„Otto…!“ Noch heute bekommen Griechen, ganz gleich ob Fußball-Fan oder nicht, leuchtende Augen und ein breites Lächeln im Gesicht, wenn der Name „Rehhagel“ fällt. Der knorrige Deutsche hatte 2001 das seit jeher national und international absolut bedeutungslose Team der Hellenen übernommen. In nur drei Jahren machte er daraus den Europameister – eine der größten Sensationen der Fußball-Geschichte. „Bevor ich kam“, erklärte der schon während der EM 2004 ‚Rehhakles‘ Genannte, „hat jeder gemacht, was er will. Jetzt macht jeder, was er kann!“
Dabei sprach Rehhagel kein Wort Griechisch – dafür holte er sich Jannis Topalidis. Der Deutsch-Grieche aus Stuttgart wurde mehr als nur Ottos Co-Trainer: Er war Dolmetscher, Vertrauter und auch sein Sprachrohr. Zwar ging sein erstes Spiel als Teamchef mit einem 1:5 in Finnland verloren, aber der belächelte Rehhagel machte bald ernst. Er verbannte Vereinsfunktionäre und Spielerberater aus dem Umfeld der Nationalmannschaft und machte die Ansammlung von Spielern aus drei gegnerischen Lagern – Olympiakos, Panathinaikos und AEK – ein Team. Ja, mehr noch, eine Familie. Eine Gemeinschaft.
Und doch schien in der Qualifikation zur Euro2004 in Portugal alles den gewohnten Gang zu nehmen: Zwei Niederlagen zum Start, daheim gegen Spanien und in der Ukraine. Doch die Maßnahmen Rehhagels begannen zu greifen, und in den restlichen sechs Quali-Spielen gab’s kein einziges Gegentor mehr, dafür nur noch Siege. Wie das 1:0 in Saragossa gegen Spanien. Und das 1:0 am letzten Spieltag gegen Nordirland, das die direkte Qualifikation sicherte und die Spanier ins Playoff schickte.
Die Griechen wurden in die Gruppe mit Veranstalter Portugal gelost; zu den Spaniern, die trotz des Umwegs als klar besser als die Hellenen galten; dazu kamen noch die Russen. Alleine die Tatsache, dass die Griechen dabei waren – erst zum dritten Mal hatte man es bei einem großen Turnier geschafft – wurde Rehhagel als Riesenerfolg angerechnet. Nur die Mega-Außenseiter aus Lettland, die sich überraschend qualifiziert hatten, sahen die Buchmacher noch chancenloser als die Griechen. Mehr als der dritte Gruppenplatz bei einem möglichen Sieg gegen die Russen im letzten Spiel wurde als pure Träumerei betrachtet.
Das Eröffnungsspiel
Und vielleicht wäre ja alles ganz so gekommen, wenn nicht Paulo Ferreira in der allerersten Partie des Turniers nach sechs Minuten den Ball in der Vorwärtsbewegung in die Beine von Giorgios Karagounis gespielt hätte. Und sich Fernando Couto nicht so vornehm zurück gehalten und den Richtung Strafraum ziehenden Griechen gestellt hätte. So aber zog Karagounis ab und traf aus 20 Metern zum 1:0 für Griechenland. Es war der endgültige Startschuss zu diesem hellenischen Sommermärchen.
Denn die Führung und die Tatsache, dass der ganze Druck nun umso mehr auf den Portugiesen lastete, spielte dem Außenseiter in die Hände. Bei dem die Aufteilung in der Abwehr so aussah, dass Michalis Kapsis der portugiesischen Solo-Spitze Pauleta überall hin nachlief und Traianos Dellas, Rehhagels knapp zwei Meter großer „Koloss von Rhodos“, als Libero die restliche Abwehr organisierte.
Vor der Viererkette bauten die Griechen einen weiteren Wall aus drei defensiven Mittelfeldspielern auf. Basinas war dabei ein beinahe klassischer Vorstopper, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Rui Costa aus dem Spiel zu nehmen. Assisiert wurde er von Zagorakis rechts und Karagounis links. Dieses Trio stellte die Mitte komplett zu, sodass Rui Costa unsichtbar wurde und die Mitte als Weg für die Portugiesen dicht.
Portugal auf die Außen gedrängt
Somit blieb dem Gastgeber nur der Weg über die Außen, aber Figo und Simão hatten es dort immer mit zumindest zwei Gegenspielern zu tun, weil die Dreierkette vor der Abwehr so verschob, dass Zagorakis bzw. Karagounis immer helfen konnten und somit immer eine Überzahl auch auf den Flanken gegeben war. Um die Außenverteidiger der Portugiesen kümmerten sich mit Charisteas und Giannakopoulos die beiden Außenspieler im griechischen Fünfer-Mittelfeld.
Der Weg in den Strafraum war den Portugiesen damit komplett versperrt, Pauleta sah kaum einen Ball. So konnten es sich Seitaridis und Fyssas auch immer wieder erlauben, nach vorne aufzurücken. Das Problem, dass im portugiesischen Rückraum mit Maniche und Costinha zwei Sechser ohne Gegenspieler dastanden und so theoretisch das Spiel von hinten lenken konnten, begegneten die Griechen mit durchaus sehenswertem Pressing.
Portugals Teamchef Scolari kratzte für die zweite Hälfte nur an Symptomen, aber nicht am System. Zwar machten Cristiano Ronaldo (statt Simão) und Deco (statt Rui Costa) einen deutlich agileren Eindruck als ihre Vorgänger vor der Pause, aber die Griechen mussten ihrerseits nichts umstellen. Und nachdem der damals 19-jährige Cristiano Ronaldo in seiner ersten Defensivaktion im eigenen Strafraum den aufgerückten Seitaridis umrannte, gab’s Elfmeter und Basinas verwertete diesen unhaltbar zum 2:0.
