Der Druck auf Chelsea-Coach Villas-Boas war enorm – mit dem 3:0 gegen Valencia wurde der Einzug ins Champions-League-Achtelfinale aber letztlich souverän geschafft. Doch das Spiel, das er nach früher Führung auf Reagieren statt auf Pressing aufbaute, wirft eher mehr Fragen auf, als es es beantwortet. Und offenbarte zudem eine Philosophie-Diskrepanz mit den eigenen Fans.
Wenn die Resultate nicht passen, kommt früher oder später jeder Trainer unter Druck. Umso mehr, wenn die Aufgabe heißt, ein Team wie Chelsea für die Zukunft fit zu machen, ohne Einbußen in Sachen Erfolg machen zu wollen. Das letzte Champions-League-Gruppenspiel gegen Valencia war daher eine Nagelprobe für André Villas-Boas: Nur ein Sieg (oder ein torloses Remis) bedeutete das Achtelfinale.
Die zentrale Aktion für den weiteren Verlauf dieses Spiels passierte dann bereits in der 3. Minute: Das 1:0 für Chelsea. Sturridge wurde von Jordi Alba nur halbherzig begleitet, die weite Flanke fand Mata. Der legte zu Drogba quer, und Chelsea war in Führung – und konnte nun so spielen, wie man es eben getan hat. Kontrolliert, abwartend von hinten heraus.
Reagieren statt Pressen
Das hieß, dass sich die Abwehrkette recht weit zusammen zog und vor allem, dass die beiden Flügelstürmer Sturridge (rechts) und Mata (links) sehr weit zurückgezogen agieren und praktisch als Wing-Backs spielten. Zudem stellte sich das Mittelfeldtrio gegen den Ball sehr kompakt auf, erzielte so Überzahl im Zentrum und ließ durch die Mitte nichts zu.
Vor allem aber verzichteten die Blues darauf, mit Pressing schnelle Ballverluste bei Valencia zu provozieren. Drogba deckte viel Raum ab, Ramires ließ sich zuweilen in der Nähe von Albelda blicken, wenn dieser von hinten heraus Anspielstationen suchte, aber im großen und ganzen zog sich Chelsea sehr weit zurück und überließ Valencia bereitwillig den Ballbesitz.
Die Spanier haben nur auf den Flügeln Platz
Die Spanier waren in einer eher schiefen Formation: Mathieu auf der linken Mittelfeldseite war wesentlich höher positioniert als Feghouli auf der anderen Flanke. zumal letzterer auch immer wieder relativ früh und recht weit in die Mitte zog. So hatte hinter im Barragan den Platz, schnell und mit Tempo nach vorne zu gehen. Chelsea nahm das im Kauf: Mata hatte den Flügel praktisch alleine über.
Auf der anderen Seite begann Mathieu erst nach einer halben Stunde vermehrt, sich ins Zentrum zu orientieren, um gegen den Drei-Mann-Block von Chelsea etwas Manpower zuzulegen. Das Problem dabei war, dass nun immer wieder Mathieu und Feghouli gleichzeitig in zentrale Rollen schlüpften, und die beiden so dem Zehner Jonas etwas auf den Füßen standen – wirklich funktioniert hat das nicht.
Das Philosophie-Problem mit den Anhängern
Die Gastgeber, die nach 20 Minuten das 2:0 nachlegten – Ruiz‘ Abwehrverhalten gegen Ramires kann dabei getrost als lächerlich bezeichnet werden – konnten sich gemütlich zurücklehnen, Valencia den Ball überlassen und auf jenes schnelle Umschalten nach Ballgewinn bauen, das Villas-Boas ja als zentrales Element seiner Fußball-Philosophie bezeichnet. Das ist ein völlig anderes Spiel als das hohe Pressing, dass die Blues bisher spielten und das durch die fehlende Abstimmung mit der hoch stehenden Verteidigung dahinter zu unschönen Ergebnissen geführt hatte.
Aber: Dank des Spielstands und des offensichtlichen Augenmerks auf Kompaktheit im Zentrum und wegräumen der (wenigen) sinnvollen Flanken des Gegners funktionierte das wunderbar. Dennoch manifestierte sich in dieser Phase das innere Dilemma des ganzen Vereins – denn obwohl die Mannschaft auf dem Platz, reagierender- statt agierenderweise, alles im Griff hatte, mehrten sich auf den Rängen die Pfiffe. Da gibt es offenbar durchaus Auffassungs-Unterschiede, wie das Spiel der Blues auszusehen hat.
