Ausgeglichen schwach: Ernüchterung zum Start der Gruppe D

Was vor acht Jahren noch eines der besten Spiele der Euro 2004 war – England gegen Frankreich zum Start für beide Teams – war diesmal eine zähe, mühsame und öde Angelegenheit. Und auch die biederen Schweden und die brav kämpfenden, aber eigentlich nicht besonders guten Ukrainer wussten nicht wirklich zu überzeugen. Ein eher ernüchternder Spieltag.

Frankreich - England 1:1 (1:1)

Wer Roy Hodgson auf die Bank setzt, der weiß, was er bekommt: Gute Organisation in einem 4-4-2, grundsätzlich eher defensive Ausrichtung. Eng zusammen stehenden Viererketten, die gut verschieben. Den Versuch, nach Ballgewinn schnell umzuschalten und mit Einbeziehung der beiden Stürmer mit wenigen Pässen nach vorne zu kommen. Was man bei Roy Hodgson nicht bekommt: Aufregenden Fußball, überraschende taktische Experimente und Pressing. Und, oh Wunder, genau so agierten die Three Lions in ihrem ersten Turnier-Spiel gegen Frankreich.

Hodgson stellte Jungstar Alex Oxlade-Chamberlain auf die linke Seite. Das muss man durchaus als kleines Risiko betrachten, da es dem 18-Jährigen natürlich an der internationalen Routine fehlt und er mit dem bekannt offensiven Außenverteidiger Mathieu Debuchy einen nicht ungefährlichen Gegenspieler hatte. Allerdings hatte er das Glück, dass die Franzosen ihr System so interpretierten, dass Ox gemeinsam mit Ashley Cole praktisch nur Debuchy gegen sich hatten.

Wenig Tempo, noch weniger Ideen

Und zwar deshalb, weil Samir Nasri – nomineller Linkaußen im 4-3-3 von Laurent Blanc, schon grundsätzlich recht zentral agierte und sich mehr als Zehner präsentierte. Weil aber zwischen den Reihen der Engländer eben recht wenig Platz war, gab es auch kaum Möglichkeiten für Nasri, dort zur Entfaltung zu kommen.

So sammelten die Franzosen zwar Ballbesitz, aber gegen den kompakten Acht-Mann-Block der Engländer fehlten die Ideen und das Tempo. Malouda machte auf der linken Halbposition einen etwas verlorenen Eindruck; sein Gegenstück auf der rechten Seite, Yohan Cabaye, versuchte es zwar immer wieder selbst, aber auch er bekam keinen Zugriff auf den Strafraum. So entwickelte sich schon früh ein ziemlich zähes Spiel.

England ging nach einer Standard-Situation in Führung – wie auch sonst – und kassierte wenig später aus einem Weitschuss – wie auch sonst – den Ausgleich. Sonst waren Torszenen selten, vor allem aus dem laufenden Spiel heraus, und die Begegnung plätscherte vor sich hin. Eine blutleere Vorstellung von beiden Teams.

Todlangweilig

Das ist bei den Engländern noch eher nachvollziehber. Dem Team fehlen viele Leistungsträger, die Erwartungshaltung ist praktisch nicht vorhanden, und Roy Hodgson hat nach der eher chaotischen Suche nach einem Nachfolger für Fabio Capello vor dieser Begegnung erst zwei Spiele mit der Mannschaft hinter sich gebracht. Die Herangehensweise an die Partie gegen Frankreich war recht eindeutig: Nehmen wir einen Punkt mit, passt das.

Aber die Franzosen? Debuchy schaffte es nie, den unerfahrenen Oxlade unter Druck zu setzen, weil er dabei auch keine Unterstützung erhielt – Nasri und Cabaye zog es immer nur ins Zentrum mitten rein ins Gewühl. Im kompakten und auf Fehlervermeidung ausgerichteten Spiel der Engländer war das der wohl offensichtlichste mögliche Schwachpunkt, aber hier geschah gar nichts. Auch nicht, nachdem er mit Milner in der zweiten Hälfte Platz getauscht hatte: Evra ließ Ox ziemlich in Ruhe.

So stand ein Unentschieden, das beiden weder hilft noch, zumindest akut, schadet. Auch weil danach die beiden anderen Teams ebenfalls keinen allzu starken Eindruck machten:

Die Ukraine tut sich schwer, das Spiel selbst zu gestalten – das wurde auch bei der 2:3-Niederlage in Österreich im Vorfeld der EM deutlich. Gegen die recht passiv agierenden Schweden war das allerdings, wie kaum anders zu erwarten war, dennoch notwendig, auch weil man gegen die eher bieder daherkommenden Skandinavier auch den 70.000 Zuschauern gegenüber nicht auf Abwarten und Reagieren plädieren konnte.

Ukraine - Schweden 2:1 (0:0)

Auch bei der Startaufstellung ging Teamchef Oleg Blochin durchaus ein Risiko: Andriy Shevchenko war praktisch das komplette Frühjahr verletzt ausgefallen, machte auch in den Aufbauspielen keinen guten Eindruck, aber Sheva ist nun mal ein Denkmal – auch wenn es für den Spielaufbau womöglich sinnvoller gewesen wäre, die jüngeren Devic und Milevskyi zu bringen, ließ Blochin die gemeinsam knapp 250 Jahre alten Shevchenko und Voronin starten.

