Leicester und Tottenham um den Titel, City und United machen sich den letzten CL-Platz aus, Chelsea versinkt in der Bedeutungslosigkeit, Newcastle steigt ab: Zugegeben, auch wir haben die abgelaufene Saison in der Premier League nicht ganz exakt vorausgesagt.
Dafür blicken wir nun ausführlich zurück auf die ungewöhnlichste Spielzeit, die Englands höchste Liga seit sehr langer Zeit gesehen hat: Jedes der 20 Teams wird unter die Lupe genommen, vom Sensations-Champion Leicester bis zum heillos überforderten Aston Villa.
Der Sensations-Meister
„Wir spielen mit einem Drei-Mann-Zenturm: Drinkwater in der Mitte und N’Golo Kanté links und rechts von ihm“, meinte Steve Walsh, Scouting-Chef von Leicester City, nur halb im Scherz. In der Tat ist der Titel des krassen Außenseiters vor allem auf grandioses Scouting und Top-Transfers zu einem Spar-Preis zurück zu führen.
Nur zwei Teams in der Premier League hatten noch weniger Ballbesitz, gar nur eine brachte noch weniger eigene Pässe an den Mann. Aber: Die defensive Grundstruktur mit zwei Kanten in der Abwehr ein einem Kanté davor, kombiniert mit schnellen Umschaltspielern und einem eiskalten Vollstrecker in Jamie Vardy war leicht zu durchschauen, aber vor allem im Frühjahr fast unmöglich zu knacken.
Zudem wusste jeder Spieler um seine Rolle und hielt sich an das von Claudio Ranieri vorgegebene Konzept. Zudem spielte Leicester die Saison de facto mit nur zwölf Spielern durch: Die beiden Cup-Bewerbe schenkte man ab, international war man eh nicht dabei und Verletzungen gab es auch keine. Das Resultat: Die sicherlich größte Sensation im modernen Fußball, Leicester City als englischer Meister – und das schon zwei Spieltage vor Saisonschluss.
Hier geht’s übrigens zu unserem Leicester-Spezial-Podcast.
Die „Jäger“ aus North London
Bis zu einem recht dramatischen Kollaps in den letzten drei Spielen sah Tottenham wie der sichere Vizemeister aus. Ähnlich wie Leicester spielte Mauricio Pochettino mit einem sehr kleinen Kreis an Spielern, aber anders als die Foxes mit einer sehr hohen Abwehr, einem für englische Verhältnisse recht aggressiven Pressing. Und man profitiert auch davon, dass die relativ junge Mannschaft diesen Stil auch bis fast bis zum Schluss durchhielt.
Der offensiv denkende Achter Dembélé, die quirligen Außenspieler Alli und Lamela – eigentlich beides verkappte Zehner – dazu die belgische Beton-Innenverteidigung mit Vertonghen und Alderweireld (und mit Kevin Wimmer, der nicht abfiel, als der den monatelang verletzten Vertonghen vertrat), mit Lloris einen der Top-Goalies in der Liga: Pochettino wurde seinem schon in Southampton erworbenen Ruf, ein ausgezeichneter Entwickler von Spielern zu sein, weiterhin auch in Tottenham gerecht.
Auch, wenn man am Ende noch von Arsenal abgefangen wurde: Die Spurs legten die Basis dafür, auch in den kommenden Jahren ein ernsthaftes Wort um den Titel mitzureden – das Team ist mit 25,0 Jahren im Schnitt das jüngste aller Mannschaften im erweiterten Spitzenfeld.
Bei den Nachbarn der Spurs steht mit dem zweiten Platz nominell die beste Endplatzierung seit elf Jahren zu Bruche. Aber war diese Saison für Arsenal wirklich besser als die davor? Eher nicht: Wieder gab es einen vielversprechenden Start, wieder gab es den Rückfall in den Wintermonaten, und wieder war die Konkurrenz längst enteilt, als man wieder zurück in die Spur fand. Kurz: Die Gunners treten weiter auf der Stelle.
Dabei hätten sie mit Mesut Özil den mit sehr viel Abstand besten Assistgeber der Premier League in ihren Reihen, mit Alexis Sánchez eine unberechenbare Waffe auf der Außenbahn, routinierte und sichere Verteidiger in Koscielny und Mertesacker, einen Weltklasse-Keeper in Petr Cech – und doch hat es Arsenal wieder geschafft, am Griff nach dem Titel deutlich zu scheitern.
