England blamiert sich – das Vorrunden-Aus droht

So schön hatte ich das geplant. England wird laut Papierform Gruppenzweiter, spielt im Viertelfinale gegen Deutschland, und ich kann eine schöne Build-up-Story dafür mit einem Rückblick auf das Finale vor vier Jahren machen. Das hat Deutschland gegen England gewonnen. Der Gedanke landet auf dem Misthaufen. Dieses Viertelfinale wird nicht stattfinden. Der noch amtierende Vize-Europameister ist schon nach dem ersten Spiel mit einem Bein im Vorrunden-Aus.

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Die einen haben sich mit einem Glückstor in der 123. Minute des Rückspiels im Play-Off gegen Schottland überhaupt erst qualifiziert. Die anderen waren bei der letzten EM im Finale, bei der letzten WM im Viertelfinale erst im Elferschießen unterlegen, genauso wie im olympischen Turnier. Dass England gegen Frauenfußball-Mittelständler Spanien Probleme hat, war nicht zu erwarten. Dass es eine sogar verdiente 2:3-Niederlage wurde, schon gar nicht.

Das Problem, dass England jetzt hat: Der Gruppensieg gegenüber Frankreich war von vornherein kaum denkbar. Nun ist aber, dem Direktvergleich sei Dank, auch der zweite Gruppenplatz so gut wie futsch. Denn dass Spanien gegen Russland – der Österreich-Bezwinger verlor gegen Frankreich 1:3 – etwas liegen lassen wird, ist nach der starken Vorstellung gegen England eher nicht anzunehmen. Bleibt der Weg über die zwei besten Gruppendritten, die auch ins Viertelfinale kommen. Nur: In den anderen Gruppen haben die Kandidaten darauf schon gepunktet.

Das bedeutet:: Gegen Russland muss gewonnen werden, und dann vermutlich immer noch ein Punkt gegen Frankreich her. Sonst ist mit England schon gleich ein ziemlich prominenter Name im Quartett, dass nach der Vorrunde heimfliegen muss.

Klare Zuordnung hinten, Chaos im Zentrum

England - Spanien 2:3 (1:1)
England – Spanien 2:3 (1:1)

Zwei Aspekte waren am englischen Spiel bemerkenswert. Zum einen, dass es eine klare Zuordnung bei den Außenverteidigern gab: Von Haus aus spielt Houghton links und Alex Scott rechts. Als aber die spanischen Flügelstürmerinnen nach zehn Minuten ihre Seiten tauschten, tauschten Houghton und Scott die Seiten mit. Fünf Minuten später war bei Spanien alles wieder beim Alten, England switchte auch wieder zurück. Sieht man auch selten.

Noch bedeutsamer für das Spiel war aber das totale Chaos im Zentrum. Asante, Williams und Jill Scott schienen alles einfach nur irgendwie zu machen. Ich habe 90 Minute versucht, da ein System dahinter zu erkennen, ich bin 90 Minuten daran gescheitert. Da war Williams mal ganz hinten, dann wieder vorderste Spitze. Jill Scott verschob viel horizontal, war zumeist die vorderste aus dem Trio. Asante war tendenziell eher hinten, aber auch das nicht immer.

Spanien mit einer interessanten Variante

Durch das etwas wirre Positionsspiel des Trios boten sich gerade im Zentrum immer wieder Räume, die Spanien bearbeiten konnte. Wie überhaupt Spanien mit einer interessanten System-Variante daherkam: Was als 4-4-2 angekündigt war und zu Beginn aussah, wie ein 4-2-4, entpuppte sich nach und nach immer mehr als gefinkelte Variante eines 4-2-3-1.

Hermoso ließ sich zentral oft etwas zurückfallen, wodurch sich eine Art Raute vor den beiden Sechsern ergab. So konnte sie das zuweilen offene Zentrum so bearbeiten, dass sie von hinten heraus anspielbar war und das Offensiv-Quartett ins Spiel kam. Die Spieleröffnung kam eher aus dem DM als aus der Innenverteidigung, wo vor allem Irene Paredes den Ball zumeist nur blind rausdrosch – kein Risiko, war die Devise. Sie kann auch anders.

Hier schön zu erkennen: Vor den beiden Sechsern bildet sich eine Offensiv-Raute
Hier schön zu erkennen: Vor den beiden Sechsern bildet sich eine Offensiv-Raute

England fitter, Spanien gefährlicher

So um die 60. Minute herum baute Spanien – technisch haushoch überlegen, inhaltlich auch besser – körperlich rapide ab. Im Grunde konnte vorne nur noch Veronica Boquete umrühren, während sich England aufgrund der besseren Physis mehr Spielanteile erarbeitete. Allerdings konnten diese nicht in Tore umgemünzt werden. Spanien blieb sogar deutlich gefährlicher. Allerdings, wie schon tags zuvor Island, schien man vor dem Strafraum oft ein wenig Angst vor der eigenen Courage zu haben.

Spanien fand das Ergebnis lustig. Fara Williams weniger.
Spanien fand das Ergebnis lustig. Fara Williams weniger.

Als Hermoso dann in Minute 85 aus einer schlecht verteidigten Ecke das 2:1 für Spanien erzielte, schien die Entscheidung gefallen. Doch Spanien gab den Gefallen in der 89. Minute zurück und vergaß bei einem Eckball völlig die am zweiten Pfosten stehende Bassett – 2:2. Praktisch mit dem Schlusspfiff fuhr England-Goalie Bardsley bei einer Flanke – bedrängt von der eingewechselten Putellas – mit den Fäusten daneben. Sie bekam die Kugel auf den Kopf und die hüpfte von dort ins Tor.

Nach ein paar Überraschungen nun die Sensation

Mit Schweden, Italien, Norwegen und Deutschland haben im ersten Gruppendurchgang vier höher als der jeweilige Gegner gesetzte Team nicht gewonnen, was schon überraschend ist. Der spanische Sieg – dass der verdient war, räumte sogar Hope Powell nach dem Spiel ein – ist aber schon eine kleine Sensation. „Das könnte ein Vorher-Nachher-Moment im spanischen Frauenfußball sein“, freute sich Teamchef Ignacio Quereda, der diesen Posten seit bereits 24 Jahren inne hat.

Mit Nago und Putellas spielten zwei spanische England-Bezwinger letztes Jahr im U-19-EM-Finale
Mit Nago und Putellas spielten zwei spanische England-Bezwinger letztes Jahr im U-19-EM-Finale

Er kann nun nun, dank des Tores seiner U-19-Vize-Europameisterin Putellas, das Viertelfinale im Grunde schon als erreicht betrachten. Spannend wird sein, wie Hope Powell ihr Team nach der zweiten Niederlage in Serie (vor der EM gab’s ein 1:4 gegen Schweden, bei dem man hergespielt wurde) aufrichtet. Und ob sie einen Plan vermittelt, der über den Aspekt „überlegene Physis“ hinausgeht. Der war nämlich gegen Spanien nie erkennbar – dass eine Kelly Smith verletzt nicht dabei war, kann dafür keine Entschuldigung sein.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.