In dieser Woche sind die Halbfinals Nummer 17 und 18 über die Bühne gegangen. England (3:1 gegen Australien) und Spanien (2:1 gegen Schweden) haben sich beide erstmals für ein Endspiel einer Frauen-WM qualifiziert – in zwei durchaus spannenden Matches, die aber wohl auch nicht ganz das Zeug zum Allzeit-Klassiker haben. Anders als so manches anderes Halbfinale der 32-jährigen WM-Geschichte.
WM 1991 in China
Zeikfalvys gebrauchter Tag und Jennings‘ Hattrick
Als es im November ’91 ins erste echte Weltturnier im Großraum Guangzhou im Süden Chinas ging, hatte einige Monate zuvor Deutschland das EM-Finale gegen Norwegen gewonnen. Es war aber das Team aus Schweden von Teamchefin Gunilla Paijkull – der ersten Frau überhaupt, die ein Teamchefinnen-Amt bekleidete – welches im Viertelfinale den Gastgeber aus dem Rennen genommen hatte und vor den Augen von Pelé im Halbfinale gegen Norwegen antrat. Nach einem schnell abgespielten Freistoß ging Schweden auch prompt früh durch Lena Videkull in Führung, aber Norwegen gab weiter Gas, schon in der 9. Minute holzte man binnen Sekunden zweimal ans Aluminium. Die Norwegerinnen blieben klar am Drücker, es dauerte aber bis zur Nachspielzeit der ersten Hälfte, bis Riise von Zeikfalvy im Strafraum umgehackt wurde und Tina Svensson den fälligen Elfer zum 1:1 versenkte.
Was immer sich Schweden in der Pause vorgenommen hatte – nach 27 Sekunden war es Makulatur, als wiederum Zeikfalvy von Medalen düpiert wurde, es 2:1 für Norwegen stand. Carlsen (halb durch die zweite Halbzeit) und wiederum Medalen (kurz vor Schluss) stellten den letztlich klaren 4:1-Sieg für Norwegen her.
Gegner im Finale war das Team aus den USA, das sich in einem torreichen Match gegen Europameister Deutschland durchsetzte – und zwar mit dem Kern jener Truppe, die das folgende Jahrzehnt zusammen bleiben sollte. Overbeck heiß noch Werden, Fawcett hieß noch Biefeld, Gabarra hieß noch Jennings; auch Hamm, Akers, Foudy und Lilly waren schon dabei und die Deutschen – ohne die in der Vorrunde schwer verletzte Silvia Neid – dackelten ihnen in alter Manndeckungs-Manier stur hintennach. Christiane Paul hatte dabei gegen Carin Jennings nicht viel zu melden, schon nach einer halben Stunde hatte Jennings drei Treffer zur 3:0-Führung erzielt.
Mohrs Anschlusstreffer vor der Pause konterte Heinrichs nach dem Seitenwechsel mit dem 4:1, Wiegmanns 2:4 folgte Heinrichs mit dem Tor zum 5:2-Endstand – ebenfalls mit Pelé auf der Tribüne. Der körperlich robusten und direkten Spielweise des US-Teams hatte Deutschland nichts entgegen zu setzen.
Das Finale gewann die USA dank eines Abwehrfehlers von Espeseth kurz vor dem Schluss mit 2:1.
WM 1995 in Schweden
Aarønes‘ Kopf und Wiegmanns Wumms
Vom Premierenturnier 1991 nahm die Weltöffentlichkeit ebenso kaum Notiz wie vom zweiten Turnier in Schweden – Stadien, Umfeld und auch Publikumszuspruch erinnerten eher an ein Wald- und Wiesenfest, nicht an Welttitelkämpfe. Die Halbfinals fanden in den Provinzstädten Västerås und Helsingborg statt, ohne den Gastgeber.