Arsenal zahlte einmal mehr den Preis dafür, zu viele Punkte gegen gute Teams liegen gelassen zu haben: In den acht Spielen gegen Tottenham, West Ham, Liverpool und Southampton gab es keinen einzigen Sieg, hinzu kamen zwei Niederlagen gegen Chelsea. Wie ein ambitionierter, aber ein wenig zu schwachbrüstiges Kind, das sich am Schulhof nicht so recht durchsetzen kann. Und wenn es dann noch Niederlagen gegen Swansea und West Brom gibt und Punktverluste gegen Sunderland und Norwich…
United disappointment in the City of Manchester
Natürlich muss man erst einmal so weit kommen. Aber die hoffnungslos desinteressierten Auftritte von Manchester City im CL-Halbfinale gegen Real Madrid repräsentieren weite Teile der Saison: Ohne Elan, ohne Vision, ohne Kampf und ohne Spielwitz ließen die meisten Spieler der Citizens diese Spielzeit über sich ergehen. Dass es dennoch für den vierten Platz reichte, spricht für das grundsätzliche individuelle Potenzial (und gegen die Konkurrenz).
Heimniederlagen gegen Leicester, Tottenham, Liverpool, West Ham und Man United unterstreichen, dass City in dieser Saison vor allem als Flat Track Bully auftrat – Kantersiege gegen Abstiegskandidaten und Kellerkinder, aber plan- und oft auch lustlos, wenn qualitiativ hochwertigere Gegner kamen. Vor allem Yaya Touré spielte oft demonstrativen Standfußball.
Natürlich: Es gab auch Verletzungssorgen. Kompany fiel oft und lange aus, aber die Vertreter Mangala und (vor allem) Otamendi waren nicht das Problem. Agüero mühte sich nach Kräften, war aber von seinen Hinterleuten Silva (unkonstant), Navas (oft untergetaucht) und Touré (eine Gemeinheit) alleine gelassen. Nur Kevin de Bruyne, der sich im Frühjahr zunehmend ins Team gespielt hat, brachte so etwas wie Schwung in das statische Spiel der Citizens.
Immerhin holte City den Ligacup, übertrieben unglücklich wird über das Ende der dreijährigen Amtszeit den spröden Manuel Pellegrini aber keiner sein. Mit Pep Guardiola wird kaum ein Stein auf dem anderen bleiben.
Auch auf der anderen Seite von Manchester wird man diese Saison so schnell wie möglich vergessen wollen – und, wenn es geht, nur noch als das Jahr in Erinnerung behalten, in dem sich Marcus Rashford, Jesse Lingard und Cameron Borthwick-Jackson etabliert haben. Und ja, auch die Neuerwerbungen Schneiderlin und Martial spielten ein ansprechendes Jahr.
Natürlich war der Beinbruch von Luke Shaw am Saisonbeginn ein schwerer Schlag. Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Memphis Depay ein Desaster war (nur drei Torbeteiligungen in der ganzen Saison, keine einzige mehr seit November); dass Bastian Schweinsteiger körperlich kaputt ist (was man ja üüüberhaupt nicht vorher wusste); dass Marouane Fellaini selten auch nur Drittliga-Niveau erreichte. Auch die seltsam passive Spielweise von Van Gaal muss man nicht zwingend verstehen. Ohne jedes Risiko ließ man in vielen Spielen vor allem gegen defensivere Gegner die Zeit verstreichen und speziell nominell weniger gute Teams haben selbst im einst so gefürchteten Old Trafford nicht mehr so furchtbar viel zu befürchten.
Immerhin gewann United gegen Liverpool (2x), Arsenal, City und Tottenham. Dafür gab es blamable Niederlagen gegen Bournemouth, Norwich, Sunderland, West Brom und Swansea; dazu gab’s das Champions-League-Aus gegen ein wirklich nicht überragendes Team aus Wolfsburg und eine Europacup-Niederlage beim FC Midtjylland.
So schaffte es United nicht einmal, ein im Dämmerschlaf vor sich hin siechendes City zu überholen und verpasst so zum zweiten Mal im dritten Post-Ferguson-Jahr die Champions League.
