Marcel Koller war in Österreich bis vorgestern kaum jemandem ein Begriff. Wie kommt also der ÖFB auf diesen Mann? Hier eine wilde Theorie dazu. Die Trainerkarriere von Koller begann als Assistent unter Leo Beenhakker. Eben dessen Name war zuletzt auch am Rande der Gerüchte um den Teamchefposten gefallen. Gut möglich, dass der ehrwürdige Niederländer im Gespräch mit ÖFB-Verantwortlichen den entscheidenden Tipp gegeben hat.
Kollers wichtigste Qualifikation für den Teamchefposten ist seine Arbeit beim VfL Bochum. Seine dortigen Erfolge – der Aufstieg in die Bundesliga, der sensationelle achten Platz in der Saison 2006/7 und das Halten der Klasse bis 2009 – sind das jüngste Merkmal, das der Schweizer auf der internationalen Fußballbühne hinterlassen hat. Nach seiner Entlassung stieg Bochum ab. Christian Fuchs denkt, dass das (trotz dem damals schwachen Saisonstart) mit ihm als Trainer nicht passiert wäre. Koller ist der Mann, der den Mattersburger in die deutsche Bundesliga gelotst hat.
„Marcel hat ein ungewöhnliches Feingefühl für Leute“, sagt Christian Gross (Visitenkarte: Tottenham, Basel, Stuttgart – der zweite Trainer, unter dem Koller als Assistent gearbeitet hat). Ehemalige Spieler beschreiben ihn als „Perfektionisten“, der viel Wert auf Videoanalyse und Vorbereitung legt. Er spreche viel mit Spielern, mache viele Einzeltrainings und käme auch gut mit allen Arten von Spielern – ob jung oder alt, arriviert oder talentiert – aus. Einen Fixplatz hat bei ihm niemand, er lässt die spielen, die sein System weiterbringen. Die besten Richtigen könnte man sagen. Vor Bochum war er bei Köln und ist dort mit dieser Philosophie an internen Widerständen gescheitert. Seine Erneuerung gegen ehemals etablierte Spieler ging nicht gut und kostete ihn schlussendlich den Job. Immerhin verhalf er damit aber dem 18-jährigen Lukas Podolski zum Durchbruch.
Eigentlich liebt er laut eigenen Aussagen „aggressives Spiel“ und Offensivfußball. Allerdings gilt das wohl ganz pragmatisch nicht um jeden Preis. Bei Bochum habe er „eher abwartend auf Konter“ aus einer gesicherten Abwehr heraus spielen lassen. Das könne durchaus am Spielerpotential des kleinen Außenseiterklubs gelegen haben, erinnert sich Bloggerkollege Tobias Escher vom geschätzten Spielverlagerung-Blog vage auf unsere Nachfrage, was man dort vom Ex-Bochumer so wisse. Bei Rasen-Schach hat ihn Sebastian Kahl in guter Erinnerung: „Ich schätze seine Arbeit, in Bochum hat er mit bescheidenen Mitteln viel erreicht, galt zu seiner Zeit dort als einer der taktisch-versiertesten Trainer der BuLi“.
In den letzten beiden Saisonen war Koller arbeitslos – zumindest als Vereinstrainer. Laut eigenen Angaben hat er aber nicht auf der faulen Haut gelegen, sondern viele Spiele beobachtet, Fortbildungen in sportpsychologischer Hinsicht gemacht und einzelne Spieler beraten und betreut. Schon vorher beschrieb ihn die Neue Zürcher Zeitung als „Selfmade-Psychologen“. Das Einzelgespräch wird bei Kollers erstem Nationalteam nun zum ständigen und hauptsächlichen Werkzeug werden.
Selbstsicher und geradlinig scheint Koller zu sein. Manchmal vielleicht zu verbissen in seine Aufgaben. Ehrlichkeit und Aussprachen beschreibt er als wichtig. All das dürften gute Charakterisika sein, um mit Leuten wie Emanuel Pogatetz, Paul Scharner und György Garics zurecht zu kommen, die für ähnliche Eigenschaften in den letzten Jahren in Ungnade bei Teamtrainern fielen. Dass Koller den meisten Legionären gefallen dürfte, scheint anzunehmen. Er ist genau der Typ eines modernen Trainers, den diese auch von ihren Vereinen kennen.
