Kampf um den Mittelkreis

Die Diskussionen nach dieser hochinteressanten Partie drehten sich um das kuriose Tor zur Entscheidung in der 85. Minute – entschieden wurde der Spielverlauf aber durch das Hin und Her im Kampf um die Zentrale. In dem United wegen der Führung nach einer halben Stunde entspannter agieren konnte.

Manchester Utd - Tottenham 2:0

Durch die Mitte, heißt es, ist Manchester United verwundbar, wenn Sir Alex mit einem 4-4-2 spielen lässt. Dieses Manko wollte Tottenham auch ausnützen, postierte drei Mann ins zentrale Mittelfeld – mit Park Ji-Sung dürfte Harry Redknapp aber nicht gerechnet haben. Er war der entscheidende Mann bei United, wenn es daum ging, eventuelle Unterzahl-Situationen im Mittelfeld zu begleichen.

Wie der Koreaner sich aufopferte und auch defensiv für seine Mannschaft arbeitete, ohne seine offensiven Aufgaben ganz aus den Augen zu verlieren, verdient größten Respekt. Durch sein Auge und seine enorme Laufbereitschaft konnte vor allem Modric der Weg durch die Mitte immer wieder versperrt werden. Andererseits gelang es den Hausherren, durch geschicktes Pressing ab der Mittellinie und der Verlagerung des eigenen Spiel auf die Flanken (zumeist die rechte, über Nani) das Spiel in der Anfangsphase recht klar zu dominieren.

Gerade in den ersten zehn Minuten bewegte sich auch Park Ji-Sung immer wieder zur Unterstützung für Nani auf diese Flanke. United wollte den defensiven Schwachpunkt Assou-Ekotto anbohren – sei es durch Eins-gegen-Eins-Situationen auf der Seite, oder durch schnelle, kurze Querpässe vor dem Strafraum, zumeist auf Hernández oder eben Nani, um auf Stellungsfehler von Assou-Ekotto zu hoffen. So richtig funktionierte das aber nicht, weil der Kameruner eine gute Leistung ablieferte.

So war United offensiv nicht allzu schwer auszurechnen, zumal Berbatov gegen den zwar langsamen, aber robusten Gallas kaum zur Geltung kam und Hernández wohl etwas zu weit vorne postiert war, um seine Schnelligkeit ausspielen zu können. Kein Wunder daher, dass die Führung für Manchester nach einer halben Stunde aus einer Standardsituation fiel – Nemanja Vidic köpfelte einen Nani-Freistoß an Gomes vorbei ins Netz.

Tottenham reagiert erst nach Rückstand

Das Problem des Spielaufbaus von Tottenham gerade vor dem Rückstand war, dass sich Rafael van der Vaart gegen den Ball zu weit vorne postierte, um in der Zentrale eine Hilfe zu sein; sich bei Ballbesitz Tottenham aber zu weit zurückfallen ließ und so kaum anspielbar war. Am Holländer lief, von seinem Pfostenschuss zu Beginn einmal abgesehen, das Spiel ziemlich vorbei. Der negative Effekt davon: Anstatt in der Zentrale wie geplant drei (VdV, Modric, Jenas) gegen zwei (Flechter, Carrick) in Überzahl zu spielen, kehrte United dieses genau um und war selbt mit drei (Fletcher, Carrick, Park JS) zu zwei (Modric, Jenas) in Überzahl.

Mangelnde Risikobereitschaft allerdings kann man Tottenham nicht absprechen. So rückte Assou-Ekotto immer wieder trotz der ständigen Bedrohung durch den trickreichen Nani weit ins Mittelfeld auf, mit Gareth Bale praktisch als Linksaußen in Stürmerposition. Das ging, weil in diesen Fällen sich Spurs-Sechser Jenas eher nach hinten orientierte. Doch auch hier sah sich der zuletzt sehr formstarke Bale in Rafael einem Außenverteidiger gegenüber, der zumindest in der ersten Hälfte einen guten Job machte.

Nach dem 1:0 ließ bei Manchester das Pressing im Mittelfeld deutlich nach und Van der Vaart nahm nun deutlich mehr am Spiel teil. Sein Laufpensum stieg schlagartig und sein Wille zur Spielgestaltung wurde nun endlich sichtbar. Und prompt nahm Tottenham das Spiel auch deutlich in die Hand, das zuvor schon sichtbare Plus an Ballbesitz wurde nun (wenn auch durch viel Hin und Her in der Defensive) weiter ausgebaut. Ohne allerdings vor der Pause noch zu Zählbarem zu kommen.

Ein ähnliches Bild bot sich nach der Pause – mit dem Unterschied, dass nun Rafael dem immer selbstbewusster auftretenden Bale immer weniger entgegen zu setzen hatte. So gelang es Tottenham, das Übergewicht an Ballbesitz nun auch immer weiter vor das United-Tor zu tragen. Manchester reagierte auf die Tatsache, dann nun Park und auch Nani immer weiter in die Defensive gedrängt wurden, indem Berbatov und vor allem Hernández immer mehr auf die Flügel auswichen, um zumindest die Außenverteidiger Hutton und Assou-Ekotto ein wenig zu binden.

