Die CONCACAF-Teams bei der WM 2022: Junges US-Team auf der Überholspur

In vier Jahren geht die WM in den USA, Mexiko und Kanada über die Bühne. Die drei Co-Gastgeber fliegen mit gemischten Gefühlen vom Persischen Golf nach Hause – zwar war wie seit Einführung des Achtelfinales 1986 immer auch diesmal ein Concacaf-Team vertreten, aber es war nicht der traditionelle Platzhirsch Mexiko, sondern das junge US-Team, das aufzeigte. Auch Kanada verkaufte sich beim ersten Antreten seit 36 Jahren achtbar, Costa Rica steht vor einem kompletten Umbruch.

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USA: Junges Team mit Potenzial

Was wird von Teilen der amerikanischen Fan-Basis auf Gregg Berhalter eingedroschen! Seinen Posten habe er nur Vetternwirtschaft zu verdanken (dass sein Bruder Jay hochrangiger Manager beim US-Verband war, hat tatsächlich eine schiefe Optik). Seine Taktik zu einfältig, seine Nominierungen unverständlich, er wäre unfähig ein Team zu entwickeln und der nicht von der Hand zu weisende Erfolg wäre trotz Berhalter zu Stande gekommen, nicht wegen ihm.

Die Eindrücke von dieser WM bestätigen die Heftigkeit der Kritik nicht. Aufstellung, Taktik und In-Game-Coaching beim starken 0:0 gegen England waren nahe an der Perfektion; beim 1:1 gegen Wales kassierte man den späten Ausgleich dank eines patscherten Elfmeter-Fouls, den Iran hatte man im entscheidenden Spiel eine Stunde lang bombenfest im Griff. Und all das mit einer blutjungen Truppe mit 24,9 Jahren im Schnitt, in der nur ein einziger (Reserve-Rechtsverteidiger Yedlin) schon mal bei einer WM war (2014 wurde er dreimal eingewechselt).

Die fehlende Torgefahr, wenn man ein Spiel selbst zu gestalten hat, war aber sehr wohl auffällig: Der Übergang vom Mittelfeld ins Angriffsdrittel war oft holprig, so wurden auch die dünnen 1:0-Führungen gegen Wales tatsächlich und gegen den Iran beinahe verdaddelt. Der sparsame Einsatz des talentierten Gio Reyna wird Berhalter von seinen Kritikern (wohl nicht ganz zu Unrecht) mahnend an den Kopf geworden. Die Art und Weise, wie er und seine Buben am Feld gegen Holland beim 1:3 im Achtelfinale nie ein strategisches Mittel fanden, ebenso.

Nachdem den Amerikanern 2017 die sagenhafte Peinlichkeit passiert ist, mit einer nicht gerade in Würde gealterten Truppe das WM-Ticket gegen Panama und Honduras zu verspielen, hat sich Berhalter mit viel Probieren einen Stamm herausgearbeitet, der wunderbar harmoniert und auch zu nuancierten systemischen Anpassungen fähig ist (wie das 4-4-2 mit gleichem Personal gegen England und den Iran). Das ist keine Basis, um Weltmeister zu werden, aber man steht tatsächlich derzeit recht eindeutig besser da als der Erzrivale von South of the Border.

Mexiko: Crash

Das Nations-League-Finale im Juni 2021 hat Mexiko gegen die USA verloren, das Goldcup-Finale im August 2021 ebenso, im Mai 2022 haben die UNAM Pumas das Champions-League-Finale gegen die Seattle Sounders verloren (2:2 und 0:3) und nun, im November 2022, ist Mexiko erstmals seit 1978 in der WM-Vorrunde picken geblieben, während die USA das Achtelfinale erreicht haben.

Einerseits waren die spielerischen Leistungen sowohl beim 0:0 gegen Polen als auch beim 2:1 gegen Saudi-Arabien in Ordnung, aber die Torgefahr ließ schwer zu wünschen übrig. Der Aufstieg ins Achtelfinale war in dieser doch relativ schwachen Gruppe Pflicht, dem ängstlichen Auftritt beim 0:2 gegen Argentinien zum Trotz. Die Abwehr war nach Expected Goals die viertbeste der Vorrunde, der Angriff auch nicht harmloser als jener der US-Nachbarn.

