Der FC Bayern hat es gestern zum ersten Mal so richtig zu spüren bekommen, was Barcelona und andere Mannschaften schon öfter erfuhren: Ballbesitz kann auch giftig sein. Die Münchner spielen wie die Katalanen viel mit dem Ball in den eigenen Reihen. Das bedeutet im Optimalfall, dem beide FCBs sehr oft nahekommen: Der Gegner hat wenige Gelegenheiten um zum Angriff zu kommen, muss der Kugel nachlaufen und wird im Regelfall früher oder später einen Fehler machen.
Im schlechteren Fall, wenn er sehr gut eingestellt und hochklassig besetzt ist, macht der Gegner aber auch einfach gekonnt die Luken dicht und schützt pragmatisch vor allem anderen (ja auch vor dem Ziel, selbst ein Tor zu schießen) die kritische Zone – und recht häufig haben ballbesitzorientierte Mannschaften dem nichts mehr entgegenzuzsetzen. Zu fanatisch versuchen sie oft ihr mit viel mühsamer Arbeit einstudiertes und sonst ja so erfolgreiches Ding durchzuziehen und fahren sich in der Folge an den immer gleichen Stellen fest.
Der Grund ist, dass Ballbesitz mit zwei Elementen hochgehalten wird, die in solchen seltenen Fällen kontraproduktiv werden können. Die Stärke und gelegentlich eben auch das Problem des Ballhaltens ist die indoktrinierte Risikoscheue – vor allem wenn ein Team nicht in Hochform agiert und vor Selbstvertrauen und Mut strotzt. Das zeigt sich an:
1. Sichere Pässe. Um den Ball nicht zu verlieren, spielt man ihn eben nicht in das Mini-Loch in der Abwehr, das sich gerade so irgendwie andeutet, sondern in eine Zone, in der ihn ein Mitspieler ziemlich sicher erreicht. Real Madrid hat gegen die Bayern mehrere Seiten aus Jose Mourinhos Anti-Barcelona-Buch kopiert. In den 30 Metern zentral vor dem Tor, da war man kompakt, agierte stets in Überzahl und ließ keine einfachen Pässe zu. Die Seitenlinien wurden großteils vorgegeben, man verschob deshalb auch nicht sehr stark und blieb gegen Spielverlagerungen unanfällig. Erst wenn zum Beispiel die Zangler Ribery und Robben versuchten in die Mitte zu ziehen, wurden sie gedoppelt und prallten ab. An der Outlinie sollen sie doch ruhig tanzen. Und in der Abwehr ließ man den Gegner sowieso ungestört hin und her passen, presste selbst bei schlechten Pässen nicht drauf.
2. Sichere Laufwege. Das ist scheinbar dasselbe, aber eigentlich die zweite Seite der mentalen Medaille. Um seinem Mitspieler dabei zu helfen, den Ball zu halten, rennt man eben auch nicht in das riskante Loch, sondern bietet sich möglichst einfach an. Da in der Mitte die Räume eng waren, gingen die Bayern-Spieler in Madrid auch kaum in diese Zone – schon gar nicht im Kollektiv, um das engmaschige Netz zu zerreißen. Mario Mandzukic war über weite Strecken des Spiels vollkommen auf sich allein gestellt, im Strafraum von 2-3 bedingungslos agierenden Spielern gedeckt und damit abmontiert.
Erst als Thomas Müller und Mario Götze ins Spiel kamen, änderte sich das, weil es vor allem in Müllers Natur liegt, Räume einzunehmen, die andere gar nicht erst erkennen. Und wenn dort, wo es weh tut, schonmal ein Mitspieler rumschwirrt, zieht das eben auch andere an. In der Schlussphase hatten die Bayern dann öfters plötzlich 3-4 Spieler im Strafraum. Und wäre es nicht sehr spät im Spiel gewesen, hätten sich dadurch auch öfter jene Räume vor der Box aufgetan, aus denen Toni Kroos oder einer der Außenverteidiger gerne schießt.
Pep Guardiola hat diese Maßnahmen zur Adaptierung (wohlgemerkt im Auswärts-Hinspiel) erst spät getroffen, obwohl man davon ausgehen darf, dass sie sicher auch ihm recht offensichtlich erschienen. Aber sie haben eben ein Problem, besonders wenn der Gegner erst mit Cristiano Ronaldo und später mit einem frischen Gareth Bale auf blitzschnelle Konter lauert. Und dieses Problem mögen ballbesitzorientierte Teams und Trainer nicht: Sie sind riskanter.
Und Risiko nimmt man erst, wenn man muss.
Zum Beispiel beim Rückspiel? (tsc)