Das Rennen um europäische Restplätze
Mauricio Pochettino hatte aus den Saints ein auf dem Papier nicht top-besetztes, aber absolut gutklassiges Premier-League-Team geformt. Auch das zweite Jahr unter Ronald Koeman verlief unter dieser Prämisse und es wäre sogar noch mehr drin gewesen als ein Europa-League-Platz. Hätte es nur diese Phase zwischen Mitte November und Neujahr nicht gegeben, als Southampton sechs der neun Spiele verloren hat.
Denn in der zweiten Saisonhälfte holte nur Leicester noch mehr Punkte als das Team von der Südküste, das im Saisonverlauf Arsenal (4:0 am Boxing Day), Tottenham, Liverpool, Chelsea und beide Klubs aus Manchester bezwingen konnte. Koeman zeigte sich systemflexibel (aus dem Grund-4-2-3-1 wurde immer wieder mal ein 4-4-2 oder eine Variante mit Dreierkette) und sein Team präsentierte sich als recht optimale Mischung aus Tempo, Übersicht und nötiger Härte.
Southampton zieht sich nach Ballverlust nicht sofort wieder zurück, sondern versucht oft, schnell die Kugel zurück zu gewinnen. Sind die Saints in der Defensive, verteidigen sie sehr kompakt und sie scheuen auch den schnellen Gegenzug nicht. Grundsätzlich aber will Koeman den Aufbau in die eigenen Hände nehmen. Diese Kombination macht Southampton recht vielseitig und für praktisch jedes Team äußerst ungut zu spielen. Und wohlgemerkt: In den letzten zwei Jahren hat der Klub Spieler im Wert von 150 Millionen Euro verloren (Schneiderlin, Clyne, Shaw, Lallana, Lovren). Bleibt das Team halbwegs zusammen, ist ihm auch weiterhin viel zuzutrauen.
Einen weiteren Schritt nach vorne will auch West Ham machen, wenn der Klub ab Sommer statt im alten Boleyn Ground im adaptierten Olympiastadion spielen wird. Das starke Premieren-Jahr unter Slaven Bilic heizt natürlich die Erwartungen an, und es ist unmöglich, diese starke Saison nicht in ursächlichen Zusammenhang mit Dimitri Payet zu bringen.
Der Franzose, der von Marseille gekommen war, ist drittbester Tor-Assistgeber und zweitbester Torschuss-Vorlagengeber der Liga. Auch Manuel Lanzini spielte eine ansprechende erste Saison in einer echten Weltklasse-Liga, Bilic verglich den Argentinier bereits mit Luka Modric; und Kapitän Mark Noble ist sowieso seit vielen Jahren ein Premier-League-Fixpunkt.
Es gibt aber sehr wohl ein paar Sachen, die den Hammers noch zu einem echten Spitzenteam fehlen. Zum einen ein Stürmer, der konstant trifft (Carroll ist ein wenig zu eindimensional, Sakho bislang ein wenig zu oft verletzt); zum anderen muss an der Defensive noch gearbeitet werden – 51 Gegentore sind vermutlich um zehn zu viel, um ernsthaft um die CL-Plätze mitspielen zu können.
Die Euphorie bei West Ham ist vor dem Umzug jedenfalls riesig (52.000 Dauerkarten wurden für kommende Saison abgesetzt), spürbare Aufbruchstimmung herrscht trotz der verlorenen Endspiele in Europa League und Ligapokal auch bei Liverpool, seit Jürgen Klopp im Oktober das Zepter an der Anfield Road übernommen hat.
Das drückt sich zwar noch nicht in Ergebnissen aus (in einer „Klopp-Tabelle“ wäre Liverpool Siebenter) und es gab auch unter dem Deutschen deutlich zu viele Gegentore, aber schon nach wenigen Monaten ist ganz klar erkennbar, dass das Klopp’sche Gegenpressing diverse Gegner deutlich aus der Ruhe bringt. Die starken europäischen Auftritte gegen Manchester United, Borussia Dortmund und Villarreal zeigen, dass Liverpool deutlich auf dem Weg nach oben ist (vor allem verglichen mit den ambitionslosen Auftritten in der Saison davor unter Rodgers) und wenn man es hinbekommt, dass es in Zukunft weniger Verletzungen gibt (nur Newcastle hatte noch mehr Verletzte), kann das nur positiv sein.
Dennoch ist Liverpool natürlich Work in Progress und wird das auch noch bleiben. Auch in Klopps erste Saison mit Dortmund wurde ein Europacup-Platz verpasst und erst im dritten BVB-Jahr hatte Klopp endgültig die Mannschaft zusammen, die er sich vorstellte. Es wird auch in Liverpool noch einige Transferperioden dauern, bis die Mischung stimmt.
