Eine Halbzeit lang fand Belgien kein dauerhaft probates Mittel gegen eine geschickt eingestellte österreichische Mannschaft, nach dem Seitenwechsel baute Belgien massiven Druck auf. Am Ende kam Österreich eher glücklich und nach einer kernigen Abwehrschlacht in der Schlussphase mit einem 1:1 davon. Ein sehr erfreuliches Ergebnis im 100. Länderspiel von David Alaba.
Bei ihrer starken Leistung beim Sieg in Deutschland im März konnte Belgien nach Lust und Laune durch das Mittelfeld-Zentrum mit Goretzka und Kimmich durchspielen, bis Hansi Flick nach einer halben Stunde von 4-4-2 auf 4-3-3 umgestellt hat. Diese Einladung wollte Ralf Rangnick den Belgiern nicht geben, wiewohl auf dem Papier ebenfalls ein 4-4-2 stand.
Zentrum zumachen
Aber eben nur auf dem Papier. In der Praxis spielte nämlich erstens Gregoritsch nicht als echte Sturmspitze, sondern eher im Zehnerraum. Und zweitens agierten die Flügelspieler, vor allem Wimmer, relativ eng, mit dem Effekt, dass Österreich gegen den 4-2-3-1/4-3-3-Hybrid des belgischen Teamchefs Domenico Tedesco das Zentrum gut zu machte.
Bei Belgien rückte Rechtsverteidiger Castagne eher in den Sechserraum ein, als dass er nach vorne ging; während Linksverteidiger Theate hinten blieb und eine Dreierkette bildete. Diese Asymmetrie bestimmte die Struktur der ersten Halbzeit.
Klare Asymmetrie
Patrick Wimmer verfolgte Castagne eben in den Halbraum, dadurch blieb das personelle Gleichgewicht im Zentrum bestehen. Lukébakio gleichzeitig konnte sich dadurch tiefer positionieren, Tempo aufnehmen. Sein direkter Gegenspieler Wöber hingegen rückte seinerseits deutlich weiter auf als Posch auf der anderen Seite, versuchte Lukébakio früh zu stellen.
Belgien hatte deutlich mehr vom Ball, hatte aber früh erkannt, dass durch das Zentrum nicht viel zu holen ist. Der Plan war recht offensichtlich, wenn schon über die Seiten, dann über die eigene rechte Seite anzugreifen – eben jene von Lukébakio. Bei Österreich schob dann Seiwald hinter Wimmer hinaus sowie Alaba auf, um Überzahl herzustellen. Belgien kam drei-, viermal über Lukébakio in Strafraumnähe, kam auch zu Abschlüssen, im Ganzen hatte Österreich die Sache defensiv aber ganz gut im Griff.
Österreichische Offensive
Nach vorne war beim ÖFB-Team hingegen nicht viel los, was auch am starken belgischen Spiel gegen den Ball lag. Sie drängten den österreichischen Ballführenden konsequent nach außen, sobald der Ball aus der Verteidigung herausgespielt wurde. So zwangen sie die Österreicher dazu, die Kugel schnell loszuwerden.
Nur sehr selten gelang es den Österreichern, einigermaßen kontrolliert in die gegnerische Hälfte zu kommen und aus dem Spiel wurden sie so gut wie gar nicht torgefährlich. Der Treffer – ein abgefälschter Gregoritsch-Schuss nach einem Eckball – war nicht wirklich eine Torchance, aber wenn aus dem Spiel nicht viel gelingt, ist es umso besser, wenn aus Standards was gelingt.
Belgien adaptiert
Tedesco änderte den Zugang nach der Pause ein wenig, indem er auch Linksverteidiger Theate nach vorne schickte. Der 23-Jährige von Stade Rennes kennt das und kann das, obwohl er im Verein eigentlich Innenverteidiger spielt, denn in der französischen Liga gibt es nur einen einzigen Abwehrspieler, der noch mehr mehr Meter per Dribbling gewinnt als Theate (nämlich Medina von Lens).
Theate also übernahm nun die Kontrolle auf der linken Seite, womit auch Carrasco – der als halblinker Achter/Zehner-Hybrid vor der Pause eher Passagier war – deutlich mehr eingebunden werden konnte. Theate, Carrasco und der schnelle Doku hielten das Tempo hoch, zirkulierten die Bälle schneller als dies zuvor im eher auf Lukébakios Tiefenläufe ausgelegten Spiel auf der rechten Seite, und drückten Österreich damit ziemlich hinten hinein.