Ein wehrhafter Praktiker, geschult in der Theorie
Ein „Anti-Peppi“, nennt ihn die Süddeutsche in Anspielung auf die sonstige Verhaberung der österreichischen Teamtrainer. „Ein trockener, von jeglichem Schmäh weiträumig umfahrener Schweizer, der sich … in der deutschen Bundesliga einen sehr seriösen Ruf erwarb“. Schweizer Medien reagieren etwas verwundert auf die negative Resonanz in manchen österreichischen Medien: „Koller wird es offensichtlich nicht einfach haben, sich das Vertrauen unserer Nachbarn zu erarbeiten“. Auch in der Eidgenossenschaft ist Koller angesehen, war bereits einmal Trainer des Jahres, weil er mit dem krassen Außenseiter St. Gallen als Sportchef und Trainer in Personalunion den Meisteritel gewann. Später schaffte er das auch noch einmal mit Grasshoppers Zürich.
Das ist sein Jugend- und Stammklub. 18 Jahre trug er die Farben des Vereins, war dabei selbst ein recht erfolgreicher Fußballer. Als Sechser galt Koller schon damals als taktisch begabt. 7 Mal Meister, 55 Einberufungen in die „Nati“ und eine Teilnahme an der Europameisterschaft 1996 stehen zu Buche. Sein Trainer in dieser Zeit war drei Jahre lang auch der aktuelle Coach von Scharner – Roy Hodgson. Der gilt als einer der entscheidenden Modernisierer des Schweizer-Fußballs. Einer seiner ehemaligen Mitspieler und auch Trainer (86-88) gilt als beleidigt: Kurt Jara (1988) glaubt, dass er trotz chronischer Erfolgslosigkeit in den vergangenen zehn Jahren die bessere Wahl gewesen wäre.
Das zeigt: Die Erfahrung als Spieler schützt Koller zwar vor dem zweifelhaften Vorwurf, ein bloßer Theoretiker zu sein. Doch mit anderen Boulevardanfeindungen wird er leben müssen. Die dort integrierte heimische Cordoba-Nomenklatura reagierte großteils verschnupft auf den Neuen. Ein Ausländer an der Spitze ihres bisherigen Selbstbedienungsladens, das ist schwer zu verkraften (noch dazu einer den sie nicht kennen, weil die „Experten“ offensichtlich die deutsche Bundesliga genauso gut beobachten, wie der heimische 08/15-Fußballfan).
„Etwas gefrozzelt“ müssen sich Gludovatz, Herzog, Jara und Co. vorkommen, meint Peter Linden in der Krone. Die haben nicht einmal zusammengerechnet so viele Jahre in der deutschen Bundesliga gecoacht wie Koller alleine, aber vielleicht spricht Linden auch ein wenig über sich selbst. Selten zuvor gab es in den letzten Jahrzehnten einen Teamchef, den er nicht ein bisschen miternannt hat.
„Es gibt keinen anderen Weg, als den, den wir gehen. Arbeit, Arbeit, Arbeit – und sich dabei nicht von außen beeinflussen lassen“, sagte Koller 2006 am schwierigen Beginn der Erfolgssaison mit Bochum. Wenn sich nicht gleich in den ersten Spielen zufälligerweise der Erfolg einstellt, könnte das wieder zu seinem Motto werden. Schon die ersten Interviews haben gezeigt: Koller (Spielverlagerungs Tobias Escher nennt ihn „undiplomatisch“) wird sich gegen die Jagdgesellschaft sprachlich besser wehren können als einst Karel Brückner. Der Tscheche wollte sich dieses Kasperltheater nicht mehr antun. Koller ist über 20 Jahre jünger und kann noch viel erreichen – vor allem wenn er mit Österreich Erfolg hat. Die NZZ meint, er kann hier „fast nur gewinnen„.
Dementsprechend hält er von Beginn weg dagegen. Nachdem (der bei ausländischen Trainern seltsamerweise besonders kritische) Schneckerl behauptete, in Österreich gäbe es viele Trainer von der Klasse von Koller (was man zum momentanen Zeitpunkt als kreative Einbildung bezeichnen muss), meinte der Attackierte bei Armin Wolf: „Herbert Prohaska habe ich als Spieler sehr geschätzt, aber er war noch nie im Training bei mir, hat noch nie mit mir gesprochen und weiß also gar nicht, wie ich arbeite“.
Die offene Konfrontation sucht Koller damit nicht, denn er macht gleich ein charmantes Angebot dazu. Man solle ihn arbeiten lassen und beobachten, dann könne man sich ja „zusammensetzen“. Dem Vernehmen nach tut er das gerne bei einem Gläschen Rotwein. Das Wort „Wunderwuzzi“ mag er genauso wenig verstehen, wie er einer ist. Aber trotz dieser sprachlichen Hürde hat er Österreich anscheinend schon an seinem ersten Tag im Amt verstanden. (tsc)