Schwache erste Hälfe, dann starke zweite in Oslo. Harmlose erste Hälfte, dann sehr dynamische zweite gegen Frankreich in Wien. Was ist die Lehre nach dem 1:1 in Norwegen und dem 0:1 vor über 10.000 Zusehern im Viola Park, ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann? „Die Lehre ist, dass wir uns von Anpfiff weg schon mehr zutrauen müssen!“
Die Schlagzeilen nach dem Frankreich-Spiel gehörten, und zwar zurecht, mehr der Zuschauerzahl und der Tatsache, dass der Rekord von 3.600 auf knapp über 10.000 hochgeschraubt wurde. Nach den beiden Matches gegen höher klassierte Teams lässt sich aber auch sportlich einiges herauslesen.
Das 1:1 in Oslo
Das erkämpfte 2:2 im Jahr 2016 im Ullevaal, das hochverdiente 1:0 bei der EM in Brighton – die letzten beiden Matches gegen Norwegen haben die ÖFB-Frauen nicht verloren. Die erste Halbzeit zum Nations-League-Auftakt, wiederum im Ullevaal von Oslo, sah aber ganz anderes aus. Das hatte zwei Gründe.
Zum einen spielte Norwegen beim ersten Auftritt unter (Interims?)-Teamchef Leif-Gunnar Smerud ganz anders als unter seinen Vorgängern Sjögren und Riise. Diese hatten sich nicht getraut, die spielstarke Mittelfeld-Kette in deren 4-1-4-1 allzu offensiv aufrücken zu lassen, um die langsame und im Vergleich bestenfalls mittelmäßige Abwehr nicht zu entblößen.
Warum Norwegen überlegen war
In diesem Spiel aber ließ Smerud sein Team (überraschend in einem 4-4-1-1 aufgestellt) sehr wohl aufrücken und den Gegner sehr effektiv anpressen. Vor allem, wenn eine Österreicherin mit dem Rücken zum norwegischen Tor stand, wurde diese schnell unter Druck gesetzt, am Aufdrehen gehindert und zu einem hastigen Pass gezwungen. Österreich – ohnehin kein Team, das über rasantes Tempo im Aufbau kommt – war hinten reingedrückt und die Hektik führte zu Fehlern. So wie bei Degen, die schon nach zweieinhalb Minuten ein Elfer-Foul beging (Reiten verschoss). So wie bei Zinsberger, die bei einem (wohl leicht abgefälschten) Schuss von Caroline Hansen in ihrer Hast seltsam mit dem Fuß zu klären versuchte und Sævik zum 1:0 abstaubte.
Der zweite Grund war das Fehlen von Laura Wienroither. Die Stamm-Rechtsverteidigerin ist mit einem Kreuzbandriss auf jeden Fall noch den kompletten Herbst außer Gefecht, Kathi Schiechtl hat nach vielen Verletzungen und ihrer Rückkehr in die österreichische Liga kaum Spielpraxis. So vertraute Fuhrmann auf Innenverteidigerin Marina Georgieva auf der rechten Seite. Defensiv kein Problem, aber offensiv kam von der Neo-Fiorentina-Legionärin naturgemäß sehr wenig.
Ohne die Präsenz einer aufrückenden RV brach aber das ganze Konstrukt nach Ballgewinnen zusammen. Das Aufrücken im Mannschaftsverbund erfolgte nicht konsequent, es fehlten die Abläufe auf der rechten Seite, damit gab es nur ein halbgares Aufrücken und es war völlig unmöglich, Gegenpressing-Strukturen zu etablieren. Man kam kaum zielführend ins Angriffsdrittel, und wenn doch, konnte man sich dort nicht festsetzen. Dass Österreich zur Halbzeit nur 0:1 im Rückstand lag und nicht höher, darf man als schmeichelhaft bezeichnen.
Umstellungen nach Seitenwechsel
Für den zweiten Spielabschnitt kam Kathi Schiechtl für Kirchberger, Georgieva wechselte dafür neben Degen in die Innenverteidigung. Dieser Schritt hatte einen enormen Einfluss auf das Spiel. Denn die 30-jährige Tirolerin wirkt zwar etwas starksig, aber bis zu ihrer Verletzungsmisere 2020 war sie jahrelang unumstrittene Rechtsverteidigerin Nummer eins im Team – das sah man.
Die ÖFB-Frauen – bei denen in der Offensivreihe Naschenweng und Dunst die Seiten getauscht hatten – rückten nun viel weiter auf, ohne dabei Löcher im Rücken preiszugeben. Das Anlaufen griff, die Dynamik war da, damit immer mehr die Spielkontrolle und auch Torchancen ergaben sich – umso mehr, da nach einer Stunde Eileen Campbell für Nici Billa in die Spitze kam. Die junge Vorarlbergerin mit der nordirischen Mama sorgte mit ihren Tiefenläufen für ein neues Element, mit dem die Norwegerinnen zunächst nicht zurecht kamen. Aus einer dieser Aktionen entstand auch das 1:1 aus einem Weitschuss von Campbell in der 72. Minute, der Ausgleich hatte sich schon abgezeichnet.
