Österreich 3, Polen 1: Die EM-Pflicht mühevoll erfüllt

Zwar hat sich das ÖFB-Team im zweiten EM-Gruppenspiel das Leben zwischenzeitlich selbst schwer gemacht. Mit dem letztlich verdienten 3:1-Sieg über Polen in Berlin ist aber der Pflichtsieg eingefahren worden, der im Kampf um den Achtelfinal-Einzug auch zwingend nötig war. Nach einer Stunde kippte das zuvor ausgeglichene Match in Richtung Österreich – auch dank Christoph Baumgartner, der auf ungewohnter Position vor der Pause nicht zur Geltung gekommen war.

Österreich – Polen 3:1 (1:1)

„Die Österreicher sind am Besten, wenn sie den Ball nicht haben“, gab Polens Torhüter Wojciech Szczęsny am Tag vor dem Spiel wissend zu Protokoll. Spätestens da musste klar sein, wie es die Polen anlegen: Nicht von Österreich anpressen lassen, sondern die Österreicher dazu zwingen, Lösungen im Angriffsdrittel zu finden. Polens Star-Stürmer Robert Lewandowski war nach seinem Muskelfaserriss im Kader, aber noch nicht in der Startformation.

Polen überlässt Österreich den Ball

Polens Teamchef Michał Probierz setzte also in jenes 5-3-2, das er schon bei der knappen Niederlage gegen die Niederlande spielen gelassen hat, stellte die Fünferkette mal hinten rein und ließ die Österreicher machen. Ralf Rangnick ließ Christoph Baumgartner nicht auf der Zehn, sondern auf der rechten Außenbahn spielen und stellte dafür Laimer ins offensive Zentrum. Mutmaßlich war die Idee, dass Baumgartner mit Läufen zwischen die polnischen Ketten ins Zentrum gefährlicher werden kann als durch das Zentrum, das die Polen zu schließen suchten.

In der Tat machten die Polen das mit den drei Mittelfeld-Leuten vor der Fünferkette gar nicht mal so gut. Zieliński war als halbrechter Achter bei Polen sehr auf das Zentrum orientiert, wodurch sich zwischen bzw. neben ihm und der Abwehrkette riesige Räume ergaben. Phillip Mwene konnte diese nach Lust und Laune bespielen, letztlich fiel über diese Seite auch das frühe 1:0 durch den aufgerückten Gernot Trauner.

Auch Österreich spielt es nicht optimal

Aber auch die Österreicher waren nicht besonders gut darin, die sich bietenden Löcher zwischen polnischer Fünfer-Abwehr und der defensiv alles andere als disziplinerten Dreierkette davor zu bespielen. Grillitsch bot sich hier oft an, wurde von Mwene (der vornehmlich Augen für Sabitzer hatte) und Sabitzer (der eher selbst Richtung Grundlinie zog) konsequent ignoriert.

Wenn Zieliński, Slisz und Piotrowski aufrückten, schob die Abwehrkette zumeist nicht nach, hier deutete Laimer seinen Mitspielern nicht nur einmal ebenso gestenreich wie vergeblich, dass sich hier ein Pass auf ihn in diesem Loch anbieten würde. Das ÖFB-Team wurde aber vor allem dann gefährlich, wenn man Laufwege in diesen Raum zwischen den polnischen Ketten startete, wie es etwa Arnautovic in der 23. Minute gemacht hat. Der Abschluss wurde in dieser Situation zwar wegen Abseits zurückgepfiffen, aber die Szene zeigte, was möglich gewesen wäre.

Rückzug wird bestraft

Nach etwa 15 bis 20 Minuten zog sich Österreich, auch mit der Führung im Rücken, deutlich zurück. Die offensive Dreierreihe im Mittelfeld stellte das Pressing ein. Zunächst lief Seiwald nochmal nach vorne durch, um die polnische Eröffnung zu behindern, dann auch das nicht mehr. Aus kontrolliertem Rückzug, um nach der intensiven Startphase Luft zu holen und die Polen zu locken, wurde immer mehr Passivität. Aus stabiler Defensivarbeit wurde zunehmend Zuschauen, Polen selbst vor dem österreichischen Sechzehner nicht mehr behindert. Und nach einer halben Stunde schlug es folgerichtig ein, Piątek staubte zum 1:1 ab.

In der Folge beschränkte sich der Druck der Polen darauf, dass Zieliński und Piotrowski die österreichischen Sechser anliefen, wenn diese den Ball bekamen; ein großes Interesse am Nachsetzen war den Polen nach dem 1:1 aber nicht anzusehen. So konnte Österreich den Ball sichern, um das Tempo rauszu nehmen und wieder ein wenig zu sich zu finden – ohne allerdings gezielt auf eine rasche Antwort zu gehen. Nur nicht blind in die polnische Falle tappen, sondern sich in Ruhe sammeln. Und in der einen Szene, als man die Polen nach einem vermeintlich Foul unaufmerksam erwischte, traf Baumgartner beim letzten Pass die falsche Entscheidung. Dafür parierte Pentz kurz vor dem Oausenofiff einen polnischen Freistoß stark.

