Alabas 1:0 nach 23 Sekunden brachte die Bayern im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Juventus auf die Siegerstraße – mindestens ebenso wichtig war aber die intelligente Umstellung von Heynckes, als Kroos nach einer Viertelstunde verletzt raus musste. Mit der veränderten Zuteilung kam Juventus überhaupt nicht zurecht und so gab es letztlich ein 0:2, mit dem die Italiener gar nicht so schlecht bedient sind.
Ein Fehler von Pirlo im Spiel nach vorne, ein Querpass von Schweinsteiger, ein Gewaltschuss von David Alaba – es dauerte nicht einmal eine halbe Minute, ehe die Bayern mit 1:0 in Führung lagen. Die Hauptaufgabe der Münchner war es natürlich, möglichst Andrea Pirlo aus der Partie zu nehmen – mit der frühen Führung taten sich die Bayern damit leichter, weil die Italiener dadurch gezwungen waren, selbst aufzurücken und das Zentrum nicht so verdichten konnten, wie sie das sonst gerne tun.
Juve schiebt nach vorne
Wie schon letzten Juni beim deutschen 1:2 im EM-Halbfinale gegen Italien war Toni Kroos auch diesmal dafür zuständig, die Kreise von Pirlo einzuengen. Unterschied zu damals: Bei den Bayern blieb die rechte Seite besetzt. So konnte sich Kroos an Pirlo dranhängen, ohne Angst haben zu müssen, dass die Balance im Team verloren geht.
In den Minuten nach dem 0:1 rückte Juventus tatsächlich recht hoch auf, vor allem die Wing-Backs pushten konsequent nach vorne. Der agile Lichtsteiner und die beiden Läufer im Mittelfeld, Vidal und Marchisio, versuchten Druck aufzubauen und schnell nach vorne zu kommen; dazu war Peluso links bereit, Müller zu ignorieren und ebenso nach vorne zu gehen. Der Druck auf Pirlo allerdings – hauptsächlich eben von Kroos, aber auch Schweinsteiger und der für den gesperrten Javi Martínez in die Start-Elf gerückte Luiz Gustavo – setzten dem Taktgeber zu. So sammelte Juventus in dieser Phase zwar 60 Prozent Ballbesitz, kam aber zu keinen echten Torchancen.
Kroos‘ Verletzung schadet Juve
Nach zwölf Minuten riss sich allerdings Toni Kroos ohne Fremdeinwirkung ein Muskelbündel im Adduktoren-Bereich – für den so spielintelligenten Zehner war das Spiel natürlich vorbei, für ihn kam Robben in die Partie. Dieser ging auf seine angestammte rechte Seite, während Müller ins Zentrum wechselte und die Kroos-Rolle als Pirlo-Bewacher Nummer eins übernahm. So paradox es aber klingt: Die Verletzung eines der besten Bayern-Spielers dieser so dominanten Saison schadete den Bayern deutlich weniger als Juventus.
Dank Robben kam nun nämlich sehr viel mehr Zug zur gegnerischen Grundlinie auf die rechte Bayern-Seite. Hatte Müller zuvor seine Rolle auf der Außenbahn noch kämpferischer und und auch etwas zentraler interpretiert, ging Robben gezielt in den Rücken von Peluso und blieb nahe der Seitenlinie. Oftmals nahm er auch Lahm mit, wodurch eine 2-gegen-1-Überzahl für die Bayern entstand. Das zwang wiederum Chiellini, aus der Dreierkette nach außen zu rücken.
Adjustierung auf der Robben-entfernten Seite
Genau das nützten die Münchner durch einen geschickten Schachzug auf der anderen Spielfeldseite aus. Ribéry stand nun nicht nur sehr hoch, sondern auch sehr weit innen – zuweilen beinahe als zweiter Stürmer oder als hängender Stürmer schräg hinter Mandžukić. Das bedeutete, dass sich weniger Juve-Wingback Lichtsteiner um den Franzosen zu kümmern hatte, als viel mehr mit Barzagli der rechte Mann in der Dreierkette der Turnier. Weil aber eben Chiellini auf der Robben-Seite gebraucht wurde, stand der Rest der Dreierkette nun jeweils Mann gegen Mann ohne überzähligen Spieler. Was ziemlich massive Wirkung zeigte.
Weil die linke Seite der Bianconeri unter Vollbeschäftigung litt und auf der rechten Seite Lichtsteiner oft nicht so recht wusste, ob er Ribéry nachrennen sollte oder doch lieber auf Alaba aufpasste, war nun plötzlich enorm viel Breite im Spiel der Bayern. Instinktiv wanderten dadurch auch Vidal und Marchisio zurück, womit der ungewohnt abenteuerlustige Luiz Gustavo und der wie immer sehr umsichtige Schweinsteiger viel Platz und wenig Druck hatten. Die vor allem auf die Außenspieler des Juve-Abwehrtrios gut pressenden Hausherren (Ribéry! Mandžukić!) hatten das Spiel nun komplett unter Kontrolle, verpassten es aber, die durchaus möglichen Tore zu machen.
