Champions League 2010/11 | Semifinal-Hinspiel
Arena auf Schalke, 26. April 2011
FC Schalke 04 - Manchester Utd
0-2
Tore: 67' Giggs, 69' Rooney

Selbes System, anderes Spiel – nur Neuer hält dagegen

Ja, es war ein Klassenunterschied – Schalke 04 hatte nicht den Hauch einer Chance gegen ein stark aufspielendes United. Nur Manuel Neuer verhinderte ein Debakel für die Königsblauen, die zwar wie die Red Devils in einem 4-4-1-1 antraten. Das aber ganz anders spielten als die Sieger.

FC Schalke 04 - Manchester United 0:2

Der Spielverlauf selbst? Ist schnell erzählt. United drückt Schalke ordentlich hinten rein, vergibt die besten Chancen bzw. scheitert am alles überragenden Schalker Keeper Manuel Neuer – ehe zwei Abwehrfehler von Matip (der den verletzten Höwedes ersetzen musste) nach einer Stunde United zwei Tore zum hochverdienten 2:0-Erfolg ermöglichten.

Darüber hinaus kann dieses Spiel aber als gutes Beispiel dafür herhalten, wie unterschiedlich das selbe System interpretiert werden kann. Denn zwar spielten sowohl Ralf Rangnick als auch Alex Ferguson in einem 4-4-1-1. Die Unterschiede waren aber dennoch groß.

Die hängenden Spitzen: Rooney vs. Raúl

Unterschiedlicher hätten die beiden nicht agieren können. Rooney war einmal mehr extrem viel unterwegs, ließ sich tief fallen, wich auf die Flügel aus, war der zentrale Punkt seiner Mannschaft. Zudem schaffte er er exzellent, sich der Umklammerung von Kyirakos Papadopoulos zu lösen: Der junge Grieche schaffte es nie, Rooney wirklich unter Druck zu setzen.

Auf der anderen Seite wäre es wohl am Ehesten der Job von Raúl gewesen, Carrick die Zeit am Ball zu nehmen. Doch auf Pressing des Spaniers gegen den zentralen Taktgeber im United-Mittelfeld wartete man 90 Minuten lang vergeblich. Eigentlich erstaunlich, denn eigentlich ist sich Raúl ja nicht zu schade, auch mal den Manndecker für die gegnerische Spieleröffnung zu machen. Außerdem ließ sich Raúl nicht weit genug fallen, um eine sinnvolle Anspielstation zu sein und Edú in Szene setzen zu können.

Vor der Abwehr: Carrick vs. Papadopoulos

Auch die Position vor der Abwehr wurden von den beiden Gegenpolen mit nur wenig Gemeinsamkeiten gespielt. Michael Carrick musste keine gravierenden manndeckerischen Fähigkeiten an den Tag legen, weil Raúl ohnehin vom Nachschub ein wenig abgeschnitten war. So konnte sich Carrick darauf konzentrieren, was er am Besten kann: Mit kurzen, sicheren Pässen das Spiel eröffnen und Giggs den Rücken freihalten. Am eindrucksvollsten wird der Unterschied aber durch die Pass-Statistik deutlich: Während Carrick 108 Pässe spielte (und 87% davon an den Mann brachte), waren es bei Papadopoulos gerade einmal 49 Pässe.

Womit er hinter Jurado aber immer noch die zweithöchsten Wert seiner Mannschaft aufweist. Der Grieche hatte aber so oder so eher defensive aufgaben, vornehmlich ging es darum, Rooney aus dem Verkehr zu ziehen, wie er das im Viertelfinale mit Sneijder gemacht hatte. Rooney konnte machen, was er wollte, Papadopoulos‘ an sich eher rustikale Spielweise war kein Faktor, und die Spieleröffnung hatte ein anderer zu erledigen – Jurado.

Im zentralen Mittelfeld: Giggs vs. Jurado

Auf seine alten Tage zieht es Ryan Giggs immer mehr ins Zentrum – bzw., Sir Alex zieht ihn dort hin. Ein Wechsel, der durchaus sinnvoll ist: Denn der Waliser hat zwar immer noch eine herausragende Ausdauer und unschlagbare Spielübersicht, aber über 90 Minute fehlt es dem 37-Jährigen logischerweise an der nötigen Explosivität für die Flügel. So spielt die einstige Flügelzange Beckham/Giggs nun auch im Zentrum: Dort können sie ihre Stärken immer noch ausspielen, ohne auf ihre Schwächen (Ausdauer bei Becks, Explosivität bei Giggs) zu viel getestet zu werden.