China nämlich hatte den schwedischen Gefallen von 1991 erwidert und das Viertelfinale im Elfmeterschießen gewonnen, nachdem eine junge Sun Wen und ihr Team schon in der Vorrunde dem Titelverteidiger USA ein 3:3 abgetrotzt hatten. Sehr flexibel in der Positionierung und sehr diszipliniert im gegenseitigen Absichern hielt man im Halbfinale die Truppe aus Deutschland auf Distanz, ließ nicht viel zu und wurde in der zweiten Halbzeit auch nach vorne mutiger, Sun Wen traf in der 61. Minute den Pfosten. Aber es war Bettina Wiegmann, die nach einem Eckball in der 79. Minute von der Strafraumgrenze abzog und zum 1:0-Endstand traf. Super billig übrigens – Torhüterin Gao Hong hatte den Eckball verursacht, indem ihr der Ball nach einem harmlosen Weitschüsschen völlig unbedrängt beim Fangen aus der Hand geflutscht war.
Drei Stunden zuvor war es im ersten Halbfinale zur Final-Revanche für 1991 gekommen. Norwegen ging gegen die USA durch Torschützenkönigin Ann-Kristin Aarønes nach einem Eckball in Führung, wie später eben auch Deutschland gegen China. Norwegen blieb klar überlegen: Ein klares Elferfoul an Riise wurde nicht geahndet, dazu vergab sie einmal aus kurzer Distanz. Erst nach dem Seitenwechsel kam der Titelverteidiger auf, traf zweimal aus der Distanz die Latte, aber nicht mehr ins Tor. Norwegen feierte den Sieg mit der „Lokomotive“, bei der sie auf allen Vieren kriechend eine Schlange bildeten – das US-Team empfand das als übles Taunting-Foul, nahm Norwegen das noch lange übel. Intern etablierte sich der Begriff der „Viking Bitches“.
Wermutstropfen für Norwegen: Kapitänin Heidi Støre sah nach einem bescheuerten Handspiel im gegnerischen (!) Strafraum und einem unnötigen Foul an der Seitenlinie Gelb-Rot, musste im Endspiel zuschauen. Das machte aber letztlich nichts, denn im verregneten Finale von Stockholm war die norwegische Forechecking-Maschine haushoch überlegen und gewann gegen ein inhaltlich, körperlich und technisch heillos überfordertes DFB-Team mit 2:0.
WM 1999 in den USA
Maravilhas Fehlgriff und Liu Ailings doppelter Hammer
Die olympische Premiere in Atlanta 1996 gewann die USA im Finale 2:1 gegen China, es waren über 76.000 Zuseher im Football-Stadion der Georgia University – nur dass NBC das Match nicht live gezeigt hat und es tatsächlich erst 25 Jahre (!) später erstmals in voller Länge ausgestrahlt hat, sorgte bei den US-Spielerinnen ebenso wie beim Verband für kräftig Frust.
Drei Jahre nach Atlanta zog man die WM im eigenen Land so gigantisch auf wie fünf Jahre zuvor jene der Männer, man kann das Turnier durchaus als wahre Geburtsstunde des Frauenfußballs auf der Weltbühne betrachten. Die Zuschauer kamen in Scharen und das US-Team lieferte ab: Ein kompliziertes Viertelfinale gegen Deutschland (das DFB-Team war gegen Brasilien nur Gruppenzweiter geworden) überstand man mit Mühe und Not, im Halbfinale gegen eben jenes Team um die glatzköpfige Rebellin Sissi auf der Zehn ging die USA schnell in Führung – weil Torhüterin Maravlinha bei einer Flanke übel daneben griff.
Danach agierte Brasilien in der Folge zunehmend auf Augenhöhe: Formiga und Cidinha schirmten die Abwehr gut ab, Kátia und Pretinha beschäftigten die US-Defensive, aber es gelang kein Tor. Auch Sissis Freistöße, von denen sie im Turnierverlauf fünf (!) direkt verwandelte, brachten keinen Ausgleich. So kam, was kommen musste: In der 79. Minute wusste sich Elane gegen Hamm nur noch mit einem Foul zu helfen, Elfmeter, und die zum Sechser umfunktionierte Michelle Akers traf zum 2:0.
