Rumänien 1, Österreich 0: Die Lust am Motzen ist zurück

So ganz unverdient war sie ja nicht, die 0:1-Niederlage von Österreich in Rumänien. Und sie legte auch (altbekannte) Schwächen offen – dabei haben die Rumänen nichts gemacht, was man nicht seit dem relativ souveränen österreichischen Sieg in Wien im Juni nicht gewusst hätte. Es war sehr wenig Schönes dabei, an diesem Abend in Bukarest, auch sehr wenig Überraschendes.

In der WM-Qualifikation zwingt man sich nun in einen Druck-November, in dem in den beiden Spielen in Limassol gegen Zypern und im Happel-Stadion gegen Bosnien noch vier Punkte her müssen, um das direkte WM-Ticket einzukassiern. Die Ausgangslage ist immer noch sehr gut, und doch war schon während, aber umso mehr nach dem Spiel eines zu erkennen: Die Lust des Österreichers am Motzen.

Rumänien – Österreich 1:0 (0:0)

Die personelle Besetzung bei Rumänien war an einigen Stellen nicht ganz so, wie man sich in den letzten Monaten die stärkste Formation vorgestellte hatte (ohne Spielgestalter Stanciu, Linksverteidiger Băncu, Mittelstürmer Drăguş und Stammkeeper Moldovan) und in der Arena Naţională blieb erstmals seit zwei Jahren (und einem Match gegen Andorra) der Besuch bei einem Pflichtspiel unter der 40.000er-Marke, wenn auch knapp.

Aber es war eben die schon aus Wien bekannte Spielweise: Konsequente Gegnerorientierung, hohe Aggressivität und kein Zurückstecken im Zweikampf.

Gehetzte Österreicher, limitierte Rumänen

Also: Möglichst einerseits keinen Rhythmus aufkommen lassen, sich möglichst andererseits nicht selbst unter Druck setzen lassen – und mit dieser Kombination Österreich so lange nerven, bis der Zahn womöglich gezogen ist. Das ist eine Spielweise, die darauf angelegt ist, dass man nicht in Rückstand gerät, in Wien ist das nicht gelungen, nun in Bukarest sehr wohl. Das Spiel war sehr zerfahren, sehr hektisch, sehr hart geführt. Die Rumänen verstanden es, schon die österreichische Eröffnung zu stressen und die Passoptionen zu nehmen. Philipp Lienhart ließ sich in der ersten Hälfte so in einige Fehler hetzen, Österreich gelang es kaum, sich kontrolliert nach vorne zu kombinieren.

Nach etwa 15 Minuten änderte sich die Herangehensweise beim ÖFB-Team sichtbar. Man überließ nun den Rumänen zunehmend den Ball und verzichtete darauf, sie bei deren Aufbau aus der ersten Linie unter Druck zu setzen. Hier wurde klar, dass die Rumänen sehr limitiert sind, wenn sie selbst etwas gestalten müssen und es gelang ihnen nicht, sich in ernsthafte Abschlusspositionen zu bringen.

Österreichs Spiel degeneriert zunehmend

Auffällig blieb bei Österreich auch nach der Pause, dass es im Angriffsdrittel an der strukturierten Unterstützung fehlte, wenn sich etwa ein Spieler (zB Schmid, Posch oder Mwene) neben dem Strafraum mehreren Rumänen gegenüber sah. Gleichzeitig wurden bei Österreich die vor der Pause schon durch den Druck ungenau gespielten Pässe zunehmend schlampig. Sabitzer machte dabei etwa eine unglückliche Figur, auch der nach einer Stunde ausgewechselte Baumgartner. Grillitsch konnte nach seiner Hereinnahme für keine gewinnbringende Erhöhung der Passquote sorgen.

Gleichzeitig war man im Verbund phasenweise so weit aufgerückt, dass die Restverteidigung recht luftig war. Das ist schon gegen San Marino so gewesen, die Rumänen haben da halt mehr Qualität. Einmal klatschte ein Schuss von Mihăilă an den Pfosten, einmal lenkte Schlager den Ball gerade noch an selbigem vorbei.