Erst in den letzten zehn Minuten befreite sich Norwegen wieder, drückte auf den Ausgleich und traf noch zweimal das Aluminium. Wohl auch deshalb sollte Fuhrmann vier Tage später sagen: „Gegen Frankreich hätten wir den Punkt mehr verdient als in Oslo, wo wir ihn geholt haben!“
Das 0:1 gegen Frankreich
Vor den laut ÖFB genau 10.051 Zusehern im Austria-Stadion packte Fuhrmann dann ein neues System aus – ein 4-4-1-1, in dem Laura Feiersinger hinter Viki Pinther spielte und situativ die französische Spieleröffnung anlief bzw. die Deckungsschatten stellte, um einen ersten Pass ins Zentrum zu verhindern.
Vor allem aber waren die Außenbahnen doppelt defensiv besetzt, da die Französinnen – im ersten Spiel 2:0-Sieger über Portugal – den Spielaufbau, wie sie es gerne machen, über die Außenbahnen aufzog. Vor allem die ebenso bullige die schnelle Diani auf der rechten Angriffsseite war eine ständige Gefahr, weil sie Verena Hanshaw (die ihr 100. Länderspiel absolvierte) an Tempo und an Robustheit voraus ist.
Auf der anderen Seite war die Abstimmung zwischen Kathi Schiechtl und Kathi Naschenweng (letztere ließ sich gegen den Ball mitunter sehr tief fallen, es wurde fast eine Fünferkette) nicht optimal, wodurch Selma Bacha einige Mal gefährlich in den Strafraum ziehen konnte.
Frankreich in Cruise Control
Frankreich war nach einem Freistoß schon in der 5. Minute in Führung gegangen – doppelt vermeidbar, weil erst Hanshaw unnötigerweise mit der Hand zum Ball ging und dann Zinsberger daneben gegriffen hatte, nachdem Renard die Freistoßflanke leicht angespitzelt hatte.
Danach gaben sich die Französinnen immer mehr damit zufrieden, im vierten Gang durch die erste Halbzeit zu cruisen – weil Österreich offensiv nicht viel zu Wege brachte. Frankreich machte im 4-3-3 das Zentrum zu, sodass die Österreicherinnen bei Aufbauversuchen nie Tempo aufnehmen konnten, selten aufdrehen konnten, damit oft zum Quer- bzw. Rückpass gezwungen waren. „Wir haben da auch nicht die nötige Robustheit auf den Platz gebracht“, monierte Fuhrmann nach dem Match.
Schnelle Vorstöße über die Außenbahnen waren auch nicht möglich, weil Frankreich mit der Führung im Rücken die Außenverteidigerinnen Périsset und Karchaoui eher auf Absicherung hinten beließ. Die einzigen zwei Chancen auf einen Torerfolg resultieren aus Freistößen kurz vor der Pause.
Mehr Tempo und Dynamik ins Angriffsdrittel
Eine auffallende Parallele zur ersten Halbzeit in Oslo war, dass die ÖFB-Frauen nicht dazu kamen, im Teamverbund weiter vorzurücken, damit den Gegner mal hinten zu beschäftigen und womöglich in Gegenpressing-Formationen zu kommen. In Norwegen war es dem Fehlen einer echten Außenverteidigerin geschuldet. In Wien konnte Viki Pinther, die statt Billa aufgestellt war, kaum einen Ball festmachen.
Für die zweite Hälfe kam Eileen Campbell statt Pinther und sie war, wie schon in Oslo, ein belebendes Element. „Wir wollten mehr Tempo in die letzte Linie bringen“, erklärte Fuhrmann. Mit Campbell gelang es tatsächlich besser, mit Ballkontrolle ins Angriffsdrittel einzudringen und auch aufzurücken. Gleichzeitig brachte das Mittelfeld mehr Dynamik in die Zweikämpfe, es gab mehr Ballgewinne. Mit Purtscheller (statt Naschenweng) bekam auch Diani eine neue Gegenspielerin, die Neo-Deutschland-Legionärin nervte Diani kräftig, diese war kein Faktor mehr und wurde noch vor Spielschluss ausgewechselt.
Norwegen hatte mit Rückzug reagiert, Frankreich mit Frust. Aus dem relaxten „Passt scho“ des ersten Durchgangs wurde ein gehetztes „Die wehren sich ja auf einmal!“, Referee Cvetkovic zückte zweimal Gelb. Aus dem Spiel gab es nicht viel Gefahr, aber Standards brachten zwei-, dreimal einiges an Hektik in die französische Defensive.
