Zur Klärung vorweg: Ich werde hier keine klassische Einzelspieleranalyse betreiben, sondern vielmehr versuchen Strukturen sichtbar zu machen. Ich werde also die Tormannleistungen bei dem Turnier eher allgemein betrachten. Meine Versuche dies zu tun sind spekulativ, da die meisten Teams keinen Einblick in ihr Training bei der WM erlauben. Meine Analyse beruht auf meinen Erfahrungen und Eindrücken und ist daher durchaus angreifbar. Ich versuche hier keine Wahrheit darzustellen, sondern eine Diskussionsgrundlage.
Zunächst ein paar einleitende Worte zum Tormanntraining. Auch dieses Training hat in den letzten 20 Jahren eine enorme Verwissenschaftlichung erfahren und damit auch den Fokus auf messbare Ergebnisse gelegt. Der Fokus wird dann zumeist noch eingeengt und zwar auf messbare Ergebnisse, die trainierbar (steigerbar) sind. Also z.B. Kondition, Reaktionsschnelligkeit, Geschwindigkeit, Kraft, kurz gesagt: Athletik.
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Nicht messbare oder nicht steigerbare Attribute haben in der Trainingslehre an Bedeutung verloren, wie Körpergröße, Charakter, Präsenz oder kommunikative Fähigkeiten. Der Beweis steht noch aus, dass diese Verschiebung der Prioritäten bessere Torhüter hervorbringt. Die Klasse eines Schmeichel, Buffon, Kahn oder Casillas hat die derzeitige Torhütergeneration nicht. Wie sehr sich die Generationen alleine durch das unterschiedliche Training in Sachen Athletik unterscheiden, mag dieses kleine Video deutlich machen:
The difference between Keylor Navas and Casillas
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Kommen wir zur WM. Die Torhüterleistungen waren eigentlich, nun ja, bescheiden. Auffallend waren vor allem die unzähligen Schlampereien und technischen Ungenauigkeiten. Woran mache ich das fest? An diversen Patzern, dem selten vorhandenen Übergreifen, dem übermäßigen Einsatz davon, den Ball beim Fangen kurz abtropfen zu lassen, usw.
Dieses schlampige Spiel betraf nahezu alle Torhüter. Sowohl nach älteren, wie auch nach neueren Trainingsmethoden werden aber die technischen Voraussetzungen bis zum Erbrechen eingeübt. Es muss also eine andere Ursache geben.
Meiner Meinung nach ist der Grund hierfür, dass die Torhüter bei den Nationalteams keine Trainer haben, die ihrer Klasse entsprechen. Schauen wir uns einmal die Karrieren der Tormanntrainer unter den Teilnehmern an. Die Hälfte der Tormanntrainer hat noch nicht einmal bei einem Verein gearbeitet, der auch nur zur erweiterten Spitze des Fußballs gezählt werden könnte. Die besten Vereine, für die Tormanntrainer bei der WM gearbeitet haben waren Valencia, Everton, Benfica oder Besiktas. Das ist nicht die europäische Elite und es sind leider auch keine Vereine, die als Torwartschmieden bekannt sind. Grundsätzlich ist keiner der Großen des Fachs dabei, wie z.B. Luis Llopis oder Eric Steele (der ist im Moment sogar vereinslos).
Warum wird das aber nun ausgerechnet bei dieser WM schlagend? Nun, weil sich in den letzten Jahren die Intensität im Tormanntraining enorm gesteigert hat (im Spitzenbereich). Als Beispiel hier ein Training von Luis Llopis.
Und hier als Vergleich das Tormanntraining der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2018. Die Intensität ist viel geringer, das wirkt wie in Zeitlupe gegen das Training, wie es derzeit bei der Elite der europäischen Clubs stattfindet.
Die Torhüter kommen aber von den besten Clubs und müssen daher vor und während der WM ein Training erdulden, welches nicht 100% ihrer Leistungsfähigkeit abruft. Und das bekommen wir dann eben auch im Match zu spüren.
Es gibt auch noch andere Indizien, die dafür sprechen, dass sich die internationale Elite bei den Nationalteams ungenügend betreut fühlt. Courtois meinte, dass er sich selbst sehr gezielt auf Brasilien vorbereitet hat. Davor sprach er immer davon, gut vorbereitet worden zu sein (vom Trainerteam). Im Zweifelsfall sorgt die internationale Elite also selbst für die entsprechende Intensität.
Welche Trends waren noch auffällig? Die Anfälligkeit der Torhüter bei Standards und Weitschüssen. Das hat einen simplen Grund, die Körpergröße. Durch den neuen Fokus der Trainingslehre schaffen es vermehrt kleinere Torhüter in die Startaufstellungen. Jedoch: Size matters. Zumindest beim Torwart. Bestes Beispiel dafür: Courtois. Der hatte mit Flanken und Weitschüssen überhaupt kein Problem und ein Torwart sollte grundsätzlich damit auch kein Problem haben. Navas ist z.B. genau deswegen bei Real umstritten, weil jeder Eckball eigentlich von der Verteidigung geklärt werden muss.
Es gibt aber auch positive Ausnahmen: Franck Raviot z.B. (Tormanntrainer bei Frankreich). Bislang konnte Lloris sein Potential abrufen. Das Training von Raviot ist kreativ, es hat eine hohe Intensität und es setzt sehr stark auf den Faktor Kommunikation. Auch Deschamps lässt die Torhüter öfter mit der restlichen Mannschaft trainieren als die meisten anderen Trainer. Und die bislang gute Abstimmung in der Defensive spricht ganz klar für diesen Ansatz. Auch hier möchte ich ein Gegenbeispiel anführen, diesmal aus der Bundesliga: Patrick Pentz. Wenn dieser im Interview als fertig ausgebildeter Torhüter behauptet, er müsse erst lernen mit der Abwehr zu kommunizieren, dann war seine Ausbildung einfach ungenügend. Und über die Anzahl der Gegentore der Austria breiten wir jetzt mal den Mantel des Schweigens.
Aber auch Tschertschessow bzw. sein Tormanntrainer Stauce haben mit Akinfeev gute Arbeit geleistet und ihm einige seiner ewigen Fehler ausgetrieben.
Bei den Torhütern selbst konnten der ewig tapfere Navas, der stets im Team überzeugende Ochoa und der sehr fokussierte Courtois überzeugen. Torhüter des Turniers ist aber bisher Lloris, weil er auch seine Abwehr gut im Griff hat. Ich wünsche ihm alles Gute, dass auch das Finale positiv für ihn verläuft.
Die WM ist also diesmal nicht nur ein Turnier, bei dem die Torhüter ihre Form beweisen können, sondern sie hat diesmal zwei Dinge verdeutlicht. Erstens, das Torwarttraining in den Nationalteams ist derzeit nicht auf dem Niveau der Clubs und bereitet daher die Torhüter ungenügend auf das Turnier vor. Und zweitens müssen auch die Verfechter der modernen Torwartschulen bestimmte Trends deutlicher hinterfragen (z.B. die Aufhebung eines Körpergrößenlimits und vor allem das stark separierte Training, dass die Kommunikation mit der Abwehr zu selten trainiert).
Unser Leser „martidas“, der sich immer wieder mit spannendem Input in unsere Diskussionen einbringt, hat uns diese Analyse der Tormannleistungen der WM 2018 zukommen lassen. Danke.