Leonardo kappt Inters Flügel

Wer fliegen will, braucht Flügel? Davon scheint der neue Inter-Trainer Leonardo nicht allzu viel zu halten. Denn bei seinem ersten Spiel auf der Bank der Nerazzurri gegen den Überraschungs-Dritten Napoli schickte er sein Team de facto ohne Flügel auf den Platz.

Inter Mailand - SSC Napoli 3:1

Leonardo würfelte ziemlich durch. Statt des 4-3-3 von Mourinho und Benítez schickte er ohne Sneijder (verletzt) und Eto’o (gesperrt) ein 4-4-2 auf’s Feld, mit einer Mittelfeldraute und mit Pandev als hängender Spitze. Stankovic spielte zentral Offensiv, Milito ganz vorne – und alles mit viel Drang zum Zentrum. Das Flügelspiel bei Inter bestand im Grunde nur aus Maicon, der Dossena deutlich mehr beschäftigen konnte als das Chivu auf der anderen Flanke mit Maggio gelang.

Inter kam durch eine sehenswerte Kombination zwar schnell zum 1:0 durch Motta (3.), aber Napoli ließ sich davon nicht allzu lange aus dem Konzept bringen. Trainer Walter Mazzarri formierte sein Team in einem 3-4-1-2, wie man es in Europa nur sehr selten sieht. Mit Hamsik als Spielgestalter hinter den Spitzen Cavani und Lavezzi und den beiden eher defensiv orientierten zentralen Spielern hinter Hamsik (Gargano und Pazienza) hatte das Spiel grundsätzlich eine ähnliche Ausrichtung. Durch die Mitte nämlich.

Weil auch Maggio und Dossena bei Napoli die einzigen waren, die für das Spiel über die Flügel verantwortlich waren. So kam Napoli in den ersten Minuten kaum nach vorne, eben weil Inter den Mittelkreis im Grunde mit vier Spielen zugestellt hatte. Weshalb eine kleine Anpassung große Wirkung zeigte: Lavezzi ließ sich zurückfallen und unterstützte Hamsik in der Spielgestaltung und es gelang Napoli auch immer besser, vor allem Zanetti Richtung Seitenlinie zu ziehen – was für Gargano und Hamsik im Halbfeld Platz generierte. Zudem marschierte Lúcio, wie es früher seine Art war, immer wieder mit Macht nach vorne, wodurch Chivu auch dessen Platz abdecken musste. Was das schnelle und viel rochierende Angriffstrio von Napoli immer wieder nützte, denn da sah die Inter-Defensive zuweilen etwas chaotisch aus.

So war der Ausgleich durch Pazienza, den defensiveren der beiden Sechser, in der 20. Minute schon verdient, wiewohl er aus einem Eckball entstanden ist. Napoli hatte das Spiel in den Griff bekommen und die Angriffsbemühungen von Inter auf lange Bälle aus dem defensiven Mittelfeld beschränken können. Über die Flanken kam beim Weltcup-Sieger sehr, sehr wenig. Als dann aber Maicon doch einmal durchkam und flanken konnte, stand es sofort wieder 2:1 für Inter (37.). Das Kopfballtor von Cambiasso kam ziemlich aus heiterem Himmel, eben weil in dieser Phase die Kreativität bei Inter völlig zum erliegen gekommen war.

Drittes Tor entscheidet

Für die zweite Hälfte orientierte sich Stankovic vom Zentrum eher auf die linke Seite, um den Platz hinter Maggio besser auszunützen und Campagnaro aus der Dreierkette zu ziehen. Das klappte zwar an sich ganz gut, weil aber Paolo Cannavaro durch viel Laufarbeit die entstehenden Löcher stopfen konnte, hatte das wenig Effekt. So war Inter zwar offensiv um nichts überzeugender wie vor dem Seitenwechsel, aber hinten stand das Team von Leonardo nun umso sicherer. Aus zwei Gründen: Erstens blieb Lúcio nun brav hinten und zweitens orientierte sich Motta etwas weiter nach hinten, weil Stankovic ja dessen Offensiv-Agenden vermehrt übernahm. So hatten Hamsik und Lavezzi kaum noch Platz, ihr Spiel aufzuziehen.

Und was noch dazukam: Inter legte in der 55. Minute das 3:1 drauf – das zweite Tor von Motta entstand, wie sollte es of der Kreativ-Armut von Inter anders sein, aus einem Eckball. Somit war Napoli gezwungen, das Spiel aufzuziehen, und zwar gegen einen Gegner, der sich nun genüsslich hinten hinein setzte und die Neapolitaner machen ließ. Mit der komfortablen Führung im Rücken war es Inter nun natürlich kein Problem mehr, die letzte halbe Stunde trocken die Zeit runter zu spielen, ohne noch ernsthaft in Gefahr zu kommen. Das Spiel plätscherte dem Schlusspfiff entgegen, ohne dass man trotz deutlichem optischem Übergewicht für Napoli jemals das Gefühl gehabt hätte, es wäre noch etwas möglich.

Fazit: Schön war’s nicht, aber wichtig

Überzeugend war die Leistung vom Inter im ersten Spiel unter dem neuen Trainer Leonardo nur in der Defensive der zweiten Hälfte. Mit vier zentralen Mittelfeldspielern und ohne nominelle offensive Flügelspieler war die „Kreativität“ der Nerazzurri oftmals auf lange Bälle beschränkt, der Doppelpass zum frühen 1:0 war das einzige echte spielerische Highlight; die Kopfbälle zum zweiten und zum dritten Tor nützten Stellungsfehler gut aus, waren aber keine wirklich herausgespielten Szenen.

Napoli fehlte es vor der Pause an der Kaltschnäuzigkeit, die mitunter etwas unsortierte Inter-Abwehr öfter zu knacken und nach dem 1:3 und der dichter und disziplinierter werdenden Inter-Hintermannschaft war alles vorbei. Für den neuen Inter-Coach darf das erfreuliche und wichtige Resultat bei seinem Debüt aber (trotz des Fehlens von Eto’o und Sneijder, letzterer wird noch einige Spiele nicht zur Verfügung stehen) nicht darüber hinwegtäuschen, dass keine gravierende Leistungssteigerung gegenüber der Benítez-Zeit zu erkennen war.

Und die Gegnerschaft hat sicherlich erkannt, dass es zumindest in diesem Spiel kein ernsthaftes Flügelspiel gab. Gegen so ein Inter hätten Robben und Ribéry im Champions-League-Achtelfinale einen Heidenspaß.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.