Champions League 2010/11 | Viertelfinal-Hinspiel
Stadio Meazza, 5. Apil 2011
Inter Mailand - FC Schalke 04
2-5
Tore: 1' Stankovic, 34' Milito bzw. 17' Matip, 40' und 75' Edú, 53' Raúl, 57' (og) Ranocchia

Die Eurofighter zerlegen Inter

Wenn bei Schalke von „Mailand“ die Rede war, meinte ein jeder den Uefa-Cup-Sieg 1997. Doch was sich in diesem Champions-League-Viertelfinale abspielte, war wohl noch sensationeller: Denn Schalke steht nach einem grandiosen Spiel mit einem 5:2-Auswärtssieg so gut wie sicher im Semifinale!

Inter Mailand - FC Schalke 04 2:5

Als Schalke 1997 bis ins Finale des Uefa-Cups vorstießen, wurden sie die „Eurofighter“ genannt – ein absoluter Underdog, der die Großen Europas auf’s Horn nimmt. Dieser Lauf gipfelte im dramatischen Elfmeter-Sieg im Finale – gegen Inter Mailand… Die Chance zur Revanche nützte Inter diesmal aber ganz und gar nicht.

Der neuer Schalke-Trainer Ralf Rangnick stellte ordentlich um – auch gezwungenermaßen. Ohne die verletzten Metzelder, Kluge und Huntelaar musste Joel Matip zurück in die Innenverteidigung, Kyriakos Papadopoulos auf die Sechs und Edú ins Sturmzentrum. Zudem überraschte Rangnick mit der Maßnahme, Jurado ins Zentrum zu stellen und zauberte mit Alexander Baumjohann einen Spieler aus dem Hut, der unter Magath keinerlei Rolle mehr gespielt hatte.

Und auch, wenn das Freak-Tor von Dejan Stankovic auf 50 Metern in der ersten Minute Inter quasi mit einem 1:0 beginnen ließ, war Schalke das besser eingestellte Team. Auch, weil Rangnick gegenüber Leonardos Raute im Mittelfeld die bessere Raumaufteilung hatte: Cambiasso kümmerte sich nur halbherzig um seine Seite und so konnten die bärenstarken Uchida und Farfán auf ihrer Seite nach Lust und Laune randalieren. Zanetti, auf seine alten Tage auch nicht mehr der allerschnellste, war heillos überfordert.

Außerdem zahlte sich die Maßnahme aus, Jurado etwas zentraler und von weiter hinten kommen zu lassen. Baumjohann neben ihm beschäftigte Maicon und drückte den offensivstarken Inter-Außenverteidiger ziemlich nach hinten, womit auch die rechte Inter-Seite tot war. Jurado selbst schloss sich immer wieder mit dem sehr tief stehenden Raúl – oft agierte er kaum höher als Jurado – kurz und vorne beschäftigte der wuchtige Edú die Innenverteidigung von Inter (Ranocchia und Chivu, Lúcio war gesperrt). Der Ausgleich, auch wenn er aus einer Standardsituation fiel, war aufgrunde der Spielanteile, wo Schalke klares Übergewicht hatte, hochverdient.

Inter Mailand - FC Schalke 04 (ab ca. 20. Minute)

Sneijder zurück auf links, Leonardo kopiert Rangnick

Leonardo erkannte, dass es so nicht weitergehen konnte, und stellte Wesley Sneijder von der Zehn wieder auf jene linke Seite, die der Holländer schon im Achtelfinal-Rückspiel gegen die Bayern eingenommen hatte. Somit war Uchida wieder mit Defensive beschäftigt und Farfán fehlte so ein wenig der Nachschub – und Inter war zurück im Spiel. Es war nun ein recht klassisches 4-4-2, das Leonardo spielen ließ, mit Cambiasso (etwas höher) und Thiago Motta (etwas tiefer) in der Zentrale und Kharja rechts – der Marokkaner kam früh für den verletzten Stankovic ins Spiel. Im Grunde kopierte Leonardo also das System von Rangnick.

Mit Erfolg: Die Hausherren kontrollierten das Spiel nun wieder und drückten Schalke deutlich mehr hinten rein als das zuvor der Fall war. Auch, weil Chivu sich nun vermehrt ins Spiel einschaltete: Ähnlich wie das Lúcio gerne macht trug er den Ball oft bis zur Mittellinie, spielte sehr kluge Pässe, fing auch immer wieder Konterversuche ab. Und wiederum war der prompte Lohn für eine gelungene Umstellung ein Tor: Uchida ließ Sneijder flanken, Matip ließ Cambiasso ablegen und Höwedes ließ Milito im Zentrum entwischen – und schon führte Inter erneut, war das 2:1 gefallen.

Schalke ließ sich aber vom neuerlichen Rückschlag wieder nicht aus der Ruhe bringen. Vor allem Raúl war überall auf dem Platz zu finden, holte sich die Bälle, trug sie im Verbund mit Farfán und Jurado nach vorne, er arbeitete unermüdlich und durch einen Konter, den Edú mit all seiner Wucht und seinem Willen abschloss, glich Schalke noch vor der Pause zum 2:2 aus.

