Pep Guardiola ist drauf und dran, die Pyramide wieder umzudrehen! Ohne Xavi und ohne Puyol und Piqué, mithin eigentlich ohne Abwehr, kommt mit Fàbregas eine neue Komponente ins Barça-Spiel. Das sah gegen Villarreal wie ein 3-3-4 aus, mit dem man dem Gegner gehörig den Hintern versohlte.
Große Mannschaften versinken immer wieder – weil sie zu lange im eigenen Saft schmoren und sich in Zeiten des Erfolgs, bis zu einem gewissen Grad natürlich verständlich, nicht erneuern. Weil es ein Risiko mit sich bringt: Was, wenn das Neue nicht funktioniert? Dann wäre eine Blütezeit mutwillig früher zerstört worden, als es notwendig gewesen wäre.
Genau das macht der FC Barcelona nicht. Von vielen als beste Fußballmannschaft aller Zeiten gefeiert, holte man sich im Sommer neben Alexis Sánchez auch Cesc Fàbregas, und nicht wenige fragten sich: Wo soll der Ex-Arsenal-Kapitän in die Mannschaft passen, bevor Xavi altersbedingt kürzer treten muss; und was heißt das für Supertalent Thiago Alcantara? Und neben dieser geht Pep Guardiola auch andere Fragen nach der langfristigen Strategie schon jetzt auf den Grund. Wie etwa der Nachfolge von Carles Puyol.
Fusion der Positionen hinten…
Ein Blick in eine mögliche Zukunft ohne Xavi und Puyol lieferte das erste Spiel von Barcelona in der neuen Saison der Premiera Division gegen Villarreal, denn weder Puyol noch Xavi konnten auflaufen. So krempelte Guradiola nicht nur die Aufstellung um, sondern auch das System. Denn ein 4-3-3 war das beileibe nicht. Was es genau war? Das sprengt die geläufigen Zahlenkombinationen.
Hinten stand in jedem Fall eine Dreierkette, besetzt mit nur einem gelernten Verteidiger – Eric Abidal. Zentral (Sergio Busquets) und rechts (Javier Mascherano) waren zwei Sechser, zwei Spieleröffner aufgestellt. Ein Zugeständnis an die Spielweise praktisch aller Gegner von Barcelona, die sich hinten reinstellen: Eine echte Verteidigung ist schlicht nicht notwendnig. Busquets und Mascherano fangen mit ihrem überragenden Stellungsspiel viele Konter ab, vor allem durch ihre extrem hohe Positionierung oft schon im Keim.
…bedeuten mehr Optionen vorne
Was weiter vorne bedeutet, dass Guardiola mehr Optionen hat, weil er hinten Verteidiger und Sechser de facto fusioniert hat. Das öffnet die Tür für eine Formation mit Messi UND Fàbregas. Die sich in den Halbfeldern schräg vor Keita breitmachten, während auf den Einsatz von Außenverteidigern vom Stile eines Dani Alves – er war gesperrt – verzichtet wurde. Mascherano und Abidal mussten defensiv die Flanken dicht halten.
Somit waren sechs Spieler mit dezidiert offensiver Grundausrichtung übrig, die hinter sich nur potentielle Ballverteiler und Spieleröffner hatten. Vorne bildeten sich drei Pärchen: Auf der rechten Seite Thiago Alcantara hinter Alexis Sánchez, auf der linken Seite Iniesta hinter Pedro, und zentral Fàbregas und Messi.
Endzweck bleibt, der Weg dorthin nicht
Das heißt, dass auch ohne aufrückende Außenverteidiger der Druck über die Flügeln aufrecht erhalten wurde, was für den Plan im Zentraum auch dringend notwendig ist. Denn während die verteidigenden Außen (diesmal Oriol und Zapata) mit den Duos an der Seitenlinie beschäftigt waren, versuchten Messi und Fàbregas in der Mitte, durch ihre unberechenbaren Laufwege Löcher im Deckungsverbund zu reißen.
Durch das Spiel mit gleich zwei falschen Neunern bekommt Barcelona zwar aus dem Fluss heraus keinen Zugriff auf den Strafraum, das ist aber auch gar nicht das Ziel. Das war es und bleibt es auch weiterhin, das sich unweigerlich früher oder später auftuende Loch durch einen schnellen Lochpass auf den hineinsprintenden Spieler zu nützen. Und weil nun eben mit Fàbregas ein zweiter Spieler da ist, der sowohl das Auge hat solche Pässe zu spielen, als auch das Spielverständnis, sie zu antizipieren und als Empfänger bereit zu sein, wird es für eine Abwehr so gut wie unmöglich, über 90 Minuten den Einschlag zu verhindern.
