Libero plus Viererkette

WM-SERIE, Teil 2: GRIECHENLAND | Viele sehen den EM-Titel von 2004 immer noch als großen Irrtum der Geschichte. Doch so schrecklich die Atombunker-Taktik auch anzusehen ist: Mit Otto Rehhagel erreichten die Hellenen drei von vier Endrunden!

Die Götter sind in die Jahre gekommen. Fünfeinhalb Jahre nach dem sensationellen Erfolg bei der EM in Portugal sind aus der damaligen Mannschaft von Ottos Maurermeistern nicht mehr viele übrig – fünf Feldspieler (Final-Torschütze Charisteas, dazu Karagounis, Katsouranis, Basinas und Seitaridis) und der Ersatztorwart, Kostas Chalkias. Was auch heißt: Die Spielanlage ist ähnlich, das Personal aber ein anderes.

Ja, die Mannschaft der Griechen ist immer noch nicht der jüngsten eine. Aber man fiel nicht in ein Loch, als die alten Haudegen wie Zagorakis und Dellas aufhörten. Neue Spieler füllten ihre Positionen aus. Und auch wenn der Nimbus des Europameisters selbst im eigenen Land schon längst verblasst ist – zum Playoff-Heimspiel gegen die Ukraine war das Olympiastadion in Athen nicht einmal halbvoll – hat sich die harmlose graue Maus zu einem Stammgast bei Endrunden-Turnieren entwickelt. Als Rehhagel kam, war der Zug nach Japan und Südkorea 2002 schon abgefahren, aber für die Europameisterschaften 2004 und 2008 gelang die souveräne Qualifikation, für die WM 2006 blieben die Griechen knapp in einer schweren Gruppe hängen – und jetzt wurde das Ticket für das nächste Großereignis gelöst. Das kann kein Zufall sein.

Rehhagel verpasste seiner Mannschaft neben dem in seiner Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Teamgeist nämlich auch eine Philosophie, die zwar nicht besonders attraktiv ist, aber den gewünschten Erfolg zeitigt. Er hat eine Vielzahl von guten Defensiv-Spielern zur Verfügung, einige gefährliche Stürmer, aber kein tempohartes Mittelfeld, das ein Spiel vor allem gegen gleichwertige oder bessere Gegner aufziehen könnte. Also lässt er eine klassische Vierer-Abwehrkette auflaufen – und drückt, damit es innen so richtig eng wird, noch einen klassischen, eigentlich völlig anachronistischen Libero hinein. In der abgelaufenen WM-Qualifikation jedoch nicht mit übermäßig großem Erfolg: In den letzten sieben der zehn Gruppenspielen blieb die Mannschaft kein einziges Mal ohne Gegentor. Erst gegen die ukrainische One-Man-Show von Andriy Shevchenko hielt das massive Zentrum wieder dicht.

Nein, in Wahrheit verdankt Griechenland die Erfolgreiche Quali für das Turnier in Südafrika anderen Spielern als denen seiner Defensiv-Abteilung. Auch nicht dem Strafraumstürmer Charisteas, der bei Standardsituationen so gefährlich ist. Der entscheidende Faktor waren die blitzschnellen Konterstürmer. Allen voran Theofanis Gekas, der auf diese Art und Weise 2007 immerhin Torschützenkönig in der deutschen Bundesliga wurde – mit Abstiegskandidat Bochum. So kommt das griechische Spiel mit zwei echten Mittelfeldspielern aus: Karagounis und Katsouranis; Basinas noch als defensivere Variante. Die Außenpositionen im Mittelfeld werden nämlich von schnellen Spielern besetzt, von gelernten Stürmern – wie Salpingidis, der im Playoff das entscheidende Tor erzielte, und Samaras. Und vorne steht dann, je nach Gegner, entweder Sprinter Gekas oder Strafraumspieler Charisteas.

Im Ballbesitz wird so aus dem ultra-defensiven 5-4-1 schnell ein flottes 3-4-3. Mit Erfolg: Dem 0:0 gegen die Ukraine ausgenommen, schossen die Hellenen nur in einem einzigen Spiel kein Tor. Anders als in der Vergangenheit, wo man sich vor der Offensive nicht fürchten musste, sondern „nur“ einen Weg durch die massive Hintermannschaft finden musste (was 2004 keinem so wirklich gelang, 2008 dann dafür jedem), muss man sich nun eher damit auseinander setzen, wie man die oft brandgefährlichen Konter unterbindet, oder zumindest entschärft.

