Vor allem die Spiele von Rapid und Sturm in der letzten Europacup-Woche offenbarten das seltsame Denken, in dem einige österreichische Teams (bzw. Trainer) gefangen zu sein scheinen. Sie wollen gerne vorne draufpressen und aggressiv den Gegner angehen, aber gleichzeitig defensiv tief stehen und nur ja nicht Bälle in den Rücken der Abwehr zulassen.
Das ist ein wenig wie dieser Satz „Ein bisschen schwanger sein“. Entweder oder. Barisic und Foda versuchen es trotzdem – zur Freude der Gegner.
Foda ignoriert Rubins große Schwäche
So musste man kein über Jahre ausgebildeter Scout sein, um beim 0:2 von Rubin Kasan letzte Woche in der Liga gegen Abstiegskandidat Amkar Perm zu sehen: Wenn man das Mittelfeld zusammen zieht, da die Räume eng macht, fehlt es Rubin an den spielerischen Mitteln und am innermannschaftlichen Spielverständnis, ein solches Mittelfeld auszuhebeln.
Nun machte Foda im Hinspiel aber genau das Gegenteil vom Ansatz von Amkar Perm: Sturm machte das Zentrum komplett auf, überließ den Russen bereitwillig den Mittelkreis und rund 20 Meter vorne, hinten, links und rechts davon, und machte so ein verunsichertes und weiß Gott nicht besonders gutes Team so richtig stark.
Denn Rubin schaute mal kurz, ob die Grazer es wirklich ernst meinen, gegen ihre fünf Mittelfeld-Leute nur zwei Leute zu stellen (Hadzic und Piesinger) und freuten sich recht schnell darüber, dass das wirklich so war. Zudem half es den Russen, dass man auf ein 4-1-4-1 umgestellt hatte, mit zwei Achtern statt des gegen Perm isolierten Carlos Eduardo als Zehner; und mit dem Brasilianer auf dem Flügel.
Natürlich ist es leicht, auf Martin Ehrenreich hinzuprügeln, auf seinen blinden Befreiungs-Querpass in den Lauf von Gökdeniz und sein dümmliches Handspiel im Fallen. Oder auf die nicht gerade schlaue gelb-rote Karte von Donis Avdijaj. Aber wenn man eine individuelle Fehlleistung herausstreichen möchte, dann war die von Franco Foda noch viel gravierender.
Denn während vorne das Offensiv-Quartett mit Schick, Avdijaj, Dobras und Tadic durchaus die russische Defensive anbohren und testen konnte, auch aggressiv und giftig agierte, rückte die Abwehrkette nicht nach. Das ist aber bei einem Forechecking und Tempospiel in der gegnerischen Hälfte unbedingt vonnöten. Sonst passiert genau, was Sturm gegen Rubin passiert ist: Der Gegner breitet sich genüsslich im angeboteten Raum aus und gewinnt.
Selbes Problem bei Rapid
Ein ganz ähnliches Bild hatte sich tags zuvor bei Rapid geboten. Hier kommt natürlich noch die individuelle Klasse und die präzise Vorbereitung des Gegners auf die Hütteldorfer hinzu. Frank de Boer wusste, dass die Abwehrkette sich selten der Mittellinie nähert, selbst wenn die Offensiven vorne die Spieleröffnung anzupressen versuchen.
Nun ist Thanos Petsos ein umsichtiger Passverteiler und Stefan Schwab ein dynamischer Vertikalspieler (wenn richtig eingesetzt), aber zu zweit den großen Raum zwischen eine zu tief stehenden Abwehrkette und einer sehr hoch angesetzten Pressinglinie abzudecken, das können die beiden auf diesem Niveau nicht.
Ajax machte Rapid lächerlich und es ist ein Witz, dass das Spiel 2:2 endete – vor allem, weil Stefan Schwab mit seinem Attentat Rapid sogar noch rettete. Die in Unterzahl notgedrungen tiefer agierende Mittelfeld-Kette im nunmehrigen 4-4-1 kontrollierte Ajax recht gut und ermöglichten sogar noch den Ausgleich.
