Euro 2012 | Finale
NSK Olimpiskyi, Kiew, 1. Juli 2012
Spanien - Italien
4-0
Tore: 14' Silva, 41' Alba, 84' Torres, 88' Mata

Spanien ist Europameister! Weil Italien auf das 3-5-2 verzichtete und Pech hatte

Es schaut wesentlich brutaler aus, als es wirklich war: Was nach einer Tracht Prügel aussieht, die Italien beim 0:4 gegen Spanien im EM-Finale von Kiew einstecken musste, war in Wirklichkeit zwar durchaus ein verdienter Sieg für die „Furia Roja“. Aber dass es so hoch geworden ist, lag auch an italienischem Pech. Ohne das die Azzurri aber wohl auch nicht gewonnen hätten.

Spanien - Italien 4:0 (2:0)

Es hatte alles so ausgesehen, als sollte es das Traumfinale geben – Spanien gegen Deutschland, die Dritte. Doch dann kamen die Italiener, und dank ihres überzeugenden Sieges über die Deutschen im Halbfinale waren sie im Finale gegen die Spanier zumindest nicht der krasse Außenseiter. Am Ende hatte die Squadra Azzurra vier Gegentore geschluckt. Und das Endspiel von Kiew vier Phase gesehen.

Phase 1: Die erste Viertelstunde

Bei den Spaniern fiel zunächst vor allem die einmal mehr extrem hohe Positionierung von Xavi auf. Dadurch war die spanische Formation ein recht klares, ziemlich eindeutiges 4-2-3-1 – auch, weil die „Neun“, die Fàbregas spielte, so „falsch“ gar nicht war. Die Absicht hinter der Positionierung von Xavi wurde auch recht schnell klar: Er und Fàbregas teilten sich die Aufgabe, Pirlo anzupressen und ihn nicht zu seinen öffenenden Pässen kommen zu lassen.

So verteidigte Spanien – ähnlich wie etwa Dortmund – mit einem 4-4-2, in dem Xavi und Fàbregas vorne agierten. Mit Erfolg: Der italienische Taktgeber wurde, wie schon in der ersten Hälfte gegen Deutschland, bei Querpässen gehalten. Die spanischen Flügelspieler blieben zudem, wie gewohnt, sehr zentral – ja, Silva und Iniesta spielten sogar noch zentraler als sonst. Damit sollte die Raute im italienischen Zentrum zusammen gezogen werden, um auf den Außenahnen noch mehr Platz für die aufrückenden Außenverteidiger zu machen. Doch Arbeloa und Alba stießen zunächst zu wenig in diesen Raum vor.

Im Gegenzug versuchten Abate und Chiellini ebenso etwas zu zögerlich, für Breite im eigenen Spiel zu sorgen. Im Zentrum hatten die Spanier indes durch ihre perfekte Abstimmung und angesichts der Tatsache, dass das ohnehin ihr Spiel ist, Vorteile – so entstand auch das 1:0 nach einer Viertelstunde, bei dem Iniesta mit einem Lochpass Fàbregas schickte, dessen Querpass vor das Tor verwertete Silva.

Phase 2: Italien rückt auf und presst

Cesare Prandelli musste kurz nach dem Rückstand verletzungsbedingt wechselt – für Giorgio Chiellini kam mit Federico Balzaretti ein neuer Linksverteidiger. Das Problem blieb aber bestehen: Auch Balzaretti beschleunigte zwar immer wieder vielversprechend, aber kaum über der Mittellinie, nahm er immer das Tempo aus dem Angriff und spielte den Ball zurück.

Allerdings machte die restliche Mannschaft nach dem Gegentor einen deutlich besseren Job, wenn es darum ging, im Ballbesitz aufzurücken. Mit einer hohen Verteidigungslinie und konsequentem Pressing setzte Portugal den Spaniern im Semifinale brutal zu, und auch gegen Italien ließen sie sich vom geringer werdenden Platz in der eigenen Hälfte und der weniger werdenden Zeit am Ball durchaus beeindrucken – De Rossi, Montolivo und Marchisio kamen dabei Schlüsselrollen zu.

Die Spanier hatten die Kontrolle über das Spiel zumindest teilweise eingebüßt und die Fehlpass-Quote stieg. Alleine: Nützen konnten es die Italiener nicht. Wie schon den Gegnern Spaniens in den Runden davor hielten die Azzurri damit zwar den Gegner gut vom eigenen Strafraum weg, aber eine eigene, echte Torchance wurde nicht herausgespielt.

Pirlo auf Querpässe reduziert

Pirlo wurde auf Querpässe reduziert

Was auch wiederum daran lag, dass Pirlo weiterhin kaum ein Faktor war: Er war vor allem auf der halbrechten Seite zu finden, weil Marchisio, wie gewohnt, deutlich höher stand als De Rossi auf der anderen Seite – aber der permanente Druck, der auf Pirlo ausgeübt wurde, nahm ihm Zeit und Anspielstationen.

Durch das etwas rechtslastige Spiel der Italiener gelang es auch nicht, den eher als Linksaußen denn als Sturmspitze agierenden Antontio Cassano einzusetzen, bzw. ihn im Bedarfsfall zu unterstützen. Er war bei Arbeloa in guten Händen. Auch deshalb, weil von Balzaretti überhaupt nichts kam.