(Nicht ganz) zufrieden im Niemandsland
Seine Teamkollegen wählten in zum Stoke-Spieler der Saison – ein deutliches Zeichen dafür, dass Marko Arnautovic mit seiner dritten Spielzeit im Britannia Stadium durchaus zufrieden sein kann.
Für seinen Klub war die Saison aber, gemessen an den Hoffnungen, eher eine Enttäuschung; die Potters klopften nur kurz an die internationalen Plätze an. Viel mehr als der neunte Rang war vermutlich nicht drin, angesichts der unzähligen Verletzungen, mit denen Stoke zu kämpfen hatte (Johnson drei Monate wegen des Knies, Adam drei Monate wegen der Wade, Muniesa zwickte lange der Oberschenkel, Afellay am Saisonende das Knie) und den ständigen Formschwankungen von Shaqiri, der sein Potenzial weiterhin nur ab und an mal abruft.
So bleibt eine anständige Saison von Arnautovic und eine großartige von Torhüter Jack Butland, der die EM zwar verletzt auslassen muss, über kurz oder lang aber Joe Hart durchaus aus dem Three-Lions-Tor spielen kann. Die Erwartungen an die kommende Saison sind hoch, aber auch die Teams davor sind eher im Aufwärtstrend.
So richtig glücklich kann auch Swansea mit der abgelaufenen Saison nicht sein. Die Einschätzung des Klubs im letzten Sommer, den Kader kaum zu verändern, stellte sich als Fehler heraus und Klublegende/Trainer Garry Monk wurde nach nur drei Siegen aus den ersten 15 Spielen, aber vielen besorgniserregend schlechten Leistungen entlassen.
Dass man nach einer fast einmonatigen Suche Francesco Guidolin aus dem walisischen Hut zauberte, überraschte jeden, stellte sich aber als sehr gute Entscheidung heraus. Der bärbeißige Nordiraliener mit 25 Jahren Trainer-Erfahrung in der Serie A schaffte es schnell, das Potenzial von Schlüsselspielern wie Gylfi Sigurdsson und Dédé Ayew herauszukitzeln. Die Leistungen der Defensive blieben zwar überwiegend ausbaufähig, aber vorne klappte es unter Guidolin deutlich besser als unter Monk – aus 0,9 Toren pro Spiel (Monk) wurden fast 1,5 Treffer pro Partie (Guidolin). So kletterte man langsam, aber sicher wieder nach oben, raus aus der Gefahrenzone.
Mehr als ein Durschnitts-Team ist Swansea von seinem Kader her nicht, zudem ist das Team tendenziell eines der älteren und ist ohne einer kräftigen Handvoll neuer, junger Spieler daher kaum entwicklungsfähig. Andererseits kennt Guidolin das ja aus Italien, zudem könnte eine Umstellung auf die von ihm traditionell präferierte Dreier-Abwehr neue Impulse bringen.
Eine weitgehend sorgenfreie Saison hat West Brom hinter sich, und weil man im Umfeld wusste, dass es nur darum geht, den Abstieg zu vermeiden, kann der Klub auch gut damit leben, nicht besonders aufregend zu sein. Im Gegenteil: Wo Tony Pulis draufsteht, ist Tony Pulis drin.
Kein Team in der Liga hat noch weniger Ballbesitz als West Brom. Kein Team in der Liga hat einen schlechteren Wert, was angekommene Pässe angeht (logisch, weil der übliche Passweg von Pulis-Teams gefühlt über 70 Meter geht). Nur der völlig überforderte Absteiger Aston Villa hat noch weniger Tore erzielt als West Brom. Aber: Es hat nur eine Mannschaft mehr Kopfballduelle gewonnen, nur die Europacup-Teilnehmer haben weniger Gegentore kassiert – und das, obwohl man die drittwenigsten Tackles in der ganzen Liga gebraucht hat und zudem zu jenen Teams gehört, die am wenigsten Fouls begehen.
Kurz: Es war eine Saison mit todlangweiligem und zuweilien primitiven Defensiv-Fußball, der aber seinen Zweck (nämlich den Klassenerhalt) erfüllt hat.