Zweiter Stürmer, zweiter Manndecker
Dann erst entschloss sich Scolari, mit Nuno Gomes (statt Costinha) einen zweiten Stürmer einzuwechseln. Rehhagel ließ sich nicht darauf ein, hinten Dellas mit Manndeckung zu betrauen, sondern beorderte stattdessen Katsouranis (der zur Pause für den gelb-rot-gefährdeten Karagounis gekommen war) nach hinten, um sich des zweiten Stürmers anzunehmen. Fyssas blieb auf der Außenbahn und kümmerte sich nun praktisch alleine um diese.
Mit den aktiven neuen Spielern entwickelte das Spiel der Potugiesen einen fast schon dramatischen Linksdrall, Figo wurde überhaupt nicht mehr eingebunden, wie generell es Deco und Co. verabsäumten, die auch bei den Griechen nun unterbesetzte Seite zu bespielen. So lief sich Portugal immer wieder fest, die Abstimmung vor allem zwischen Cristiano Ronaldo und Pauleta passte überhaupt nicht, bei beiden Stürmer kamen mit der Manndeckung nicht zurecht und Dellas, ohne direkten Gegenspieler, klärte immer wieder. Das 2:1 durch Ronaldo in der Nachspielzeit (nach einer Ecke von Figo) fiel viel zu spät, die Griechen hatten die Sensation trocken nach Hause verteidigt.
Glück gegen Spanien
Weil im zweiten Spiel die Spanier, die am Eröffnungstag die Russen mit viel Mühe 1:0 besiegt hatten, von Anfang an mit zwei Stürmern antraten, opferte Rehhagel Basinas und ließ mit Katsouranis gleich einen zweiten Manndecker auflaufen. Er kümmerte sich um Raúl, der etwas aus der Tiefe kam und somit auch seinen Gegenspieler oftmals aus der Abwehr herauszog.
Das fehlen von Basinas im Mittelfeld ließ aus der Dreierkette gegen Portugal gegen das 4-4-2 der Spanier (das eigentlich mehr ein 4-2-2-1-1 war) noch Zagorakis und Karagounis übrig. Das war aber kein Problem, weil es im Zentrum bei den Spaniern ohnehin keinen wirklich kreativen Spieler gab und somit auch keiner bewacht werden musste. So verlegte sich Zagorakis darauf, aus der Tiefe das Spiel zu lenken und Karagounis rückte immer wieder auf und presste auf Baraja und Albelda.
Die Spanier, bei denen Etxeberria von Fyssas komplett abgemeldet wurde, kamen nur über die linke Seite mit Raúl Bravo und Vicente nach vorne. Morientes und Raúl waren aber gut abgedeckt und so gab es den ersten Torschuss erst nach einer halben Stunde: Kapsis verlor den Ball leichtsinnig und Morientes nützte die plötzliche Unordnung zum 1:0 für Spanien.
Neue Situation: Man ist hinten
Das war eine komfortable Situation für die Spanier, die nun nicht mehr zwingend gegen die ungewohnte Manndeckung anrennen mussten, sondern sich ein wenig zurücklehnen konnten. Bei den Griechen wurde vor allem das Spiel über die Außenbahnen vernachlässigt. Charisteas und Giannakopoulos, die nominell über die Flanken kamen, spielten sehr weit innen und die Außenverteidigier sahen sich somit, anders als noch gegen Portugal, mit einer 1-gegen-2-Unterzahl konfrontiert.
Umso mehr, als Spaniens Teamchef Iñaki Saez nach der Pause für den unsichtbaren Etxeberria auch noch Joaquín einwechselte. Dieser machte sofort viel Wirbel und narrte Fyssas nach Belieben. Die Spanier hatten alles sicher im Griff und das zweite Tor schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, zumal Saez nach einer Stunde auch das Mittelfeld stärkte, indem er statt Spitze Morientes nun Zehner Valerón ins Spiel brachte.
Rehhagel versuchte seinerseits, mit Vassilis Zartas mit einen offensiveren Mittelfeldspieler (statt Karagounis) mehr Akzente nach vorne setzen zu können. Der neue Mann orientierte sich deutlich höher und spielte mit den Flügelspielern (Charisteas und Vryzas, nachdem Mittelstürmer Nikolaidis für den angeschlagenen Giannakopoulos eingewechselt worden war). Zartas bereitete auch gleich den Ausgleich vor, auch wenn dieser mit den Umstellungen nichts zu tun hatte, sehr viel aber mit einer Unzulänglichkeit des spanischen Innenverteidigers Helguera: Der Mann von Real Madrid berechnete einen 50-Meter-Pass von Zartas auf Charisteas völlig falsch, sprang unter dem Ball durch und Charisteas schoss aus dem nichts das 1:1.
Da bei den Spaniern nun nur noch eine Spitze übrig war (Raúl) und Valerón auf die Zehn ging, wechselten Kapsis und Katsouranis ihre Gegenspieler – Kapsis blieb hinten und rannte Raúl nach, während Katsouranis ins Mittelfeld zu Zagorakis aufrückte und dort Valerón das Leben schwer machte. Die Folge war ein ähnliches Spiel wie gegen Portugal: Durch die Mitte kam Spanien nicht durch, so musste es über die Flügel gehen. Und her machte Joaquín seinen Gegner Fyssas so sehr zu schaffen, dass Rehhagel ihn noch vor Spielende durch Venetidis ersetzen musste.