Im zweiten Halbfinale geriet Titelverteidiger Norwegen gegen Olympia-Finalist China schnell 0:2 in Rückstand: In der 3. Minute schlief Norwegen erst bei einer grandiosen Hereingabe von Liu Ailing und dann auch beim Rebound von Nordby, Sun Wen verwertete. Zehn Minuten später war es Liu Ailing selbst, die den Ball nach einem Eckball zum 2:0 in die Maschen drosch. Als Liu Ailing in der 51. Minute das fast millimetergenau exakt selbe Tor zum 3:0 erneut vollführte, war das Ding gelaufen.
Die kleinen, wuseligen Chinesinnen bezwangen die Norsker nach einem Freistoß in der 65. Minuten zum dritten Mal (!) bei einem Standard, es deutete sich eine schlimme Blamage an, zumal die Chinesinnen griffig und giftig blieben. Sun Wen besorgte danach per Elfmeter sogar das 5:0, Kringen hatte eine Flanke von Pu Wei aus kurzer Distanz an die Hand bekommen. Norwegen war vorgeführt worden, hielt sich aber ein Jahr später bei Olympia schadlos, eliminierte China mit einem 2:1-Sieg und holte sich im Finale gegen die USA das Gold. Die amerikanisch-norwegische Rivalität wuchs weiter.
1999 jedoch fand das Finale ohne Norwegen statt, USA und China belauerten sich 120 torlose Minuten lang, danach gewannen die Amerikanerinnen im Elfmeterschießen.
WM 2003 in China den USA
Amerikanische Verzweiflung und kanadische
Vier Jahre später war alles für die Revanche mit getauschtem Heimrecht angerichtet, aber die SARS-Epidemie machte der in China geplanten WM einen Strich durch die Rechnung. Viereinhalb Monate vor dem Turnier entzog die FIFA China selbiges, die USA sprang ein, auch um mit einem möglichen weiteren Triumph einen Rettungsring für die finanziell schwer schlingernde Frauen-Liga WUSA auszuwerfen.
Diese Generation der USA war aber mittlerweile über dem Zenit, die halbe Stammformation war bereits Ü-30 und von der WUSA profitierten auch andere – vor allem Deutschland. Jones, Prinz, Wiegmann, Meinert und Pohlers spielten in den Staaten und konnten sich dort mit dem physischen US-Spiel anfreunden. Im Halbfinale ging das deutsche Team dann nach einem Eckball durch Garefrekes auch relativ früh in Führung und erwartete dann den Druck der Gastgeberinnen. Der wurde auch aufgebaut, es entwickelte sich ein intensives und hart umkämpftes Spiel, der Druck auf den deutsche Abwehr kam, aber er kam recht eindimensional daher.
Rottenberg musste zwar durchaus einige Male eingreifen, von der deutschen Unterlegenheit der Vergangenheit war aber nichts mehr zu sehen. Als das US-Team längst nur noch auf Wille lief und spürbar K.o. wurde, vollendete Meinert in der Nachspielzeit einen Gegenstoß zum 2:0, praktisch mit dem Schlusspfiff stellte Prinz bei einem weiteren Konter (wenn auch aus Abseitsposition) sogar auf 3:0.
Der Titelverteidiger war damit nicht im Finale, die Chinesinnen haben es nicht einmal ins Halbfinale geschafft: In der größten Sensation des Turniers ging Kanada im Viertelfinale früh 1:0 in Führung und zitterte danach den Sieg über die Zeit. Eine Stunde nach dem Abpfiff des ersten Semifinales ging Kanada, trainiert von Norwegens Weltmeister-Coach Even Pellerud, ins Halbfinale gegen Schweden; der Vize-Europameister hatte Brasilien besiegt.