Ziemlich unzufrieden im Niemandsland
Dass ein Meister so kolossal zusammenbricht wie Chelsea in dieser Saison, ist sehr selten – aber es war die klassische Mourinho-Krankheit, die wie so sicher das Amen im Gebet im dritten Jahr von jeder seiner Amtszeiten auftritt. Die Stimmung kippte schon mit Mourinhos völlig überzogenen Verbal-Angriff auf Klub-Doc Eva Carneiro nach dem ersten Spieltag. Mit ihrer Kündigung verloren die Spieler einen vertrauensvollen Ansprechpartner und durch den komplett sinnlosen Ausbruch ihres Trainers damit das Vertrauen in diesen.
Guus Hiddink brachte ein wenig Ruhe in das Team, das zeitweise um die Abstiegsplätze herum spielte, aber mehr als ein sportlicher Konkursverwalter war der Holländer nicht. Ein kaputtes Team spielte eine anonyme Saison zu Ende, ohne wirkliche Höhepunkte. Im Wissen darum, keine Chance mehr auf einen Europacup-Startplatz zu haben, war einigen die Einstellung deutlich anzusehen, dass sie den Rest der Saison nur als lästiges Pflichtprogramm empfanden.
Bis auf Wuschelkopf Willian, der über weite Strecken eine recht ansprechende Saison spielte, geht niemand auch nur als gefühlter Sieger aus dieser Saison heraus. Die personelle Kontinuität, die im Kader über die letzten zehn Jahre herrschte, führte dazu, dass Chelsea nun eher über ein satte, gelangweilte und in Teilen überalterte Mannschaft verfügt, aber gleichzeitig den Anspruch hat, zumindest um den Titel mitzuspielen. Da kommt einiges an Arbeit auf Antonio Conte zu.
Auch bei Everton wird der Chef-Posten für die kommende Saison neu besetzt. Roberto Martinez konnte in seinen drei Jahren im Goodison Park die hohen Erwartungen nicht nachhaltig erfüllen (nach einem starken fünften Platz folgten zwei elfte).
Vor allem defensiv krankte das Spiel der Toffees. Nur ein Team in der Liga fing weniger Pässe ab als Everton (Absteiger Norwich), nur zwei Teams ließen noch mehr Torschüsse zu. Vor allem daheim agierte Everton zumeist ziemlich frustrierend: Nie holte der Klub weniger Punkte aus Heimspielen.
Außerdem wurden noch 18 Punkte nach einer Führung hergegeben. Die talentierte Offensiv-Abteilung spielte zwar eine ansprechende Saison, der es aber an der Konstanz fehlt, um auch das Maximum aus den Möglichkeiten heraus zu holen. Zudem kommt Gareth Barry, der (wenn fit) den Laden im Zentrum zusammen halten kann, langsam in ein Alter, in dem er immer langsamer wird.
Dieser Sommer wird sehr entscheidend für die Frage, wie es mit Everton in den nächsten Jahren weiter geht.
Genau das trifft auch auf Crystal Palace zu. Seit dem Jahreswechsel konnte man nur noch zwei Spiele gewinnen, krachte somit von Platz fünf bis kurz vor den Abstiegskampf hinunter. Das Besorgniserregende daran: Diese Entwicklung bestätigt ein Muster, das bei Trainer Alan Pardew immer vorkommt – sein Image als ganz schlechter Krisenmanager erhielt in diesen letzten paar Monaten weitere Nahrung.
Natürlich war es nicht gerade hilfreich, dass Mittelfeld-Mann James McArthur weite Strecken der zweiten Saisonhälfte mit einer Knöchelverletzung aussetzen musste. Auch der quirlige Bolasie, der talentierte Wickham und der routinierte Puncheon blieben nicht von Verletzungen verschont. So kam es, dass den Eagles vor allem das Toreschießen ausnehmend schwer fiel – in 14 Spielen blieb Palace torlos, einmal sogar fünf Matches hintereinander.
So steht Palace nach diesem katastrophalen Frühjahr an einem Scheideweg: Gelingt es, den Trend aus den Jahren davor wieder aufzunehmen und sich im Mittelfeld zu etablieren, oder geht es wieder in Richtung Abstiegskampf?
Aufsteiger mit völlig konträren Plänen
Watford sorgte letzten Sommer für Aufsehen, alt man bis auf fünf Spieler den kompletten Aufstiegskader austauschte – nur Gomes, Cathcart, Abdi, Ighalo und Deeney überlebten den radikalen Schnitt, auch Trainer Slavisa Jokanovic fiel dem totalen Umbau von Klubbesitzer Gino Pozzo zum Opfer.