Doch trotz der drückenden Dominanz über die rechte Seite scheiterte Spanien zum einen am wieder hervorragend spielenden Nikopolidis und an der Tatsache, dass man sich in der Mitte gegen die Überzahl, welche die Griechen durch den Einsatz eines Liberos erhielten, nicht entscheidend durchsetzen konnte. So führte Rehhagels Team die Gruppe vorm letzten Spiel mit vier Zählern an, punktgleich mit Spanien, dahinter Portugal mit drei Punkten und Russland mit zwei Niederlagen.
Nach Rückstand das Spiel machen? Funktioniert nicht!
Das Turnier der Russen stand unter keinem guten Stern. Erst fiel Teamchef Georgi Jartsev mit Onopko und Ignashevitch die komplette Innenverteidigung aus, dann flog im zweiten Spiel gegen Portugal auch noch Torhüter Ovtchinnikov zu Unrecht vom Platz – so war das Aus der Sbornaja eben schon vorm letzten Gruppenspiel in Faro an der Algarve besiegelt.
Dennoch gaben sie Vollgas und brachten durch das 1:0 von Kirichenko schon in der 2. Minute die Griechen dazu, einem Rückstand hinterher laufen zu müssen. Was in diesem Fall tatsächlich so war, denn ob der Situation in der Gruppe konnte sich Griechenland alles andere als sicher sein, dass es auch mit einer Niederlage für das Viertelfinale reicht. Mit einem 0:1 standen die Chancen noch recht gut, aber als nach einer Viertelstunde aus einem Eckball das 0:2 durch Bulykin fiel, wurde der Faden dünner. So lange Portugal in deren Must-Win-Spiel gegen Spanien nicht führt, reichte das zwar noch. Aber darauf vertrauen, dass das so bleibt, durfte man natürlich nicht.
Hatten die Griechen mit ihrer Spielanlage zuvor noch davon profitiert, dass der Gegner aktiv war und man selbst reagieren konnte, war man nun gezwungen, gegen eine sich zurückziehende Mannschaft, die nach Ballgewinn schnell kontert – vor allem Gusev machte der linken Seite der Griechen enorme Probleme – das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Das funktionierte nicht: Basinas und Zagorakis hatten acht russische Feldspieler zwischen sich und dem Tor, aber kaum mehr als drei eigene Mitspieler. Hinzu kam, dass Seitaridis auf der rechten Seite alleine für Breite sorgen sollte (gegen zwei Russen) und schlicht das Tempo und die Ideen nach vorne fehlten.
Anschlusstor – reicht das?
Deshalb brachte Rehhagel schon vor der Pause den kreativeren Zartas statt des tief agierenden Basinas. Schon in seiner ersten Aktion holte Zartas einen Eckball heraus, aus dem der Anschlusstreffer fiel – Zisis Vryzas konnte Malafejev überwinden. Damit waren die Griechen zur Pause erst einmal auf der sicheren Seite: Eine Niederlage, die nicht höher ausfällt als eine der Spanier, reicht – sofern die Iberer dabei nicht zwei Tore mehr erzielen. Das hieß zur Halbzeit: Das 1:2 reicht nur dann nicht, wenn Spanien gleichzeitig 3:4 oder 4:5 gegen Portugal verliert. Was bei einem Pausenstand von 0:0 im Parallelspiel mehr als unrealistisch erschien. Und als die Portugiesen nach rund einer Stunde in Führung gingen, hieß das für Griechenland: Bleibt’s beim eigenen 1:2, reicht das. Ein drittes Gegentor darf aber nicht mehr fallen.
Nach dem Seitenwechsel blieb Zartas aber unauffällig, auch weil die Russen – bei denen Alentichev deutlich in seinem Aktionsradius eingeschränkt worden war – die Mitte gut zumachten und die Griechen somit gezwungen waren, ihre Angriffe über die Flügel aufzubauen. Das machte vor allem der extrem aktive Seitaridis gut, er drückte Jevsejev und Semshov (war für Karjaka gekommen) nach hinten und sorgte so dafür, dass Kirichenko vorne in der Luft hing. Auf der anderen Seite bekam Gusev nun Unterstützung von Dmitri Sychov (war für Bulykin gekommen), sodass Venetidis immer deutlich mehr Defensivarbeit verrichten musste als Seitaridis. Das Spiel der Griechen nach vorne war damit sehr eindimensional – alles über Seitaridis – und harmlos.
Die Russen versuchten schon relativ früh, das Tempo aus dem eigenen Spiel nach vorne herauszunehmen. Sie hatten erkannt, dass dem Gegner nichts einfällt, wollten den Griechen gar nicht erst die Gelegenheit geben, zu schnellen Gegenstößen zu kommen. Außerdem führten sie ja und konnten selbst mit dem Sieg den letzten Gruppenplatz nicht mehr verlassen. Wozu also das Risiko eingehen, den Griechen ins offene Messer zu laufen.
Diesen war aber, je länger es dem Ende entgegen ging, auch immer mehr klar: Diese knappe Niederlage reicht, also war es ihnen wichtiger, kein Tor mehr zu kassieren, als mit aller Kraft – die, man hatte es ja gesehen, äußerst schwach übersetzt war – auf den Ausgleich zu gehen. So gab es in der letzten halben Stunde nur noch eine nennenswerte Chance (für die Russen). Beide Teams waren mit dem Resultat einverstanden. Die Griechen waren als Gruppenzweiter weiter, Spanien nach dem 0:1 gegen Portugal im Parallelspiel raus.