Und einmal mehr zeigte Giggs eine wahrlich herausragende Leistung. Er war der Hub im Mittelfeld, seine Abstimmung mit Rooney war vorbildlich, er erzielte nach einer Stunde das schon längst überfällige 1:0 für sein Team. Jurado hingegen war zwar der aktivste Feldspieler seiner Mannschaft, aber genau das zeigt auch, wie sehr Schalke unter der Knute von United stand. Jurado war eben gegen Giggs viel mit Defensivarbeit gebunden, er hatte nie den Platz, den er etwa gegen Inter aus genau der Position als Achter vorfand. Er stand oft deutlich tiefer als Giggs und konnte sich so auch nur selten mit Raúl verbinden. Und er hatte auch nicht die Hilfe von Alexander Baumjohann.

Die Flügel: Park und Valencia vs. Farfán und Baumjohann

Schalke - Man Utd (nach ca. 25 Min.)

Zugegeben: Alexander Baumjohann in diesem Spiel als Flügel zu bezeichnen, kommt Etikettenschwindel gleich. Stattdessen begann er im rechten Halbfeld und überließ Sarpei die komplette linke Seite alleine. Diese Maßnahme, um die Zentrale zu stärken, funktionierte aber überhaupt nicht – weil vor allem die von Baumjohann verwaiste Seite wie ein Badewannen-Abfluss ohne Stoppel wirkte: Valencia und der massiv nach vorne arbeitende Fábio hatten ihre helle Freude mit dem vielen Platz und dem nicht mehr allzu schnellen Ghanaen.

Rangnick sah sich das 23 Minuten lang an, ehe er für die TV-Kameras gut sichtbar eine Umstellung verlangte: „Vier! Zwei! Drei! Eins!“ Das war wohl weniger ein Signal für Raúl, der sich nur halbherzig weiter zurückfallen ließ, sondern eher für Baumjohann, der sich nun doch eher auf die linke Seite orientierte. Ohne großen Nutzen freilich, denn auch seine Präsenz konnte das Loch nicht stopfen. Nach 53 Minuten, in denen er absolut nichts produziert hatte, kam Kluge für Baumjohann, Jurado ging auf den Flügel.

Auf der anderen Seite war das Ungleichgewicht nicht ganz so gravierend, aber dennoch sichtbar. Farfán schaffte es halbwegs, Evra zu binden, sodass er Franzose nicht annähernd so frei nach vorne randalieren konnten wie Fábio. Die Versuche von Uchida, nach vorne zu kommen, wurden allerdings von Park Ji-Sung ganz gut unter Kontrolle gehalten. So neutralisierten sich die vier – für United war es die deutlich weniger produktive Seite, im gleichen Maß aber für Schalke die aktivere.

Die Umstellungen

Wie erwähnt brachte Rangnick kurz nach der Pause Kluge für die Mittelfeldzentrale, Jurado ging nach Außen. Kluge war zweifellos eine klare Verbesserung gegenüber Baumjohann, wieviel er aber letztlich wirklich gebracht hat, lässt sich nur schwer taxieren, schließlich fielen wenige Minuten nach seiner Einwechslung die beiden Gegentore. Mit denen das Spiel natürlich entschieden war. Die direkten Wechsel Escudero/Sarpei und Draxler/Farfán hatten keine wirklichen Auswirkungen.

United konnte sich nach dem Doppelschlag natürlich etwas zurücklehnen. Sir Alex brachte eine Viertelstunde vor Schluss Scholes und Anderson für Park und Hernández, behielt vorläufig sein System aber bei: Scholes ging in die Zentrale, Giggs auf die linke Seite, Anderson in die offensive Zentrale und Rooney ganz nach vorne. Vor allem Scholes machte in seinen rund 20 Minuten einen sehr spielfreudigen Eindruck und auch ihn brachte Schalke nie wirklich unter Kontrolle. Genauso wenig wie Nani in der Schlussphase: Der Portugiese, der für Rooney das Feld betrat, machte sich noch einen Spaß daraus, die Gegner zu verarschen. Das 4-3-3, mit dem die Red Devils das Spiel nach Hause spielten, war nur noch von kosmetischem Interesse.

Fazit: United in allen Belangen überlegen

Die Bild-Zeitung titelt treffend „Manu allein gegen ManU“ – der überragende Schalker Noch-Torwart verhinderte alleine ein Debakel der im Grunde genommen überforderten Schalker. Auf keiner Feldposition waren die Königsblauen in der Lage, ihren Gegnern beizukommen und letztlich war durchaus ein Klassenunterschied zu erkennen. Wohl ein größerer, als er nach den Galaleistungen gegen Inter Mailand zu erwarten gewesen wäre – doch andererseits darf man nicht außer Acht lassen, dass Schalke in der Bundesliga eine sehr bescheidene Saison spielt.

Das war weniger ein Spiel zweier Teams, die in der letzten Runde Chelsea und Inter eliminiert hatten. Sondern schlicht das vom designierten englischen Meister gegen den Zehnten der deutschen Bundesliga.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.