Der völlig neue Kader in Kombination mit dem neuen Coach Quique Sánchez Flores (der 2010 mit Atlético Madrid die Europa League gewonnen hat) funktionierte erstaunlich schnell erstaunlich gut, am Boxing Day lag man punktgleich mit Man United auf Rang sieben. Dann aber ging’s abwärts: In der zweiten Saisonhälfte waren nur zwei Teams schlechter.
Hierzulande beschränkte sich das Interesse an Watford auf die Frage, ob Prödl spielt oder nicht (Antwort: Prödl spielte eher gegen Teams mit schnellen Stürmern, weil er das Spiel defensiv besser lesen kann und bessere Übersicht hat; Britos eher gegen Teams mit Strafraumstürmern, weil er zweikampfstärker ist). Generell fiel aber auf, dass die Spielanlage von Watford gar nicht so unähnlich zu jener von Sánchez‘ einstigem Atlético-Team: Ein 4-4-2 mit einem phsyisch starken (Deeney bzw. Forlán) und einem schnellen Stürmer (Ighalo bzw. Agüero), mit zwei Spielmachern auf den Außen (Abdi/Jurado bzw. Reyes/Simao), mit einem Tackler und Umschaltspieler (Capoué bzw. Assuncao) im Zentrum.
Es war auch diese Vorhersehbarkeit, die Watford im Frühjahr zurückfallen ließ. Es steht zu vermuten, dass in der neuen Saison wieder alles so ganz neu sein wird wie es zu Beginn dieser Saison war. Trainer wird Walter Mazzarri sein, der Napoli dorthin führte, wo der Klub jetzt ist (nämlich in die Serie-A-Spitzengruppe).
Den genau anderen Weg wie Watford ging Mitaufsteiger Bournemouth. Von der Stamm-Formation der Aufstiegssaison waren acht Mann auch in der Premier League Stamm: Die komplette Vierer-Abwehr und grundsätzlich auch das komplette Vierer-Mittelfeld (aus dem nur Harry Arter verletzungsbedingt Dan Gosling Platz machen musste), auch Goalie Boruc war letzte Saison schon da. Und hätte sich nicht Stürmer Callum Wilson im September das Kreuzband gerissen, würde auch er zu dieser Kategorie dazuzählen.
Außerdem ging der als heißester Abstiegskandidat geltende Klub nicht von seiner vorwärtsgerichteten Spielanlage ab, die unter der Regie von Eddie Howe den erstmaligen Premier-League-Aufstieg gebracht hat. Das wurde zuweilen als etwas arg naiv gescholten und brachte auch die eine oder andere derbe Niederlage (1:5 und 0:4 gegen Man City, 1:4 gegen Tottenham). Andererseits aber sorgte der Umstand, das man sich selbst treu blieb, für gleichbleibendes Selbstverständnis im No-Name-Kader und damit auch für einige Achtungserfolge – wie die Siege gegen Man United und Chelsea im Dezember, die nach einer harzigen Phase auch das nötige Selbstvertrauen zurück brachten.
Am Ende steht für das südlichste Team der Liga der Klassenerhalt zu Buche, der deutlich souveräner war, als man sich das erwarten durfte. Klar ist aber auch: Dem Kader fehlt es sehr wohl an Tiefe und auch an der nötigen Klasse, um sich in dieser Form auf längere Sicht in der Premier League etablieren zu können. Da es in Bournemouth in erster Linie auf die mannschaftliche Geschlossenheit ankommt, müssen Neuankömmlinge aber nicht noch sportlich, sondern noch viel mehr auch menschlich in das bestehende Gefüge hinein passen.
Abstiegs-Infight mit Nord-Schlagseite
In der TV-Serie „Game of Thrones“ gehört der Name der Familie Stark untrennbar zum Norden. In der Premier League waren die beiden Klubs aus dem Norden Englands in dieser Saison vieles. Aber stark waren sie nicht.
Die Black Cats aus Sunderland haben es am Ende geschafft, sich noch irgendwie in der Premier League zu halten. Dabei sah es (wieder einmal) lange so aus, als stünde der Abstieg gefühlt schon im Dezember fest. Nur widerwillig hatte sich Dick Advocaat, der die letztjährige Rettung vollzogen hatte, im Sommer zum Weitermachen überreden, aber nach drei Punkten aus den ersten acht Spielen bei gleichzeitig oft horrender Überforderung war der Holländer doch weg.