Großer Erkenntnisgewinn
Das 1:2 hat außerhalb der beiden Länder kaum jemand gesehen – alles hatte sich natürlich auf die Parallel-Partie konzentriert – brachte aber für Otto Rehhagel ganz entscheidende Erkenntnisse. Selbst gegen die eher limitierten Russen – die Mannschaft war mit jener, die vier Jahre später unter Guus Hiddink so überzeugend ins Halbfinale marschiert war, nicht einmal im Ansatz zu vergleichen – war es den Griechen nicht möglich, mit eigenen Mitteln das Spiel zu machen. Das hieß im Viertelfinale gegen Frankreich umso mehr: Seine Mannschaft darf unter gar keinen Umständen in Rückstand geraten, will sie eine Chance haben. Was gegen Russland nicht geht, wird gegen den Titelverteidiger, auch wenn der keine überzeugende Vorrunde absolviert hatte, erst recht nicht klappen.
So stellte Rehhagel für das Spiel gegen Frankreich auch um. Seine größte Sorge galt dabei natürlich dem genialen Zinedine Zidane und dem flinken Thierry Henry. Dem Arsenal-Stürmer, der in der Premier-League-Saison vor dem Turnier 30 Tore erzielt hatte, stellte er nicht Katsouranis auf die Füße, sondern opferte Rechtsverteidiger Seitaridis, der in den Gruppenspielen so stark auf der Außenbahn agiert hatte. Der Plan dahinter war klar: Der schnelle Seitaridis hatte gegenüber Katsouranis klare Tempo-Vorteile. Die erachtete Rehhagel als wichtiger als die Vorstöße auf der rechten Flanke.
Bei Zidane kam Rehhagel entgegen, dass der französische Teamchef Jacques Santini seinen Kapitän und Superstar nicht auf der Zehn spielen ließ, sondern auf der rechten Seite in einem 4-2-2-2. Das erlaubte es Rehhagel, dem Star von Real Madrid gleich von drei Leuten umzingeln zu lassen: Linksverteidiger Fyssas, dazu den ins linke Halbfeld geschobenen Katsouranis.
Und Giorgios Karagounis. Der rückte statt eines Linksaußen (in der Vorrunde Giannakopoulos bzw. Papadopoulos) auf diese Position und lief Zidane, sofern sich dieser auf dieser Seite aufhielt, praktisch überallhin nach.
Das Fehlen von Seitaridis auf der anderen Seite glich Rehhagel aus, indem er Kapitän Zagorakis auf die Außenbahn stellte, um dort Pirès das Leben schwer zu machen; falls nötig unterstützt von Basinas und Charisteas. Was im Umkehrschluss hieß: Rehhagel hatte noch anderthalb dezidiert offensive Spieler auf dem Feld – Sturmspitze Nikolaidis, der nach drei Kurzeinsätzen nun erstmals im Turnier von Beginn an spielen durfte, und eben Charisteas.
Extrem statisches Spiel
Der Plan war damit deutlich defensiver als in den Gruppenspielen angelegt: Dem Gegner die Spielgestaltung rauben, die Angreifer somit gleich doppelt aus der Partie zu nehmen – zum einen durch strenge Manndeckung, zum anderen eben durch das Abschneiden vom Nachschub aus dem Mittelfeld. Es dauerte nicht lange, ehe Zidane – der seine Verfolger auch durch frühes Einrücken nicht abschütteln konnte – mit Pirès die Seiten tauschte. Aber auch das half nichts, weil der extrem giftige Zagorakis ein mindestens genauso unangenehmer Gegenspieler war. Wenn nicht sogar noch unangenehmer.
So wurde das Spiel extrem statisch: Den Franzosen wurde auf den Flanken und in der Spitze jede Luft zum atmen genommen und die Griechen hatten überhaupt nie die Absicht, und auch nicht das Personal, selbst etwas nach vorne zu machen. So blieb den recht hilflos im Raum stehenden Makélélé und Dacourt (der den angeschlagenen Vieira nicht einmal ansatzweise ersetzen konnte) nur die Option „lang und weit“, aber mit vier eigenen Offensivspielern gegen acht bis neun Griechen konnte das nicht gut gehen. So kamen auch keinerlei Impulse.
Eine zentrale Stärke der Griechen: Keine billigen Freistöße!
Eine ganz große Stärke der Mannschaft aus Griechenland war es bei diesem Turnier aber nicht nur, aus dem Spiel heraus wenig bis gar nichts zuzulassen – sondern, mindestens ebenso wichtig, keine billigen Freistöße in der Nähe des Strafraums zu erlauben. Bei aller Härte im Spiel gegen den Mann und aller Konsequenz im verhindern des gegnerischen Spielaufbaus verstanden es vor allem Zagorakis und Basinas, die hauptsächlich für diesen Raum zuständig waren, sich taktisch so diszipliniert zu verhalten, dass es praktisch keine Fouls in gefährlichen Lagen gab und so etwa in diesem Spiel Zidane und Henry nie die Gelegenheit hatten, mal einen Freistoß Richtung Tor zu zirkeln.
Mit der Konzentration von Zagorakis auf die Defensive war zwar die rechte Seite offensiv relativ begrenzt, was aber nicht heißt, dass der Kapitän nicht durchaus auch mal den Vorwärtsgang einlegte und schnell umschaltete, wenn sich die Gelegenheit ergab. So wie etwa in der 65. Minute, als er Lizarazu sehenswert aussteigen ließ, eine Flanke zur Mitte brachte und dort Charisteas völlig frei zum 1:0 einköpfeln konnte – weder Thuram noch Gallas fühlten sich für den Reservisten von Werder Bremen zuständig.