Dass das erste Semifinale aber doch das vorgezogene Finale gewesen sein dürfte, dämmerte dem geneigten Beobachter des zweiten Spiels dieses Double-Headers schnell. Von Spielkultur war auf beiden Seiten nichts sehen, es war ein Festival der langen Bälle, gejagt von allein gelassenen Stürmerinnen. Schweden war das gefährlichere Team, Malin Moström chippte in der 59. Minute noch über das Tor, eine Minute später verzog Victoria Svensson knapp links. Even Pellerud wurde auf der Bank schon zunehmend ungehalten, ehe es doch sein Team war, das zum 1:0 traf: Kara Lang, noch keine 17 Jahre alt, heizte einen Freistoß aus 35 Metern humorlos in Richtung Torfrau Caroline Jönsson, dieser klatschte die Kugel von ihrer Hand ins Tor – ein klarer Goalie-Blunder.
Eine Wiederholung des kanadischen Viertelfinal-Coups gelang aber nicht. In der 79. Minute ließ sich Kanadas Defensive von einem blitzschnell ausgeführten Freistoß zum 1:1 durch Moström überrumpeln. Schweden suchte nun die Entscheidung vor der Verlängerung, und in der 86. Minute rutschte Hanna Ljungberg an einem Stanglpass von Svensson vorbei – was gut war, denn dahinter stand die kurz zuvor eingewechselte Josefin Öqvist komplett blank und erzielte das 2:1.
Das Finale, das von viel gegenseitigem Respekt geprägt war, ging in die Verlängerung, wo Nia Künzer einen Lingor-Freistoß zum 2:1 versenkte, mit dem Golden Goal war Deutschland erstmals Weltmeister.
WM 2007 in China
Rønnings Schulter und Martas größter Tag
Ein Jahr nach dem Halbfinal-Aus gegen Deutschland trat die große US-Generation um Mia Hamm mit Olympia-Gold in Athen ab, bei China ließ es Sun Wen nach ihrer vierten WM 2003 bleiben; ein Comeback 2006 brach sie ab, weil der Körper nicht mehr mitmachte. Die verspätete Heim-WM kam für China zu spät, schon das Erreichen des Viertelfinales war eine Zitterpartie, gegen Norwegen fehlte dort die Durchschlagskraft.
Zweifelhafter Lohn für das 1:0 gegen China war für Norwegen ein Halbfinale gegen die bis dahin unantastbaren Titelverteidiger aus Deutschland und unantastbar blieb dieser auch. Knapp eine Halbzeit lang hielt Norwegen das Spiel offen, bis die nur Sekunden zuvor für die angeschlagene Behringer eingewechselte Bajramaj links durchbrach, Prinz bediente und deren Pass vor das Tor unbedrängt von Rønning ins eigene Tor abgelenkt wurde – mit der Schulter.
Die einzige echte Ausgleichschance ergab sich nur Sekunden später, als bei einer norwegischen Ecke erst Hingst auf der Linie den Fuß dazwischen bekam, dann Torfrau Angerer mit einem Reflex noch an den leicht abgefälschen Nachschuss von Solveig Gulbrandsen abwehrte und sie danach den folgenden Kopfball von Rønning auffing. Nach dem Seitenwechsel ließ das DFB-Team, ohne Gegentor im ganzen Turnier, nichts mehr anbrennen, ein Doppelschlag durch Kerstin Stegemann (72.) und Martina Müller (75.) sorgte für die endgültige Entscheidung.
Die USA hatten sich nach Olympia und dem Aus der ersten Profi-Liga neu aufgestellt und waren mit einer Serie von 47 ungeschlagenen Spielen nach China gekommen. Wirklich überzeugt haben sie dort zwar nicht, aber was im Halbfinale gegen Brasilien passieren sollte, hat man in der Form dann doch nicht erwartet. Das reichlich dümmliche Eigentor von Leslie Osborne, das nach einer Ecke in der 20. Minute zum 1:0 für Brasilien führte, war dabei fast das geringste Problem.