Signifikant besser wurde es unter Sam Allardyce zwar erst einmal nicht, aber der erdige Brummbär mit der Vorliebe für große Sprüche vermittelte anders als Advocaat zumindest den Eindruck, als sei ihm das Schicksal seines Teams nicht völlig egal. Die entscheidende Phase für Sunderland war aber das Jänner-Transferfenster, in das man als Vorletzter mit sieben Punkten Rückstand auf das rettende Ufer gegangen ist.
Mit drei Neuzugängen nämlich änderte sich für Sunderland fast alles: Innenverteidiger Koné von Nizza, Sechser Kirchhoff von der Tribüne des FC Bayern und Außenstürmer Khazri von Bordeaux. In der zweiten Saisonhälfte ging die Anzahl der Gegentore dramatisch nach unten (von 2,0 pro Spiel auf 1,3), die der erzielten Treffer deutlich nach oben (von 1,0 pro Spiel auf 1,6). Mit der deutlich besser ausbalancierten Mannschaft hinter ihm klickte es auch bei Sturmspitze Jermain Defoe wieder.
Wenn Sunderland gezeigt hat, wie viel man mit nur drei richtigen Transfers erreichen kann, hat der Nachbar aus Newcastle gezeigt, wie viel man mit ziemlich vielen reichlich sinnlosen Transfers zerstören kann. Mark Ashley warf vor der Saison 70 Millionen Euro für Wijnaldum, Mitrovic, Thauvin und Mbemba auf den Markt; im Winter weitere knapp 40 Millionen für Shelvey, Townsend und Saivet.
Thauvin floppte furchtbar und flüchtete schon im Winter zurück nach Marseille, Mitrovic brauchte zu viele Chancen. Shelvey war defensiv durchlässig und offensiv zu harmlos. Townsend hat gezeigt, dass er eine passable Alternative ist, aber mehr auch nicht. Und Saivet kostete sechs Millionen für vier Einsätze. Von all den fancy Neueinkäufen konnten nur zwei überzeugen (Wijnaldum und Mbemba).
Dafür musste Moussa Sissoko out of position spielen und steuerte auf der ungeliebten Außenposition genau null Tore (und auch nur fünf Assists) bei. Der alte Coloccini ist zunehmend überfordert, Janmaat kaum mehr als biederer Durchschnitt und Dummett ist der unproduktivste Außenverteidiger der Premier League überhaupt (kein Witz).
Kurz: Der völlig ohne jeglichen Plan und rein nach Namen zusammen gestellte Kader passte hinten und vorne nicht zusammen, ligaweit hatte kein Team noch mehr Verletzungspech und Zauderer Steve McClaren war dann auch noch der falsche Trainer, um so einen disfuktionalen Haufen zu einer auch nur halbwegs funktionierenden Einheit zu machen. Es ist nur Goalie Rob Elliot zu verdanken (der den verletzten Tim Krul vertrat), dass die Magpies nicht schon längst verloren waren, als man sich im März doch durchringen konnte, McClaren zu entlassen.
In den Spielen unter Rafa Benitez war Newcastle das neuntbeste Team der Liga, in den letzten sechs Partien blieb man ungeschlagen, aber es war angesichts der steigenden Form von Sunderland zu spät. Sechs Jahre nach dem letzten Abstieg geht es wieder runter. Damals schaffte man den sofortigen Wiederaufstieg.
Experten für Wiederaufstiege sind die Canaries aus Norwich. Der Fahrstuhl-Klub von der Ostküste hat in den letzten zwölf Jahren vier Abstiege und ebenso viele Aufstiege erlebt. Dass es nun nach einem Jahr in der Premier League wieder runter geht, ist also fast schon Normalität.
Norwich startete ganz okay und hielt sich über die meiste Zeit der Saison knapp oberhalb der Abstiegsplätze auf, konnte sich aber nie wirklich absetzen und rutschte gegen Ende der Saison zusehends ab und konnte nicht mehr entgegen steuern. Die 67 Gegentore sind schon nicht besonders gut (was auch mit der Verletzung von Timm Klose zu tun haben mag), das eigentliche Problem von Norwich war aber eher am anderen Ende des Platzes zu finden. Der als unkonstant und launisch bekannte Mbokani war noch der am wenigsten schlechte Stürmer, die anderen (Jerome, Naismith und Bamford) zeigten nicht einmal annähernd Tauglichkeit für die Premier League.