Zu späte Umstellung von Santini
Die ganze Problematik dieser lustlosen und satt wirkenden französischen Mannschaft manifestierte sich im Gesichtsausdruck von Teamchef Santini, der wie eine Mischung aus Hilflosigkeit und Trägheit wirkte. Es war kein Feuer erkennbar, kein Teamgeist, kein echter Plan. Wenn die Franzosen in die Nähe des griechischen Tores kamen, dann lange nur über Einzelaktionen – ein Vorstoß von Bixente Lizarazu, ein Lauf aus der Tiefe von Henry. Aber mehr Druck konnte erst aufgebaut werden, als Santini viel zu spät die völlig überflüssige Doppelsechs auflöste.
Mit Wiltord (statt den überforderten Dacourt) auf der rechten Seite und Zidane zentral konnte das Geflecht der Griechen etwas entzerrt werden, dazu bewegte sich Louis Saha (statt des von Kapsis komplett abmontierten Trezeguet) deutlich mehr und deutlich besser als sein Vorgänger. So gelang es den auch immer müder werdenden Griechen kaum noch, sich nachhaltig zu befreien. Bestes Beispiel dafür war Libero Traianos Dellas: Der 1.97m-Riese zeigte sich als reiner Holzhacker, als totaler Zerstörer unfähig zur Spieleröffnung. Er holzte die Bälle nur noch so weit wie möglich weg, nicht selten auf die Tribüne. Aber man hielt den Franzosen stand und hatte sensationell das Halbfinale erreicht.
Das beste Team des Turniers
Dort wartete aber mit den Tschechen das zweifellos beste Team des Turniers. Die große Stärke der Mannschaft von Karel Brückner war die enorme Vielseitigkeit: Da war der schnelle Milan Baroš, der schon fünf Turniertore auf dem Konto hatte. Neben ihm Jan Koller, ein Baum von einem Kerl. Und dahinter mit Pavel Nedvěd, Tomáš Rosický und Karel Poborský drei der besten offensiven Mittelfeldspieler Europas – abgesichert vom extrem verlässlichen Tomáš Galásek. Das war eine andere Hausnummer als die lustlosen Franzosen.
Rehhagel stellte Rechtsverteidiger Seitaridis auch diesmal als Manndecker auf, er sollte den in Überform agierenden Baroš neutralisieren. Die Bewachung von Jan Koller wurde indes aufgeteilt: Aus dem laufenden Spiel heraus war Michalis Kapsis der Bewacher des Zwei-Meter-Riesen von Borussia Dortmund, im Strafraum und bei Standard-Situationen übernahm jedoch Dellas. Ganz einfach deshalb, weil der selbst annähernd zwei Meter groß war.
Auch das Mittelfeld-Trio der Tschechen wurde manngedeckt: Katsouranis kümmerte sich um Nedvěd, Fyssas degradierte Poborský zur Wirkungslosigkeit und Zagorakis wich nie weit von Rosickýs Seite. Doch mit dem hohen Tempo und vor allem der hohen Variabilität der tschechischen Offensiv-Kräfte kamen die Griechen zu Beginn kaum mit. Koller und Baroš ließen sich oft weit fallen und kamen aus der Tiefe, Nedvěd rückte viel ein und erlaubte Jankulovski das Hinterlaufen – Charisteas hatte damit große Probleme. Es brauchte schon ein paar gute Aktionen von Nikopolidis im Tor, um diese Phase unbeschadet zu überstehen.
Der zweite freie Mann: Angelos Basinas
Dass es die Griechen aber mit Fortdauer der ersten Halbzeit doch geschafft haben, das Spiel zu beruhigen und nicht mehr permanent unter Beschuss zu stehen, war vor allem einem der unbesungenen Helden dieser Mannschaft zu verdanken: Angelos Basinas. Der schmächtige Sechser mit dem schon etwas schütteren Haaransatz war, wenn man so will, der zweite Libero im System von Otto Rehhagel; der freie Mann im Mittelfeld.
Während um ihn herum alle mit klaren Mann-gegen-Mann-Zuteilungen eingedeckt waren, musste Basinas den Löcherstopfer im Zentrum spielen. Das erforderte enorme Spielübersicht, die Fähigkeit, das Spiel lesen zu können, und vor allem eine absolute Pferdelunge. Die Laufleistung von Basinas suchte seinesgleichen. Nicht nur in diesem Spiel, sondern im ganzen Turnier – nur war er gegen die quirligen Tschechen ganz besonders wichtig.
Mit seiner permanenten Unterstützung wo immer gerade eine Unterzahl-Situation zu entstehen drohte, war Basinas der große Stabilisator im Mittelfeld und entlastete vor allem Zagorakis gegen Rosický. Doppelt wichtig – denn Zagorakis hatte schon im Viertelfinale eine gelbe Karte gesehen und wäre somit bei einer weiteren Verwarnung im Finale gesperrt gewesen, und zum anderen stellte Basinas immer wieder mögliche Passwege zu, wenn Rosický unter Druck kam und zu einem schnellen Abspiel gezwungen wurde.
Pavel Nedvěd muss raus
Womöglich hätten die Tschechen das alles schon noch irgendwie austanzen können, wenn sich nicht nach einer halben Stunde ihre wichtigster Spieler verletzt hätte: Pavel Nedvěd ramponierte sich in einem unglücklichen Zweikampf mit Katsouranis sein rechtes Knie. Humpelnd versuchte er es noch ein paar Minuten, letztlich musste aber Šmicer noch vor der Halbzeitpause den Blondschopf ersetzen.