Rangnick stellt für die zweite Halbzeit um

Wie überhaupt Baumgartner auf der rechten Seite überhaupt nicht zur Geltung gekommen ist und sich gleichzeitig Laimer im Zehnerraum eher erfolglos aufrieb. Diese Problemstellen versuchte Rangnick in der Halbzeit nicht nur mit einer ausgedehnten Motivationsrede für Baumgartner zu beheben, sondern auch mit personellen Umstellungen. Grillitsch ging raus, dafür kam Wimmer neu für die rechte Seite, Baumgartner ging auf die Zehn und Laimer statt Grillitsch auf die Acht. Bei allen Qualitäten, die Laimer hat: Er ist keiner, der wie Baumgartner den direkten Laufweg zum Tor sucht.

Gleichzeitig schob Österreich als Ganzes wieder weiter nach vorne und ging die polnische Eröffnung an, vor allem wenn der Ball auf die Außenverteidiger ging. Dabei wurden aber im Rückraum nicht immer die optimalen Absicherungsstrukturen hergestellt, wodurch Polen immer wieder Räume hinter der vorderen Pressingwelle fand und sich ein offener Schlagabtausch entwickelte, dem es wegen der damit einhergehenden vielen Fouls an Spielfluss mangelte.

Das Spiel kippt in Richtung Österreich

In welche Richtung das Spiel kippen würde, war noch nicht abzusehen, als nach einer Stunde Lewandowski bei Polen kam und Prass statt Mwene bei Österreich. Der polnische Stürmer holte sich für seinen ausgefahrenen Ellbogen in die Schläfe von Lienhart sofort die gelbe Karte ab, Prass führte sich konstruktiver ein: Nach einem Seitenwechsel auf ihn hatte er freie Bahn nach vorne, sein perfekter Pass wurde von Arnautovic auf den nun eben in der Mitte postierten Baumgartner durchgelassen und dieser verwertete zum 2:1 in der 66. Minute.

Wiederum zog sich Österreich nach der Führung ein wenig zurück, im Unterschied zur ersten Hälfte wurde nun aber die Intensität im Spiel gegen den Ball hochgehalten. Die Polen konnten sich eben nicht in Ruhe um den österreichischen Strafraum festspielen, sondern wurden geärgert, in Zweikämpfe verwickelt und kamen in keinen Rhythmus. Gleichzeitig boten sich Österreich nun Räume im Gegenstoß, einen davon nützte Sabitzer, um gegen Szczęsny einen Elfmeter zu schinden.

Polens Torhüter hat Sabitzer nicht getroffen, dafür Sabitzer den Torhüter mit dem Fuß im Gesicht, dennoch beschwerte sich Szczęsny nicht einmal über die gelbe Karte. Arnautovic jedenfalls – der in der Spitze über weite Strecken des Spiels in der Luft hing, aber immer Gegenspieler aus der polnischen Abwehr binden konnte und in den entscheidenden Situationen Übersicht bewies – verwertete zum 3:1, das war die Entscheidung. Die Polen suchten zwar weiterhin den Weg zum Tor, Österreich war in Kontern dem 4:1 aber in den verbleibenden zehn Minuten näher als Polen dem 2:3.

Fazit: Aus den Fehlern der ersten Hälfte gelernt

Dass es in diesem wohl wichtigsten Vorrunden-Spiel für Österreich nicht um den spielerischen Glanz gehen würde, sondern einzig um das Ergebnis, war allen Beteiligten immer klar. Zu bekannt sind die gestalterischen Schwächen Österreichs im Angriffsdrittel und zu vorhersehbar war die Strategie der Polen, dem ÖFB-Team die Bürde des Gestaltens aufdrücken zu wollen.

Mit dem Abreißen der Intensität nach einer Viertelstunde und der in der ersten Hälfte tendenziell falschen personellen Aufteilung im offensiven Mittelfeld hat sich Österreich trotz des guten Starts mit der frühen Führung das Leben selbst schwer gemacht. Positiv ist, dass man nach dem 1:1 nicht kopflos wurde, sondern die Ruhe suchte – die allerdings von den Polen auch gewährt wurde. Bis zur erneuten Führung stand das Spiel auf des Messers Schneide, ehe sie dann doch in Richtung Österreich kippte.

Rangnicks Umstellung für die zweite Halbzeit hat Christoph Baumgartner gut getan, Wimmer war mit seinen Eins-gegen-Eins-Duellen ein belebendes Element auf der zuvor toten rechten Angriffsseite. Das 2:1 war von A (wie man Polen in die eine Seite lockte, um dann über die andere Seite Platz zu haben) bis Z (Arnautovic‘ Decoy-Laufweg und Baumgartners Abschluss) ein cleverer, perfekt vorgetragener Angriff. Überhaupt erwies sich die Hereinnahme des direkteren Prass für den verspielteren Mwene (der in der Startphase der auffälligste Österreicher war und der auch das 1:0 vorbereitet hat) als guter Griff.

Und Österreich hat den Fehler aus der ersten Halbzeit – im Rückzug nach der Führung auch die Intensität zurück zu fahren – nach dem 2:1 in der zweiten Halbzeit nicht mehr gemacht. Es war ein Arbeitssieg, und zwar ein im Ganzen durchaus verdienter und der erste bei einer EM-Runde, der nicht in der Arena Națională von Bukarest eingefahren wurde.

Dass man nach dem 0:0 im Parallelspiel zwischen Frankreich und den Niederlanden nun gegen Oranje gewinnen muss, um Gruppenzweiter zu werden, ist sicher ein kleiner Wermutstropfen. Es bleibt aber dabei, dass Österreich mit einem Remis am Dienstag wiederum in Berlin so gut wie sicher auch als Gruppendritter weiter wäre.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.