Vor zwei Wochen schien Inter den englischen Champions League-Newcomer in Mailand schon vorzuführen. Nach 8 Minuten wurde spurs-Keeper-Gomes ausgeschlossen, nach 35 Minuten stand es 4:0. Am Ende zitterte der Titelverteidiger sich etwas unnötig zu einem 4:3 gegen die Gareth Bale Spurs. Für Tottenham entschied dieses Rückspiel nach der Hinspielniederlage einiges. Bei einer Niederlage wäre der Sieger aus Werder gegen Enschede schon nahe gerückt. Es kam anders. Ganz anders.
Ein Blick auf die nominellen Aufstellungen. Harry Redknapp schickte der UEFA ein 4-4-1-1 Schema seiner Mannschaft, Rafael Benitez zeichnete ein 4-2-3-1 auf das Taktiktäfelchen. Faktisch stellte sich die Lage eher etwas anders dar. Tottenham zeigte zu Beginn ein 4-2-3-1 – allerdings nicht den gewohnten zwei Sechsern im defensiven Mittelfeld, sondern zwei höchstbeweglichen Achtern (Modric und Huddlestone) hinter der hängenden Spitze Van der Vaart. Inter hingegen gab eher ein 4-2-4 zum Besten, weil Eto’o, Snejder, Biabiany und Pandev auf einer Linie agierten, während Muntari und Zanetti aus der Tiefe zu verteilen versuchten.
Von Beginn weg waren die unterschiedlichen Ausrichtungen klar. Die Spurs hatten den Gang über die Flügel geplant – und dabei vor allem die Weltklasseseite mit dem Kameruner Offensivaußenverteidiger Benoit Assou-Ekotto und Gareth Bale, dem aktuell wahrscheinlich besten linken Flügel Europas. Der ließ mit technischen Gustostückerln und enormem Tempo schon in den ersten Minuten den nicht gerade miesen Brasilianer Maicon einfach stehen. Lennon rechts stand etwas tiefer und versuchte gegen Chivu von seiner enormen Geschwindigkeit Gebrauch zu machen. Auch das funktionierte einige Male (er erzwang immerhin zwei Gelbe Karten), im Vergleich war die linke Seite allerdings die aktivere – was wohl auch daran liegt, dass hinter Lennon mit Hutton ein nicht ganz so offensiver Mann stand.
Allgemein hielten bei Tottenham hauptsächlich Verteidiger und die beiden Flügelspieler den Ball zumindest einige Momente. Spieler die in der Mitte des Feldes zum Ball kamen, agierten meist mit ein bis zwei Berührungen. Der One-Touch-Football feiert bei Tottenham momentan ein Attraktivitätsfest. Inter dagegen betonte die Zentrale. Nach Vorstößen durch die Mitte sollte der Ball vorne steil verteilt werden. Die Benitez-Elf ließ dabei allerdings jegliche Kreativität vermissen – kam gegen eine gut eingestellte Tottenham-Abwehr einfach nicht zu Chancen.
Beide Teams zeigten ein hohes Tempo, sodass trotz wenigen Szenen auch die erste Viertelstunde schön anzusehen war. In der 18. Minute änderte sich die Chancenarmut dann rasch. Bale wagte einen erneuten Vorstoß gemeinsam mit Assou-Ekotto. Der drehte sich plötzlich um und legte auf Modric ab. Der Kroate ließ seinen Gegenspieler mit einem Zuckerhaken aussteigen, erspähte den auf gleicher Höhe mit der Inter-Abwehr startenden Van der Vaart und der schoss mit der Selbstverständlichkeit eines Klassemannes zum 1:0 ein. Fünf Minuten später zeigte Bale Maicon wieder, wie er von hinten aussieht. Die Abnahme der optimalen Flanke konnte Crouch aus fünf Metern aber nicht aufs Tor ziehen.
Redknapps Fahrplan ging voll auf und unterstrich die beeindruckende Vielfältigkeit von Tottenhams Angriffsspiel. Flügel- und Kurzpassspiel, individuelle Aktionen durch die Mitte, hohe Bälle auf Crouch und wenns hart auf hart kommt, können Huddlestone und Modric aus der Mitte immer einen tödlichen Pass spielen – die Spurs können an sich alles.
Nachdem klar war, dass Bale einmal mehr einen Supertag zeigen würde, könnte sich Maicon nicht ins Inter-Angriffsspiel einbringen – auch Chivu auf der linken Seite durfte den flinken Lennon nicht allzu viel Raum geben. Tottenham riss mit präzisen Spielverlagerungen die Abwehr der Gäste dennoch immer wieder auf.
Schon nach einer halben Stunde zeigte sich bei Inter Ratlosigkeit, als sowohl Zanetti (28.) als auch Lucio (30.) sich aus eher hoffnungslosen Distanzen an Schüssen versuchten. Nur einmal musste sich Modric 25 Meter vor dem Tor gegen Eto’o mit einem Foul helfen, ansonsten reichte reichte das Spiel der Schwarzblauen nicht einmal bei Kontern bis in den Strafraum.
Der Grund dafür lag natürlich auch bei Tottenham. Obwohl die Spurs bei ihren Angriffen immer mit sechs bis sieben Leuten weit aufrückten, waren in der Defensive alle Rollen erfüllt. Huddlestone und Modric leisten als Duo schon die ganze Saison über in der Rückwärtsbewegung Unglaubliches, und immer findet sich ein Spieler, der den gegnerischen Spielaufbau im entscheidenden Moment stört. Wenn Inter das Spiel von hinten langsam aufzubauen versuchten, störten Crouch und Van der Vaart schon früh aggressiv.