Denn vor allem Marta brach an diesem Abend wie eine Naturgewalt über das US-Team herein, die damals 21-Jährige war an ihrem wohl größten Tag nicht zu halten. Rasch nach dem 1:0 düpierte sie Briana Scurry, die ohne ersichtlichen Grund im US-Tor zum Einsatz kam: Hope Solo hatte die langjährige Nummer eins längst aus dem Team gespielt und sich im Turnierverlauf nichts zu Schulden kommen lassen. Vor der Pause wurde auch noch Shannon Boxx ausgeschlossen und auch nach der Pause fanden die Amerikanerinnen nicht den Hauch eines Mittels gegen Marta, die zauberte, trickste, ihre Gegnerinnen lächerlich machte und nach dem 3:0 schließlich auch das 4:0 besorgte, eine Allzeit-Größe von einem Tor, wie sie den Ball kunstvoll in der Rückwärtsbewegung an Tina Ellertson vorbei hob und somit freie Bahn hatte.
Hope Solo ließ ihrem Frust über Teamchef Greg Ryan in einem legendären TV-Interview freien Lauf, er war nach der höchsten Niederlage der USWNT-Geschichte aber ohnehin Geschichte. Im Finale trieb Brasilien das deutsche Team lange vor sich her, vergab auch einen Elfmeter. Ein eher glücklicher 2:0-Sieg brachte den DFB-Frauen auf dem Höhepunkt ihres Schaffens die Titelverteidigung.
WM 2011 in Deutschland
Wambach, das Ungeheuer und Sakaguchi, das Biest
Wenn es so etwas wie einen Tag der Wachablöse gab, dann war es der 15. August 2008 – da besiegte Japan das Team aus China im olympischen Viertelfinale mit 2:0, Homare Sawa und Yuki Nagasato erzielten die Tore. Von da an marschierte die „Nadeshiko“, wie das japanische Frauen-Team genannt wird, als klare Nummer eins aus Asien voran. Drei Jahre später war Japan Weltmeister, China hingegen für das Turnier in Deutschland nicht einmal qualifiziert.
Gesicht des Teams war die routinierte Homare Sawa, 32 Jahre alt und seit 1993 (!) Nationalspielerin. Die kleine Spielgestalterin mit den langen Haaren, elegant und torgefährlich, war in den Jahren vor der WM von der Zehn in einer Raute auf die Acht in einem 4-4-2 gerückt. Das Spiel Japans basierte auf kurzen Pässen und langen Bällen, denen im Schwarm nachgepresst wurde. Man erwischte die von Norio Sasaki perfekt gedrillte Truppe nie auf dem falschen Fuß, es gab keine billigen Fehlpässe, sie hatten stets sofort Überzahl in Ballnähe.
Im Viertelfinale hatte Japan ein deutsches Gastgeber-Team eliminiert, die von Silvia Neid gerade in diesem Spiel katastrophal schlecht gecoacht wurde (was danach sogar der „kicker“ erstaunlich direkt monierte), im Halbfinale hatte Schweden – der frühen Führung durch Öqvist zum Trotz – absolut überhaupt gar nichts entgegen zu setzen. Vor allem Mizuho Sakaguchi, die im Mittelfeldzentrum die vermeintliche Drecksarbeit für Sawa verrichtete, war an diesem Tag im Beast Mode: Sie sprang ballverteilend und passsicher für Sawa ein, die ausnahmsweise im Schatten ihrer Adjutantin stand. Bereits kurz nach der schwedischen Führung glich Japan aus, nach dem Seitenwechsel nützten Sawa (59.) und Kawasumi (64.) Patzer von Hedvig Lindahl zum 3:1-Sieg.
Wenige Stunden zuvor war ein gegenüber der letzten WM spürbar verändertes US-Team ins Finale eingezogen, die Konstanz der späteren Jahre fehlte aber noch: In der Quali hatte die USA nach einer Pleite in Mexiko den Umweg über das Playoff nehmen müssen, in der Vorrunde verlor man gegen Schweden und im Viertelfinale brauchte es ein Last-Last-Minute-Tor – DAS Tor – um sich gegen Brasilien ins Elfmeterschießen zu retten.