Das ÖFB-Team wirkte von den unbequemen Rumänen gehetzt, von der ständigen Gefahr eines schnellen Gegenstoßes gestresst und im Zusammenspiel ohne Kohärenz. Nur: Dringende Lust auf den ihrerseits dringend nötigen Sieg hatten die Rumänen in der Schlussphase auch nicht. In der (angesichts der vielen Unterbrechungen erstaunlich knapp bemessenen) vierminütigen Nachspielzeit wurde keinerlei Druck mehr ausgeübt, nur noch hinten das 0:0 gegen ein österreichisches Team verteidigt, dass auch mit dem Punkt leben konnte.

Bis dann gegen Ende der 94. Minute noch ein rumänischer Freistoß an der Mittellinie zu spielen war. Aus diesem entstand das 1:0 durch den aufgerückten, zuvor für den verletzten Popescu eingewechselten Innenverteidiger Virgil Ghiţă.

Der typisch österreichische Sport-Fan:
Erst durch Unzufriedenheit zufrieden

Das ÖFB-Team hat sich letztlich keine einzige seriöse Torchance in den 96 Minuten erspielt, steht bei einem indiskutablen Expected-Goals-Wert von 0,2 – allerdings hat Rumänien auch nur 0,4 zu Wege gebracht. Es war sicher die schlechteste Leistung von Österreich seit dem Rückspiel in Serbien im März, die zähen Siege etwa gegen Bosnien und Zypern waren keine Glanzpartien, aber wenigstens blieb man cool genug.

Nun, in Bukarest, nicht. Es war ein Drecksspiel, mit dem man noch leben hätte können, wäre es bei einem 0:0 geblieben. So reißt man sich nun doch wieder offene Flanken im öffentlichen Diskurs auf. Mit anderen Worten: Die Lust am Motzen ist zurück. In den Kommentaren auf Facebook etwa war das schon bei den Halbzeit-Posts beispielsweise von Sky („Tja typisch Österreich jedesmal ein hype wenn Tore fliegen aber im großen und ganzen nix auf die Reihe bringen“ oder „Und sowas glaubt zur WM zu fahren??? Bleibt daheim. Kommt dem ÖFB billiger„) zu lesen, umso mehr nach der Last-Minute-Niederlage.

Etwa bei der Krone („Mit der Mannschaft kommt man sowieso nicht zur WM„) oder Servus TV („Unsere Operettenkicker haben heute eindrucksvoll ihre nicht vorhandene Klasse unter Beweis gestellt.„) oder oe24 („Ob diese Mannschaft WM tauglich ist wage ich zu bezweifeln, […] zum Fremdschämen. Und dieser Erfolgstrainer, hehehe„). Garniert mit ganz viel „Vollpfosten“, „Arroganzler“, „Totalversager“, „Traumtänzer“, „Alles nur Glück“ und so weiter.

Der österreichische Sport-Fan ist ein seltsames Wesen. Haben heimische Athleten keinen Erfolg, hätten sie am Besten gleich daheim bleiben und dem Steuerzahler Geld sparen sollen. Haben sie Erfolg, war es bestimmt nur Glück, und sei es nur das jenes, dass die Gegner Volltrotteln waren. Haben sie Erfolg und sind dabei auch noch richtig gut, wird gewarnt: Hochmut kommt vor dem Fall, die sind überschätzt, wartet nur ab! Und wenn’s dann tatsächlich schief geht, haben sie’s ja eh immer schon gewusst.

Dieser klischeehaft-fatalistische Österreicher hat eine gewisse Neigung zur Opfermentalität. Man sieht sich gerne als kleines Land, das gegen übermächtige Gegner kämpft. Diese Haltung erlaubt es, Misserfolge schnell zu erklären. Und wenn’s doch mal klappt, ist es nur Glück, das eh nicht von Dauer ist. Also: Wozu freuen? Der nächste Tiefschlag kommt bestimmt! Wo andere Länder Siege als Folge guter Arbeit deuten, vermutet der Österreicher dahinter lieber einen erfreulichen Zufall und wartet schon auf den Absturz.