Und doch ist beim US-Team jenes Entwicklungspotenzial erkennbar, das in Mexiko zu fehlen scheint. Ob Chichaito Hernández (33) – der bei den LA Galaxy eine starke Saison gespielt, sich aber offenkundig mit dem Verband überworfen hat – die ein, zwei nötigen Tore erzielt hätte? Oder ein fitter Raúl Jiménez (31)? Möglich, aber müßig zu debattieren. Fakt ist: Unter den Top-20 Torschützen der mexikanischen Liga sind nur zwei Mexikaner (Martín und Barragán) und keiner von den beiden ist jünger als 30 Jahre.

Der mexikanische Verband gilt als Schlangengrube, in der zahlreiche Interessensgruppen – neben Funktionären, Sponsoren und Vereinen sogar die TV-Partner – am jeweils eigenen Strang ziehen. Tata Martino hat die Arbeit in Mexiko sichtlich keinen Spaß gemacht, seine Reputation hat gelitten und der feige Zugang gegen Argentinien wird ihm besonders übel genommen. Einfach nur den Trainer auszutauschen und darauf zu bauen, dass damit alles wieder gut ist, wird aber nicht reichen. Dafür herrscht viel zu große Unruhe im Umfeld. Sicher hat Martino Fehler gemacht, aber er alleine ist für die Krise in Mexiko sicher nicht verantwortlich. Der nach den wiederholten Tiefschlägen gegen die USA herrschende Panik-Modus im Verband wohl schon eher. Treibsand eben.

Das Durchschnitts-Alter der WM-Truppe liegt schon bei 28,5 Jahren, die U-20 hat den Sprung zur WM durch ein Aus gegen Guatemala verpasst. Aber dass es überhaupt keine guten Jungen gibt, ist einfach nicht wahr: Eine um Ochoa und Martín aufgebesserte U-23 hat letztes Jahr Olympia-Bronze geholt und dabei Tore fast nach Belieben erzielt (4:1 gegen Frankreich, 3:0 gegen Südafrika, 6:3 gegen Südkorea im Viertelfinale, das Halbfinale gegen Brasilien ging ins Elferschießen).

Kanada: Mit wehenden Fahnen verloren

Als Kanada 1986 zum ersten und bisher einzigen Mal bei einer WM aufgekreuzt ist, tat man das mit einer Horde von Hallenfußballern (kein Witz!). Diesmal kam eine Mischung aus einigen verdienten Routiniers und ganz vielen, talentierten Jungs; eingestellt von John Herdman, der schon aus Kanadas Frauen ein Team ein Team der erweiterten Weltspitze gemacht hat.

Herdmans Frauen waren eines der flexibelsten Teams der Welt und eines der besten gegen den Ball. Herdmans Männer agieren auch aus verschiedenen Systemen heraus (3-4-3 mit Davies als Wing-Bank bzw. 4-4-2 mit Davies als LM mit Adekugbe als LV hinter ihm); der Spielstil ist aber etwas anders. Es wird zwar nicht wirklich gepresst, aber die flinken und trickreichen jungen Burschen – Davies links, Buchanan rechts – sorgen mit unberechenbaren Dribblings und hoher Explosivität für schnelles Überbrücken des Mittelfeldes und gerade die betagten Belgier hatten damit brutale Probleme.

In diesem Spiel wurde aber auch das Problem der Kanadier bei dieser WM schon deutlich: Die fehlende Routine auf diesem hohen Niveau. Belgien überlebte den kanadischen Drang und gewann, gegen Kroatiens starkes Mittelfeld war man trotz früher Führung machtlos und die disziplinierte marokkanische Defensive ließ zwar den einen oder anderen Schuss zu, aber auch hier brauchte es ein Eigentor.

So fährt Kanada mit drei Niederlagen im Gepäck nach Hause, ist aber – anders als der sang- und klanglos untergegangene Gastgeber Katar – immerhin mit wehenden Fahnen untergegangen und hat sicherlich einige Sympathisanten gefunden. Die jungen Burschen von jetzt sind 2026 im besten Fußballer-Alter, mit der Erfahrung von drei weiteren Jahren können sie dann tatsächlich ein seriöser Achtelfinal-Kandidat sein.