Schnelle Akteure für Hochlinienspiel
Es mag auch daran liegen, dass die Trainer von den Fehlern der Berufskollegen lernen wollen. So ließ Gerald Baumgartner letzte Saison die Austria mit einer Spielanlage antreten, die darauf abzielte, die Bälle mit einer hohen Pressinglinie weit in der gegnerischen Hälfte zu gewinnen. Er setzte dafür, logisch und richtig, auch die Abwehrlinie sehr hoch an – und bekam die Bude angefüllt, weil die Verteidiger zu langsam waren. Vor allem der hüftsteife Vance Sikov wurde zu einem Symbol einer Spielweise, die nicht zum Kader passte. Baumgartner behielt seine Linie eisenhart bei, bis er entlassen wurde.
Ebenso in der letzten Saison wollte bei Ried Oliver Glasner mit einer sehr ähnlichen Taktik zum Erfolg kommen. Auch hier gab’s Gegentore en masse und einen richtig schlechten Saisonstart, weil die Verteidiger – etwa Thomas Reifeltshammer – für die hohe Abwehr-Linie, die mit einem auf Gegenpressing ausgelegten Spiel einher geht, einfach zu langsam waren. Als Glasner die Abwehrlinie nach hinten zog, stabilisierte sich Ried.
Allerdings zog Glasner auch die Mittelfeldreihe und die Pressing-Linie deutlich nach hinten. Die Kompaktheit blieb gewahrt. Anders als bei Foda und Barisic, die nur die Abwehrreihe tief stellen, den Rest aber sehr weit vorne agieren lassen.
Jeder will, aber nicht jeder kann
Das Credo von Arrigo Sacchi, dem Mastermind der großen Milan-Mannschaft um 1990 herum, war: Der Abstand zwischen vorderster Spitze und hinterstem Verteidiger darf nie mehr als 25 Meter betragen. Nur mit einer extremen Kompaktheit ist es möglich, die Gegenspieler gezielt und gruppendynamisch anzupressen. Als Roger Schmidt und Ralf Rangnick diese Spielweise 2012/13 – also 25 Jahre nach Sacchi – in Österreich einführten, wurde dies als wahre Revolution aufgenommen.
Plötzlich wollten fast alle so spielen lassen, allerdings ohne das Risiko der vielen Gegentore, die die offenen Räume bei solch engem bespielten Raum zwangsläufig anderswo ergeben. Das geht aber nicht. Ein Hochlinienspiel geht nur ganz oder gar nicht.
Das verlangt aber auch von den Innenverteidigern, dass sie extrem schnell sein müssen, gut am Ball sind und schnell denken können. Von den Zeiten eines Goran Kartalija (der 1997 sagte: „In Österreich wird die Viererkette immer und überall zum Scheitern verurteilt sein, davon bin ich überzeugt.“) und anderen Ausputzern und Holzhackern in der Abwehr sind wir gottlob befreit, aber Tatsache ist auch: Auch 2015 ist nicht jeder Innenverteidiger in Österreich flink, technisch stark und handlungsschnell.
Kompakt nur ohne Hofmann
Spannend ist allerdings auch, dass Rapid sehr wohl ein kompaktes Spiel aufziehen kann, wie man beim verdienten 2:1-Erfolg in Salzburg gesehen hat. Allerdings nur, und dieser Eindruck verfestigt sich immer mehr, wenn Steffen Hofmann, dessen Zenit wohl bald 10 Jahre her ist, nicht auf dem Platz steht. Mit Louis Schaub auf der Zehn ist das Zentrum deutlich vitaler und schneller besetzt, ohne dass darunter die Präzision leidet – im Gegenteil.
Mittdreißiger, die auch ungefähr so „schnell“ sind wie man es von Mittdreißigern erwartet, können im modernen Fußball nicht mehr auf der Zehn spielen. Da fehlt einfach die Dynamik und die Fähigkeit, über 90 Minuten permanent schnell auch von Offensive auf Defensive umzuschalten. Genau das ist beim Versuch, die Gegner anzupressen, aber unerlässlich.
