Sie haben es geschafft: Das Team des SK Sturm Graz hat das zehnjährige Meister-Monopol von Salzburg gebrochen und tatsächlich den vierten Meistertitel der Vereinsgeschichte eingefahren. 1998, 1999, 2011, 2024 – diese vier Mannschaften haben die Schale für Sturm gewonnen.
1998: Um Lichtjahre voraus
Nach dem verlorenen Liga-Endspiel gegen Rapid am letzten Spieltag der Saison 1995/96 und einem Jahr zum Anlauf nehmen – Cupsieg inklusive – gab es für Sturm 1997/98 kein Halten mehr. Frisch ins brandneue Stadion in Graz-Liebenau umgezogen, damals noch unter dem Namen „Arnold-Schwarzenegger-Stadion“, zeigten die Blackies ordentlich Muskeln.
Aus den ersten zwölf Spielen gab es neun Siege und drei Remis, schon Mitte September hatte Sturm acht Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger (den GAK). Ivo Vastic hatte da schon acht Tore auf dem Konto, Mario Haas sechs und hinter den beiden wirbelte Hannes Reinmayr, der seinen Partnern im „Magischen Dreieck“ die Treffer vorlegte.
In einer Zeit, in der heimische Teams in treuer Loyalität zu den Achtzigern immer noch auf knorrige Defensive bauten, ging Ivica Osim den gegenteiligen Weg: Mit dem Auge eines Reinmayr, der Technik eines Vastic und dem Tempo eines Haas hatten die gegnerischen Manndecker kein Leiberl. Hinten hielten Libero Franco Foda mit humorlosem deutschem Organisationstalent sowie den beiden Balkan-Manndeckern Darko Milanič und Ranko Popović im Verbund mit Kazi Sidorczuk im Tor den offensiven Wirblern den Rücken frei. Manager Heinz Schilcher hatte einen Kader zusammen gestellt, der eine gute Balance aus Stabilität – auch die Außenpositionen waren spürbar defensiv besetzt – und viel Spielfreude im Angriff bot.
Im Europacup-Achtelfinale zog man nach dem souveränen Erstrunden-Aufstieg gegen Apoel Nicosia knapp gegen AEK Athen den Kürzeren, national konnte aber niemand mithalten. Schon am 29. von 36 Spieltagen stand der Titel fest, ein 5:0 gegen die Austria machte den Deckel drauf. Dass man das Double mit dem 1:3 im Cup-Finale gegen Ried verpasste, tat ein wenig weh, aber diesen Makel korrigierte man im Jahr danach.
Die Rekordmarke von 81 Punkten sollte 15 Jahre halten, der Rekordvorsprung von 19 Punkten auf den Zweiten nur noch eingestellt werden (2007 nämlich), aber nie wieder übertroffen.
1999: Bis zum letzten Meter
Mit annähernd unverändertem Personal startete Sturm die Titelverteidigung, bezahlte in der Champions League (gegen Real Madrid, Inter Mailand und Spartak Moskau) aber Lehrgeld und verstolperte mit Niederlagen an den Spieltagen fünf (GAK), sechs (Rapid) und sieben (LASK) den Saisonstart.
Dann ging es aber rund. Es folgten neun Liga-Siege in Serie und als die Winterpause ins Land zog, hatte Sturm die meisten Siege, die meisten Tore, die wenigsten Gegentore und die meisten Punkte auf dem Konto. Anders als im Jahr davor war aber die Konkurrenz konstanter – Rapid war voll dabei, auch der GAK noch nicht abgeschlagen. Als Sturm vier der ersten sechs Frühjahrs-Spiele verlor, folgte ein Donnerwetter von Präsident Hannes Kartnig: „Zu viele denken nur an ihr eigenes Geld, aber zu wenig an den Verein!“
Sturm riss sich am Riemen, jagte Rapid vor sich her und die Hütteldorfer zeigten Wirkung. Ein 0:0 im Derby gegen die Austria im viertletzten Spiel kostete Rapid die Tabelleführung, Sturm wiederum musste am vorletzten Spieltag extrem zittern – tief in der Nachspielzeit des Derbys gegen den GAK traf Jan-Pieter Martens zum 2:1 Sieg. So ging Sturm mit einem Punkt Vorsprung statt mit einem Zähler Rückstand ins letzten Spiel.