Auch Villarreal spielt mit neuem System – umsonst
So war es auch diesmal – und wohlgemerkt, Villarreal ist nicht irgendeine Mannschaft. Das Team von Trainer Juan Carlos Garrido kam in praktisch gleicher Besetzung in der letzten Saison ins Semifinale der Europa League und wurde immerhin Vierter in der spanischen Meisterschaft. Für dieses Spiel rückte er von seinem vertrauten 4-2-2-2 ab und stellte sich in einem 4-2-3-1 auf, um nicht im Mittelfeld gnadenlos in Unterzahl zu kommen. Vergeblich.
Beim ersten Tor nahm Fàbregas Alcantara mit, dieser zog alleine zum Strafraum und schoss aus 15m zum 1:0 ein; kurz vor der Pause nützten Messi und Fàbregas ein sich bietendes Loch zum 2:0. Kurz nach dem Seitenwechsel reichte ein genialer langer Pass von Alcantara auf Sánchez, um die zu hoch stehenden Villarreal-Abwehr auszutricksen, und auch beim 4:0 lief es nach dem gleichen Muster: Ein schneller Pass reichte aus, um einen kleinen Stellungsfehler blitzschnell auszunützen. Villarreal musste mehr oder minder hilflos zusehen, wie aus allen Richtungen die Bälle einschlugen, die Verzweiflung ob dieser absoluten Chancenlosigkeit war etwa Borja Valero ins Gesicht geschrieben – er schien den Tränen nahe.
Luft raus nach dem 4:0
Nach einer Stunde war mit dem 4:0 natürlich längst alles entschieden, und so gab sich die Gelegenheit für Guardiola, ein wenig zu wechseln: Xavi (für Iniesta) und Jonathan (für Fàbregas) nahmen ziemlich exakt die gleichen Positionen ein, Villa tendierte etwas mehr zur Mitte als der für ihn aus dem Spiel gegangene Pedro.
Villarreal-Coach Garrido gab das Spiel dann auch auf und ramschte sein Mittelfeld mit Defensivleuten voll, um Messi und Fàbregas enger zu nehmen und so ein noch ärgeres Debakel zu verhindern. Nun stand vor der Vierer-Abwehrkette eine Dreierreihe aus defensiven Mittelfeldspielern (Senna, Marchena und Soriano), flankiert von zwei zumeist tief stehenden Flankenspielern (Wakaso links und Camuñas rechts). Ganz klappte das mit dem sicher stehen aber immer noch nicht: Ein flinker Pass von Messi raus auf Alcantara, ein punktgenauer Pass zurück, und schon stand’s 5:0. Die Luft war in der letzten halben Stunde aber schon deutlich entwichen.
Fazit: Dieser FC Barcelona muss einem Angst machen
So unglaublich es klingt: Dieser FC Barcelona, ohne Xavi als Ballverteiler im Zentrum und ohne Puyol als Vieh in der Abwehr, macht einen potentiell noch stärkeren Eindruck. Weil es dank des Verzichts auf eine nominelle Abwehr mehr Ballverteiler gibt, weil die Breite dennoch gegeben ist, und weil Messi und Fàbregas jetzt schon zuweilen miteinander harmonieren, als spielten sie schon seit Jahren zusammen.
Zudem macht das Spiel mit zwei technisch so unglaublich starken falschen Neunern das Verteidigen für die gegnerische Innenverteidigung de facto unmöglich: Bleibt man hinten, gewährt man den beiden Platz vor dem Strafraum. Rückt man raus, folgt sofort der Lochpass in den entstehenden Raum im Rücken und es schlägt ein.
Villarreal, wie erwähnt eine der stärksten Truppen aus dem Land des Weltmeisters, fehlte komplett der Plan, wie man gegen dieses Barcelona agieren soll und so bekamen die Submarinos Amarillas gehörig den Hintern verhauen. Sie werden aber garantiert nicht das letzte Team sein, dem es so geht.
Jonathan Wilson beschreibt in seinem Standardwerk „Inverting The Pyramid„, wie aus dem 2-3-5 der Anfangszeit immer mehr ein defensivdominiertes Spiel mit zuweilen einem 5-3-2 wurde. Pep Guardiola ist gerade dabei, die Pyramide mit diesem 3-3-4-ähnlichen System wieder zurückzudrehen. Womit er potentiell ein neues Kapitel der Fußballgeschichte aufschlägt.
(phe)