Paul Gludovatz ist zurück in Ried, mit ihm sein altes 3-3-3-1 aus den Jahren 2008 bis 2012, auch die Spielanlage hat sich fast nicht geändert und immer noch kommt die Konkurrenz nicht damit zurecht. Das Team von Sturm-Coach Franco Foda, überhaupt einer der unbeweglichsten Trainer der Liga, war ob seiner Berechenbarkeit aber auch ein dankbarer Gegner.
Sturm war deshalb ein dankbarer Gegner, weil das 3-3-3-1 gegen das übliche große Loch zwischen der tief stehenden Abwehrreihe und der hoch stehenden Offensive der Grazer perfekt passt – vor allem, wenn man es so anlegt wie die Rieder in diesem Spiel.
Doppeltes Kappen der Grazer Spieleröffnung
Der nominelle Zehner, Dieter Elsneg, agierte nämlich recht hoch, sodass Ried phasenweise sogar eher in einem 3-3-4 agierte. Das hieß, dass sich vier Rieder Offensivspieler zwischen der Sturm-Abwehr und dem Rest der Grazer positionierte und so ungestört zum einen die Spieleröffnung per Stellungsspiel UND per Anpressen der Abwehrkette angehen konnte.
Mit Erfolg: Michael Madl produzierte 13 Fehlpässe, Innenverteidiger-Kollege Kamavuaka zwölf. Nach den vielen billigen Ballverlusten bedurfte es bei Ried nicht einmal großartigen Nachrückens von hinten heraus, weil sofort vier Spieler den schnellen Weg in den Strafraum suchen konnten und man dabei kaum einmal in Unterzahl gerieten.
Außenbahnen überladen
Vor allem Martin Ehrenreich wurde von Gludovatz und Schweitzer als Schwachstelle erkannt. Ihn bohrte Ried an, indem man – auch ein klassisches und eigentlich altbekanntes Feature des 3-3-3-1 – die Außenbahnen überlud und so nicht selten drei Spieler (Linksaußen Kragl, der linke Wingback Prada und der verschiebende Zehner Elsneg) auf Ehrenreich zustürzten. Die Ballverlust-Quote des zuletzt ohnehin verunsicherten Ehrenreich trieb in lichte Höhen.
Auf der anderen Seite agierte Rieds Rechtsaußen Patrick Möschl, ein dynamischer und schneller Spieler, etwas höher als Kragl auf der anderen Seite. Zusammen mit dem recht aktiven rechten Wingback Janeczek überlief er Sturm-Außenverteidiger Potzmann immer wieder.
Hohe Linie bei Ried
Neben der extrem aktiven Spielanlage und dem konsequenten Vorwärtsverteidigen war auch die hohe Linie ein signifikanter Unterschied zu den Kolvidsson-Spielen. Unter dem Isländer agierte Ried tiefstehend und passiv, nicht selten mit nur zwischen 20 und 30 Prozent Ballbesitz, mit sehr viel Weg zwischen Ball und Tor, wenn man die Kugel erobert hatte. Nun, unter Gludovatz, wird der Ball nach Möglichkeit 50 bis 70 Meter weiter vorne erobert.
Auch die Abwehrreihe der Innviertler steht nun locker 30, 40 Meter weiter vorne als noch unter Kolvidsson. Gludovatz weiß, dass er die Abwehrlinie nach vorne schieben muss, wenn er vorne draufgehen lassen möchte. So entstanden im Rücken der vier offensiven Ried-Spieler nie die Räume, die sich umso dramatischer in so gut wie jedem Spiel bei Sturm auftun.
Durch die hohe Linie war es auch Sechser Marcel Ziegl jederzeit möglich, im Bedarfsfall nach vorne zu rücken, um Bälle abzufangen oder beim Anpressen zu helfen.
Sturm lange ratlos
Die Grazer hatten nicht den geringsten Plan, wie sie gegen diese Rieder sinnvoll nach vorne kommen sollten. Immer öfter waren lange Vertikalpässe in die grobe Richtung von Sturmspitze Tadic der letzte Ausweg, die fast immer zu lang und/oder zu ungenau waren. Donis Avdijaj hatte zwar erkannt, woran es krankte (wohl als Einziger) und ließ sich immer wieder relativ tief zurückfallen, dann fehlte er aber vorne.
Wäre Sturm zur Halbzeit 0:3 oder 0:4 zurück gelegen (und die Chancen dazu waren da), es wäre nicht zu hoch gewesen. Erst für die 2. Halbzeit reagierte Foda, indem er die Mittelfeldreihe – vor allem Hadzic und Piesinger – deutlich näher an der Abwehrreihe positionierte. So nahm Sturm den Rieder Offensiv-Spielern den Raum zwischen den Reihen und man kontrollierte das Spiel zusehens besser, ohne allerdings wirklich viele Chancen herausarbeiten zu können.
Dass Ried am Ende dennoch gewann, lag an einem Abseitstor zehn Minuten vor Schluss. Unverdient war es allerdings in keinster Weise.
Kolvidsson war zu radikal
Die gezeigten Performances und auch die Wortmeldungen, die man aus Ried so vernommen hat, legen den Schluss nahe, dass der Wechsel in der Spielanlage zu radikal war. Die Spieler in Ried waren es über Jahre gewohnt – also, seit Gludovatz‘ erstem Amts-Antritt im Sommer 2008 – einen extrem progressiven, intensiven und zuletzt auch auf teilweise extremem Pressing aufgebauten Fußball zu spielen.
Kolvidssons Idee von Fußball stand diesem Ansatz diametral gegenüber: Kompakt in der Defensive stehen, den Gegner möglichst nicht die Option geben, zwischen die Reihen zu kommen und nach Ballgewinn schnörkellos und sehr vertikal nach vorne.
Das erfordert natürlich auch eine gewisse Form von Aggressivität, aber die ist völlig anders gelagert und in ganz anderen Situationen gefragt, als das unter Kolvidssons Vorgängern der Fall war. Der Isländer beklagte sich wiederholt, dass seine Vorgaben nicht umgesetzt worden wären. Eine mögliche Interpretation wäre: Spieler wie Trauner (der unter Kolvidsson ganz besonder schlecht war, aber auch Janeczek, Elsneg, Murg und Ziegl hatten den „eigentlichen“ Ried-Fußball so verinnerlicht, dass sie es schlicht nicht schafften, den Schalter im Kopf umzulegen.
Nun, unter Gludovatz, ist die SV Ried zurück, wie der österreichische Fußball sie kennen und auch lieben gelernt hat.
Der Abstieg ist, mann man nur halbwegs weiterhin so progressiv agiert wie gegen Sturm, kein Thema. Das Experiment Kolvidsson hat gezeigt, wenn es sonst schon für nichts gut war, dass die Spieler im Kader der Innviertler sehr wohl deutlich geeigneter für proaktiven Fußball sind als für eine passive Spielanlage.