Der Saisonstart war für Sturm Graz mit dem 3:1 über Salzburg perfekt. Das 0:1 in Ried hat nun aber gezeigt, wo mit dem völlig neuen Grazer Kader die Schwächen liegen – nämlich genau dort, wo sie auch mit dem alten Kader gelegen sind: Fehlende Bindung zwischen Eröffnung und Offensive und zu viel offener Raum im defensiven Umschalten. Ried bohrte genau diese Problemfelder an.
Das große Problem von Sturm unter Franco Foda war, seit der Deutsche wieder zurück ist, die Eindimensionalität des Spiels und eine in sich widersinnige Spielanlage (vorne aggressiv, hinten nicht nachrücken). Nun wurde im Sommer der Kader komplett umgebaut. Im ersten Spiel gegen Salzburg gewann man 3:1, weil man durch zwei individuelle Fehler seitens der Bullen schnell 2:0 voran lag und dann mit zwei eng stehenden Ketten recht sicher stand.
Der wirkliche Test, inwieweit im Zuge des Kader-Umbaus (nur Spendlhofer, Lykogiannis und Kienast sind vom Stamm der letzten Saison übrig) auch die konsequent scheiternde Spielanlage geändert wurde, war aber dieses Spiel gegen Ried. Die Innviertler kamen mit ihrem neuen, deutschen Trainer Christian Benbennek zum Start bei Rapid mit 0:5 unter die Räder: Man stellte sich in einem extrem passiven 4-4-2 auf und ließ das Spiel Rapids ohne nennenswerte Gegenwehr über sich ergehen.
Ried isoliert die Sturm-Sechser
Schnell wurde bei Sturm klar, dass sich gegenüber der letzten Saison zwar die Namen verändert haben, aber nicht die taktischen Probleme. Ried isolierte sehr geschickt Jeggo und Matic im defensiven Grazer Mittelfeld, indem der jeweilige Mittelfeld-Außen und der jeweilige Achter der Rieder zum Ballführenden schoben und so die vertikale Pass-Option nahmen. Das war umso wirkungsvoller, weil das offensive Quartett von Sturm – wie aus der letzten Saison gewohnt – sehr hoch stand und sich niemand als Verbinungsspieler fallen ließ.
Dass Ried nach einer Viertelstunde mit einem Freistoß-Trick 1:0 in Führung ging, spielte den Innviertlern natürlich in die Hände. Noch mehr konnten sie sich nun darauf verlegen, das Spiel von Sturm zu kontrollieren.
Innenverteidiger bringt mehr für die Offensive
In den 68 Minuten, in denen Matic und Jeggo gemeinsam im Mittelfeld-Zentrum agierten, kamen sie zusammen auf neun angekommene Vertikal- und Diagonalpässe in die bzw. in der gegnerischen Hälfte und zehn Fehlpässe (also 47% angekommen). Zum Vergleich: Im vergangenen Herbst kamen Hadzic, Kamavuaka und Offenbacher auf jeweils um die 70% dieser Pässe, die einen Mitspieler fanden.
Der für die Bälle nach vorne zuständige Sturm-Innenverteidiger Christoph Schoissengeyr merkte immer mehr, dass man so nicht sinnvoll nach vorne kommt, und startete nach rund einer halben Stunde immer mehr Vorstöße, um die Bälle von der Nähe der Mittellinie besser an die offensiven Mitspieler bringen zu können. Bezeichnend: Innenverteidiger Schoissengeyr brachte in 90 Minuten elf Vertikal- und Diagonalpässe in die bzw. in der gegnerischen Hälfte an den Mann und nur sechs nicht. Das ist nicht nur mehr als das ZM-Duo in knapp 70 Minuten geschafft hat, sondern ist mit 64% Erfolgsquote sogar deutlich produktiver gewesen.
Ried baut nicht auf, sondern kontert
Natürlich: Die vergleichbaren Werte bei Ried sind alles andere als berühmt – insgesamt kamen 53% der Diagonal/Vertikal-Pässe in der bzw. in die gegnerische Hälfte an und nur Brandner (8 von 9) sowie Zulj (7 von 11) haben eine signifikant positive Bilanz – aber angesichts der auf Verhindern angelegten Taktik der Rieder ist das in dem Fall zweitrangig.
Ried wirkte gut organisiert, kompakt in der Defensive und verwaltete die knappe Führung.
Sturm versuchte es nach der Pause weniger mit weiten Flanken-Wechseln, sondern mehr mit direkten Flachpässen durch die Mitte, aber wirkliche Troubles hatte Ried auch damit nicht. Erst mit der Einwechslung von Stefan Hierländer für James Jeggo wurde das Aufbauspiel von Sturm solider.
Fodas System-Adaption wirkt, aber Umschaltproblem bleibt
Das lag weniger daran, dass Hierländer eine speziell gute Leistung gezeigt hätte, sondern an seiner Positionierung. Was davor in der Praxis ein zerrissenes 4-2-4 war, war mit Hierländer statt Jeggo ein 4-1-3-2, in dem Hierländer genau jener Verbindungsspieler im Zentrum vor Matic war, der davor gefehlt hatte. Der Rieder Mittelfeld-Kette viel es nun schwerer, Sturms Aufbau über das Zentrum zu isolieren und Sturm konnte sich nachhaltiger vorne festsetzen – mit Edomwonyis Aluminium-Treffer als bester Torchance.
Allerdings blieb es im defensiven Umschalten im ganzen Spiel so, dass Sturm das altbekannte Loch zwischen Offensive und Defensive aufriss. Hatte Ried am eigenen Strafraum den Ball erobert, war genug Platz ohne Gegenspieler da, um (je nach Wahl) einen geordneten Konter zu fahren oder das Tempo aus dem Spiel zu nehmen. Meistens wurde erstere Variante gewählt und Ried hatte diverse Chancen, das 2:0 oder sogar das 3:0 zu erzielen.
Fazit: Keine guten Aussichten für Sturm
Ried war deutlich besser präsent als beim eher erschütternden 0:5 im Weststadion, aber letztlich war die defensiv grundsolide Vorstellung auch wieder nichts, was nicht jeder beliebige, durchschnittliche deutsche Zweitligist auch so drauf hat. Aber selbst das war mehr als genug, um Sturm über weite Strecken (allem Grazer Ballbesitz zum Trotz) aus dem Spiel zu nehmen.
Die Lehre aus diesem ersten „normalen“ Spiel mit Sturms runderneuertem Kader (bisher gab es ein Cup-Match gegen Drittligist Stadlau und den super-günstigen Spielverlauf gegen Salzburg) ist: Neue Spieler alleine lösen überhaupt kein Problem, wenn die selben taktischen Fehler gemacht werden wie mit den alten. Und zu versuchen, die inhaltlichen Blödsinnigkeiten mit individuell besseren Spielern auszugleichen, ist nicht besonders nachhaltig.
Das Spiel gegen Ried – und so ähnlich werden etwa auch WAC, Altach, St. Pölten und die Admira gegen den nominellen Favoriten Sturm Graz agieren – hat einmal mehr gezeigt, mit welch simplen Mitteln man die offensichtlichen Schwächen der Grazer anbohrt und ausnützt.
Das sind keine schönen Aussichten für Sturm.