Valencia gibt auch noch die Flügel auf
Nach nicht ganz einer Stunde hatte Valencia-Coach Unay Emery endgültig gesehen, dass es so nichts wird: Jonas bekam seine Mannschaft überhaupt nicht sinnbringend in die Partie – wenn er mal Platz hatte, montierte ihn Oriol Romeu, der starke spanische U19-Europameister von 2010 aus der Barcelona-Jugend, komplett ab. So stellte Emery auf ein 4-2-2-2 um, brachte mit Aduriz statt Alba einen zweiten Stürmer.
Das Problem dabei: Feghouli war weiterhin wirkungslos und Jonas, der nun nominell vor dem auf die LV-Position gerückten Mathieu die linke Seite übernahm, agierte weiterhin sehr weit innen. Somit nahm sich Emery mit den Flanken genau jenen Teil auf dem Feld weg, wo seine Mannschaft zuvor noch Platz gehabt hatte, um Angriffe aufzuziehen. Die Dreierkette im Chelsea-Mittelfeld hatte wenig Probleme, das zu verteidigen…
Chelsea macht den Sack zu
…und immer mehr sogar die Muße, noch doch ein wenig mehr auf Albelda und Tino Costa draufzugehen. Valencia fand im ganzen Spiel nur zweimal eine Lücke, durch die man vor das Tor von Petr Cech kam: In der 5. Minute, als Tino Costa den Pfosten traf, und in Minute 62, als Cech gegen den Schuss von Feghouli stark hielt. Ansonsten blieben den Spaniern nur Weitschüsse.
Endgültig entschieden war das Spiel, als Drogba seinen extrem fleißigen Auftritt mit dem 3:0 krönte – kurz, nachdem er zuvor schon eine Riesenchance ausgelassen hatte. Valencia behob den falschen Ansatz, den das Team nach einer Stunde endgültig eingeschlagen hatte nicht mehr, und verlor damit auch in der Höhe verdient mit 0:3.
Fazit: Mehr Fragen als Antworten
Mit dieser überzeugenden Leistung, dem klaren Sieg und dem damit verbundenen Erreichen des Achtelfinales in der Königsklasse hat sich André Villas-Boas mit Sicherheit viel Luft verschafft und den Druck, der sich in den letzten Wochen aufgebaut hat, etwas kanalisiert.
Der völlig andere Ansatz gegenüber der gewohnten Spielanlage bei Chelsea wirft aber dennoch fast mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. In diesem Spiel schaute Chelsea aus wie das Team aus den letzten Jahren. Mit einem dichten Mittelfeld, einer sicheren Verteidigung und einem Drogba, der mit seinem körperlichen und raumgreifenden Spiel vorne umrührt.
Das Problem dabei: Nur im Mittelfeld hat Villas-Boas mit dem umtriebigen Meireles, dem immer mehr aufblühenden Ramires und dem für sein Alter schon unglaublich abgeklärten Romeu den Generationswechsel schon vollzogen. Mit diesem Trio lässt sich vor allem ein Spiel durchziehen, das auf defensive Kompaktheit und schnelles Umschalten ausgelegt ist. Diese Partie war dafür ein Parade-Beispiel.
Anders sieht die Sache aber etwa hinten aus. Terry und Ashley Cole werden nicht jünger und David Luiz hat noch nicht oft einen so souveränen Eindruck wie diesmal hinterlassen. Und dass Drogba spätestens im Sommer nicht mehr zur Verfügung steht, ist kein Geheimnis – und Torres ist ein anderer Spielertyp als der bullige Ivorer und braucht deshalb eine andere Formation hinter sich. Etwa mit Mata aus der Zentrale – was aber wiederum anderswo ein Loch aufreißt.
Mit dem 3:0 über Newcastle zuletzt in der Premier League und dem letztlich ungefährdeten Sieg mit defensiver Spielauslegung nach einem frühen Führungstor hat sich Villas-Boas nun zweifellos Zeit und Kredit zurückerkauft. Wirkliche Indikatoren, wie es sein Spiel mittel- und langfristig anzulegen gedenkt, gab es aber nicht.
(phe)