Natürlich profitierten die Griechen diesmal auch von der verhältnismäßig leichten Gruppe und von einem biederen und einfallslosen Gegner im Playoff. Ohne Zweifel, die Griechen sind wirklich keine Übermannschaft und das Erreichen der Endrunde ist schon als Erfolg zu werten. Niemand erwartet Wunderdinge von den Hellenen. Aber die Mannschaft wird nicht nur für sich selbst spielen; die (zumindest) drei Spiele, die der Europameister von 2004 in Südafrika absolvieren wird, dürften auch der letzte große Auftritt von Otto Rehhagel sein. Dem mittlerweile 71-jährigen Deutschen, der in seinen mittlerweile 100 Länderspielen auf der griechischen Bank mehr erreicht hat, als ihm jemals irgend jemand zugetraut hätte, winkt nach Südafrika die Fußballpension.

Mit Rehhagels wahrscheinlichem Abtreten nach der Endrunde ist es also wie mit einem Kreis, der sich schließt. Das Nationalteam war in Griechenland vor Rehhagels Ankunft ein Anhängsel, das halt da war. Eine ordentliche, aber keine überragende Mannschaft im europäischen Vergleich – das wird sich auch nach Rehhagel nicht ändern. Ob der Erfolg bleibt? Mal sehen. Doch bevor es nach der WM zum Schnitt kommt, steht ja noch die Endrunde in Südafrika auf dem Programm, und man kommt nicht umhin, den Griechen Losglück zu unterstellen. In ihrer Gruppe spielen neben den pfeilschnellen, aber zu sehr an einzelnen Spielern hängenden Südkoreanern noch zwei alte Bekannte der Griechen: Die unberechenbaren Nigerianer, und die Argentinier, die aktuell von deren Teamchef Maradona erfolgreich zugrunde gerichtet wurden – wie bei der WM 1994. Damals schieden die Griechen, bei ihrer einzigen Endrunden-Teilnahme bislang, punkt- und torlos in der Vorrunde aus. Dennoch: In dieser Gruppe ist der Einzug ins Achtelfinale diesmal sicherlich möglich. Dort würde womöglich Frankreich warten.

Tja, und die Franzosen waren auch 2004 in Portugal der erste Gegner nach knapp überstandener Gruppenphase. Kreise schließen sich eben tatsächlich immer wieder.

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GRIECHENLAND
ganz in weiß, adidas – Platzierung im ELO-Ranking: 23.

Gruppenspiele in Südafrika:
Südkorea (Mittagsspiel Sa 12/06 in Port Elizabeth)
Nigeria (Nachmittagsspiel Do 17/06 in Bloemfontein)
Argentinien (Abendspiel Di 22/06 in Polokwane)
eventuelles Achtelfinale gegen ein Team der Gruppe RSA/FRA/MEX/URU

TEAM: Tor: Kostas Chalkias (36, Paok Saloniki), Michael Sifakis (25, Aris Saloniki), Alexandros Tzorvas (27, Panathinaikos). Abwehr: Sotirios Kyrgiakos (30, Liverpool), Vangelis Moras (28, Bologna), Avraam Papadopoulos (26, Olymipakos), Sokratis Papastathopoulos (22, Genoa), Giourkas Seitaridis (29, Panathinaikos), Nikos Spiropoulos (27, Panathinaikos), Vasilis Torosidis (25, Olympiakos), Loukas Vyntra (29, Panathinaikos). Mittelfeld: Angelos Basinas (34, Portsmouth), Georgios Karagounis (33, Panathinaikos), Kostas Katsouranis (31, Panathinaikos), Grigoris Makos (23, AEK Athen), Sotirios Ninis (20, Panathinaikos), Christos Patsatzoglou (31, Omonia Nicosia/Cyp), Vasilis Pliatsikas (22, Schalke). Angriff: Ioannis Amanatidis (28, Frankfurt), Angelos Charisteas (30, Nürnberg), Theofanis Gekas (30, Leverkusen), Dimitris Salpingidis (28, Panathinaikos), Georgios Samaras (25, Celtic).

Teamchef: Otto Rehhagel (71, Deutscher, seit August 2001)

Qualifikation: 3:0 in Luxemburg, 2:0 in Lettland, 3:0 gegen Moldawien, 1:2 gegen die Schweiz, 1:1 in und 2:1 gegen Israel, 0:2 in der Schweiz, 1:1 in Moldawien, 5:2 gegen Lettland und 2:1 gegen Luxemburg. Im Playoff 0:0 gegen und 1:0 in der Ukraine.

Endrundenteilnahmen: 1 (1994, Vorrunde)

>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Elfenbeinküste, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile

* Anm.: Die Platzierungen im ELO-Ranking beziehen sich auf den Zeitpunkt der Auslosung.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.