Hinzu kommt Insbesondere im Fußball eine Geschichte, die mehr Enttäuschungen als Höhepunkte zu bieten hat. Das ist zwar nichts exklusiv österreichisches. Marcelo Bielsas berühmter Satz „Die Menschen müssen verstehen, dass der Misserfolg immer häufiger ist als der Erfolg, denn der Erfolg ist die Ausnahme“ hat aber kaum jemand so verinnerlicht wie der Österreicher. Dieser ist der Meister des emotionalen Selbstschutzmechanismus: Lieber vorher schon jammern und warnen, als sich wieder enttäuschen zu lassen. Diese Haltung wird dann irgendwann zur Gewohnheit – und zum sozialen Narrativ.

Man ist erst dann zufrieden, wenn man unzufrieden sein kann.

Die Spielweise, zu der man sich committed hat

Und, nicht falsch verstehen: Mit diesem Spiel kann man in keinerlei Hinsicht zufrieden sein. Aber taugt es zur Generalabrechnung? Naja. Was wahr ist: Österreich hat eine Mannschaft, die eigentlich nicht dafür gebaut ist, sich aus einer Manndeckung über den ganzen Platz herauszuspielen. Es gab in der ersten Halbzeit mal eine Szene, in der das von hinten raus gut gelungen, man die Situation kontrolliert auflösen konnte und dann auf der anderen Spielfeldseite viel Platz hatte – aber das fiel vor allem dadurch auf, dass es überhaupt auffiel. Weil es sonst fast nie gelang.

Diese Quali-Gruppe beinhaltet praktisch nur Teams, die der favorisierten österreichischen Spielweise nicht entgegen kommen. Bislang wurden dennoch alle Spiele gewonnen. Man kann argumentieren: An so einem Tag, wo nichts funktioniert, nimmt eine echte Spitzenmannschaft halt ein räudiges 0:0 mit, und rennt nicht in der 95. Minute in ein Gegentor. Das stimmt. Aber eine Spitzenmannschaft ist dieses Team nicht, personell gesehen. Sie ist gehobene Mittelklasse, keine Frage, aber sie kann nicht gegen jede denkbare Spielweise der Kontrahenten gleichermaßen gut antworten.

Schafft man es als Gegner, das sehr auf mannschaftstaktische Abläufe getrimmte österreichische Spiel kleinteilig in die Einzelteile zerfallen zu lassen, ist man auf einem guten Weg. Zumal Österreich keine Einzelspieler hat, die etwas gewinnbringend Unerwartetes machen könnten.

Das stand so in unserer Analyse zum 2:1-Heimsieg gegen Rumänien im Juni und es stimmt immer noch, es wird auch nächstes Jahr noch stimmen und wahrscheinlich in vier Jahren auch noch. Weil das mannschaftstaktische Pressingspiel nun mal jenes ist, zu dem man sich in Österreich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren – also seit der Bestellung von Marcel Koller – nun mal committed hat. Zunächst im Nationalteam, im Zuge von Red Bull auch in der Liga und über die Akademien dann auch in der Ausbildung.

Man kann diese Spielweise in seiner aktiven Athletik mögen oder in seiner engen spielerischen Granzen nicht mögen, das ist Geschmackssache, aber es ist wenigstens eine Spielweise, zu der man sich committed hat. Anders als davor, als man alle zwei Jahre einen Neuanfang ausgerufen hat, bei dem man sich wunderte, dass es nicht schon nach vier, fünf Spielen optimal flutscht. Bei Marcel Koller haben wir gesehen: Es brauchte vier, fünf Jahre.

Österreich hat nun in Bukarest gegen einen limitierten, aber sehr unbequemen Gegner ein wirklich nicht sehr gutes Match gemacht und verloren. Aber Österreich hat davor die drei kompetitiven Spiele dieser WM-Quali allesamt gewonnen, ist immer noch in der Pole-Position. Österreich ist auf der sicheren Seite, wenn man in Zypern gewinnt und gegen Bosnien nicht verliert. Bukarest war ein Dämpfer und ein Zeichen, dass man sich nicht ausruhen darf. Mehr war es (noch) nicht.

Tabelle ohne die Spiele gegen San Marino

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.