Day 12 / B – Angst vorm Gewinnen

Südafrika 2010 – Tag 12 – Gruppe B | „Ich hab Angst“ – und zwar vorm Gewinnen. Das war den drei Beteiligten im Kampf um Platz zwei deutlich anzumerken: Die Griechen, die ein 0:2 verwalteten. Die Nigerianer, die beste Chancen vergaben. Und die Koreaner, die sich letztlich ins Achtelfinale zitterten.

Argentinien – Griechenland 2:0 (0:0)

Argentinien - Griechenland 2:0

Für die de facto schon als Gruppensiege feststehenden Argentinier war es ein Testspiel – Maradona konnte einige Reservisten einsetzen. Etwa Bolatti (statt Mascherano), Clemete Rodríguez (links hinten statt Heinze), Otamendi (rechts hinten statt des gesperrten Jonás Gutiérrez), dazu Kun Agüero und Diego Milito statt Higuaín und Tévez; auch Di María bekam eine Pause. Argentinien spielte in einem 4-3-3, mit Bolatti im Zentrum, Messi kam eher von der rechten Flanke. „Eher“ deswegen, weil die Gauchos die Flanken eigentlich behandelt haben wie eine verbotene Zone – alles, alles, wirklich alles drängte sich gegen die vielbeinige griechische Defensive in die Mitte. Die Hellenen hatten so nicht die geringste Mühe, das zu verteidigen.

Rehhagel schickte seine Mannschaft, wie schon zu Beginn gegen Nigeria, mit einem 3-4-2-1 auf das Feld – diesmal mit Samaras als Ein-Mann-Team jenseits der Mittellinie; Karagounis und Katsouranis nominell dahinter, Vyntra rechts und Torosidis links; dazu Papastathopoulos und Tziolis im Zentrum gemeinsam gegen Messi. Der argentinische Zehner bekam ordentlich auf die Socken, um ihn nur ja nicht ins Spiel kommen zu lassen. Ansonsten schafften es die Griechen, dass sich die Argetinier auf den Füßen standen – Verón und Bolatti, Agüero und Milito. Das Resultat: Ballbesitz ohne Ende (und IV Burdisso musste die komplette erste Hälfte in keinen einzigen Zweikampf), aber erschreckend wenig Produktives. Sehr viel dämlicher kann man gegen eine Dreierkette eigentlich nicht spielen.

In der argentinischen Kabine muss dann jemand ein Machtwort gesprochen haben, denn das Spiel der Gauchos wurde nach dem Seitenwechsel deutlich breiter. Clemente Rodríguez und sogar dem gelernte Innenverteidiger Nicolás Otamendi gelang es nun, die Präsenz auf den Flanken zu erhöhen – alleine, das Tempo fehlte. So rückten Torosidis und Vyntra schnell zurück. Messi ließ sich nun oft sogar hinter Verón zurückfallen, holte sich die Bälle von hinten, aber es fehlte ihm im Mittelfeld an tauglichen Partnern zum Doppelpass. Dass es einen Eckball brauchte, um die Griechen zu bestrafen, überrascht ob des mangelnden Tempos und der spielerischen Armut, welche die Albicelete erstaunlicherweise offenbarten, nicht.

Gut, für die Argentinier ging es um nichts mehr, insofern können sie diese uninspirierte Leistung wegstecken. Dass allerdings die Grichen, obwohl sie ob des Zwischenstandes in der Parallelpartie zum Siegen verdammt waren, vom Defensivkonzept zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise abrückten, ist eigentilch ein Skandal und einer WM nicht würdig. Samaras war von der ersten bis zur letzten Sekunde in der gegnerischen Hälfte komplett auf sich alleine gestellt, der junge Ninis war kaum mehr als moralische Unterstützung – weil die beiden anderen Neuen, Patsatzoglou und Spiropoulos, immer noch die Defensive verstärken sollten. Das ist umso trauriger, weil die Griechen ja gegen Nigeria gezeigt haben, was für einen wunderbaren Offensivfußball sie zeigen können, wenn sie denn nur wollten.