Auch Montolivo konnte den weitgehenden Ausfall von Pirlo in der Spielgestaltung nicht ausgleichen. Gegen Xabi Alonso und Busquets kam er permanent in Unterzahl-Situationen. Marchisio war auf der rechten Seite zwar relativ hoch postiert, verlor dadurch aber oft Iniesta aus den Augen.

Und musste nebenbei noch darauf achten, dass Jordi Alba nicht in 1-gegen-1-Situationen mit Abate gehen konnte, weil der Spanier da ganz klare Qualitätsvorteile hatte. Was ein gravierendes Problem nach sich zog: Weil Marchisio (und auch De Rossi, wenn auch nicht so extrem) viel nach außen arbeiten musste, bot sich Platz in den Schnittstellen links und vor allem rechts von Pirlo. Was kurz vor der Pause gnadenlos ausgenützt wurde: Lochpass von Xavi in den Lauf von Alba, und es hieß 2:0.

Phase 3: Neuer Schwung mit De Rossi

Für die zweite Hälfte ließ Prandelli den schwachen Cassano in der Kabine und brachte mit Di Natale einen neuen Mann für die Spitze. Der Routinier von Udinese blieb deutlich zentraler als zuvor Cassano, außerdem rückten nun endlich die Außenverteidiger ohne Handbremse auf. So kamen die Italiener durch den frisch eingewechselten Stürmer prompt zu zwei guten Torchancen.

Die Spanier wirkten etwas verunsichert ob dieser Alles-oder-Nichts-Stratagie der Italiener, versuchten aber durchaus gefährlich, in den Platz zwischen den Offensiv-Spielern und den nicht in ausreichendem Maße nachrückenden Verteidigern zu stoßen. Beide Mannschaften achtete nun darauf, bei Ballgewinn möglichst schnell umzuschalten, wodurch das Spiel in dieser Phase das höchste Tempo aufnahm.

Die fehlende Ordnung im Umschalten auf Defensive aber dürfte Prandelli nicht gefallen haben. So nahm er in der 57. Minute Montolivo vom Feld und brachte den grundsätzlich etwas defensiver eingestellten Thiago Motta für die Position hintern den Spitzen. Wie sich herausstellen sollte: Ein verhängnisvoller Fehler.

Phase 4: Das Spiel ist gelaufen

Denn keine drei Minuten nach seiner Einwechslung war Motta schon so lädiert, dass er nicht mehr weitermachen konnt – Oberschenkel-Zerrung. Prandelli hatte aber bereits dreimal gewechselt. Was hieß: Eine halbe Stunde vor dem Ende war Italien nicht nur 0:2 hinten, sondern auch noch einer weniger. Damit war das Spiel natürlich vorbei – mit einem Schlag war das komplette Leben aus der nicht uninteressanten Partie gewichen.

Die Italiener stellten sich mit einem 4-3-2 nun sehr tief auf und versuchten, das Ausmaß der sportlichen Katastrophe möglichst in Grenzen zu halten. Man ließ den Spaniern nun den Platz und die Zeit, ihr gewohnten Kurzpass-Spiel aufzuziehen und hoffte, dass die Zeit möglichst schnell vergeht. Spanien legte sich die Italiener zurecht, und fand noch zweimal eine Lücke und eine nicht greifende Abseitsfalle – dass am Ende ein 4:0 steht, ist definitiv zu viel. In Wahrheit hat das Spiel nur 60 Minuten gedauert und hat mit einem spanischen 2:0-Sieg geendet.

Fazit: Pech für Italien, aber Spanien war schon besser

Ein wenig seltsam ist es schon: Da hat Italien mit dem 3-5-2 im Gruppenspiel die Spanier gut kontrolliert, hatte die Außenbahnen im Griff und das Zentrum zu gemacht – und doch hat Prandelli für das Finale gegen den selben Gegner in der selben Formation auf Viererkette und Mittelfeld-Raute spielen lassen. Damit brachte er nie genug Druck auf die Außenbahnen, war im Mittelfeld anfällig für Löcher und es gelang auch nicht, Balotelli und Cassano in gewünschtem Maße ins Spiel zu bringen.

Natürlich war für die Italiener auch viel Pech dabei: Die frühe Verletzung von Chiellini war der erste Tausch, die logische – und richtige – Einwechslung von Di Natale zur Halbzeit der zweite. Dass sich Motta nach kaum fünf Minuten den Muskel zerrt, war nicht vorhersehbar und entschied das Spiel.

Das Spanien zwar zu hoch gewann, aber dennoch die klar bessere Mannschaft war. Zwar war die erste Halbzeit längst nicht so souverän, wie der Stand von 2:0 ausdrückt, aber man hatte doch immer eine passende Antwort auf die Versuche der Italiener parat und brauchte vor allem nicht viele Chancen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das 2:0 so oder so gereicht. Und mit dem Platz, der sich durch die schon fast ultra-offensive Spielweise der Azzurri nach der Pause ergab, wäre ein 3:0 aus einem Konter nicht unwahrscheinlich gewesen.

So steht am Ende der dritte spanische Titel bei einem großen Turnier hintereinander. Mit Recht: Es wurde nur ein einziges Tor in den sechs Spielen kassiert, und so gut wie kein Gegner wurde wirklich dauerhaft gefährlich. Mit Pressing und einer hohen Linie kann man Spanien nerven, keine Frage – Portugal hat das gezeigt – aber er wirkliches Rezept, Spanien auch zu schlagen, hat auch diesmal keiner gefunden.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.