Österreich verliert das Testspiel gegen die Türkei mit 1:2. Das Ergebnis ist nicht schlimm, zumal die Gegentore aus einem Freistoß und einem Torwart-Patzer entstanden. Was hingegen sehr wohl etwas Sorge bereitet: Ohne Julian Baumgartlinger, der krank fehlte, konnte Marcel Koller nicht so reagieren, wie das nach der intelligenten Umstellung des türkischen Trainers Fatih Terim notwendig gewesen wäre.
Vor Terims Umstellung
Der Hauptunterschied in der österreichischen Herangehensweise zum Spiel gegen Albanien war die deutlich tiefere Positionierung von Stefan Ilsanker gegenüber Julian Baugartlinger. Der offene Sechserraum, der gegen Albanien noch das Hauptproblem war, war durch diese Maßnahme deutlich stabiler besetzt.
Durch die tiefe Position von Ilsanker und die hohe von Junuzovic, der gemeinsam mit Okotie wieder vorne presste, ergab sich bei Österreich sowas wie ein 4-1-3-2. Die Pressingwege passten (mit einigen Ausnahmen, wo die zweite Welle nicht so recht nachrückte), man zwang die Türken zu langen Bällen. Die viel rochierenden Außenstürmer Arda und Çalhanoğlu kamen kaum zur Geltung, die beiden Achter Oğuzhan und Ozan waren kaum ein Faktor.
Defensiv arbeitete auch Guido Burgstaller auf der rechten ÖFB-Seite äußerst stabil, da verdiente er sich gute Noten. Im Vorwärtsgang aber war der Nürnberger keine Offenbarung: Wenn es gefährlich nach vorne ging, war so gut wie immer Marko Arnautovic beteiligt (wie beim 1:0). Denn was die Türken gut machten: Sie ließen sich nicht darauf auf, das Pressing kurz zu umspielen und Österreich damit den kurzen Weg zum Tor zu eröffnen, sondern achteten darauf, wenn möglich die Kugel weit weg zu schlagen. So war Österreich zu einem eigenen Aufbau gezwungen.
Selbst gefährlich wurde die Türkei praktisch nur aus Weitschüssen und Freistößen. So baute auch Çalhanoğlu kurz vor der Halbzeitpause einen Freistoß zum 1:1 ein.
Nach Terims Umstellung
Es gibt auf der Welt kaum eine Handvoll Trainer, die ein dermaßen präzises In-Game-Coaching beherrschen wie Fatih Terim. Bei der EM 2008 etwa stellte er in jedem der fünf Spiele in einem anderen System auf, und in jedem der fünf Spiele stellte er auch innerhalb des Matches um, um auf den Spielverlauf und den Gegner zu reagieren.
Und Terim tat auch in diesem Testspiel, was Terim am besten kann: Umstellen. Es kam ein neuer Rechtsverteidiger (Şener für Gönül, der mit Arnautovic etwas überfordert war) und RM Volkan Şen für Achter Oğuzhan. Aus dem 4-1-4-1 wurde nun ein recht klares 4-2-3-1, Çalhanoğlu ging in die Mitte und blieb dort, Arda besetzte nun durchgänig die linke Angriffsseite.
So war im denfensiven Zentrum (wo nun zwei statt einer standen) mehr Stabilität gegeben, weil man Österreich den Weg zu Junuzovic und Okotie durch das Zentrum nahm – Alaba kam da alleine kaum mehr durch. So wurde auch die Tatsache ausgenützt, dass Österreich keinen Passgeber im Sechserraum hatte: Ilsanker ist ein braver Zweikämpfer, aber keiner, der (wie Baumgartlinger) die Übersicht und die Passgenauigkeit hat, um die türkische Doppelsechs mit Ozan und İnan zu durchspielen, ohne gleichzeitig noch dazu Çalhanoğlu aus den Augen zu verlieren.
Das zweite türkische Tor hatte mit dieser Umstellung natürlich nichts zu tun, das war ein individueller Schnitzer von Ramazan Özcan. Aber Österreich fand im kompletten restlichen Spiel keine wirkliche Antwort auf die veränderte türkische Raumaufteilung.
Auch Baumgartlinger unersetzbar
Im Laufe der Qualifikation hieß es immer wieder, es gäbe nur einen ÖFB-Spieler, der in der Spielanlage wirklich unersetzbar wäre – Zlatko Junuzovic. Dieses Spiel erbrachte aber den Beweis, dass auch ohne einen Julian Baumgartlinger (vor allem in seiner aktuellen Top-Form) das Spiel heftig krankt. Ilsanker ist einfach ein völlig anderer Spielertyp, dem es an Baumgartlingers extremer Übersicht und dessen Auge für den richtigen Pass fehlt. Veli Kavlak hat keine Spielpraxis und Florian Grillitsch (der für diese Position auch in Frage käme) kennt die Mannschaft und die Abläufe noch nicht.
Ohne diesen Dreh- und Angelpunkt fehlte Koller der entscheidende Baustein, um auf Fatih Terims Anpassungen reagieren zu können. Ob dann vorne ein Hinterseer, ein Janko oder ein Jantscher kommt, macht keinen wirklichen Unterschied, wenn der Quarterback fehlt. Terim, der Spieleleser, erkannte dies in der ersten Halbzeit und stellte sich darauf ein.
Diese Fähigkeit macht die Türkei bei der EM zu einer potenziellen Überraschung, obwohl die individuelle, internationale Qualität (von Arda und Çalhanoğlu abgesehen) nicht vorhanden ist – aber die Kombination aus einer sicheren Defensive mit einem soliden Goalie, der keinen Blödsinn macht, und dem Auge von Terim und eben dem Duo von Bayer bzw. Barça ist einiges drin.
Für Koller hingegen war es die Bestätigung, dass er Baumgartlinger braucht. Die Zeit, bis zur EM noch einen Alternativplan aus dem Hut zu zaubern, wird er vermutlich nicht haben und in zwei Tests (einem davon gegen Malta), in dem es eigentlich nur noch um das allerletzte Eingrooven geht, sollte das wohl auch nicht mehr geschehen.
Was die beiden Tests gegen Albanien und die Türkei gezeigt haben: Wie unendlich wichtig der Sechserraum ist. Defensiv wie offensiv.