Fazit: Die Argentinier spielten es in der ersten Hälfte zu viel über die Mitte, in der zweiten immer noch mit zu wenig Tempo. Von den neuen konnte sich nur Clemente Rodríguez aufdrängen. Dass die Griechen selbst dann noch auf Halten spielten, als sie schon dringend gewinnen mussten, ist extrem enttäuschend und so geht die Niederlage und das Turnier-Aus absolut in Ordnung.

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Nigeria – Südkorea 2:2 (1:1)

Nigeria - Südkorea 2:2

Die Koreaner (bei denen Cha wieder für Oh als RV zurückkam) hätten auf Halten spielen können, ihnen hätte eine Punkteteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Weiterkommen gereicht – alleine, zwei schlimme individuelle Schnitzer ließen dieses Vorhaben schnell scheitern. Lee Young-Pyo (der im erstern Spiel schon Schwächen offenbarte, die von den Argentiniern erstaunlicherweise ungenützt blieben) ließ eine Flanke von Odiah zu, die nie hätte kommen dürfen, und Cha verlor in der Mitte den Zweikampf gegen Uche, den er nie hätte verlieren dürfen, kläglich. Und schon stand’s 1:0 für Nigeria.

Die Afrikaner waren an vier Positionen verändert (der gelernte IV Afolabi links hinten für Taiwo, Ayila für Haruna im DM, Obasi zurück für den gesperrten Kaita im RM, und der alte Kanu statt Odemwingie vorne), blieb aber bei seinem 4-4-1-1. Die Führung gab den Nigerianern sichtlich Aufwind, und die Koreaner schafften es nicht, aus dem Spiel heraus die gut stehenden Gegner auszuspielen. Etuhu und Ayila machten die Mitte gut (und robust) zu und Park Ji-Sung wurde auf links so gut in Schach gehalten, dass er immer wieder in die Mitte oder gar nach rechts auswich. Zudem traute sich Lee Young-Pyo nach seinem Fehler einige Zeit nicht mehr nach vorne, weil er nicht von Odiah und Obasi weiterhin überlaufen werden wollte. Auch RV Cha nagte an seinem Fehler und brauchte einige Zeit, sich freizuschwimmen. So drängte das Spiel der Koreaner immer mehr in die Mitte, wo nicht viel Platz war. Viel zu selten versuchten sie es gegen die eher unbeweglichen Yobo und vor allem Shittu in der IV mit Tempo. Chancen gab’s nur aus Standards, da wurden jedoch erstaunliche Schwächen bei den Nigerianern sichtbar. Die schließlich auch zum 1:1 führten.

Bei Nigeria ging viel über die schnellen Außen Obasi und Uche, sie verzettelten sich nur, wenn es über die Mitte mit Bremsklotz Kanu ging. Er verschleppte das dringend notwendige Tempo immer wieder, sodass Aiyegbeni vorne nicht viele Bälle sah, die er von Kanu in sinnvollem Zustand aufbereitet bekam. Kein Wunder also, dass Kanu nach einer Stunde mit Martins einer zweiten echten Sturmspitze weichen musste – was natürlich auch daran lag, dass Südkorea mittlerweile durch eine weitere Standardsituation mit 2:1 in Führung gegangen war.

