Sieben Runden sind in der deutschen Bundesliga gespielt, und es führt nicht Bayern – sondern Bayer. Was macht Leverkusen so stark, dass der einzige Punktverlust das 2:2 in München war? Beim geradezu beängstigend überlegenen 3:0 im Derby gegen Köln zeigten sie vieles davon. Was die beiden ÖFB-Teamspieler Flo Kainz und Dejan Ljubicic dem entgegen setzen konnten? Nun ja… sehr wenig.
Seit fast genau einem Jahr ist Xabi Alonso Trainer von Bayer Leverkusen, und der designierte Ancelotti-Nachfolger bei Real Madrid hat Bayer schnell seinen Stempel aufgedrückt. Er führte das Team in der letzten Saison national von Platz 17 auf Rang fünf und in der Europa League ins Halbfinale. Dort, gegen die Roma, war ganz deutlich die Qualität im Kader der limitierende Faktor, nicht der Trainer.
Im Sommer hat sich Leverkusen klug verstärkt, womit Xabi Alonso nun vollends seine Idee vom Fußball umsetzen kann. Der passsichere Mittelfeld-Muskel Granit Xhaka (von Arsenal), der schnelle Flügelspieler Álex Grimaldo (von Benfica), der fleißige Allrounder Jonas Hofmann (von Gladbach) und der bullige Angriffsblitz Victor Boniface (von Union St.-Gilloise) waren die Puzzlesteine, die gefehlt haben.
1. – Das Tempo
Köln, ganz schlecht in die Saison gestartet und als Tabellenletzter ins Match gegangen, stellte sich in einem 4-1-3-2 auf und wurde komplett überrollt. Leverkusen spielte um so vieles schneller, athletischer und gedankenschneller, ließ den Ball so viel flinker rotieren – es sah aus, als würde man das Bayer-Spiel in 1,5-facher Geschwindigkeit ablaufen lassen, während Köln in Normalgeschwindigkeit unterwegs ist.
2. – Raus aus dem Deckungsschatten
Aufeinander abgestimmte und einstudierte Laufwege sind beim Tempo des modernen Fußballs schon lange eine Unerlässlichkeit. Besonders auffällig bei Leverkusen ist, wie konsequent diese bereits in der Spieleröffnung wichtig sind. Hier wird das Credo von den zwei Anspielstationen, die sich immer ergeben müssen, mit hoher Präzision vollzogen.
Köln hatte fünf Spieler gegen die Eröffnung der Leverkusener Dreier-Abwehr, dennoch gelang es nie, Deckungsschatten zu etablieren. Die Spieler von Bayer waren immer in Bewegung, erkannten Räume, bewegten sich in diese hinein – aber niemals zwei in den gleichen. Das „Juego de Posicion“, das Alonso einst als Spieler in München bei Guardiola vermittelt bekommen hat, impft er nun als Trainer seinem Team in Leverkusen ein.
3. – Die Ballzirkulation
Die schnellen Pässe und die rasante Ballzirkulation folgen einem klaren Endzweck – nämlich, die Formation des Gegners so zu manipulieren, dass sich außerhalb des gegnerischen Blocks (zumeist in der Breite) die Räume ergeben. Die kurzen Abstände zwischen den Bayer-Spielern ermöglichen diese schnellen Pässe, sie locken aber auch die Kontrahenten in Ballnähe – weil diese natürlich selbst danach trachten, den Raum für Bayer eng zu machen.
So leicht wie die Kölner machen es die meisten Teams den Leverkusenern zwar nicht, aber gegen den Effzeh war es besonders frappant zu erkennen: Sobald man den Kölner Block in Richtung Ball orientiert hatte, gab es ein, zwei, drei Pässe und schon war die Kugel auf der anderen Seite des Feldes, weit und breit kein Gegenspieler und ab geht die Post. Das Tor zum 2:0 war ein gutes Beispiel dafür, dass das auch im Strafraum funktioniert.
4. – Das Erkennen von Räumen
Grundsätzlich hat jeder Spieler bei Xabi Alonso eine sehr genaue Rollenbeschreibung, wobei die Formation an sich nicht streng immer gleich ist – zumeist kommt Bayer aus einem 3-4-2-1, manchmal – wie gegen die Bayern – wird auch auch ein schiefes 4-4-2 gewechselt. Entscheidend ist, wie man am Besten das System des Gegners ausnützen kann.
Schlüsselrollen kommen dabei jenen Spielern zu, die direkt hinter der Spitze (zumeist, wie auch gegen Köln, Boniface) spielen; in der Regel sind dies Florian Wirtz und Jonas Hofmann. Diese haben scheinbar alle Freiheiten, vertikal zu verschieben – aber all das folgt natürlich auch einem genauen Plan und auch hier ist es das Ziel, viele Spieler in Ballnähe zu bekommen, um den Gegner dorthin zu locken und dann in den sich bietenden Raum dahinter zu bespielen.
Köln machte es Leverkusen durch die Eigenheiten des 4-1-3-2-Systems besonders leicht, weil sich neben Sechser Martel in den defensiven Halbräumen Platz ergab, weil die Außenspieler gegen das rauten-ähnliche Kölner Mittelfeld Platz hatten, weil sich Martel nicht alleine um Wirtz UND Hofmann kümmern konnte, nachdem von Kainz und Huseinbasic nicht immer Hilfe zu erwarten war. Dann rückte auch im Ballbesitz gerne einer der äußeren Innenverteidiger auf und sorgte zusätzlich für Überzahl.