Schalke erstickt Inters Schwung per Doppelschlag

Die zweite Hälfte begann so, wie sich die letzten zwanzig Minute der ersten Halbzeit dargestellt hatten: Mit Inter im Fahrersitz, doch der wieder einmal enorm starke Neuer rettete zweimal. Ehe es der der enorm fleißige Raúl war, der die Königsblauen in Front brachte – Chivu ist gut in der Vorwärtsbewegung, aber als Innenverteidiger ist er kein gleichwertiger Ersatz für Lúcio.

Der dritten Gegentreffer schockte Inter nun doch ein wenig, und nur wenige Minuten nach dem 2:3 lenkte Ranocchia eine Hereingabe von Jurado ins eigene Tor ab. Die Entstehung war aber symptomatisch für das Spiel: Kurze Ablage von Raúl im Mittelfeld auf Landsmann Jurado, der zieht unbehelligt und mit vollem Tempo vor das Tor. Und hätte Ranocchia nicht das Eigentor fabriziert, wäre dahinter Edú einschussbereit gewesen. Und als ob der Doppelschlag nicht schon schlimm genug für Inter gewesen wäre, flog in der 62. Minute auch noch Chivu mit seiner zweiten gelben Karte vom Platz…

Inter - Schalke (ab etwa der 60. Minute)

Inters Formation: Offensiv. Inters Körpersprache: Weniger.

Leonardo musste Kharja nun wieder runter nehmen, um mit Cordoba die entstandene Lücke in der Innenverteidigung zu schließen. Die Formation blieb aber logischerweise so offensiv wie möglich: Mit drei Mann im Mittelfeld – Cambiasso tief, Motta etwas höher und Sneijder halblinks offensiv – und die beiden Spitzen verblieben auf dem Feld.

Logisch, Inter musste ja noch Tore schießen. Aber die Körpersprache und das immer mehr fehlende Tempo bei den Mailändern verriet schon bald: Hier geht nichts mehr. Zu langsam wurden die Angriffe vorgetragen, zu nachlässig blieb das Abwehrverhalten. Wie bei Jurados Pfostenschuss in  Minute 65. Am Besten zu sehen war das aber beim 5:2 von Schalke: Erst rettete noch erneut das Aluminium, aber Cordoba schlug über den Ball, niemand ging in der Folge einen Gegenspieler an und Edú konnte die Kugel zum fünften Mal im Inter-Tor versenken.

Dreier-Abwehr als Hauruck-Variante

Leonardo war, zugespitzt formuliert, der einzige bei Inter, der sich gegen das Debakel stemmte. Für Thiago Motta brachte er eine Viertelstunde vor Schluss noch Nagatomo und er stellte auf ein 3-4-2 um: Cordoba, Ranocchia und Zanetti hinten; Maicon und Nagatomo auf den Flügeln mit Cambiasso und Sneijder dazwischen und vorne verblieben der fleißige Milito und der eher matte Eto’o. Gebracht hat’s nichts mehr, Schalke verwaltete gegen einen sich weitgehend aufgebenden Gegner das 5:2 problemlos über die Zeit.

Fazit: System-Vorteil zum Beginn, Leistungs-Vorteil danach

Tja, war war es nun, was Schalke diesen historischen Sieg einbrachte? Zunächst einmal natürlich die Tatsache, dass Rangnick genau die richtige Formation auf das Feld brachte, um die Schwächen von Inter auszunützen – und das sind und bleiben nun einmal die Flügel. Das ist so, seit Leonardo Trainer ist – manche konnten das ausnützen, andere weniger. Dieser systematische Vorteil ermöglichte es Schalke, nach dem frühen Rückstand schnell ins Spiel zurück zu kommen und sich nicht von dem miserablen Start ausknocken zu lassen.

Dann setzte es Inter natürlich mächtig zu, dass Maicon gegen den extrem starken Baumjohann überhaupt nicht zur Geltung kam und somit auch Kharja und in weiterer Folge Eto’o nie so richtig ins Spiel kamen. Jungspund Papadopoulos machte im defensiven Mittelfeld gegen Sneijder einen wunderbaren Job. Außerdem war es Gold wert, dass Jurado auch mit viel Laufarbeit den Platz sehr gut nützen konnte, der ihm seine Position gewährt hat.

Und alles überragend war Raúl: Er sorgte zwar nicht für Glanzlichter am laufenden Band, aber durch seinen unermüdlichen Einsatz, extreme Laufarbeit und sein überragendes Spielverständnis hebelte er das geistig langsam wirkende Inter-Mittelfeld ein ums andere Mal aus. Kurz gesagt: Die individuellen Leistungsduelle verlor Inter ziemlich allesamt.

Und deshalb wird Schalke verdientermaßen ins Semifinale einziehen.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.