Dort gab es ein nie wirklich gefährdetes 3:0 gegen den FC Tirol, während Rapid gegen Salzburg ohnehin nicht über ein 0:0 hinausgekommen ist. Damit war das Double perfekt, weil Sturm eineinhalb Wochen zuvor den LASK im Cup-Finale im Elfmeterschießen besiegt hat.
2011: Austrias April-Absturz ausgenützt
Es folgten turbulente Jahre. Die geplatzte Platzer-Übernahme, der Konkurs inklusive heftigen Punktabzuges, notgedrungen wurde eine preisgünstigere Truppe auf die Beine gestellt, trainiert vom Meister-Libero Franco Foda. Konterkarierte Sturm in der Osim-Ära den kampforientierten Zeitgeist, war man in dieser Phase ein geradezu prototypischer Vertreter der funktionalen Biederkeit der Liga. Das war auch international zu erkennen: Salzburg scheiterte im August 2010 an Hapoel Tel-Aviv, die Austria an Aris Thessaloniki – ernüchternd. Auch Sturm scheiterte in der Europa-League-Quali, aber immerhin an Juventus.
Das Team mit Flair war damals die Austria mit Junuzovic und Jun, mit Barazite und Baumgartlinger. Die Violetten stießen in die Schwächephase der Salzburger Bullen unter Huub Stevens verdientermaßen an die Spitze, nach drei Saisonvierteln stand die Austria ganz vorne und schien dem Titel entgegen zu tanzen. Doch während bei der Austria der April-Absturz kam (nur zwei Punkte gegen Kapfenberg, Mattersburg, Ried und Wr. Neustadt), schwang sich Sturm mit einer Reihe klarer Siege an die Tabellenführung.
Das vorentscheidende Spiel für Sturm war das vorletzte, auswärts in Wr. Neustadt: Ein Handspiel von Edin Salkic brachte kurz vor Schluss den Elfmeter, den Samir Muratović zum 2:1-Sieg verwertete, quasi zeitgleich verspielte Verfolger Salzburg einen Sieg gegen Ried, kassierte das Tor zum 2:2-Endstand. So hatte Sturm drei Punkte plus zwölf Tore Vorsprung. In Folge des abschließenden 2:1 gegen Innsbruck wurde Meistertrainer Franco Foda nach dem Spiel ziemlich amateurhaft rasiert.
Viereinhalb Jahre nach dem knapp überlebten Konkurs war Sturm vor allem ein Meister der Fehlervermeidung: Man gewann zwar kein einziges der sechs Heimspiele gegen die Austria, Salzburg und Rapid – dafür ließ man gegen die „Kleinen“ praktisch nichts liegen, während Salzburg gegen den Rest der Liga sechs Niederlagen kassiert hat. Auf sehr ähnliche Art und Weise sollte zwei Jahre später die Austria das letzte Team werden, das Salzburg die Meisterschaft abluchste. Tja, bis …
2024: Lohn kontinuierlicher Aufbauarbeit
Es folgten Jahre des „Treading Water“, wie man im Englischen sagt. Franco Foda ging (nach Kaiserslautern) und kam wieder zurück, es gab biedere Mittelklasse-Jahre unter Darko Milanič und Roman Mählich sowie psychedelische Grenzerfahrungen mit Peter Hyballa und Nestor El Maestro. Es gab ein Zwischenhoch mit Sport-Geschäftsführer Kreissl und Trainer Foda, ehe Letzterer vom ÖFB abgeworben wurde, sowie mit dem Cupsieg unter Heiko Vogel. Nachhaltig bergauf ging es aber erst wieder am 2020.
Da kamen nämlich Andreas Schicker als Sportchef mit untrüglichem Blick für sportlich und wirtschaftlich steigende Aktien und Trainer Christian Ilzer, der nach seinem Fiasko bei der Austria etwas zu beweisen hatte. Der Kader, der nach der Corona-Pause im Sommer 2020 neun von zehn Meisterrunden-Spielen verloren hat, wurde Schritt für Schritt so gestaltet, dass Ilzers Spielidee umsetzbar war: Robustes Anlaufen, schnelles Umschalten, nach vorne denken und nach hinten wachsam sein – Heavy-Metal-Fußball.
Vier Jahre später sind von der Truppe nur noch Stefan Hierländer und Otar Kiteishvili sowie der damals frisch ins Team gestoßene Niklas Geyrhofer übrig. 2020 kamen Jon Gorenc-Stankovic, Gregory Wüthrich und Jusuf Gazibegović, Stützen der kommenden, kontinuierlichen Aufbauarbeit. Platz drei 2021 folgte Platz zwei 2022 und 2023 pushte man Salzburg schon bis zum Äußersten – erst das letzte direkte Duell entschied für die Bullen.