Und so war es den Grün-Gelben auch nicht möglich, auf die am Saisonende steigende Form von Newcastle und vor allem Sunderland angemessen zu reagieren. Fünf der letzten sechs Spiele wurden verloren, gefühlt war nach dem kläglichen 0:3 daheim gegen Sunderland am fünftletzten Spieltag alles verloren.
Was lange siecht…
Die Plätze 16, 15 und 17 in den letzten drei Jahren. Vergangenen Sommer Vlaar (aufgehört), Benteke (weggekauft), Delph (trotz anderslautender Versprechungen zu Man City abgehauen), Tom Cleverley (Ende der Leihe) und Andi Weimann (in die 2. Liga verkauft) verloren. Und dann auch noch Tim Sherwood als Trainer…
Schon vor Saisonstart war Aston Villa einer der ganz, ganz heißen Kandidaten auf einen Abstieg. Dass der Meistercup-Sieger von 1982 in dieser Saison aber so dermaßen schlecht sein würde, dass selbst doppelt so viele Punkte noch immer den letzten Platz bedeutet hätten, haben selbst Pessimisten nicht erwartet.
Nach dem Sieg zum Auftakt gegen Bournemouth folgten in den nächsten 19 Spielen satte 14 Niederlagen und kein einziger voller Erfolg. Remi Garde, der Ende Oktober für den heillos überforderten „Tactics Tim“ Sherwood (0,4 Punkte pro Spiel) übernahm, brachte auch keine nennenswerte Verbesserung (0,6 Punkte pro Spiel). Aber die leidgeprüften Fans des Traditionsklubs haben vor allem Owner Randy Lerner im Visier. In den letzten paar Jahren ging es mit dem Klub, der an die CL-Plätze anklopfte, stetig bergab – und Lerner machte nie den Eindruck, als wolle er den Abwärtstrend stoppen.
Fünfmal verlor Villa in dieser Saison mit vier Toren oder mehr Differenz und die wenigen Spieler, die zumindest in der Vergangenheit mal Klasse gezeigt haben (Agbonlahor und Lescott vor allem, aber auch Richards) wirkten zumeist gleichgültig bis ignorant.
Lerner hat den Klub nun für lächerliche 60 Millionen Pfund an den chinesischen Geschäftsmann Tony Xia verkauft und dieser hat hochtrabende Pläne (Champions-League-Titel in zehn Jahren, man kennt sowas ja). Realistischerweise aber steht nun ein kopletter Neustart an und in der Championship hatten schon wesentlich besser aufgestellte Klubs große Probleme. Anders gesagt: Wenn nicht sehr schnell einige sehr entscheidende Dinge in eine sehr gute Richtung gelenkt werden, kann es auch ganz schnell in die Drittklassigkeit gehen.
Fazit: Ein unterhaltsames Chaos-Jahr
Selten gab eine Premier-League-Saison so viele Geschichten her wie diesmal: Leicsters Siegeszug, Chelseas freier Fall, die wachsende Ablehnung von Van Gaal, der Klopp-Hype in Liverpool, und und und. Der gezeigte Fußball war nicht immer großartig und an der Spitze hinkt die Premier League dem spanischen Top-Trio und den beiden deutschen Titelkandidaten deutlich hinterher – in der Breite aber ist keine große europäische Liga so ausgeglichen.
Das liegt natürlich daran, dass selbst Abstiegskandidaten in der Premier League zum Teil deutlich mehr Geld zur Verfügung haben wie etwa Klubs aus der erweiterten Bundesliga-Spitze. Gerade jene Vereine, die diese Möglichkeiten intelligent nützen (wie Leicester, Southampton und West Ham) und nicht blindwütig einfach irgendwen kaufen (wie Newcastle), schließen zu den Top-Klubs auf.
Diese wiederum haben zwar oft breitere Kader, die aber oft entweder falsch eingesetzt werden (Man Utd), in Selbstzufriedenheit versinken (Man City, Chelsea) oder in sich einfach nicht zusammen passen. So hat diese Saison eindeutig gezeigt, dass auch in der Premier League eine stingente Strategie (Foxes, Spurs, Saints) die reine individuelle Klasse immer öfter aussticht.
Das heißt: Man kann durchaus davon ausgehen, dass es auch in der kommenden Saison in der Premier League einige Überraschungen geben wird.