Koreas Teamchef Huh nahm daraufhin mit Yeom seinen zentralen Offensivspieler hinaus und brachte dafür den Sechser Kim Nam-Il – absichern war angesagt. Durch die Ausgangspotition (Korea reicht ein Remis, Nigeria muss gewinnen) waren es nun natürlich die Afrikaner, die sich daran machten, das Spiel nach vorne zu tragen. Durchaus mit einigem Erfolg, denn die Außenverteidiger Lee und vor allem Cha machten einen sichtlich schwachen Eindruck. Vor dem Tausenprozenter etwa, den Aiyegbeni zwei Minuten vor seinem Elfmetertor zum 2:2 aus einem Meter am Tor vorbeischob, schlief Cha zum wiederholten Male. Erstaunlicherweise war es neben Cha und Lee Young-Pyo noch ein dritter absoluter Routinier, der das völlig sinnlose Elferfoul beging: Wie die beiden Außen war auch Kim Nam-Il schon vor acht Jahren dabei, als es ins Semfinale ging.

Doch auch auf der anderen Seite schwamm die Defensive fleißig. In der Halbzeit war Afolabi für Yobo ins Zentrum gerückt, dafür der eingewechselte Echéjilé nach rechts gegangen – und bis auf den recht sicheren Neuen hatte da hinten keiner echtes WM-Format. Den Koreanern fehlte es allerdings an der Klasse, diese großen Schwächen auszunützen. Genau diese fehlte aber auch den Nigerianern, die in einer nicht besonders hochklassigen, aber dramatischen und spannenden Schlussphase diverse Chancen zum Sieg, und damit zum Achtelfinaleinzug, liegen ließen.

Fazit: Die Koreaner nützten erneut zwei Standards für die Tore, hatten aber extremes Glück, dass die Nigerianer vor dem Tor einfach viel zu viele Torchancen leichtfertig verballerten. Nigeria hätte dank der mit Abstand besten Turnierleistung den Sieg gegen zu harmlose Koreaner verdient gehabt, diesen allerdings selbst verspielt.

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Das war die Gruppe B: Favorit Argentinien war mit der schwachen Konkurrenz doch ein wenig unterfordert – zwei gute (aber nicht überragende) und eine mäßige Leistung reichten zu drei ungefährdeten Siegen. Und das, obwohl Messi zwar bemüht war, ihm aber noch nichts wirklich außergewöhnliches gelungen ist. Was diese Argentinier leisten können, wenn sie gegen eine Weltklassemannschaft spielt, lässt sich absolut noch nicht abschätzen, aber der taktisch schwache bis dämliche Auftritt gegen die Griechen könnte ein Indikator dafür sein, dass noch nicht alles Gold ist, was glänzt.

Die Konkurrenz lieferte sich ein Scheckenrennen um den zweiten Gruppenplatz. Am Ende schaffte es, wie von vielen erwartet worden war, die Mannschaft aus Südkorea – allerdings weniger wegen der eigenen Stärke, sondern eher, weil die anderen beiden noch blinder waren. Man darf nicht vergessen, wie die Tore fielen: Drei Freistöße, zwei derbe Abwehrfehler der Gegner. Aus dem Spiel heraus? Naja. Im Achtelfinale gegen Uruguay ist das Team so der krasse Außenseiter. Das Pech von Nigeria war es, zum einen gegen die Griechen einen saublöden Ausschluss hinnehmen zu müssen und dann zum anderen gegen die Koreaner die besten Chancen zu vernebeln. Lars Lagerbäck verpasste dem Team die Struktur, die beim Afrikacup gefehlt hatte, das Aus hat man sich aber dennoch selbst zuzuschreiben. Unnötig war es in jedem Fall.

Unnötig war mit absoluter Sicherheit auch der Auftritt von Griechenland. Zwar zeigten die Hellenen gegen Nigeria, dass sie schönen Offensivfußball zeigen könnten, aber die Spiele gegen Südkorea und Argentinien waren gerpägt von übervollen Hosen und einer Feigheit, die jeder Beschreibung spottet. Nicht einmal, als das Team gegen echt nicht besonders motivierte Gauchos unbedingt gewinnen musste, wurde am Defensivkonzept gerüttelt. Ein Glück, dass diese Maßnahmen nicht auch noch belohnt wurden – zumindest versuchen hätte man es können.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.