Die Gegenwehr von Kasachstan? Gleich Null! Jener Gegner, der Österreich in Astana noch mit aggressivem Spiel geärgert hatte, ließ diesmal in Wien das Treiben von Alaba, Aranautovic und Co. über sich ergehen wie Opferlämmer auf Valium. So dominierte Österreich das Spiel, zeigte deutlich mehr Zielstrebigkeit als im Hinspiel und gewann völlig ungefährdet mit 4:0. Das ÖFB-Team zeigte aber auch, dass es weiterhin viel zu tun gibt.
Pressing auf die österreichische Spieleröffnung und blitzschnelles Umschalten bei Ballgewinn? Genau auf jene beiden Aspekte, mit denen die Kasachen den Österreichern beim 0:0 in Astana das Leben so dermaßen schwer gemacht haben, verzichteten sie im Wiener Happel-Stadion völlig.
Seltsame kasachische Passivität
Was seltsam war. Denn von schnellem Umschalten abgesehen war im Aufbau bei den Kasachen schon im Hinspiel nichts los. Dieser Effekt verstärkte sich durch die ungeheuer passive Spielweise nun natürlich noch. Österreich hatte bis zu 80 Prozent Ballbesitz und musste vor dem Gegner nie auch nur die geringste Angst haben. So wurde das Spiel zu einer Übungseinheit: Wie knackt man eine Mannschaft, die nur darauf aus ist, so wenig Gegentore wie möglich zu kassieren?
Miroslav Beranek musste auf das gelbgesperrte Sturmduo Ostapenko/Nusarbajev verzichten. Statt den beiden giftigen Angreifern spielte diesmal mit Sergej Gridin als Solo-Spitze in einem 4-1-4-1. Dem Lulatsch fehlte es an jeglicher Unterstützung, er trabte auch nur über den Platz und störte die Österreicher überhaupt nicht. Genauso wie das Mittelfeld-Zentrum, das in Astana mit seiner Aggressivität noch sehr viele Impulse der Österreicher neutralisieren konnten, gefiel sich in seiner Passivität.
Mehr Balance im Spiel
Ganz anders traten da die Österreicher auf. Nominell schickte Koller wieder das gewohnte 4-2-3-1 auf das Feld, mit dem eine beinahe barceloneske Dominanz ausgeübt wurde. Die beiden Außenverteidiger Klein und Fuchs waren, wie sich das gehört, praktisch permanent in der kasachischen Hälfte unterwegs, während es im defensiven Zentrum eine klare Gewaltenteilung gab: Emanuel Pogatetz stand zumeist am Tiefsten, schräg vor ihm war Sebastian Prödl für den ersten Pass zuständig, und Veli Kavlak hielt den vor ihm postierten Alaba und Junuzovic den Rücken frei. Wiewohl es da nicht viel freizuhalten gab.
Die Spielanlage des ÖFB-Teams zeigte sich wesentlich ausbalancierter als in Astana, wo ein massiver Rechtsdrall zu erkennen war und die linke Seite praktisch komplett ignoriert wurde. Auffällig war allerdings, das praktisch nie die Bälle von tief über die Flanken nach vorne getragen wurde, sondern es eine eindeutige Schlatzentrale im Zentrum gab, von wo aus die Bälle dann verteilt wurden. Entweder eben auf Klein/Harnik rechts, auf Fuchs/Arnautovic links oder zu Junuzovic und Janko durch die Mitte.
Bärenstarker Alaba
Diese Schaltzentrale war David Alaba. Er brachte mit seiner unglaublichen Übersicht jenes ordnende Element ins Spiel, das in Astana so schmerzlich vermisst wurde. Und weil ihn Korobkin, Bogdanov und Shakmetov gewähren ließen und sich Alaba auch extrem viel und gut bewegte, konnte er recht problemlos als Kopf der Mannschaft auftreten. Und wenn es eng wurde, kam halt der Pass zurück für den geordneten Neuaufbau von hinten.