Dennoch: Im Halbfinale bossten die Amerikanerinnen Halbfinal-Debütant Frankreich erst einmal ordentlich herum, schon in der 9. Minute gab es die Führung durch Lauren Cheney (die spätere Holiday), es ging alles sehr leicht – zu leicht. So schlich sich nach einer halben Stunde Bruder Leichtsinn ein, man ging vom Gas, ließ Frankreich damit zurück ins Spiel und kassierte in der 55. Minute mit einer abgerissenen Flanke von Sonia Bompastor tatsächlich den Ausgleich.
Pia Sundhage beorderte danach Strafraum-Schrank Abby Wambach zurück ins Mittelfeld, um der quirlige Spielgestalterin Louisa Nécib ein bisschen auf die Zehen zu steigen und einfach einen physisch robusten Stock in die französischen Speichen zu stecken. Das funktionierte: Frankreich kam nicht mehr zur Geltung, Wambach selbst rammte in der 79. Minute eine Eckball-Flanke zum 2:1 ins Tor, keine zwei Minuten später machte Alex Morgan nach einem Konter mit dem 3:1 alles klar.
Im Finale war das US-Team über weite Strecken überlegen, ging zweimal in Führung, Japan erzielte zweimal den Ausgleich – den zum 2:2 erst in der 115. Minute durch Sawa – und setzte sich im Elfmeterschießen durch. Vier Monate nach Fukushima war das ein besonders emotionaler Premieren-Titel.
WM 2015 in Kanada
Lloyds neue Position und Bassetts Eigentor
Dass das Turnier in Kanada auf Kunstrasen ausgetragen wurde, sorgte im Vorfeld für viel Wirbel und sogar eine Klage der Spielerinnen, sollte zumindest auf dem Papier jedoch die Teams aus Nordamerika eher bevorteilen. Diese waren das aus den Colleges und der neuen Profiliga NWSL eher gewohnt.
Die USA kam mit dem weitgehend gleichen Personal von WM-Finale und Olympiasieg zur WM, allerdings mit einer biederen, hölzernen Spielweise ohne große Phantasie und ohne viele Variationen. Erst, als Jill Ellis und ihr Co-Trainer Tony Gustavsson für das Viertelfinale gegen China beschlossen, die langsame Wambach auf der Bank zu lassen, wurde es besser. Im Halbfinale zogen sie dann erstmals die gegen China noch gelbgesperrte Carli Lloyd von der Sechs auf die Position der hängenden Spitze hinter Morgan nach vorne – ein Glücksgriff.
Glücklich war für das US-Team auch, dass eine französische Equipe in brillanter Verfassung im Viertelfinale gegen ein unerhört eindimensional gewordenes Team aus Deutschland an der eigenen Chancenverwertung scheiterte. Zwar hatten die Amerikanerinnen das Halbfinale gegen die DFB-Elf lange weitgehend im Griff, in der 60. Minute brauchte es aber auch Glück: Sasic schoss einen von Julie Johnston (der späteren Ertz) verschuldeten Elfmeter links am Tor vorbei. Ein paar Minuten später machte es Carli Lloyd besser, sie traf vom Punkt zum 1:0, in der Schlussphase erhöhte O’Hara auf 2:0.
Titelverteidiger Japan hatte sich derweil mit bestenfalls mäßigen Leistungen ins Halbfinale gequält, wo die Nadeshiko auf die Überraschung des Turniers traf. England, zwei Jahre zuvor bei der EM noch ein peinlicher Haufen ohne jede Spielidee, war unter Mark Sampson in Rekordzeit zu einem flexiblen, spielintelligenten und mental widerstandsfähigen Team geworden. Norwegen und Gastgeber Kanada standen auf der Abschlussliste der Lionesses.
Nach einer vorsichtigen Anfangsphase ging Japan durch einen geschenkten Miyama-Elfmeter in Führung (32., das Foul war außerhalb des Strafraums), wenig später glich England durch einen schmeichelhaften Williams-Elfmeter (Houghton fiel mehr hin als dass sie gefoult wurde) aus. Nach dem Seitenwechsel erarbeitete sich England immer mehr Spielanteile, Duggan traf die Latte (62.), danach auch Rafferty (78.). Das schon tendenziell überalterte japanische Team kroch am Zahnfleisch in Richtung Verlängerung…
…bis Laura Bassett in der Nachspielzeit eine harmlose Flanke von Kawasumi so unglücklich zu klären versuchte, dass sich die Kugel über Torfrau Bradsley hinweg genau unter die Latte ins Tor senkte. Im Finale wurden die japanischen Schwächen dann dramatisch aufzegeigt, schon nach 16 Minuten führte das US-Team mit 4:0 (!), am Ende hieß es 5:2.
