Von „Irreregulär“ bis heute: Österreichs Turnaround innerhalb von neun Jahren

Bei den zehn Aufstellungen, die im Artikel „77 – Die Trainer seit Lederer“ vom einem Bundesliga-Spieltag im November 2004 gepostet wurden, fiel auf: Damals war fast jeder zweite Spieler in der Bundesliga kein Österreicher. Das war damals, wenn man so will, die „dunkle Ära“ in Österreichs Fußball: Massenhaft zumeist sinnlose Legionäre in der Liga, dafür praktisch keine nennenswerten Österreicher im Ausland. Das Nationalteam befand sich, mangels verfügbarer Qualität, im freien Fall.

Nun, 2013, ist der Ausländer-Anteil von gut der Hälfte auf rund ein Viertel gesunken, es gibt so viele Österreicher in anderen Ligen wie noch nie, das Nationalteam ist massiv im Aufschwung. Viel ist seither passiert. Eine Analyse – mit dem 3:3 im „Irreregulär“-Match in Nordirland als Ausgangspunkt.

2004: Die Lage war fatal

Nordirland - Österreich 3:3 (1:1)
Nordirland – Österreich 3:3 (1:1)

Manninger hatte zuvor eine komplette Saison kein einziges Spiel für Bologna gemacht und hatte gerade vier Einsätze für Siena in den Beinen. Schopp war in dieser Saison für Brescia noch gar nicht im Einsatz gewesen, in der vorangegangenen Saison war er immer wieder mal eingewechselt worden – von Stammkraft kann aber keine Rede sein. Alle anderen schmorten im eigenen Liga-Saft: Feldhofer und Hiden bei Rapid, Vastic und Kiesenebner bei der Austria, Kirchler und Mayrleb bei Pasching, dazu kamen noch Pogatetz (GAK), Kühbauer vom sportlich schwer kriselnden Mattersburg und Andi Ibertsberger vom sportlich nicht besonders guten Salzburg.

Martin Stranzl (24), damals bei Stuttgart, verletzte sich beim Aufwärmen; Kapitän Ivanschitz (21, Rapid) konnte wegen einer Oberschenkel-Blessur erst nach einer Stunde ran. Eingewechselt wurden dann noch Kollmann (28) und Sick (25) vom GAK. Ehmann (29, GAK), Aufhauser (28, GAK) und Haas (30, Sturm) fehlten verletzt.

Und welche Legionäre hätte Krankl nehmen sollen? Wallner, der bei Hannover mehr durch Exzesse als durch Tore auffiel? Zeljko Radovic von Bielefeld? Roland Linz, der für Nizza genau gar kein Tor geschossen hat? Viele Auslands-Alternativen hatte er nicht. Rolf Landerl spielte beim portugiesischen Abstiegskandidaten Penafiel, Günther Friesenbichler (Egaleo) und Volkan Kahraman (Xanthi) in Griechenland, Muhammet Akadündüz (Konya) und Ümit Erbay (Malatya) in der Türkei, der vor Löw geflüchteten Paul Scharner (Bergen) in Norwegen – wir erinnern uns, er hatte sich bei der Austria unter Jogi Löw geweigert, auf eine bestimmte Position eingewechselt zu werden -, dazu Thomas Mandl (Basel) und René Schicker (St. Gallen) in der Schweiz. Dann gab’s noch Alen Orman (Hibs) in Schottland und Thomas Prager in der Nachwuchs-Abteilung von Heerenveen.

Außerdem fällt auf, dass das Team damals gnadenlos überaltert war (Vastic 35, Kirchler 34, Kühbauer 33, Mayrleb 32, Hiden 31, Schopp 30). Mit Pogatetz (21) und Ibertsberger (22, Team-Debüt) gab es nur zwei Junge in der Aufstellung, dazu Feldhofer, den man damals mit seinen 24 immer noch als Talent bezeichnete. Das Durchschnitts-Alter der Truppe beim „irreregulären“ 3:3 in Belfast war 28,5 Jahre.

Eine steinalte Mannschaft, kaum ein Mittelbau, praktisch keine in absehbarer Zeit teamreifen Talente, und Hans Krankl als Teamchef. Um die EAV zu zitieren: „Mit einem Wort, die Lage ist fatal.“

Entwicklung in der Fünf-Jahres-Wertung
Entwicklung in der Fünf-Jahres-Wertung

Was sich eben auch auf Klub-Ebene abzeichnete. Sturm war nach den starken Auftritten in der Champions League in schweren finanziellen Nöten, dazu waren die damals gesammelten Punkte kurz davor, aus der Wertung im Fünf-Jahres-Ranking der UEFA zu fallen. Das starke internationale Jahr der Austria (Uefa-Cup-Viertelfinale) und des GAK (Uefa-Cup-Sechzehntelfinale) schönten die Bilanz zwar, aber der Trend ging eindeutig nach unten. Erst zweieinhalb Jahre später war mit Platz 22 der Tiefpunkt erreicht – und da waren die Punkte des Austria-Viertelfinals sogar noch in der Wertung.

Die Folge: Österreich hatte nur noch drei EC-Plätze – Meister, Vizemeister und Cupsieger. Weil es 07/08 keinen Cup gab, rückte der Liga-Dritte nach. Im Sommer ’08 gab’s nur deshalb vier Teams im Europacup, weil sich Sturm zusätzlich durch den UI-Cup kämpfte.