Pirlo neutralisiert, Stürmer eher sinnlos
Hinzu kam, dass die Spezial-Aufgabe gegen Pirlo nicht das extrem präzise Gefühl für Auf- und Zurückrücken sowie für das Bespielen der Räume erfordert, wie die Kroos hat und der mehr über Kampfkraft als über Instinkt kommende Müller weniger. Im Gegenteil: Die Wadlbeißer-Qualitäten von Müller kamen in diesem Spiel im Zentrum gegen Pirlo perfekt zu Geltung, was zur Folge hatte, dass Pirlo so gut wie gar nicht zur Geltung kam.
Was Juventus ausgleichen hätte können, wenn die beiden Stürmer sich nicht gar so passiv angestellt hätten. Matri und Quagliarella waren ihrer Mannschaft nämlich überhaupt keine Hilfe. Weder pressten sie die Bayern-Innenverteidiger Dante und Van Buyten wirkungsvoll an, um ihnen die Luft in der Spieleröffnung zu nehmen. Noch ließen sie sich weit genug zurückfallen, um Schweinsteiger und Luiz Gustavo an der Gestaltung zu hindern. Die Juve-Stürmer trabten nur sinnlos zwischen den Reihen herum, bis sie nach etwa einer Stunde völlig zu Recht per Doppelwechsel vom Spielfeld mussten.
Kurz, nachdem der einmal mehr beeindruckend fleißige Mandžukić einen nur mäßig von Buffon parierten Schuss von Luiz Gustavo zu Müller querlegte und dieser aus zwei Metern mühelos das 2:0 markierte. Zwar stand Mandžukić zuvor womöglich knapp im Abseits, was aber nichts daran ändert, dass das zweite Bayern-Tor überfällig war und der Spielstand danach Juve immer noch ein wenig schmeichelte.
Umstellungen von Conte
Mit Mirko Vučinić und Sebastian Giovinco kamen nun zwei Spieler, die es gewohnt sind, als hängende Spitze zu agieren. Vor allem Vučinić stellte sich nun Luiz Gustavo deutlich williger in den Weg als Matri zuvor; zudem brachte der Montenegriner lange vermisste Direktheit und Zug zum Tor ins Spiel des italienischen Meisters. Das erforderte auch, dass Lahm wieder aufmerksamer nach hinten zu arbeiten hatte.
Eine weitere Umstellung nahm Juve-Coach Conte eine Viertelstunde vor Schluss vor, indem er Pogba statt Peluso brachte und auf ein nicht ganz ausgewogen wirkendes 4-4-2 umstellte. Das bedeutete eine diametrale Änderung von allem, wofür das 3-5-2 in Turiner Interpretation steht: Nun gab es jeweils zwei Flügelspieler, statt nur einen – in der Theorie, denn während Chiellini die Umstellung sichtlich schwer fiel und er sich nicht so recht nach vorne traute, ließ Lichtsteiner die Schnittstelle zu Barzagli durch seine hohe Positionierung weit offen.
Zudem gab es im Zentrum nun nicht mehr einen Taktgeber und zwei Laufwunder, sondern zwei Passspieler und gar keine Läufer mehr. Damit aber konnten die Bayern ihre Überzahl im Zentrum so ausspielen, dass von Pirlo und Pogba keine wirklich gewinnbringenden Pässe kamen.
Diese letzte Umstellung von Conte wirkte schon ein wenig verzweifelt und die Mannschaft wusste auch nicht so wirklich damit umzugehen. Womit sich auch am 0:2 nichts mehr änderte.
Fazit: Juve kam mit Bayern-Adjustierungen nicht klar
Juventus war drauf und dran, das Spiel in die Hand zu nehmen, als die Bayern durch Kroos‘ Verletzung zur entscheidenden Umstellung gezwungen wurden – mit der Juventus sichtlich überfordert war. Vidal und Marchisio hingen zwischen „Hinten helfen“ und „Bayern-Mittelfeld unter Druck setzen“ und machten letztlich beides nicht gut genug. Der einzige Vorwurf, den sich die Bayern gefallen lassen müssen: Nicht den durchaus möglichen und auch durchaus verdienten noch höheren Sieg geschafft zu haben.
Das Zwei-Tore-Defizit lässt gerade noch zu, dass Juventus kleine Hoffnungen haben darf. Dafür muss sich Conte aber mit Sicherheit etwas ziemlich Schräges einfallen lassen, denn mit dem gewohnten 3-5-2 kamen die Bayern gut zurecht. Zudem werden die Münchner von der untypisch italienischen Top-Stimmung in der modernen Juventus-Arena nicht so eingeschüchtert sein wie die meisten Serie-A-Teams.
Es ist also noch nicht der Deckel drauf – frag nach bei Arsenal – aber so gut wie.
(phe)