Zudem wurde Schlager damit vermehrt aus dem Zentrum hinausgezogen, was dort wiederum Räume für die Belgien eröffnete. Der da schon überfällige Ausgleich durch Lukaku in der 61. Minute wurde zwar tatsächlich von Lukébakio vorbereitet, dies war aber auch eine Folge davon, dass Österreich sich längst nicht mehr nur auf eine Seite konzentrieren konnte.
Es wird wild
Sekunden vor dem Ausgleich hatte Rangnick einen Doppelwechsel vorgenommen, nach dem Gregoritsch ganz nach vorne ging, Sabitzer die hängende Spitze gab und Kainz die linke Seite übernahm; Arnautovic und Wimmer wichen. Tedesco wiederum schickte mit Bakayoko (statt Lukébakio) und Trésor (statt Doku) immer wieder neue, schnelle, dribbelstarke Offensivspieler auf das Feld und ersetzte Carrasco durch den flinken Openda, der zu Lukaku ganz nach vorne ging.
Das Match wurde in den folgenden 20 Minuten unglaublich wild. Bei Österreich rückten im Ballbesitz praktisch alle Spieler mit auf, ohne aber nach Ballverlusten ins Gegenpressing zu gehen – dafür fehlte nach dem intensiven Spiel im schwülheißen Wetter wohl auch einfach die Kraft. Die Folge war, dass dem ÖFB-Team so gut wie jeder eigene Angriff postwendend in Form eines blitzschnellen belgischen Konters um die Ohren flog.
Posch fand eine sehr gute Einschussmöglichkeit vor, die Courtois bravourös entschärfte, und Schlager missglückte der Nachschuss; einmal lief Gregoritsch 50 Meter fast alleine auf Courtois zu, Dendoncker lief ihn im letzten Moment ab. Auf der anderen Seite hatte Österreich mehr als nur einmal riesiges Glück bzw. profitierte von der ungemein umsichtigen und mutigen Spielweise von Lienhart, der ein grandioses Gefühl dafür hat, wann er zwei, drei Schritte aus dem Verbund herauszurücken hat, um einen Gegenspieler im richtigen Moment zu stellen.
In der absoluten Schlussphase drückte Belgien immer massiver, in der 94. Minute traf Tielemans noch das Aluminium, aber das ÖFB-Team zitterte das 1:1 über die Runden.
Fazit: Erst guter Plan, dann Glück gehabt
Österreich zeigte in diesem Spiel zahlreiche Facetten, die ein gutes Team ausmachen. Zum einen natürlich die defensiv weitgehend stabile erste Hälfte, in der man selbst nicht viel ausrichten konnte, aber dann immerhin aus einem Standard zum Erfolg kam.
Nach dem Seitenwechsel und mit massiv gestiegenem Druck von Belgien versuchte Österreich vermehrt, den Rhythmus zu brechen. Ein Foul zur richtigen Zeit, Bälle auch mal humorlos rausbolzen, gerne länger liegenbleiben als nötig. Auch Arnautovic‘ Ablenkungsläufe bei zwei Freistößen verraten Varianten, und dass man sich etwas überlegt hat.
Österreich hatte aber auch, und das muss man so klar sagen, ziemliches Glück, um in diesem Spiel mit einem 1:1 davonzukommen. Zum einen, weil Kevin de Bruyne nach seiner im Champions-League-Finale aufgebrochenen Muskelverletzung nicht mit dabei sein konnte und seine Ideen natürlich abgingen. Zum anderen, weil Belgien über die 90 Minuten betrachtet schon das sichtbar bessere Team mit der deutlichen Mehrzahl an klaren Torchancen war. Das gestand ja auch Ralf Rangnick ein, der „mit dem Punkt gut leben“ konnte.
Das Match gegen Schweden wird ein völlig anderes, vermutlich von der Rolle, die Österreich spielen wird, eher vergleichbar mit Aserbaidschan als mit der in Brüssel. Zum Vergleich: Schweden hat im März daheim 0:3 gegen Belgien verloren (Österreich 1:1) und 5:0 gegen Aserbaidschan gewonnen (Österreich 4:1).