WM 2019 in Frankreich
Morgans Kaffeetasse und Groenens Weitschuss
Über Jahre hinweg galt USA gegen Deutschland, das Halbfinale von 2003, als das intensivste und womöglich beste Halbfinale – womöglich sogar Spiel überhaupt – bei einer Frauen-WM. Den Test der Zeit besteht dieses Spiel von damals bei nochmaliger Betrachtung mit heutigen Augen zwar nicht, aber seit dem Halbfinale zwischen der Mannschaft der USA und jener von England im Jahr 2019 ist diese Diskussion ohnehin Makulatur.
Die spürbare Abneigung der Teams gegeneinander ließ das Spiel wie elektrostatisch aufgeladen wirken. Press, die überraschend statt der medial im Mittelpunkt stehenden Rapinoe spielte, verwandelte schon in der 10. Minute eine Flanke zum 1:0, es war im sechsten Spiel das sechste Mal, dass das USWNT in der Anfangsphase in Führung ging. Doch wie ebenfalls fast immer ließ der Titelverteidiger vom Gegner ab. Ellen White bestrafte das prompt, glich in der 19. Minute aus, und blieb klar am Drücker, bis das US-Team aus dem Nichts auf 2:1 stellte (31.) – Alex Morgan bezwang nach einer Hereingabe von Horan Englands Ersatzkeeperin Carly Telford. Es folgte Morgans berühmt gewordener Torjubel mit der angedeuteten Teetasse, die Engländerinnen offensiv verhöhnend.
Der englische Teamchef Phil Neville wollte in diesem Spiel besonders clever sein, stellte vom gewohnten 4-3-3 auf ein 4-4-2 um, Parris wanderte ins Zentrum, die Außenspielerinnen standen sich oftmals gegenseitig im Weg, es war ein Fehlgriff in die Strategiekiste. Dennoch warf England alles rein, hielt auch körperlich dagegen und jagte dem Gegner immer wieder Schrecken ein – bis sich in der Schlussphase nach einem harschen Elfmeter-Pfiff tatsächlich die Chance auf den Ausgleich ergab. Aber Steph Houghton scheiterte an Allysa Naeher (84.) und es blieb beim 2:1-Sieg für die USA.
Das zweite Halbfinale am nächsten Tag war das genaue Gegenteil, die Partie zwischen Schweden und Holland zog sich wie Strudelteig. Schweden war ohne große Erwartungen ins Turnier gestartet, hat sich dort aber von Spiel zu Spiel gesteigert und im Viertelfinale auch den Deutschland-Fluch bezwungen. Holland war weit weg von der Leichtigkeit des EM-Titels von 2017, mit einer längst nicht fitten Martens und einer ihrer Form hinterher laufenden Van de Donk. Man schleppte sich durch das Turnier und brauchte am Weg ins Halbfinale auch Glück.
Schweden hatte über weite Strecken des Matches leichte Vorteile und auch tendenziell die besseren Chancen, traf durch Nilla Fischer (56.) ebenso das Aluminium wie auf der anderen Seite Vivianne Miedema ein paar Minuten später. Torlos ging es in die Verlängerung, wo sich Jackie Groenen in der 99. Minute ein Herz nahm, aus 20 Metern abzog und traf. Es blieb das einzige Tor des Abends.
Im Finale hielt Holland eine Stunde lang die Null, aber es schien immer klar, dass es von einem möglichen Rückstand kein Zurück mehr gäbe. So kam es auch – die USA gewannen verdient mit 2:0.
