Schnell laufen können sie, die Jamaikaner – zumindest auf der Tartanbahn, das ist nicht erst sein Olympia in London bekannt. Ihre Fußball spielenden Landsmänner können zwar weder ein international konkurrenzfähiges Tempo gehen, noch zeigen sie sonst etwas besonders Aufregendes. Es reichte aber dennoch, um eine erschreckend biedere US-Mannschaft in der WM-Quali mit 2:1 zu besiegen. Kein Ruhmesblatt für Jürgen Klinsmann.
Es waren 36 Sekunden gespielt, als Clint Dempsey den Ball zum 1:0 für die Amerikaner ins Tor von Jamaika drosch. Ein perfekter Beginn in diesem WM-Quali-Spiel für das Team von Jürgen Klinsmann (und Assistent Andi Herzog). Die eine Mannschaft betreuen, die sich zuletzt zwar feine Testspiel-Ergebnisse gegen gute Gegner holen konnte. Aber sich gegen „kleine“ Teams schwer tut, wie schon beim mühsamen und alles andere als überzeugenden 3:1-Heimsieg gegen Antigua im Juni.
Der Grund dafür: Das US-Team von Klinsmann präsentiert sich als Arbeitertruppe. Im Mittelfeld ist robuste Körperlichkeit gefragt. Es gibt keinen Sechser von internationaler Klasse, der als Taktgeber fungieren könnte. Es fehlt an Außenverteidigern, die offensiv stark genug sind, um im Vorwärtsgang zu überzeugen. Kurz: Team USA anno 2012 ist eine äußerst wenig Glanz verbreitende Arbeiter-Mannschaft.
Das übliche Rauten-Problem
Klinsmann lässt sein Team in einem 4-4-2 mit Mittelfeld-Raute spielen. Vor der Abwehr steht Rasta-Mann Kyle Beckerman als Sechser, flankiert von Jermaine Jones und Maurice Edu. Wie üblich bei Teams mit Raute – einen in der MLS durchaus weiter verbreiteten System – hat man damit den Mittelkreis unter Kontroller, neigt aber dazu, Räume auf den Flanken herzugeben.
Vor allem, wenn die Außenverteidiger – diesmal Michael Parkhurst vom dänischen Meister Nordsjælland und Fabian Johnson von 1899 Hoffenheim – einen eher zurückhaltenden Part spielen. Das erlaubte es den Jamaikanern, auf den Flanken 2-gegen-1-Situationen herzustellen; vor allem in Person von RV Lovel Palmer. Die Flanken, die von den recht eindimensionalen Jamaikanern Richtung Strafraum segelten, hatten aber eine beängstigende Streuung und verursachten keinerlei Gefahr.
Unsicherheit und wenig Phantasie im US-Mittelfeld
Kyle Beckerman (der bei Salt Lake spielt) ist ein Spieler mit einem hervorragenden Auge und einem zumeist sehr sicheren Passspiel. Was Beckerman allerdings völlig fehlt, ist Tempo – vor allem, wenn ein schneller Antritt gefragt ist, hat der kleine Mann mit der großen Frisur erhebliche Probleme. Das wurde nicht nur beim Foul, das den Freistoß zum 1:1-Ausgleich zur Folge hatte, deutlich. Wann immer es die Jamaikaner schafften, mit Tempo durch die Mitte zu kommen, kam Beckerman ins Schwitzen.
Das zwang wiederum Edu und (vor allem) den Schalker Jermaine Jones, noch zentraler zu spielen und auszuhelfen. Das alles wirkte sich natürlich wiederum auf die immer mehr unterbesetzten Flügel aus, wodurch die Jamaikaner vor allem nach dem Ausgleich deutlich besser ins Spiel kamen.
Jones und Edu versuchten im Ballbesitz, sich schnell nach vorne zu orientieren und Zehner Dempsey zu unterstützen. Darauf stellte sich der Gegner aber gut ein, machte durch geschicktes Einrücken der Außenverteidiger (die ja kaum was zu befürchten hatten) die Räume gut eng. Die recht phantasielosen Amerikaner fanden dagegen kein Mittel.
