilnehmen dürfen – und die so geheim ist, dass oft nicht einmal Tabellen oder gar Ergebnisse an die Öffentlichkeit außerhalb des Landes durchgelassen werden.
Der Modus
Vier Vierergruppen, aus denen jeweils die besten zwei Teams ins Viertelfinale kommen – es ist genau jener Modus, der auch bei den EM-Endrunden von 1996 bis 2012 höchst erfolgreich zum Einsatz gekommen ist. Die Spiele in Melbourne, Sydney, Canberra, Brisbane und Newcastle werden wegen der Zeitverschiebung am europäischen Vormittag stattfinden und werden auf Eurosport-2 live zu sehen sein.
Australien ist erstmals Ausrichter des Asien-Cups. Rekord-Titelträger ist Japan mit vier Titeln, gefolgt von Saudi-Arabien und dem Iran mit jeweils drei Triumphen. Insgesamt ist dies die 16. Auflage des Turniers, das damit (wie auch die Copa America und der Afrika-Cup) älter ist als die Europameisterschaft. Das Finale findet im Olympiastadion von Sydney statt.