Wie in den vergangen Tagen und Wochen über den neuen und alten Europameister Spanien gesprochen wurde, ist schon erstaunlich. „Langweilig“ sei das, was die „satte“ Furia Roja zeige. Das „Ende des Offensivspektakels“ das sie sonst auszeichne, ja gar „Defensivfußball“ sei bei der Euro gekommen. Das Publikum pfiff zeitweise das wunderbarsten und kunstvollste Passspiel der Fußballgeschichte aus. Andere Kommentatoren finden, die Spanier hätten erst im Finale überhaupt 100 Prozent gegeben. Ein Realitätscheck ist angebracht.
Spanien hat über das gesamte Turnier die meisten Tore erzielt – sowohl pro Spiel (2) als auch insgesamt (12). Nur Deutschland (Schnitt 2, Gesamt 10) konnte da mithalten. Das allerdings wurde als „Sieger der Herzen“, ja fast als attraktive Supermannschaft überzeichnet. Vincente Del Bosques Mannschaft hat im Schnitt etwa 10 Torschüsse (auf das Tor!) pro Match abgegeben. Ein herausragender Spitzenwert, den sonst nur Italien erreichte. Die für das attraktive Spiel gelobten Italiener haben allerdings ein ganzes Tor weniger pro Spiel erzielt. Wenn man bedenkt, dass die Spanier den Ball mehr als jedes andere Team ins Tor zu tragen versuchen, kann man zu diesen Zahlen aber gut und gerne noch ein paar Riesenchancen ohne Abschluss dazurechnen. Muss man aber nicht, die Zahlen sprechen auch sonst für sich.
Schon im ersten Spiel gegen Italien waren die Europameister das bessere Team (23:11 Schussversuche), aber Italien kam die Sympathie der Überraschung zu und erkämpfte sich ein Remis in einem tollen Spiel. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Squadra Azzura so gut mithalten konnte, was aber die Leistung der Spanier faktisch nicht schmälern sollte. Gegen Irland folgte ein 4:0 der Spanier, was kaum als langweilig zu denunzieren (35:8 Schüsse). Kroatien trat ohne jegliche Siegesambition gegen Spanien an, wurde verdient niedergerungen (1:0 bei 17:5 Schussversuchen). Ein paar Minuten wackelte man da sogar, aber man blieb (verdient) auf Kurs.
Gegen Frankreich, ein von vielen als Mitfavorit proklamiertes Team, gab es ein absolut souveränes 2:0. Die Franzosen sahen kein Land, auch ihre destruktive Spielweise rettete sie nicht, aber sie machte das Spiel natürlich zäh (13:4 Torschüsse). Das 0:0 gegen Portugal war eines der besten Spiele des Jahres, das abgesehen von Toren alle Stücke spielte (13:12 Torversuche). Und im Finale zerlegte man ein Team (das Deutschland und England ohne Chance zurück ließ) nach Strich und Faden (21:11 Torversuche). In jedem Spiel war Spanien nicht nur in Sachen Ballbesitz, sondern auch in Schussversuchen (und vor allem in Schüssen die tatsächlich auf das Tor gingen) besser.
Das Problem sind die Gegner
Diese Werte und Offensivkraft sind nach wie vor unerreicht. Möglich, dass sich so mancher an der Überlegenheit satt gesehen hat, aber die Spanier können nichts dafür. Was am Europameister langweilig ist? Seine Gegner. Spanien musste bei dieser Europameisterschaft nur 1 Gegentor hinnehmen, lediglich 51 Mal wurde in Richtung des spanischen Tors geschossen (rund 50% der Schüsse verfehlten ihr Ziel mitunter deutlich). Die meisten Widersacher (Ausnahme Portugal, mit Abstrichen Italien) verlagern sich auf destruktives Verhalten. Das führt aber sensationellerweise nicht dazu, dass Spanien merkbar weniger Chancen generiert, sondern dass den Spielen eine ebenbürtige Anzahl an Möglichkeiten der anderen Seite abgehen.
So kommen dann fast immer überlegene und einseitige Ballbesitzraten jenseits der 60% zustande. Die mögen zwar dem Spiel das packende Hin & Her nehmen, sind aber dafür gekennzeichnet von den wunderbarsten Ballstafetten, die der Fußball je hervorbrachte. Knapp 5000 Pässe, nicht ganz 4000 davon erfolgreich zeigte die Furie in den sechs Spielen ihres Turniers. 1000 erfolgreiche mehr als Italien.
Wer länger den Ball hat, öfter auf das Tor schießt, mehr ins Tor trifft und häufiger ein gerufenes „Bist du deppert, was hat er da wieder gemacht?“ provoziert als alle anderen Mannschaften, darf nicht als langweilig beschimpft werden. Das ist schlicht nicht gerecht.
Europameister wurde jenes Team, das zu jeder Phase des Turniers zumindest mit das beste war. Jenes Team, das faktisch belegt den offensivsten und rein von der technischen Schwierigkeit her den schönsten Fußball bietet. Europameister wurde das richtige Team, das immer 100% gab und sich nie hängen ließ. Europameister wurde jenes Team, dem seit etwa 4 Jahren kein anderes das Wasser reichen kann. Langweilig sind die anderen. (tsc)
(Foto: sputnik-, CC2.0-BY-NC)