Die Performance von Alaba war beeindruckend. Dass er seit fünf Monaten kein Pflichtspiel mehr in den Beinen hat – sein letztes war das 2:5 mit den Bayern im Cup-Finale gegen Dortmund – merkte man ihm nicht an. Er spielte kaum Fehlpässe, warf sich ohne Scheu in die Zweikämpfe und die meisten seiner Zuspiele kamen mit einer Präzision, die auf dem Kunstrasen in Astana vermisst wurde. Seine beiden weiten Flanken auf Marc Janko zum 1:0 und zum 2:0 zeigten das; sein erstes Länderspiel-Tor zum 3:0 krönten seine Leistung.
Das Spiel auf den Flügeln
Ebenfalls sehr aktiv war Marko Arnautovic. Bei ihm fällt immer deutlicher auf, dass er im Trikot der Nationalmannschaft einen wesentlich zielstrebigeren Eindruck macht als in jenem von Werder Bremen. Schon in Astana war er ein absoluter Aktivposten, und in diesem Spiel beherrschte er gemeinsam mit Christian Fuchs die linke Seite nach Belieben – wiewohl es dennoch noch Verbesserungspotential gibt.
Denn Arnautovic zeigte, wie auch Martin Harnik von der rechten Seite in noch stärkerem Ausmaß, eine Tendenz zum relativ frühen Einrücken; genau auf die einmal mehr sehr zurückhaltenden kasachischen Außenverteidiger zu. Doch während Fuchs durch konsequentes Hinterlaufen zumindest links für die nötige Breite sorgte und RM Konisbajev nach hinten drängte, war dies bei Klein auf der rechten Seite weniger der Fall. Klein rannte zwar sehr schwungvoll nach vorne, aber es fehlte ihm so ein wenig das Auge für die Situation.
Harnik und Janko
Was dem ohnehin verunsicherten Martin Harnik wohl zumindest nicht geholfen hat. Dem Stuttgarter klebt eine Un-Form an den Schuhen, die sich gewaschen hat – umso wichtiger für ihn das Tor zum 4:0 in der Nachspielzeit. Im Aufbauspiel war er immer wieder sehr wertvoll, war mannschaftsdientlich und zeigte gute Abstimmung mit seinen Nebenleuten. Aber vor dem Tor hat er die Seuche. Sein Tor schoss Harnik zu einem Zeitpunkt, als er schon nicht mehr auf dem Flügel agierte, sondern nach Jankos Auswechslung statt diesem im Sturm-Zentrum.
Überhaupt, Janko. Bei Trabzonspor kommte er bislang noch nicht so recht zum Zug – viermal ein- und einmal ausgewechselt, noch kein Tor – aber ihm war der Wille deutlich anzusehen, sich gegen die massierte kasachische Abwehr mehr ins Spiel einzubringen. So ließ er sich oft zwischen die Reihen fallen, um gemeinsam mit Junuzovic den kasachischen Sechser Bogdanov zu beschäftigen oder, im Idealfall, einen Innenverteidiger aus der Position zu ziehen. Hier allerdings agierten die Kasachen sehr diszipliniert.
Längst nicht alles war super
Und das darf trotz den erfreulichen und natürlich auch in der Höhe verdienten 4:0 nicht außer Acht gelassen werden: So erfreulich es ist, dass sehr viel mehr Zielstrebigkeit an den Tag gelegt wurde, dass man mit kreativem Spielaufbau den Gegner knacken wollte, dass Schwung vorhanden war – echten Zugriff auf den Strafraum hat die österreichischen Offensive selten bekommen. Die ersten beiden Tore entstanden aus weiten, unbedrängten Flanken von Alaba auf Janko (dem von Harnik bzw. Junuzovic in beiden Situationen blendend ein Mitspieler den am langen Pfosten postierten Verteidiger band), beim dritten Tor lag ein kasachische Verteidiger verletzt am Boden, und auch das vierte Tor resultierte aus einem Zuspiel von außerhalb der Box.