Hatte Katsouranis mit Nedvěd noch so seine Schwierigkeiten, hatte nun Šmicer ganz klar das Nachsehen. So gelang es den Griechen in der zweiten Halbzeit, mit der Manndeckung gegen Šmicer und Poborský die Flügel zu neutralisieren, mit Dellas als überzähligem Mann in der Abwehr die Stürmer zu kontrollieren und mit Basinas als überzähligem Mann im Zentrum auch dort die Tschechen immer weniger zur Geltung kommen zu lassen.
Rehhagel schaltet einen Gang hoch
Was den Teamchef der Griechen dazu veranlasste, nach 70 Minuten einen Gang nach vorne zu schalten. Er nahm den sichtlich überraschten Basinas vom Feld und brachte dafür mit dem nach seiner Zerrung wieder genesenen Giannakopoulos einen offensiveren Mann; anders als bei seinen ersten zwei Einsätzen spielte er aber nicht auf der Flanke, sondern tatsächlich im Zentrum. Es war dies eigentlich der Wechsel, der zuvor im Turnierverlauf eher Zartas ins Spiel kommen sah, aber Rehhagel wollte wohl eher einen schnellen Spieler zum flinken Umschalten als den eher statischeren Ballverteiler Zartas in der Partie haben.
Was aber nicht den gewünschten Effekt hatte – denn ohne Basinas als freien Mann im Mittelfeld hatte Rosický plötzlich wieder etwas mehr Freiräume und vor allem konnten sich Koller und Baroš durch ihr Zurückfallen lassen wieder Räume erarbeiten und ihre Tempoläufe waren immer wieder nur durch Fouls zu stoppen. Erstmals im Turnierverlauf gaben die Griechen vermehrt Freistöße in Strafraumnähe her. Ein Tor der Tschechen sah deutlich wahrscheinlicher aus als eines des Außenseiters, dennoch ging es mit dem 0:0 in die Verlängerung.
Alles auf eine Karte
Für diese wechselte Rehhagel erneut: Statt des extrem fleißigen Stürmers Vryzas brachte er nun doch Vassilis Zartas in die Partie. Er und Giannakopoulos flankierten nun den in die Spitze aufgerückten Charisteas, gaben praktisch zwei Spielgestalter, die auch ein wenig auf die Flanken aufpassen mussten. So stellte Rehhagel, zum ersten Mal überhaupt in diesem Turnier, eine Überzahl in der kreativen Zone der gegnerischen Hälfte her.
Damit nahmen die Griechen nun tatsächlich das Heft in die Hand und die Tschechen, die damit ganz offensichtlich nicht gerechnet hatte, wussten nicht wirklich damit umzugehen. Zudem machte Petr Čech, damals noch ohne Rugby-Mütze, im Tor einen alles andere als sicheren Eindruck: Unsicher beim Herauslaufen, mit Schwierigkeiten beim Fangen des Balles.
Und so kam, was kommen musste: In der 105. Minute ließ René Bolf nach einer Ecke von Zartas den aufgerückten Dellas zum Kopfball kommen, der Libero markierte das einzige Länderspiel-Tor seiner Karriere. Und weil die Silver-Goal-Regel galt, nach der bei einem Tor der Gegner nur bis zum Ende der laufenden Hälfte der Verlängerung die Chance zum Ausgleich hatte, war das natürlich die Entscheidung – Referee Pierluigi Collina pfiff in seinem letzten Spiel bei einem großen Turnier nur noch für einige Sekunden an, ehe er nicht nur dem Spiel ein Ende machte, sondern auch dem Turnier der an sich besten Mannschaft dieser Europameisterschaft. Ohne Nedvěd hatten es auch die Tschechen nicht geschafft, ein probates Mittel gegen die Manndeckung der Griechen zu finden.
Die Krönung im „Wiederholungsspiel“
So kam es im Finale quasi zur Wiederholung vom Eröffnungsspiel – Griechenland gegen Portugal. Das Team von Luiz Felipe Scolari war im Turnierverlauf der einzige Gegner der Griechen, der mit nur einem Stoßstürmer agierte und nicht im 4-4-2, dafür mit drei Spielmachern im Mittelfeld. Darum entschied sich Rehhagel für einen anderen Ansatz als in den Partien gegen Frankreich und Tschechien, und orientierte sich wiederum am ersten Spiel: Bis auf die klare Zuteilung von Kapsis auf Solo-Spitze Pauleta gab es keine Manndeckung mehr.
Das Team von Portugal unterschied sich gegenüber dem ersten Aufeinandertreffen drei Wochen zuvor personell auf fünf Positionen, aber nicht von der Ausrichtung her. Es war ein 4-2-3-1, das auf der iberischen Halbinsel schon länger üblich war, den echten Durchbruch aber erst zwei Jahre später bei der WM in Deutschland feiern sollte.
Rehhagel stellte gegen das Triumvirat mit Figo, Deco und Ronaldo wieder die defensive Mittelfeld-Kette mit Basinas, Katsouranis und Kapitän Zagorakis, die im Verbund verschoben und die Portugiesen kaum zur Entfaltung kommen ließen. Pauleta hing in der Luft und wurde von seinem Bewacher Kapsis zusätzlich kaltgestellt.
