Jürgen Klopp ist ab sofort für drei Jahre der neue Trainer beim FC Liverpool. Die Fans sind begeistert, Klopp war für die meisten der Wunschkandidat seit dem verdüdelten Saisonende 2014/15. Die Aufgabe für den 48-jähirgen Deutschen wird aber nicht leicht. Denn sein Vorgänger hat den Job nicht allzu schlecht gemacht.Wie in Dortmund muss Klopp auch am Mersey mit einer besonderen Leistung einen vom Namen her großen Klub des Weltfußballs zurück an Spitze bringen.
Bleibe dabei: Trainerwechsel sollte für Liverpool nur Thema sein, wenn man Guardiola oder Klopp bekommt – und selbst Klopp ist ein Risiko.
— Tom Schaffer (@schaffertom) May 24, 2015
Rodgers hat die Arbeit nicht nur stets mit großer Demut vor dem Klub gemacht. Obwohl er keine Titel gewinnen konnte, hat er einiges vorzuweisen. Im Rückblick wird es oft als Versagen gewertet, dass in der 2013/14er-Saison der Meistertitel ganz zuletzt noch entglitt. De facto war es eine riesige Leistung von Team und Trainer, überhaupt daran geschnuppert zu haben. Auch mit dem Skill von Luis Suarez in der Mannschaft war der LFC vor dieser Saison keineswegs Titelkandidat. Beinahe hätte eine vereinsinterne Rekord-Siegesserie es trotzdem möglich gemacht, doch diese endete vielgeschmäht doch ohne Schande am ganz und gar nicht mittellosen Mourinho-Chelsea (ebenso wie die Titelhoffnung im Semifinale des League Cup 14/15).
Stellt man die Ansprüche des Vereins nicht aus seiner glorreichen Tradition sondern den wirtschaftlichen und sportlichen Realitäten, ist Liverpool in England seit zwei oder drei Jahren bestenfalls Fünfter vor Tottenham – und auch das hat man erst der mühsamen Wiederaufbau-Arbeit zu verdanken, die im Verein seit der Übernahme durch die derzeitigen Eigentümer geleistet wurde. Der Klub stand davor wegen des Wirtschaftens der alten Inhaber praktisch vor dem wirtschaftlichen Kollaps.
Dass Rodgers in seinen anderen beiden Saisonen Platz 7 (12/13) und Platz 6 (14/15) erreichte, bedeutet eher, dass er den Klub nicht immer zur Überperformance hinreißen konnte, als dass er den realistischeren Zielsetzungen deutlich hinterherhinkte. Dabei hat er die Mannschaft auch aus Krisen durchaus immer wieder herausgezogen. Im Herbst 2014 sprach nach einem miesen Saisonstart, dem Abgang von Suarez und der Verletzung von Sturridge zum Beispiel kaum etwas für die Reds, ehe Rodgers das Werkl in einer mutigen und in England ungewöhnlichen Systemumstellung zum Laufen brachte.
Fehler und Pech
Er machte natürlich auch Fehler. Die Innenverteidigung ist eine Problemzone, seit Rodgers Daniel Agger für verzichtbar hielt (und weil er den desaströsen Dejan Lovren immer wieder Mamadou Sakho vorzog). Rodgers gelang es (beschränkt durch ein oft kritisiertes Transferkommittee) außerdem zu selten, Top-Einkäufe zu tätigen. Wie Klopp in disem Bereich hantieren darf, ist einer der großen Knackpunkte dieser Zusammenarbeit. Die Liste der Fehlkäufe der letzten Jahre ist zu lang. Andere Klubs machen zwar kaum weniger davon, können das aber besser verkraften, weil sie ihre Stars nicht abgeben müssen. In dieser Position ist der LFC heute nicht.
Pech kam bei Rodgers auch dazu. Am irgendwann unvermeidlichen Verkauf des eskapadenreichen Luis Suarez, den vielen Verletzungen von Daniel Sturridge, dem unverhinderbaren Altern von Steven Gerrard kann ein Trainer nichts ändern. Das größte Vermächtnis von Rodgers ist ein radikal verjüngter Kader mit Top-Talenten wie Philippe Coutinho, Emre Can und Jordan Ibe. Diese haben alles Potential der Welt, aber ein Entwicklungsschritt fehlt ihnen. Klopp muss sie aber nicht nur weiterbringen können, sondern auch hoffen, dass der Verein sie hinterher halten kann. Raheem Sterling wurde bei der erstbesten Gelegenheit mit wahnwitzigen Summen aus Liverpool weggelockt. Schon hört man mittlerweile andere Klubs bei Coutinho anklopfen.
Selbst das Scheitern in der Champions League-Gruppenphase 2014/15 an Real und Basel lässt sich in dieser Entwicklung begreifen, ohne eine große Schande für Rodgers zu sein. Keiner wird das besser verstehen als Jürgen Klopp. Nachdem er den BVB in seiner dritten Saison (davor: 6., 5.) zum Meister machte, wurde Klopps Team in der darauffolgenden Saison von Arsenal, Marseille und Olympiakos mit nur einem Sieg deutlich distanziert. Das internationale Geschäft müssen junge Teams und Trainer auch nach großen nationalen Erfolgen oft erst lernen.
Ein Zweifel weniger
All das ergibt die Ausgangsposition für Klopp. Sein Vorgänger wurde gelegentlich angezweifelt, aber er hat keine großen Fehler gemacht, die man nun ganz einfach beseitigen könnte. Der Verein hat zwar jedes Potential der Welt, der Kader ist eine gute Basis, aber von der Spitze ist Liverpool wirtschaftlich, sportlich und personell doch ein Stück entfernt. Rodgers Qualitäten müssen sich endgültig an anderer Stelle klären, aber seine Ablöse beseitigt zumindest alle Zweifel, ob es diesen Rückstand auch auf der Trainerbank gibt. Klopp hat sich seine Lorbeeren bisher hart verdient. Aber das gilt für Van Gaal, Mourinho, Pellegrini und Wenger nicht weniger. Klopp wirkt wie ein logisches Stück im Liverpooler Puzzle. Doch auch unter dem neuen Startrainer muss in Liverpool klar sein: Ein Top-4-Platz in der laufenden Meisterschaft wäre mehr, als man voraussetzen kann und die Zukunft entscheidet sich nicht nur an der Seitenlinie.
„Let me work“, sagt #Klopp. Und das dazu:
Posted by Ballverliebt on Freitag, 9. Oktober 2015