WM-SERIE, Teil 25: PARAGUAY | Immer dabei, selten beachtet: Paraguay ist mittlerweile eine klassiche graue Maus bei WM-Turnieren. Eigentlich erstaunlich, denn gerade im Offensiv-Bereich gibt es einige bekannte Namen. Auch ohne den angeschossenen Topscorer.
Die Fans von Liverpool kennen ihn schon sehr gut, diesen Óscar Cardozo. Der 27-Jährige brachte die Reds im Viertelfinale der Europa League im Dress von Benfica Lissabon an die Klippe zum Ausscheiden. Da wäre aber auch Roque Santa Cruz, der nach vielen Jahren bei den Bayern mittlerweile zwar immer noch als stagnierendes Talent gilt, obwohl er stramm auf die dreißig zugeht, aber immerhin bei Manchester City gelandet ist. Nelson Valdéz von Borussia Dortmund ist zwar seit Jahren nicht gerade der treffsicherste Angreifer der deutschen Bundesliga, aber Stammspieler ist er doch. Und da wäre ja noch ein eingebürgerter Argentinier… aber der Reihe nach.
Paraguays Fußball stand in diesem Jahr schon unter massivem Schock: Am 25. Jänner wurde Salvador Cabañas, der erfolgreichste Torschütze Paraguays in der Qualifikation, vor einem Nachtclub in Mexico City angeschossen – in den Kopf. Cabañas, der seit vier Jahren beim mexikanischen Traditionsteam Club América höchst erfolgreich auf Torejagd geht, überlebte wie durch ein Wunder, aber für die Weltmeisterschaft ist er natürlich kein Thema mehr. Womit in der von der Papierform zwar stark besetzten, aber im Nationalteam notorisch harmlosen Offensive der beste Teil brutal wegbrach. Denn ja, Santa Cruz und Valdez haben durchaus klinende Namen. Die personifizierte Torgefahr sind sie aber nicht. Nie gewesen.
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Da kommt es den Paraguayos gerade recht, dass im großen Nachbarland Argentinien ein Mann Teamchef ist, der für, nun ja, etwas eigenwillige Personalentscheidungen bekannt ist. Diego Maradona beachtete den argentinischen Stürmer Lucas Barrios nie – obwohl er mit Colo Colo in der chilenischen Liga 2008 zum weltweit erfolgreichsten Torjäger wurde. Obwohl er nach seinem Wechsel zu Borussia Dortmund, untypisch für südamerikanische Spieler, schon im ersten Jahr voll einschlug und Tore am Fließband erzielte. Maradona interssierte das nie.
Das kleine Nachbarland allerdings schon. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Mutter von Barrios aus Paraguay stammt! So ging es plötzlich schnell, Barrios wurde, nachdem er von Maradona zum wiederholten Male ignoriert wurde, eingebürgert und soll schon bei der WM zumindest eine echte Alternative für das Stamm-Sturmduo Cardozo/Valdez sein. Brauchen könnte Paraguay einen gefährlichen Stürmer wie Barrios allemal. Zumal die eigentliche Stärke des Teams auch acht Jahre nach dem letzten WM-Auftritt dess legendären Torhüters José Luis Chilavert eindeutig in der Defensive liegt.
Grundsätzlich ist die Mannschaft, die es in einer vermeintlich eher leichten Gruppe neben Italien mit Neuseeland und er Slowakei zu tun bekommt, zweigeteilt: Neben einigen Europa-Legionären – vor allem im Offensivbereich – gibt es auch viele Spieler, die in Lateinamerika, vornehmlich in Mexiko und Argentinien, ihr Geld verdienen. Selbst der Teamchef, Gerardo Martino, ist ein Argentinier. Dass der sportliche Verantwortliche für die „Albiroja“, die Weiß-Roten, importiert wird, ist beileibe nichts Neues: Vorgänger Anibal Ruíz kommt aus Uruguay, 2006 war man mit dem Brasilianer Paulo Cesar Carpegiani bei der WM, vier Jahre zuvor war es der Italiener Cesare Maldini. Und sie sind eigentlich immer gut damit gefahren.
Denn 1998 und 2002 gab es hauchdünne Achtelfinal-Niederlagen gegen Frankreich bzw. Deutschland, und auch vor vier Jahren fehlte vom Potential her nicht viel, um die Vorrunde zu überstehen. Bei Licht betrachtet ist die unspektakuläre, ja fast fade Mannschaft aus Paraguay auch diesmal zweifellos in der Lage, die Vorrunde zu überstehen – gegen die Slowakei und Neuseeland ist die Albiroja sicherlich kein Außenseiter. Vor allem, weil die Defensive eben kaum zu überwinden ist. Und wenn doch, steht mit Justo Villar immer noch ein sehr ordentlicher Torhüter zwischen den Pfosten. Der 33-Jährige vom spanischen Absteiger Real Valladolid hat mit Weltmeisterschaften außerdem noch eine Rechnung offen: Vor vier Jahren musste er im ersten Spiel gegen England schon nach sieben Minuten verletzt ausgewechselt werden.
Villar ist nicht mehr der Jüngste, und das gilt praktisch für die komplette Mannschaft: Echtes Nachwuchstalent fehlt im Aufgebot, viele Spieler haben das beste Fußballer-Alter schon hinter sich. Das hilft natürlich einerseits, weil das Team somit natürlich einige Routine hat. Auf der anderen Seite heißt es aber auch, dass man Paraguay mit schnellem Spiel durchaus beikommen kann. Den einen, echten Methusalem gibt es zwar nicht, aber das Durchschnittsalter ist dennoch beträchtlich. Die Innenverteidiger Paulo da Silva und Julio César Cáceres etwa sind beide schon 30 Jahre alt, die Außenverteidiger Claudio Morel (links) und Dario Verón (rechts) haben schon 32 Lenze auf dem Buckel.