In der Pause blieb Van der Vaart (der Mann der neben die meisten Pässe spielte und nach Crouch die zweit Kilometer zurücklegte) in der Kabine, da er seine Oberschenkelverletzung wieder spürte. Für ihn kam Jenas ins Mittelfeld. Das bedeutete für Tottenham eine Systemänderung (nunmehr 4-1-4-1). Huddlestone blieb nun als deutlich defensiv beauftragter Sechser vor der Abwehr zurück, Modric rückte etwas nach vor neben Jenas.
Bei Inter (das nun etwas höher stand) kam kurz nach der Pause Nwankwo für den glanzlosen Muntari. Es änderte sich vorerst aber nichts an der Spielanlage und der Harmlosigkeit. Währenddessen musste Schlussmann Castellazi bei einem Crouch-Kopfball (55. – nach einer perfekten Spielverlagerung in der Vorwärtsbewegung nach rechts und einer Lennon-Flanke) und Chivu gegen Lennon eine Gelbe Karte hinnehmen, weil der sonst auf und davon gewesen wäre (51.).
Tottenham ließ sich sichtlich weiter zurückfallen, wusste um den Tempovorteil im Konter bescheid. Bale zerstörte weiterhin bei jeder Gelegenheit Maicon (auch weil Biabiany zu harmlos war um Assou-Ekotto zu binden und hinten nicht viel tat) und schon in der 61. Minute ging diese Strategie auf. Wieder wurde über die linke Seite schnell vorgespielt und zum Abschluss Crouch grandios in Szene gesetzt. Hochverdient netzte der zum 2:0 ein.
Zwei Minuten später kam Inter dann zur eigentlich ersten echten Torchance. Nach einem Konter tauchte Biabiany im Strafraum auf, schloss aber zu harmlos ab. Benitez hatte genug gessehen, nahm den Franzosen und Pandev vom Platz. Er ersetzte sie durch den talentierten Coutinho für die Zentrale und stellte Eto’o mit Milito eine zweite echte Spitze zur Seite. Das sah dann etwa so aus.
Das zeigte etwas Wirkung. Nur eine Minute nach seiner Einwechslung bekam Milito einen Ball von Eto’o weitergeleitet. Aus etwas spitzem Winkel konnte er den Ball allerdings nicht aufs Tor zirkeln. Ein wirkungsvoller Spielaufbau blieb Inter allerdings weiterhin fremd – zudem hatte Tottenham nun keinen Grund zum Risiko mehr. Die Engländer konzentrierten sich auf die Verteidigungsaufgaben, schienen aber etwas nervös zu werden. Da die Mannschaft sehr tief stand, hatte Peter Crouch nach einer engagierten Leistung nicht mehr viel zu bewirken. Er wurde durch den schnelleren Pavlyuchenko ersetzt.
Inter gelang schlussendlich der Anschlusstreffer aus einer Einzelaktion. Der Ball erreichte in der 80. Minute Eto’o der sich in gar nicht besonders aussichtsreicher Position ohne Unterstützung wiederfand. Er machte einen wundervollen Haken in die Mitte, und zupfte den Ball unhaltbar an Cudicini vorbei ins Tor. 2:1 – aus dem Nichts war Inter zurück im Spiel. Nur eine Minute nach dem Anschlusstreffer passierte den Londonern ein gefährlicher Ballverlust beim Aufbau aus der Verteidigung. Zu viele Leute waren bereits zum Konter unterwegs, aber Inter vermochte aus den freien Räumen nichts zu machen. Doch damit war Inters zartes Schwüngchen auch schon wieder gestoppt.
Der müde Lennon wurde vom Platz genommen, Palacios sollte den offensiver werdenden Chivu beschäftigen (85.) und tat das auch. Auf der anderen Seite des Spielfelds, nur zwei Minuten später, wiederholte sich ein Schauspiel, das den ganzen Abend eine Bühne fand. Inter verlor den Ball, der kam zu Bale. Der junge Waliser zerstörte Maicon (der brasilianische Weltklasseverteidiger konnte nur einen(!) Zweikampf mit Bale für sich entscheiden) setzte zum Sprint an, ließ auf 70 Metern die gesamte Inter-Hintermannschaft stehen, passte punktgenau auf den in der Mitte mitlaufenden Pavlyuchenko und der erhöhte zum entscheidenden 3:1 (87.). Auch Militos guter Distanzschuss in der 91. vermochte daran nichts mehr zu ändern.
Fazit: Tottenham spielt an guten Tagen im Moment einen ebenso vielfältigen wie attraktiven und effektiven Fußball. Die Mannschaft profitiert seit Wochen von einem grandiosen Van der Vaart und einem nicht minder grandiosen Bale, die ihre ohnehin talentierten Kollegen mitreissen. Inter hatte in Mailand noch über weite Strecken Überlegenheit demonstriert, in London aber nicht den Hauch eines Anspruchs auf einen Punkt. Eine Einzelaktion von Eto’o und ein kleiner Haufen ideenloser Distanzschüsse waren die magere Ausbeute des Titelverteidigers, der nun zuhause gegen Twente zum Siegen verdammt ist, wenn er in der letzten Runde nicht darauf hoffen will, dass ein möglicherweise bereits fix qualifiziertes Tottenham bei den Niederländern gewinnt.
(tsc)