Bei allem Ballbesitz und bei allem Jubel über die starke Leistung von Alaba – einen Gegner mit einer solch destruktiven Anlange mit spielerischen Mitteln zu knacken ist und bleibt ein Schwachpunkt. Das ist nicht schlimm, weil nach acht Spielen unter Koller vor allem im Spiel gegen den Ball schon dermaßen viel weiter gegangen ist und das Gestalten und Durchkommen durch defensive Mannschaften deutlich schwerer zu erlernen ist. Dennoch wird hier das Hauptaugenmerk des Teamchefs liegen müssen, wenn es Richtung der Spiele gegen die Färöer geht. Zumal bei Österreich hier auch noch das psychische Element dazukommt.
Standards ausbaufähig – Pogatetz der Verlierer des Abends
Auch bei Standardsituationen gibt es noch Verbesserungspotential. Das wurde schon in Astana deutlich, als eine Ecke nach der anderen einfallslos in den Strafraum getreten wurde – dabei ist die kasachische Verteidigung eigentlich gar nicht die sicherste, wenn es um das Klären von hohen Bällen geht. Bei diesem Spiel war darüber hinaus auffällig, dass vor allem bei Freistoß-Flanken kein Österreicher lang postiert war. Wenn der Ball also über die Abwehr segelt oder nach außen geklärt wurde, musste immer ein Spieler im roten Dress nachlaufen, anstatt sich frontal dem Ball zu nähern und damit Zeit gegen die verschiebende Abwehr zu gewinnen.
Und es muss auch erwähnt werden – im Spiel der Österreicher gab es einen ganz großen Verlierer: Emanuel Pogatetz. Er fiel vor allem durch praktisch nicht vorhandene Spieleröffnung auf, durch eine ziemliche Streuung in seinem Passspiel, durch latente Gehetzheit wenn schnelles Handeln gefordert war. Kurzum: Der Wolfsburg-Legionär war ein ziemlicher Unsicherheitsfaktor. Es ist anzunehmen, dass die unangenehmen Ostapenko und Nusarbajev das wesentlich konsequenter auszunützen versucht hätten als der als Solo-Stürmer ohne Hilfe auf völlig verlorenem Posten stehende Gridin das tat.
Fazit: Ergebnis wichtig, punkt. Leistung wichtig, aber ausbaufähig
Das deutliche Ergebnis ist vor allem dafür gut, um Unkenrufern die Luft ein wenig aus den Segeln zu nehmen. Der Pflichtsieg ist eingefahren, das mit einer sehr ordentlichen Leistung. Die zwei Punkte aus Astana fehlen zwar immer noch und die historische Aufholjagd der Schweden in Berlin, mit der sie ein 4:4 retteten, hat dem ÖFB-Team auch nicht geholfen. Aber man hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung für Astana rehabilitiert.
Wie man die sachliche, analytische und beharrliche Art von Marcel Koller kennt, wird er allerdings sehr wohl auch gesehen haben, dass es weiterhin natürlich noch viel zu tun gibt. Bei der Chancenverwertung wird der Schweizer nicht viel tun können, aber im nächsten Schritt seiner Arbeit wird der Begriff „Eigene Spielgestaltung“ eine zentrale Bedeutung einnehmen.
Denn Alaba und Arnautovic werden nicht jedes Mal so einen guten Tag haben wie diesmal. Und ein gutes Abschneiden in der WM-Quali wird auch maßgeblich davon abhängen, wie gut es gelingt, aus dem eigenen Spiel heraus Zugriff auf den gegnerischen Strafraum zu bekommen. Das 4:0 gegen Kasachstan (der höchste Sieg seit dem 5:1 gegen Malta vor der Heim-EM) ist ein schönes Ergebnis. Aber kein Ruhekissen.
Auch, weil sich in den restlichen sieben Quali-Spielen garantiert kein Team mehr als dermaßen williges Opferlamm präsentieren wird wie die schon fast skandalös passiven Kasachen.
(phe)