Der WM-Viertelfinalist schaffte es nicht mehr, Ruhe ins eigene Spiel zu bekommen oder gar den Schalter in Richtung Offensive umzulegen, es war Frankreich nur noch daran gelegen, die Zeit runterzuspielen. Teamchef Hervé Renard sollte nachher von einer „effizienten Vorstellung“ sprechen und, dass „das wichtigste die drei Punkte sind“.
Die Lehren aus dem Doppelspieltag
Portugal ist im Parallelspiel zu einem 3:2-Sieg gegen Norwegen gekommen, zwei Elfmeter inklusive. Das kam einerseits unerwartet, weil Norwegen nominell und individuell klar stärker ist als Portugal, andererseits hat Portugal schon bei der WM aufgezeigt und beinahe für das Vorrunden-Aus der USA gesorgt. „Der Klassenerhalt in dieser schweren Gruppe ist ein ambitioniertes Ziel“, sagt Fuhrmann, der Verlauf des ersten der drei Doppel-Spieltage unterstreicht das.
Die beiden kommenden Matches gegen Portugal (am 27. Oktober in Altach und vier Tage später in Varzim nördlich von Porto) besitzen vorentscheidenden Charakter im Kampf gegen den Abstieg. Für dieses sind drei Lehren zu ziehen.
Lehre Nr. 1: Die mentale Herangehensweise
Zweimal eine ziemlich ausbaufähige erste Halbzeit gespielt, zweimal eine starke zweite. „Das heißt: Wir müssen es uns gegen solche Gegner viel mehr schon von Anpfiff weg zutrauen“, fordert Irene Fuhrmann. „Vielleicht bedeutet das auch, uns mental anders einzustellen. Wir werden die nächsten vier Wochen nützen, um zu schauen, an welchen Hebeln wir da ansetzen müssen. Mit dem notwendigen Mut und Sicherheit mit dem Ball ist einiges möglich. Anders als früher ist es, wenn wir etwa gegen Frankreich antreten, keine Abwehrschlacht mehr!“
Lehre Nr. 2: Das verfügbare Personal
„Wir sind auch davon abhängig, wer wirklich fit ist“, sagt Fuhrmann – es wartet ein intensiver Herbst, es dürfte wohl wieder ein halbes Dutzend Österreicherinnen in der Champions League vertreten sein. Wienroither ist noch noch länger keine Option, rechts hinten wird also weiterhin dünn besetzt bleiben, bei Julia Hickelsberger und Lisa Kolb ist aber mehr Optimismus vorhanden. „Sie wären auch immens wichtig, wenn es darum geht, mehr Geschwindigkeit in die letzte Linie zu bringen“ – wie bedeutsam das ist, hat der Impact von Eileen Campbell gezeigt.
Lehre Nr. 3: Optionen, um Impulse zu setzen
„Ich nehme mit, dass es jetzt schon einige personelle Optionen gibt, um Impulse zu setzen“, sagt die Trainerin, und sie meint damit etwa Lilli Purtscheller. Diese hat beim Bundesliga-Debüt mit Essen gegen Frankfurt eine super Partie abgeliefert und agierte nun völlig furchtlos gegen Kadi Diani und Sakina Karchaoui. Dazu Annabel Schasching, die beim SC Freiburg ganz schnell Stammspielerin geworden ist, und natürlich Eileen Campbell. Sie soll nun doch bereit sein, ihren Full-Time-Job im Backoffice der Anwaltskanzlei Gasser Parnter in Ruggell mit einer Auslandskarriere als Fußballerin zu tauschen.
Und anderswo?
Spanien gewann nach dem Wirbel im Vorfeld die WM-Halbfinal-Revance in Schweden mit 3:2, auch weil zunächst die bei der WM so starke schwedische Torhüterin Musovic daneben griff und dann Ilestedt in der Nachspielzeit einen Elfmeter verursachte. Deutschland verlor ohne die erkrankte Martina Voss-Tecklenburg auf der Bank 0:2 in Dänemark, hielt sich danach aber mit einem 4:0 gegen Island schadlos.
Holland verlor zunächst sensationell durch ein Tor in der Nachspielzeit 1:2 in Belgien und gewann dann gegen Europameister und WM-Finalist England durch ein Weitschusstor in der Nachspielzeit mit 2:1.
In Nordamerika hat sich Kanada (2:0 und 2:1 gegen Jamaika) das zweite Concacaf-Olympiaticket gesichert – und Megan Rapinoe hat ihre Karriere im US-Nationalteam mit zwei Testspiel-Siegen gegen Südafrika beendet. Wer neuer USWNT-Teamchef wird, ist indes noch offen.