Jamaika mit dem 2:1 – die Entscheidung
Die Jamaikaner erkannten, dass es den Amerikanern extrem schwer fiel, das Spiel selbst zu gestalten. So wurde der Gastgeber nach Seitenwechsel noch mutiger, setzte das US-Mittelfeld weiter unter Druck und nützte den Raum auf den Flügeln weiter aus. Auch die Flanken wurden nun etwas besser und nach einer Stunde war es wieder Beckerman, der eine schlechte Figur abgab: Weil er unverständlicherweise von seinem Gegenspieler abließ, musste Jones eingreifen und foulen. Auch diesen Freistoß hämmerte Jamaika ins Tor – das 2:1.
Nun reagierte Klinsmann und erlöste den überforderten Beckerman, brachte mit Williams (von Hoffenheim) einen neuen Sechser. Das grundsätzliche Problem – null Kreativität und die Unfähigkeit, Dempsey und die Stürmer einzubinden – konnte aber auch er nicht lösen. Eine Viertelstunde vor Schluss kamen dann mit Shea (statt Edu) für den linken Flügel und dem Rapidler Boys (statt Altidore) neue Kräfte.
Jamaika ließ nun ein wenig von den US-Boys ab, stellte sich etwas tiefer auf uns sah sich an, was der Favorit denn so im Spielaufbau unter Druck des Spielstands anzubieten hatten. Und das war weiterhin sehr wenig: Viele Pässe vor allem im Mittelfeld landeten zum Teil meilenweit von einem Mitspieler entfernt; lange Bälle auf die Stürmer konnten diese nicht halten und Dempsey, dem es sichtlich an der Spielpraxis fehlt, fand überhaupt nicht statt.
So hatte Jamaika kaum Mühe, das 2:1 über die Zeit zu spielen.
Fazit: US-Team unfähig zur Spielgestaltung – selbst gegen Fußballzwerge
Die Amerikaner müssen nun zwar keine übertriebene Angst haben, die Finalrunde in der Concacaf-Zone zu verpassen – vor Guatemala und Antigua zu bleiben, werden sie ja doch wohl schaffen. Aber die eklatanten Schwächen in der eigenen Spielgestaltung und die völlige Abwesenheit jeder Phantasie im Aufbau eigener Spielzüge dürfen ein Jahr nach seinem Amtsantritt schon etwas Besorgnis erregen.
Das muss bei einer WM-Endrunde nicht mal ein grundsätzliches Problem sein – dort sind die US-Boys eher Außenseiter, können sich gegen starke Gegner darauf verlegen, organisiert zu stehen. Außerdem wird der in diesem Spiel mit einer Oberschenkel-Verletzung ausfallende Landon Donovan viele Schwächen im Team zudecken können. Aber eine echte Weiterentwicklung gegenüber der WM in Südafrika oder dem über weite Strecken uninspirierten Auftritt beim Gold-Cup vor Klinsmanns Amtsantritt ist nicht zu erkennen.
Über Jamaika lässt sich sagen, dass die auf der ganzen Welt verteilte Mannschaft (4x MLS, 2x zweite englische Liga, je 1x Premier League, Norwegen, Schweden, Türkei und – kein Scherz – Vietnam) trotz des Sieges gegen die Amerikaner natürlich keine Welt-Eroberer sind. Mit dem Kreieren eigener Chancen waren auch sie zumeist überfordert, das Tempo war mäßig und die meisten Flanken unbrauchbar. Aber sie sind hinten organisiert gestanden, haben im richtigen Moment die Initiative an sich gerissen und den offensichtlichen Schwachpunkt Beckerman angebohrt und zwei Freistöße versenkt.
Das wird für die Finalrunde ziemlich sicher reichen. Für eine Teilnahme bei der WM in Brasilien aber ziemlich sicher nicht.
(phe)