WM 2023 in Australien und Neuseeland
Salmas Sprints und Ellies Airball
Zwischen der WM 2019 und der von 2023 brach die Corona-Pandemie über die Welt herein. Olympia und EM mussten um jeweils ein Jahr verschoben werden. Die Entwicklung hin zum Großklub im Frauenfußball ist mehr oder weniger abgeschlossen, die Athletik hat sich in den letzten zehn Jahren massiv entwickelt, schon 2019 war ein riesiger Sprung gegenüber 2015 gewesen.
Auch an das Coaching werden immer größere Anforderungen gestellt – nicht nur vom Spiel selbst, sondern auch von den Spielerinnen. Der prominenteste Fall passierte knapp ein Jahr vor der WM beim spanischen Verband. 15 Spielerinnen, darunter weite Teile des Stammpersonals, bestreikten Teamchef Jorge Vilda, der als übler Kontrollfreak gilt, ohne dabei ein besonders guter Trainer zu sein. Nur drei aus der Gruppe waren bei der WM letztlich dabei und in der Vorrunde lief Spanien in ein fürchterliches 0:4-Debakel gegen Japan, kämpfte sich aber gegen die Schweiz und Holland ins Halbfinale durch.
Gegner Schweden – zuvor gegen die USA und Japan siegreich – versuchte die spanische Passmaschine mit aggressivem Forechecking schon im Mittelfeld zu stören. Die Folge war ein umkämpftes, aber nicht direkt schönes Spiel. Halb durch die zweite Hälfte ging Schweden langsam die Puste aus, Teamchef Gerhardsson reagierte aber (zu) lange nicht, während Vilda Sprinterin Salma Paralluelo brachte. Spanien hatte nun jede Vertikalität, die zuvor gefehlt hatte, das 1:0 durch Paralluelo (81.) hatte sich schon abgezeichnet. Zwar glich Schweden durch Blomqvist aus (88.), kaum 60 Sekunden später nützte Carmona jedoch einen Kollektiv-Tiefschlaf in der schwedischen Abwehr nach einem Eckball zum 2:1-Siegtreffer.
Was sich über Corona hingegen nicht geändert hat: Sarina Wiegman kommt mit ihren Teams in Turnieren sehr weit. Nach EM-Titel 2017 und WM-Finale 2019 mit Holland folgte der EM-Titel 2022 mit England und trotz Verletzungssorgen und eines komplizierten Achtelfinales gegen Nigeria (das auch Wiegman vercoacht hatte) erreichten die Lionesses bei der dritten WM in Folge im Halbfinale.
Co-Gastgeber Australien hatte schon in der Vorrunde ein Endspiel gegen Kanada zu überstehen, das 4:0 riss die Fans in der Heimat so richtig mit und mit dem Sieg im ultra-dramatischen Elferschießen gegen Frankreich buchten die Matildas erstmals ein WM-Halbfinal-Ticket und lösten in der Heimat akutes „Tillies Fever“ aus. Könnte Australien, zwei Jahre nach der olympischen Semifinal-Niederlage gegen Schweden, das Finale im eigenen Land erreichen?
Nein, konnten sie nicht. Australien hatte von Beginn an Probleme mit den Tiefenläufen von Stanway und Toone, letztere wurde in der 38. Minute freigespielt, England ging verdient in Führung. Australien steckte nicht auf, der Ausgleich durch einen Weitschuss von Sam Kerr (63.) – der Stürmerstar hatte weite Teile des Turniers verletzt passen müssen – kam aber dennoch ein wenig aus dem Nichts. Lange währte die Hoffnung auch nicht, weil Ellie Carpenter einen üblen defensiven Korken drehte: Beim Abschirmen des Balles gegen Hemp säbelte sie an der Kugel vorbei, das Luftloch brachte Hemp an den Ball, sie traf zum 2:1 (71.) und als Australien alles nach vorne warf, schloss Russo in der 87. Minute einen Konter zum 3:1-Endstand ab.
Damit kommt der Champion erstmals seit 2007 aus Europa und es wird ein fünftes Land geben, dass sich Weltmeister im Frauenfußball nennen darf. England oder Spanien?