Im Herbst 2023 ließ man sich von Salzburg nicht abschütteln, holte in einem hitzigen direkten Duell in Graz ein 2:2, hatte nur ein einziges Mal mehr als zwei Punkte Rückstand auf den Serienmeister – zumindest bis zum 0:1 gegen Salzburg Ende März, als die Nachspielzeit zur Freistilringer-Einlage wurde. Fünf Punkte fehlten da auf Salzburg, das Rennen war vermeintlich gelaufen. Ehe der verdiente 4:3-Sieg der Grazer im Cup-Semifinale in der Mozartstadt kam. Ein Match, das Sturm Auftrieb gab und Salzburg schlingern ließ: Von den kommenden sechs Liga-Spielen gewann Salzburg nur ein einziges, Trainer Struber wurde entlassen.
Sturm derweil drückte drauf, bezwang Rapid dreimal (2x in der Liga und dann auch im Cup-Finale), auch LASK und Hartberg, und im letzten Duell mit Salzburg führten die Grazer schon 2:0. Es wäre die gefühlte Titel-Entscheidung gewesen, doch musste Sturm am Ende froh sein, zumindest noch das 2:2 gerettet zu haben. Es folgte ein 1:1 in Unterzahl gegen Hartberg, auch beim LASK konnten die Grazer den Sack nicht zumachen. Das gelang, mit viel Zittern, mit dem 2:0 gegen Klagenfurt am letzten Spieltag dann aber doch.
Gleichzeitig ist der Lernprozess auch international zu erkennen. Im Herbst 2021 kam Sturm gegen Monaco, Eindhoven und Real Sociedad zu zwei Pünktchen. Im Herbst 2022 gab es schon acht Zähler gegen Feyenoord, Lazio und Midtjylland – und wurde Gruppenletzter einer Gruppe, in der alle vier Teams die selbe Bilanz aufwiesen. Und in Der Saison 2023/24 luchste Sturm dann Sporting und Atalanta jeweils ein Remis ab, presste sich an den amtierenden Meistern aus Polen (Raków Częstochowa) und der Slowakei (Slovan Bratislava) vorbei und stieß bis ins Achtelfinale der Conference League vor.
4x Meister und 7x Cupsieger in 30 Jahren
Seit dem ersten Meistertitel für Sturm 1998 sind 27 Jahre vergangen. In dieser Zeit ist man nach Salzburg (14x) nun mit vier Titeln die Nummer zwei – vor Innbruck und der Austria (3x), Rapid (2x) und dem GAK (1x). Auch bei Triumphen im ÖFB-Cup ist Sturm (6x) in dieser Zeit die Nummer zwei hinter Salzburg (9x), noch vor der Austria (5x), dem GAK (3x), Ried (2x) sowie dem FC Kärnten und Pasching (je 1x), hinzu kommen bei Sturm die Cup-Siege von 1996 und 1997.
Ein Titel woanders ist wahrscheinlich so viel wert wie vier in Salzburg, zumal nach zehn Bullen-Meisterschaften hintereinander, bei denen es schwer fällt, sie auseinander zu halten. Ohne die Option von Misserfolg ist der Erfolg zumindest emotional nicht viel wert. Nicht zuletzt deshalb findet es wohl eine so große Resonanz in Fußball-Österreich, dass Sturm es tatsächlich geschafft hat.
Noch dazu, weil es eben nicht eine einzelne Saison war, in der fast aus dem Nichts kommend einfach alles zusammen gepasst hat, ein bisschen wie 2013 bei der Austria. Im Gegenteil war sie das Resultat jahrelanger, geduldiger, zielgerichteter Aufbauarbeit. Ob es der LASK im Jahr 2020 ohne die Corona-Pause geschafft hätte, die einem erst den Schwung und dann wegen des verbotenen Trainings vier Punkte gekostet hat? Vielleicht, vielleicht nicht. Die Linzer waren damals so im Kopf der Salzburger, wie es nun Sturm war. Interne Verwerfungen zwischen Team und Trainer Ismael führten beim LASK damals zur Trennung, gut gemeinte Änderungen gingen nicht auf, der Verein verzettelte sich in Nebenkriegsschauplätzen.
Das passierte bei Sturm nicht, und darum sind es nun die Grazer, die die Salzburger Titelserie durchbrochen haben.