5. – Das Pressing
Die Kölner Spieler waren permanent in einer Doppelmühle gefangen: Es schien egal, wie sie sich bewegten, alles machte Räume für Bayer auf. Liefen die den Leverkusener an, war der Rückraum blank. Blieb man, kam von irgendwoher ein weiterer Leverkusener daher, der lockerleicht angespielt werden konnte.
Gegen Köln hatte Bayer in jedem Bereich des Feldes eine Überzahl. Natürlich drei gegen zwei in der Abwehr. Dann zwei gegen einen in jedem Bereich des Mittelfeldes – alle drei nominell offensiven Kölner Mittelfeld-Spieler hatte sofort zwei Leverkusener gegen sich. Martel gegen Wirtz und Hofmann. Das Bayer-Gegenpressing sorgte für Hast und Ungenauigkeit im Kölner Ballbesitz, das Angriffspressing erstickte jeden Versuch eines kontrollierten Aufbaus von Köln schon im Ansatz.
Und Köln?
Bei Köln von einem „Pressing“ zu sprechen, würde der Sache nicht gerecht. Es war – vor allem verglichen mit dem griffigen, rasanten Anlaufen von Bayer – kaum mehr als ein lauwarmes Antraben, welches den Leverkusenern nicht mal ein Lächeln kostete. Wenn doch mal draufgerannt wurde, sicherte im Rücken keiner ab, gerade bei Kainz war das häufig zu sehen. Dieser krasse Gegensatz zum Spiel des Gegners vermittelte auch in Körpersprache und Herangehensweise den Eindruck eines Duells von Hauskatzen gegen Leoparden.
Da sich die Effzeh-Spieler kaum einmal in Ruhe aufdrehen konnten, wurde oft sehr schnell der direkte Weg nach vorne gesucht, wo sich Alidou und Selke aber nicht in Szene setzen konnten. Vieles wirkte improvisiert oder aus der Not geboren, aber nicht besonders planvoll.
Trainer Baumgart reagierte in der Pause, indem er auf ein 4-4-1-1 umstellte (Alidou ging auf die rechte Außenbahn, Huseinbasic neben Martel ins defensive Zentrum). Die Mittelfeld-Kette stand dabei sehr eng, mutmaßlich um Bayer die Hoheit im Zentrum etwas zu nehmen, gleichzeitig gab es aber Platz auf den Außen, die wiederum Kossounou als aufrückender Innenverteidiger zu bespielen half. Bayer ist schon so gefestigt, dass man nur kurz an zwei Schräubchen drehen muss, um auf einen sich verändernden Gegner zu reagieren.
Die totale Unterlegenheit von Köln vor allem im Mittelfeld wird auch dadurch deutlich, dass Ljubicic, der 90 Minuten auf der Zehn bzw. als hängende Spitze agiert hat, nur exakt fünfmal den Ball im Mittelkreis beführt hat; Kapitän Flo Kainz hatte keinen einzigen Ballkontakt im Umkreis von fünf Metern zum Mittelkreis.
Einmalige Chance für „Vizekusen“
Am Ende hieß es 3:0 für Leverkusen und Köln hatte es hauptsächlich Keeper Marvin Schwäbe zu verdanken, dass es nicht höher wurde. Natürlich: Es spielte hier der Tabellenführer gegen den Letzten, es sah ein wenig aus wie ein Spitzenteam der Premier League daheim gegen ein gutes, aber nicht zur Spitze gehörendes Team aus der österreichischen Bundesliga. Echte Aussage darüber, was Leverkusen kann, geben natürlich andere Spiele eher, wie das hochverdiente 2:2 bei den Bayern oder der 3:2-Sieg zum Saisonstart in Leipzig. Den Europacup kann man in der vermutlich schwächsten Europa-League-Gruppe bis Weihnachten problemlos nebenher laufen lassen.
Sehr wohl aber war dieser Sieg gegen den Nachbarn von der linken Rheinseite eine klare Aussage darüber, was genau das Leverkusen unter Xabi Alonso so stark macht. Das Tempo, die Laufwege, das Passspiel, das Positionsspiel, die Spielintelligenz, das extrem exakte Pressing – an diesem Team werden sich noch einige Gegner die Zähne ausbeißen.
Kann Bayer aber tatsächlich erstmals Meister werden? Klar scheint, dass diese Saison eine einmalige Chance darstellt. Zum einen, weil die Bayern immer noch in der Findung sind, weil Dortmund schwächelt, weil Leipzig immer mal wieder Punkte lässt. Vor allem aber, da klar scheint: Nach dieser Saison ist Xabi Alonso weg, wechselt zu Real Madrid – eine Besetzung, die ebenso seit Jahren designiert scheint wie jene von Xavi beim FC Barcelona.
Spielt Real dann so wie Leverkusen jetzt, dürfte Xabi Alonso dort nicht nur eine sehr spektakuläre, sondern auch sehr erfolgreiche Zeit für ihn und den Verein folgen. Leverkusen hat in den letzten 25 Jahren schon öfter spannenden, innovativen Fußball erlebt – aber nie die Luft gehabt, das auch mit Trophäen zu untermauern. Ein UEFA-Cup-Sieg 1988 und ein DFB-Pokal-Sieg 1993 stehen zu Buche, dafür viele Near-Misses. Kann aus „Vizekusen“ kann 2023/24 durchaus ein Meisterkusen werden? Möglich ist das, aber den Benefit Of The Doubt hat dieser Klub nicht.
source https://ballverliebt.substack.com/p/wie-leoparden-gegen-hauskatzen-das