Lederer und Vastic machen’s genauso
Allerdings sind auch andere Trainer in Österreichs Liga nicht davor gefeit, genau diesen Fehler zu machen und diese mit Wechseln sogar noch zu verstärken. So schaffte es die Admira mit ihrem 4-1-4-1, Mattersburg kaum gefährlich werden zu lassen. Die Abwehrkette stand tief, die Mittelfeldkette wahrte (einigermaßen) die Kompaktheit. Eigene Spielgestaltung gab es zwar keine, aber es gelang dennoch das 1:0 nach einer halben Stunde – just als Mattersburg verletzungsbedingt erst zu zehnt war und dann wegen des erzwungenen Wechsels etwas unsortiert blieb.
Dann allerdings, in der zweiten Hälfte, stellten Lederer und Baumeister bei der Admira um: Toth kam für Malicsek, dazu ging Schicker von halbrechts in die Spitze. So wurde aus einem engmaschigen 4-1-4-1 ein 4-1-3-2, in dem Toth und die beiden Außen gemeinsam mit den Stürmern sehr hoch agierten und Mattersburg anpresste. Die Abwehrreihe aber blieb hinten. Wohlgemerkt: Die Admira führte 1:0, es gab also keinen Grund, plötzlich auf Risiko zu gehen.
Die Folge war, dass Mattersburg – in der Halbzeit merklich eingeschärft auf die personellen Rochaden nach dem Wechsel – noch besser ins Spiel kam und die Admira nicht nur hinten einschnürte (das war davor ja lange kaum anders), sondern nun auch tatsächlich gefährlich in den Strafraum kam.
Die Rettung für die Admira war nicht etwa, dass Lederer und Baumeister die Risiko-Umstellung mit einem weiteren Wechsel zurücknahmen, sondern ein Geniestreich von Toni Vastic, der eine Ebner-Flanke artistisch zum 2:0 versenkte. In der Folge machte auch Mattersburg-Coach Ivo Vastic das Mittelfeld auf (für Perlak und Sprangler kamen die Stürmer Ibser und Templ).
So kam es zur kuriosen Situation, dass beide Teams de facto ohne Mittelfeld spielten. Mattersburg kam kurz vor Schluss zu einem Tor, aber die Admira gewann 2:1.
Keine Angst vor der eigenen Courage
Gerade in Alles-oder-Nichts-Spielen, wie bei jenen von Rapid, Sturm und Co. im Europacup, sollte man keine Angst vor der eigenen Courage haben. Wenn man aggressiv und hoch spielen lassen will, dann richtig und konsequent. Und nicht mit einem vermeintlichen Sicherheitsnetz, dass in der Realität ein Sicherheitsrisiko ist.
So widersinnig es klingen mag: Aber die einzige Chance, die Sturm hat, ist in Kasan das Mittelfeld defensiv eng zusammen ziehen, und nicht schnelles Halligalli-Spiel nach vorne – dazu ist Rubin im Mittelfeld dann doch zu clever (wiewohl man nicht besonders clever sein muss, um eine Blödsinnigkeit wie jene von Sturm im Heimspiel gegen Kasan zu erkennen und zu nützen).
Und Rapid darf, wo widersinnig es klingen mag, auf keinen Fall so spielen wie beim starken Spiel gegen Salzburg. Die Mitte zuzumachen wird gegen Ajax genau gar nichts bringen, wie das konsequente Spiel von Sinkgraven gegen Auer gezeigt hat. Zudem wird De Boer sicherlich auch darauf hinweisen, dass Stefan Stangl auf internationalem Niveau schnell mal überfordert sein dürfte.
Es passt gut, dass gerade Ajax erlebt hat, was passieren kann, wenn man sich auch als Team aus der österreichischen Liga bei einem scheinbar übermächtigen Gegner was traut und auch so auftritt. Natürlich hätte es damals für Salzburg auch in die Hose gehen können. Dass die Bullen 3:0 und 3:1 gewonnen haben, beide Male deutlich zu knapp, war aber nur möglich, weil man zu 100 % von sich überzeugt war.
Und nicht dem Gegner lauwarm gegenüber tritt mit dem kleinmütigen Bekenntnis zwischen den Zeilen: „Wollten tät‘ ich ja schon mögen, aber i trau mi eigentlich net.“