Griechen spielen mit
Der große Unterschied zu Viertel- und Semifinale war aber, dass Seitaridis wieder fleißig über die rechte Außenbahn nach vorne randalieren konnte. Zagorakis übernahm in diesen Fällen Cristiano Ronaldo (bzw. Figo, die beiden tauschten sehr häufig die Seiten), Valente war somit sehr viel defensiv gebunden und durch den nach innen rückenden Charisteas und den wieder enorm viel arbeitenden Vryzas enstand durchaus Arbeit für die portugiesische Defensive. Costinha holte sich schon sehr früh eine gelbe Karte ab.
Ähnlich stellte sich die Situation auf der linken Flanke mit Fyssas und Giannakopoulos dar, mit Katsouranis als Absicherung. Das Spiel der Griechen musste fast zwangsläufig über die Außenbahnen kommen, weil Basinas, anders als in den Spielen davor, nicht mehr als freier Mann vor der Abwehr agieren konnte sondern mit Deco selbst viel gegen den Mann zu arbeiten hatte. So bekamen die Portugiesen keinen Zugriff auf den griechischen Strafraum und die Mannen von Otto Rehhagel sorgten mit einigen Angriffen über Seitaridis und Fyssas gut für Entlastung.
Führeres Stören nach Seitenwechsel
Den Hausherren hat sicher auch nicht geholfen, dass nach der nach einem unglücklichen Zweikampf verletzte Rechtsverteidiger Luis Miguel kurz vor der Halbzeit ausgewechselt werden musste. Seine Energie und sein Drang nach vorne kamen zwar nicht so gut zum Tragen wie in den Runden davor beim dramatischen Viertelfinale gegen England und dem letztlich recht sicheren Halbfinale gegen die Holländer, aber der für ihn eingewechselte Paulo Ferreira hatte nicht die Präsenz von Miguel.
Zudem attackierten die Griechen nach dem Seitenwechsel schon höher und erschwerten so die Spieleröffnung der Portugiesen zusätzlich. Maniche und Co. kamen mit dem Pressing überhaupt nicht zurecht. Ebenso wie mit Angelos Charisteas bei einer Ecke von Basinas von der rechten Seite: Costinha war zu weit weg vom Mann, Carvalho stand hinter dem griechischen Stürmer, und Ricardo segelte im Herauslaufen am Ball vorbei – so konnte Charisteas tatsächlich zum 1:0 treffen.
Otto parkt den Bus
Scolari wusste auf dem Eröffnungsspiel, dass er mit einem zweiten Stürmer nichts erreichen würde. Also reagierte er, indem er sofort Costinha vom Feld nahm und mit Rui Costa einen vierten Spielgestalter für das Mittelfeld brachte. Dafür rückte Deco etwas zurück und kam eher aus der Etappe. Die Griechen zogen sich nun komplett zurück und parkten den sprichwörtlichen Bus vor dem eigenen Strafraum.
Die Zauberformel blieb aber weiterhin „Überzahl herstellen“ – den vier offensiven Mittelfeld-Leuten der Portugiesen stellten sich nun neben den drei zentralen Männern bei den Griechen zusätzlich Seitaridis (gegen Ronaldo) und erst Giannakopoulos und dann Venetidis gegen Figo auf den Flügeln gegenüber. Torschütze Charisteas und der statt Vryzas gekommene Papadopoulos sollten für etwas Entlastung sorgen.
Der Plan, schon im Mittelfeld den Raum eng zu machen und nicht auf eine reine Abwehrschlacht zu vertrauen, ging auf: Kaum einmal erreichte der Ball das innere des Strafraums, obwohl die Portugiesen den Ballbesitz in lichte Höhen schraubten. So blieb ein Weitschuss von Figo in der 89. Minute, der nur um ein paar Zentimeter links am Pfosten vorbei ging, die einzige wirkliche Ausgleichschance. Die Sensation war perfekt: Griechenland war Europameister!
Resonanz zwischen Bewunderung und Verärgerung
Die wohl größte Sensation der Fußball-Geschichte – ein Exot, von dem in Wahrheit drei Niederlagen erwartet wurden, gewinnt das Turnier – hat sehr gemischte Reaktionen hervorgerufen. Vor allem in Deutschland, der Heimat von Otto Rehhagel, war man vom sensationellen Erfolg des selbsternannten „Kindes der Bundesliga“ naturgemäß begeistert, zumal nach der eigenen eher schändlichen Vorstellung (dem Vorrunden-Aus, nachdem man gegen Lettland nicht gewonnen und dann gegen ein tschechisches B-Team verloren hatte) händeringend ein Erfolg versprechender neuer Teamchef für die zwei Jahre danach anstehende Heim-WM gesucht wurde.
Ansonsten herrschte aber weniger Bewunderung über die taktisch äußerst durchdachte Herangehensweise, die sich von Spiel zu Spiel zum Teil sehr deutlich unterschied, sondern eher Verärgerung. Über die Tatsache nämlich, dass man ein Turnier, das von sensationell hohem Niveau, sehenswertem Angriffsfußball und wundervollen Spielen am laufenden Band geprägt war, vom Triumph der als äußerst negativ und ob der Verwendung von Libero und Manndeckern auch noch extrem rückständig empfundenen Griechen entwertet sah.
Die Nachwirkungen
Eine Sichtweise, die sich bei den nur noch plumpen Vorstellungen der Mannschaft bei der Euro2008 und der WM 2010 noch verstärkte. Die Gegner hatten sich auf das Spiel der Griechen eingestellt. Dabei darf man aber nicht außer Acht lassen, dass sich vor dem Triumphzug in Portugal erst zweimal überhaupt eine griechische Mannschaft für ein großes Turnier hatte qualifizieren können – für die EM 1980 und die WM 1994. Nach dem Turnier in Portugal gelang die Qualifikation für die EM-Endrunden 2008 und 2012, sowie für die WM-Endrunde in Südafrika.