Costa Rica: Wie mit dem Rollator

Wer hatte den wenigsten Ballbesitz beim Turnier? Costa Rica mit 31 Prozent. Wer hatte den höchsten xG-Wert bei Gegentoren? Costa Rica. Wer stellt mit 30,0 Jahren das älteste Team der WM? Costa Rica – und hätten nicht mit Contreras vorne und Bennette auf dem Flügel zumindest zwei junge Leute gespielt, hätte man angesichts der überschaubaren Tempos der hoffnungslos überalterten Truppe noch mehr den Eindruck gehabt, es wären einige mit dem Rollator unterwegs.

Sechs Stammspieler des Teams, das 2014 sensationell ins Viertelfinale gekommen war, sind immer noch dabei (Navas, Duarte, Borges, Tejeda, Ruiz und Campbell). Aus dem 5-4-1 mit kurzen, scharfen Pressingwegen und der auffälligen Abwehrfalle ist ein plumper, tiefer Block geworden, mit dem man die Spiele mit unterschiedlichem Erfolg zu überleben versuchte. Das 0:7 gegen Spanien war schauderhaft und dass die Ticos mit dem einzigen Torschuss in den ersten zwei Spielen Japan 1:0 besiegten, ist ein veritabler Treppenwitz. Immerhin, einem nervlich fragilem und bei Kontern anfälligen deutschen Team lehrte man kurzzeitig das Fürchten.

Aber im Ganzen ist die Qualität einfach nicht (mehr) da, um auf WM-Niveau auch nur halbwegs sinnvoll mitspielen zu können. „Schon im ersten Spiel wurde offensichtlich, dass die Ticos seither nur älter wurde, aber nicht besser“, hieß es an dieser Stelle 2018 über Costa Rica. Mittlerweile ist man achteinhalb Jahre älter als 2014 und man sah auch so aus. Nachdem fünf der letzten sechs Endrunden erreicht wurden, steht nun bei Costa Rica ein brutaler Schnitt an.

So lief die Qualifikation

Wer hat gefehlt?

Wenn man sich vor Augen führt, wie wenig konkurrenzfähig schon Costa Rica war, kann man behaupten: Niemand hat gefehlt, der die WM aus fußballerischer Sicht bereichert hätte. Panama war 2018 dabei und damals bilanzierte Ballverliebt: „So tapfer sich die Panamaer auch gewehrt haben: Sie waren das schlechteste Team dieses Turniers, es hilft alles nichts“.

Honduras war 2010 und 2014 dabei und war robust, aber minderbemittelt. Trinidad bringt seit der (vorzeigbaren) Teilnahme 2006 kaum noch einen Fuß auf den Boden, ist schon in der Vorrunde gegen St. Kitts ausgeschieden. Jamaika war 2015 (unter Winnie Schäfer) und 2017 (unter Theo Whitmore) im Goldcup-Finale, für den kommenden Goldcup hat man sich Heimir Hallgrimsson geholt – Islands WM-Coach von 2018 auf der Reggae-Insel im Karibik, eine spannende Liaison.

Wie geht’s weiter?

Im März wird die Haupt-Phase der laufenden Nations League finalisiert, in der wohl die USA, Mexiko, Kanada und Panama ins Final-Four kommen dürften; im Juni und Juli 2023 steht dann der nächste Gold-Cup auf dem Programm. Neben den großen üblichen Verdächtigen und kleinen Glücksrittern aus der B- und C-Gruppe der Nations League (schon mal was von Bonaire gehört?) ist wie schon beim letzten Mal auch Katar als Gast mit dabei – sofern es sich mit dem Asiencup zeitlich ausgeht.

Im Jahr 2025 folgt dann noch ein weiterer Gold-Cup, die Qualifikation für die WM 2026 ist dann schon im Laufen. Neben den drei Gastgebern sind noch drei weitere Concacaf-Teams fix dort dabei, ein weiterer darf ins interkontinentale Playoff.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.