Entwicklungen brauchen Zeit

In der Saison 2004/05 betrug der Österreicher-Anteil in der heimischen Bundesliga also nur noch knapp über 50 Prozent. Daher, und mit Blick auf die 2008 anstehende Heim-EM, wurde der Österreicher-Topf eingeführt. Parallel dazu wurden Nachwuchs-Projekte in die Wege geleitet (Stichwort „Challenge 08“) und vermehrtes Augenmerk auf die Nachwuchsarbeit in den Akademien gelegt. Vorbild war die Stronach-Akademie in Hollabrunn: In den folgenden Jahren sollte sie die Bundesliga mit jungen Spielern überschwemmen. Dabei geholfen hat sicher auch, dass die Austria Amateure in die 2. Liga aufsteigen durften (wie es später auch die Salzburg Juniors schafften) und die Jung-Kicker sich so an den Erwachsenen-Fußball herantasten konnten.

Der Legionärs-Tiefpunkt wurde in der Saison 2005/06 erreicht – nur 13 Österreicher spielten in der höchsten Liga eines anderen Landes, und das waren kaum Kracher. Pogatetz (Middlesbrough), Stranzl (Stuttgart), Macho (Lautern), Lexa und Weissenberger (Frankfurt), Prager (Heerenveen), Dag (Gaziantep), Scharner (Bergen), Tesevic (Livingston), Orman (Thun) und Oraze (Honved), dazu Haas in Japan und Kitzbichler in Australien.

Entwicklung im Elo-Ranking
Entwicklung im Elo-Ranking

Das hatte Auswirkungen auch auf das Nationalteam. Nachdem die „Generation Frankreich“ nach dem Kegelabend von Valencia vorbei war, wurde deutlich, dass nichts nachkam. Unter Baric wurde in einer unglaublich schwachen Gruppe Platz zwei und das Play-Off für 2002 gerettet (0:1 und 0:5 gegen die Türkei). Krankl litt wohl am massivsten unter der fehlenden vorhandenen Qualität; Hickersberger experimentierte viel und bekam auch daher resultatsmäßig ordentlich auf’s Haupt.

Die für die Heim-EM gesetzten Maßnahmen griffen, aber sie griffen naturgemäß langsam. Es dauert nun mal, bis junge Spieler ins Profi-Alter kommen. Brückner wäre der erste gewesen, der von der deutlich angewachsenen Breite profitieren hätte können, aber ihm fehlte es an guter Gesundheit, der Motivation und auch am öffentlichen Rückhalt.

Constantini brachte von Alaba über Pehlivan und Jantscher bis Dragovic viele Produkte der guten allgemeinen Nachwuchs-Arbeit ins Team, ihm fehlte aber das taktische Rüstzeug, um das umzumünzen – unter ihm wurde mit Platz 74 der historische Tiefpunkt im Elo-Ranking, der echten Weltrangliste, erreicht. Marcel Koller schafft das nun endlich in vernünftigem Maß.

2013: Anschluss hergestellt

Nach dem sehr erfreulichen 2:1 über Schweden ist die Chance auf die erste Play-Off-Teilnahme seit zwölf Jahren (und damals eben in einer Gruppe mit Israel, dem damals irrelevanten Bosnien und Liechtenstein; hinter Spanien) intakt und die Anzahl der Legionäre ist explodiert. 14 Österreicher bekamen Einsätze in der deutschen Bundesliga (Alaba, Fuchs, Stranzl, Harnik, Holzhauser, Baumgartlinger, Ivanschitz, Arnautovic, Junuzovic, Prödl, Hoffer und Almer, dazu Scharner und Pogatetz), drei in England (Weimann, Scharner und Pogatetz), Garics ist Stammkraft bei Bologna, Dragovic wird nach einer herausragenden Saison nicht mehr lange in Basel sein. Dazu gibt’s sechs Österreicher in der Türkei, einige in der 2. Liga in Deutschland, und nicht zu vergessen – auch wenn schon alleine wegen der Distanz wohl kein Thema für’s Team ist – Michael Gspurning, den statistisch besten Torhüter der MLS bei Seattle.

Der Anteil an einheimischen Spielern in der Bundesliga ist seit 2004 von knapp über 50 Prozent auf fast 75 % angestiegen. Weil viel mehr Junge nachkommen als noch vor neun Jahren, und weil es für den Einsatz von Österreichern einen finanziellen Anreiz gibt (Österreicher-Topf). Die Anzahl an sinnlosen Legionären – der damalige Austria-Coach Christoph Daum machte den Begriff der „Kellner vom Plattensee“ zum geflügelten Wort – sank dramatisch an. Durch die Regulative des Österreicher-Topfes achten die Vereine darauf, möglichst nur noch Legionäre einzusetzen, die tatsächlich einen sportlichen Mehrwert bringen. Die Vereine erkannten, dass sie sportlich im Vergleich zu den anderen Klubs nichts an Konkurrenzfähigkeit einbüßten. Es profitieren davon alle.

Nur halt die Kellner vom Plattensee nicht. Für die Liga macht das im internationalen Vergleich kaum einen Unterschied – sie pendelt derzeit ebenso zwischen Platz 15 und 18 wie damals. Und das Nationalteam hat einen extremen Boost bekommen.

Zumindest im österreichischen Fußball war also früher, also um 2004 herum, definitiv NICHT alles besser. Ganz im Gegenteil.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.