Dass Griechenland sich nicht dauerhaft in der Weltspitze etablieren konnte, ist logisch und erwartbar. Aber das Team aus Hellas ist nach den drei Wochen von Portugal nicht wieder in der völligen Versenkung verschwunden, in der es sich davor befunden hatte. Griechenland wurde zum Stammgast bei großen Turnieren, und das alleine ist aller Ehren wert.
Zumal es vielen Helden von 2004 nicht beschieden war, auf Klub-Ebene an diesen Erfolg anzuknüpfen. Zerstörer Traianos Dellas etwa, Libero mit Holzfuß, konnte sich bei der Roma in der folgenden Saison zwar einen Stammplatz erkämpfen, wurde über die Zwischenstation AEK aber nur vier Jahre später, auch wegen der fehlenden Fähigkeit zur Spieleröffnung, ins Ausgedinge nach Zypern abgeschoben. Auch Michalis Kapsis, der als Manndecker in allen Spielen dabei war, hatte nur noch eine gute Saison, bei Girondins Bordeaux. Viele Verletzungen plagen ihn aber seither. Giorgos Karagounis konnte sich trotz einer starken EM auch weiterhin nicht bei Inter Mailand durchsetzen nach zwei Jahren bein Benfica kehrte er zu Panathinaikos zurück.
Zehner Vassilis Zartas ging in die zweite deutsche Liga zu Köln und trug nur vier Spiele zum Aufstieg bei, Angelos Basinas bekam nach zwei ordentlichen Jahren in Mallorca nichts mehr auf die Kette. Und Angelos Charisteas, der drei Tore erzielt hatte – darunter die goldenen gegen Frankreich und im Finale gegen Portugal – konnte sich bei Bremen weiterhin nicht durchsetzen, flüchtete nach Holland und ist danach nur noch mit unübersichtlich vielen Vereinswechseln aufgefallen. Dimitris Papadopoulos landete bei seinen Auslandsversuchen bei Dinamo Zagreb und in der zweiten spanischen Liga bei Celta de Vigo.
Aber es gibt auch positivere Karriere-Verläufe – Linksverteidiger Seitaridis etwa wechselte nach der EM zum FC Porto und war danach noch drei Jahre bei Atlético Madrid aktiv; Stelios Giannakopoulos blieb noch lange Jahre Stammspieler bei den Bolton Wanderers, Kostas Katsouranis wurde Führungsspieler bei Benfica, Torhüter Nikopolidis holte – obwohl ihm immer eher das Image eines Fliegenfängers treu blieb – noch sieben Meisterschaften mit Olympiakos, ehe er 2011 aufhörte.
Einige Europameister ihren Status in der Heimat genützt und sind in vielen verschiedenen Funktionen tätig geworden. Kapitän Theodoros Zagorakis etwa wurde Präsident von seinem Stamm-Klub PAOK, mit Zisis Vryzas als Sportdirektor. Linksverteidiger Fyssas wurde Technischer Direktor beim griechischen Verband, Flügelspieler Georgios Georgiadis, den Rehhagel bei der triumphalen EM aber nicht einsetzte, U-21-Teamchef. Lebemann Demis Nikolaidis, der unmittelbar nach dem Turnier seine aktive Karriere beendete, wurde Präsident bei seinem Klub AEK – mit mäßigen Resultaten, aber mit wirtschaftlichem Erfolg.
Und Otto? Teamchef Rehhagel trat nach dem Triumph nicht zurück und wurde klarerweise auch nicht deutscher Teamchef – da bekam Jürgen Klinsmann den Zuschlag. Er verpasste zwar knapp die WM 2006, qualifizierte sich aber für die Euro2008 und die WM 2010, nach der er dann doch Schluss machte. Nach neun Jahren auf der griechischen Bank, mit 106 Spielen – mehr als doppelt so vielen wie jeder andere Teamchef in der Geschichte des Verbandes.
Und ein Volksheld, ja, das ist der knorrige Deutsche immer noch. Er wird es bleiben.
(phe)
Der Kader…
Tor: Kostas Chalkias (30, AEK), Teofanis Katergiannakis (30, Olympiakos), Antonis Nikopolidis (33, Panathinaikos). Abwehr: Panagiotis Fyssas (31, Benfica), Nikos Dabizas (31, Leicester), Traianos Dellas (28, Roma), Mihalis Kapsis (31, AEK), Giorgios Seitaridis (23, Panathinaikos), Stylianos Venetidis (28, Olympiakos). Mittelfeld: Angelos Basinas (28, Panathinaikos), Giorgios Georgiadis (32, Olympiakos), Sylianos Giannakopoulos (30, Bolton), Jannis Goumas (29, Panathinaikos), Pantelis Kafes (26, Olympiakos), Giorgios Karagounis (27, Inter Mailand), Kostas Katsouranis (25, AEK), Vassilis Lakis (28, AEK), Theodoros Zagorakis (33, AEK). Angriff: Angelos Charisteas (24, Bremen), Demis Nikolaidis (31, Atlético Madrid), Dimitris Papadopoulos (23, Panathinaikos), Zisis Vryzas (31, Fiorentina), Vassilis Zartas (32, AEK). Teamchef: Otto Rehhagel (65).
Bild: Fritz Duras, Austria Aktuell