Die Sache mit Toivonen

Erik Hamrén, der schwedische Teamchef, wusste: Die größte Waffe in der ukrainischen Spielgestaltung ist Oleg Gusev – der gelernte Flügelstürmer, der als Rechtsverteidiger spielt. Sein Tempo und sein Zusammenspiel mit Andriy Jarmolenko vor ihm wollte Hamrén neutralisieren, indem er Gusev einen gelernten Stürmer entgegen stellte: Ola Toivonen.

Der Kapitän vom PSV Eindhoven wird üblicherweise als vorderste oder hängende Spitze eingesetzt, aber nicht auf dem Flügel als de facto vorderster Defensiv-Mann, und das merkte man. Von seiner Aufgabe, Druck auf Gusev auszuüben, war rein gar nichts zu sehen – im Gegenteil, Gusev ließ Toivonen stehen, machte nach vorne was er wollte. Die Folge: Schwedens Linksverteidiger Martin Olsson wurde in 2-gegen-1-Situationen verwickelt.

Risiko wird gescheut

Das Glück der Schweden war dabei, dass es den Ukrainern an der letzten Konsequenz, am Zug zum Tor und an der Bereitschaft zu Risiko-Pässen fehlte. Im Zweifel wurde das Tempo aus dem Angriff genommen, zurück gespielt, auf Ballbesitz geachtet, und dass man nur ja nicht in Konter rennt. Die besten Aktionen hatten die Gastgeber, wenn es gelang, durch die Mitte einen der alten Männer im Angriff einzusetzen. Denn ja, Voronin und Shevchenko sind längst nicht mehr die schnellsten, aber durch ihre enorme Routine haben sie einen hervorragenden Blick für Laufwege und wissen, wie man sich zwischen den Reihen postiert.

Eigene Angriffe gab es beiden Schweden kaum. Ibrahimovic spielte im 4-4-1-1 hängend hinter dem viel arbeitenden, aber wenig Gefahr ausstrahlenden Rosenberg und er war ganz deutlich die primär gesuchte Anspielstation. Das wussten halt auch die Ukrainer und machten ihm das Leben schwer: Tymoschuk zeigte gutes Stellungsspiel, Katcheridi und Michalik als robuste Zweikämpfer.

Aus 0:1 mach 2:1

Die Gedankenschnellsten sind die beiden aber nicht, wie beim 1:0 für die Schweden deutlich wurde: Källström spielte einen Wechselpass schnell zurück in die Mitte, Ibra stand richtig und netzte ein. Wie wichtig dem seit seinem verunglückten Abenteuer bei Chelsea oft recht lethargischen Shevchenko dieses Spiel war, wurde aber in der Folge deutlich. Er suchte vor allem nach dem Rückstand jede Chance, dem Ball entgegen zu gehen und sein Team zurück zu bringen. Was gelang: Erst setzte er sich exzellent gegen Mellberg durch und traf zum 1:1, dann ging er einer Ecke stark entgegen und lenkte den Ball zum 2:1 ab.

Erst jetzt reagierte Hamrén auf die immer eklatanter werdende Unterlegenheit auf den Flügeln und besetzte beide neu. Statt dem defensiv wirkungslosen und offensiv unsichtbaren Toivonen und dem generell schwachen Seb Larsson stellte er nun Chippen Wilhelmsson (links) und Rasmus Elm (rechts) auf die Außenbahnen – zumindest nominell – und brachte Anders Svensson für die Zentrale.

Weiter ab nach vorne

Die beiden neuen Mittelfeld-Außen rückten ein, ermöglichten so den aufrückenden Außenverteidigern, sich nach vorne einzuschalten. Aber das Spiel der Schweden blieb ungenau und ohne einen Plan, der vom Schema „Ball zu Ibra“ merklich abwich. Dennoch wurde es noch eine relativ wilde Schlussphase.

Und zwar, weil die Ukrainer, vermutlich in einer Mischung aus „Yay, wir haben das Spiel gedreht“ und der Begeisterung im vollen Kiewer Stadion, fleißig weiter angriffen. Die Abwehrreihe rückte sehr weit auf, die Mannschaft warf sich nach vorne, und vergaß dabei, dass sie das eigentlich gar nicht so gut kann – und dass das brandgefährlich ist, sollte der Gegner die Qualität haben, das zu nützen.

Die Schweden hatten diese nicht.

Fazit: Ausgeglichen schwache Gruppe

Nach den Eindrücken des damit zu Ende gegangenen ersten Durchgangs ist die Erkenntnis, dass diese Gruppe D die schwächste des Turniers ist. Und zwar ohne wirklichen Ausreißer nach oben oder nach unten, sondern recht ausgeglichen schwach.

Die Engländer zeigten sich komplett phantasielos, die Franzosen ohne einen Plan und irgendwie kopflos, die Schweden begaben sich bereitwillig in volle Abhängigkeit von Ibrahimovic und die Ukrainer kämpften gut, aber höhere Qualität war da auch nicht dahinter.

Das muss nicht heißen, dass die beiden Viertelfinalisten aus dieser Gruppe unbedingt in der Runde der letzten Acht rausfliegen müssen – vor allem die Engländer könnten Spanien mit ihrer Taktik ziemlich auf die Nerven gehen – aber dass der Europameister aus diesem Quartett kommt, ist nach den Eindrücken dieses Spieltags nur schwer vorstellbar.

(phe)

 

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.