Eine europäische Nations League mit… Argentinien? Brasilien? Venezuela gar? Was sich wie eine seltsame Schnapsidee anhört, hat einen ernsten Hintergrund. Die Pläne einer gemeinsamen Nations League von UEFA und CONMEBOL ab 2024 – bei der alle Spiele in Europa ausgetragen würden – haben einen klaren Adressaten: Die FIFA. Deren Pläne einer WM im Zweijahres-Rhythmus sollen so untergraben werden.
Warum genau Arsène Wenger das Spiel mitmacht, wird eines der großen Fußball-Mysterien dieser Zeit bleiben. Dass die FIFA um Gianni Infantino Druck macht, um die ab 2026 eh schon auf 48 Teilnehmer aufgeblähte WM dann auch noch alle zwei Jahre zu veranstalten, folgt aber einer inneren Logik. Macht, Geld, Prestige – you name it.
In einem großen Videocall hat die FIFA ihren Mitgliedern kurz vor Weihnachten ein besonderes Präsent in Aussicht gestellt: Knapp vier Milliarden Euro soll die Verdoppelung der WM-Endrunden bringen, die natürlich brüderlich aufgeteilt werden: Neun Millionen für jeden Mitgliedsverband, egal ob Brasilien oder Guam. Wobei den Verbandsboss von Guam, Valentino San Gil, das offenkundig nicht besonders interessiert haben dürfte.
„Wer ist für die WM alle zwei Jahre? Guam? Ja, ich sehe ein klares Ja aus Guam.“ https://t.co/QWMZuj1kua
— Stefan Klüttermann (@kluettermann) December 20, 2021
Die WM über allem
Der langjährige Arsenal-Erfolgtrainer Arsène Wenger ist das Gesicht, das die FIFA im Bemühen um gute Presse voranstellt. „Wir sehen uns Widerstand ausgesetzt, aber 90 Prozent davon basiert auf Emotionen“, lässt der 72-Jährige beispielsweise wissen. Sein Chef lässt sich derweil als Wohltäter der Fußballwelt feiern, weil „die junge Generation öfter eine WM sehen möchte“, wie Infantino aus Studien herauslesen will.
Der Schmäh soll sein, dass es nur noch zwei internationale Fenster pro Jahr geben hätte sollen – ein Vorschlag, der bei nämlichem Videocall übrigens abgeschmettert wurde – und sich so die Anzahl der Spiele nicht vergrößern hätte sollen. Der Nebeneffekt ist klar: Die Kontinente können damit gerade noch ihre eigenen Meisterschaften plus einer Schnell-Schnell-Quali durchpeitschen.
Ansonsten gibt es nur noch die WM, und zwar alle zwei Jahre. Große Schecks aus den potenziellen Ausrichterländern von China bis Saudi-Arabien inklusive.
Gemeinsame Nations League als Ersatz-WM
Aleksander Čeferin und Alejandro Domínguez jetzt als die Guten in einem schwarz-weißen Kampf zwischen Imperium und Rebellen hinstellen zu wollen, würde der Sache nicht gerecht. Am Ende verteidigen UEFA und CONMEBOL auch nur ihre eigenen Pfründe, ihre Vormachtstellung und ihre Einkommenssicherheit.
Die Idee ist klar umrissen: Ab 2024 nehmen die zehn südamerikanischen Länder an der europäischen Nations League teil, alle Spiele würden weiterhin in Europa ausgetraten werden. Die sechs Top-Nationen – aktuell wären das Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Uruguay, Peru und Chile – werden in die A-Gruppe eingeordnet, die verbleibenden – also aktuell Paraguay, Ecuador, Bolivien und Venezuela – in die B-Gruppe. So hat es UEFA-Vize Zbigniew Boniek ausgeplaudert. Nähere Details zur Durchführung sind noch nicht durchgesickert.
Da genau alle Weltmeister (und auch alle WM-Finalisten) aus diesen beiden Kontinenten stammen, wäre diese gemeinsame Nations League de facto eine Ersatz-WM.
Ohne Top-Nationen keine lukrative Zweijahres-WM
Infiantino gab an, die „notwendige Mehrheit“ für eine Zweijahres-WM ab 2026 beinander zu haben, was durchaus sein kann, denn UEFA und CONMEBOL verfügen zusammen „nur“ über rund ein Drittel der Stimmen. Mit der gemeinsamen Nations League einhergehend wäre aber ein Boykott der Länder aus Europa und Südamerika.
Quasi: Wenn ihr alle zwei Jahre eine WM wollt, liebe FIFA, dann macht. Aber ohne uns.
What this meeting on the future of football should have also discussed is the mechanism that sees huge amount of football’s money distributed to 211 FAs without recourse to their needs. This didn’t happen because this would be suicide for any FIFA president. 💰 = votes
— tariq panja (@tariqpanja) December 20, 2021
Europa und Südamerika verfügen juristisch nicht über eine Sperrminorität, aber realpolitisch über eine Verfassungs-Mehrheit. Denn eine WM ohne diese Länder wäre ein Turnier dritter Klasse. Wenn sich Mexiko, Nigeria, Japan und Katar einen Turniersieger ausmachen, ist das nett. Es hätte aber kaum mehr als die Bedeutung des Confed-Cups – oder des gerade in Katar gespielten Arab Cups – als Generalprobe für eine „echte“ WM.
Ohne Brasilien und Frankreich, ohne Argentinien und Spanien, ohne Kolumbien und Italien, ohne Deutschland und England gibt es auch kein dauerhaftes Plus von vier Milliarden Euro, sondern ein gewaltiges Minus.
Auch persönliche Anomisitäten
Die FIFA ist nicht bereit, von der Zweijahres-WM herunter zu steigen. Sie wird aber auf UEFA und CONMEBOL zugehen müssen, um nicht selbst ins Desaster zu rennen. Grundsätzlich lässt sich mit Geld in diesen Gefilden so gut wie alles regeln. Der persönliche Animosität zwischen den Beteiligen ist hierbei aber ein Bremsklotz.
Die UEFA hat schon mit ihrer Fundamental-Opposition die expandierte Klub-WM von Infantino – in Kooperation mit dem Coronavirus – zumindest auf Eis legen lassen, die FIFA sitzt immer noch auf ihrem eher sinnlosen und kaum beachteten Exhibition-Turnier als Klub-WM fest, während die UEFA im Klubfußball praktisch die Weltmonopolstellung auf Einnahmen aus Klub-Bewerben hat.
Der im Herbst abgelöste ÖFB-Präsident Leo Windtner äußerte in seinem letzten Interview im Amt den Verdacht, die Zweijahres-WM soll die Klub-WM über die Hintertür retten – quasi als Zugeständnis der UEFA: Die einen geben ihren Widerstand zur großen Klub-WM auf, dafür die anderen die Pläne zur Zweijahres-WM. Im Moment stehen sich die Streitparteien gegenüber, schießen und warten, wer als erstes getroffen zusammen zuckt.