Agieren und reagieren

Manchester Utd - Tottenham 2:0 (ab Min. 65)

Da dies nicht wirklich funktionierte, reagierte Ferguson nach einer Stunde mit einem Doppelwechsel. Zum einen kam Wes Brown für Rafael, zum anderen Paul Scholes für Berbatov. Damit sollte natürlich wieder etwas mehr Manpower ins zentrale Mittelfeld gebracht werden – da Nani und vor allem Park an den Flügeln gebunden waren, gab es nun dort eine 3-auf-2-Überzahl von Tottenham. Mit Scholes im Zentrum war dieses Verhältnis wieder ausgeglichen, zudem konnte nun Hernández durch die Mitte aus der Etappe kommen, und so seine Schnelligkeit besser ausspielen.

Redknapp reagierte seinerseits postwendend, indem er Wilson Palacios statt dem eher diskreten Jenas für die Sechserposition brachte; neben ihn gesellte sich nun Luka Modric. Der Kroate, der ein feines Spiel ablieferte, überließ die Agenden der Spielgestaltung nun vermehrt Rafael van der Vaart und agierte selbst als Quarterback in der Spieleröffnung. Außerdem hatten Balle und Lennon die Seiten gewechselt. Und Tottenham blieb auch nach den diversen Umstellungen weiterhin spielbestimmend.

Bis zur Auswechslung von Van der Vaart eine Viertelstunde vor Schluss. Der Holländer musste angeschlagen das Spiel verlassen, für ihn kam Peter Crouch – wodurch Modric in ein Dilemma kam. Blieb er seiner etwas tiefer stehenden Position treu, gab es kein offensives Mittelfeld mehr. Ging er nach vorne in die von Van der Vaart ausgefüllte Rolle, war dahinter mehr Platz. Somit ergab sich nun für die drei United-Spieler in der Mittelfeldzentrale aber wieder mehr Platz, der sofort ausgenützt wurde. Ehe sich der zuvor für Keane eingewechselte Pavlyuchenko etwas fallen ließ, um Modric entgegen zu kommen, hatte Manchester das Spiel wieder an sich gerissen.

Und kurz darauf durch Nanis kuriosen Treffer zum 2:0 endgültig für sich entschieden. Tottenham-Goalie Gomes hatte fälschlicherweise angenommen, es gäbe Freistoß für ihn (wegen eines vorangegenen klaren Handspiels von Nani) und legte sich den Ball dafür zurecht. Ehe Nani merkte, dass von Referee Clattenburg kein Freistoß angezeigt war – und den bereit liegenden Ball ins Tor schoss. Ein äußerst seltsamer Moment, in dem Gomes die Übersicht verloren hatte. Ehe sich die Tottenham-Spieler beruhigt hatten, vergingen beinahe drei Minuten.

Die Nerven konnten die Spurs allerdings nicht mehr zurückerlangen. Durchaus verständlich, denn das Spiel war mit dem 0:2 natürlich entschieden. Aber: Keine Legendenbildung, bitte! United war 1:0 vorne und hatte das Spiel nach dem Van-der-Vaart-Austausch gerade wieder in den Griff bekommen. Das kuriose Tor machte nur den Deckel auf eine fast schon entschiedene Partie drauf.

Fazit: Duell um den Mittelkreis bestimmt Spielverlauf

Und die Entscheidung über Sieg und Niederlage in diesem Spiel fiel auch nicht in erster Linie durch ein seltsames Tor kurz vor Schluss, sondern ganz eindeutig im Mittelfeldzentrum. Hier kämpften die beiden Teams 85 Minuten lang um Überzahl und Vorherrschaft. Und die Kräfteverhältnisse im Spiel waren immer gekoppelt an die Kräfteverhältnisse im Mittelkreis. Bis zum 1:0 mit Vorteilen für United, danach (wegen der etwas zurückgezogeneren Rolle von Van der Vaart) für die Spurs, ehe Ferguson nach etwa einer Stunde reagierte. Und dennoch bekam United das Spiel erst wieder in die Hand, als Van der Vaart verletzungsbedingt ausgetauscht werden musste und in der Mittelfeldzentrale wieder Überzahl für United herrschte.

So war es im Endeffekt eine ausgeglichene Partie, in der Manchester aber immer den Vorteil des Spielstandes auf seiner Seite hatte. Mit dem 1:0 aus einer Standardsituation konnte United ohne allzu schlechtes Gewissen in der Folge etwas tiefer stehen und auf die Spurs-Angriffe reagieren – die zwar durchaus ordentlich aufgezogen waren, aber den letzten Pass vor das Tor vermissen ließen. Darum geht der Sieg für Manchester auch in Ordnung.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.