Bei aller Liebe zur Routine, aber das ist schon auffällig und wird sicherlich auch den Gruppengegnern nicht verborgen bleiben. Zumal einige Back-ups wie Innenverteidiger Alcaraz (27) und Linksverteidiger Torres (28) auch keine Nachwuchstalente im engeren Sinn sind. Und bedeutend jünger wird es auch im Mittelfeld nicht – Martino lässt im Übrigen mit einem klassischen 4-4-2 spielen. Mit einem zentralen Mann, der den Weg von Lucas Barrios schon vor drei Jahren gegangen war: Jonathan Santana.
Auch Santana ist Argentiner, er spielte bei Rennomierklubs wie San Lorenzo und River Plate, ehe er den Schritt nach Europa wagte. Im argentinischen Team kam er schon vor Diego Maradona nicht zum Zuge, weshalb er die Staatsbürgerschaft seiner Mutter annahm – die von Paraguay. Heute ist Santana beim entthronten deutschen Meister Wolfsburg unter Vertrag, wo er zwar nur sporadisch zum Einsatz kommt, aber dennoch eine fixe Größe im Nationalteam ist und nun erstmals zu einer WM-Endrunde fahren darf. Ihm zur Seite steht im zentralen Mittelfeld überlicherweise Osvaldo Martínez. Mit seinen 24 Jahren ist der Mexiko-Legionär der jüngste Spieler im Kader, der sich ernsthaft Chancen auf einen Stammplatz ausrechnen darf.
Nur ein Jahr älter ist Victor Cáceres, der auf der rechten Seite den Routinier Carlos Bonet verdrängt hat. Sein kleiner Bruder, Verteidiger Marcos, ist zwar auch im vorläufigen Aufgebot, ob dieser aber den endgültigen Cut schafft, ist eher zweifelhaft. Victor ist einer der Spieler, die (noch) in der Heimat spielen. Wie auch Cristián Riveros – noch. Denn Riveros, der zuletzt drei Jahre in Mexiko aktiv war, unterschrieb bereits für die neue Saison. Für Sunderland in der Premier League – mit 27 Jahren auch ein Wechsel, der hart werden könnte. Mit Kapitän Paulo da Silva hat der Linksfuß dort aber wenigstens einen Landsmann.
Und vorne hat Martino wie erwähnt so ein wenig die Qual der Wahl, trotz des Ausfalls von Topscorer Salvador Cabañas. Vermutlich vertraut er erst einmal auf Nelson Valdez und Óscar Martinez. Die Kombination Valdez/Barrios hätte hingegen den Vorteil, dass diese beiden bei Borussia Dortmund Mannschaftskollegen und somit durchaus eingespielt sind. Ein wenig außen vor war zuletzt Roque Santa Cruz. Zum einen spielte er bei Man City nur ungerelmäßig, und wenn, traf er zu selten. Nur drei Tore in einer Saison sind für einen wie Santa Cruz zu wenig, diese Quote passt aber zu dem, was das einstige Top-Talent in den Jahren zuvor auch zumeist abgeliefert hat.
Der Schlüssel zum Erfolg wird in Südafrika ohne Zweifel sein, wie die Torquote erhöht werden kann. Denn hinten, davon ist auszugehen, werd die Abwehrabteilung nicht viel zulassen. Das Achtelfinale muss so oder so als das primäre Ziel angesehen werden. Aus der internationalen Wahrnehmung als unangenehmer Gegner, aber am Ende doch graue Maus, kommt Paraguay aber nur heraus, wenn einmal bei einem Weltturnier mehr als die Pflicht erledigt wird. Sprich: Ein Viertelfinaleinzug könnte durchaus Wunder wirken. Dazu müssten wahrscheinlich im Achtelfinale die Holländer eliminiert werden – schwere Aufgabe.
In einem solchen Spiel könnten sich die Spieler auf dem Feld aber durchaus auf Spanisch verständigen. Denn üblicherweise kommunizieren die Paraguayos während des Spiels gernau auch auf Guaraní – der Sprache der Eingeborenen, welche auch die jüngere Generation beherrscht. Das ist vor allem gegen Konkurrenten vom südamerikanischen Kontinent ein Vorteil.
Vielleicht aber ein Nachteil für den Argentinier Barrios.
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PARAGUAY
rot-weiß gestreiftes Trikot, blaue Hose, adidas – Platzierung im ELO-Ranking: 29.
Spiele in Südafrika:
Italien (Abendspiel Mo 14/06 in Kapstadt)
Slowakei (Mittagsspiel So 20/06 in Bloemfontein)
Neuseeland (Nachmittagsspiel Do 24/06 in Polokwane)
Teamchef: Gerardo Martino (47, Argentinier, seit Februar 2007)
Qualifikation: 0:0 in Peru, 1:0 gegen Uruguay, 5:1 gegen Ecuador, 3:0 in Chile, 2:0 in Brasilien, 2:4 in Bolivien, 1:1 in Argentinien, 2:0 gegen Venezuela, 1:0 in Kolumbien, 1:0 gegen Peru, 0:2 in Uruguay, 1:1 in Ecuador, 0:2 gegen Chile, 1:2 gegen Brasilien, 1:0 gegen Bolivien, 1:0 gegen Argentinien, 2:1 in Venezuela, 0:2 in Kolumbien.
Endrundenteilnahmen: 7 (1930 Erste Runde, 50 Vorrunde, 58 Vorrunde, 86 Achtelfinale, 98 und 2002 Achtelfinale, 06 Vorrunde)
>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile
* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung