Copa, Tag 7: Chile – weiterhin ein Team zum Verlieben

Eine halbe Stunde lang war Uruguay das spielbestimmende Team. Doch dann schaltete Chile in den Rambazamba-Modus und zerpflügte die Celeste, ließ Suárez, Forlán und Co. aussehen wie die Schulbuben! Es reichte zwar „nur“ zu einem 1:1, aber das Spektakel von Mendoza war eines der absoluten Highlights des Fußballjahres 2011.

Uruguay - Chile 1:1

Ein wenig überraschend war es schon, dass Chiles Teamchef Claudio Borghi gegen das uruguayanische Dreigestirn in der Offensive eine Dreier- statt einer Viererkette brachte – üblicherweise ist Chile eigentlich für systematische Flexibilität, je nach Gegner, bekannt. Überraschend war aber auch, dass auch Oscar Tabárez auf eine Drei-Mann-Abwehr setzte, zumal mit dem international noch sehr unerfahrenen, aber zwei Meter großen 20-jährigen Sebastián Coates von Nacional Montevideo in der Mitte. Kapitän Lugano besetzte die rechte Seite.

So stand dem 3-4-2-1 von Chile (Alexis Sánchez kam deutlich mehr aus der Etappe als zu Beginn des Mexiko-Spiels) ein 3-4-3 der Urus gegenüber. Und Forlán und Co. hatten noch ein weiteres Mittel parat, das Chile auf dem falschen Fuß erwischte: Extrem hohes Pressing. Suárez, Cavani und Forlán pressten mit Macht auf die chilenische Dreierkette, vor allem auf den zentralen Mann Waldo Ponce. Dem fehlte es somit an Zeit und an offenen Anspielstationen, weshalb aus der chilenischen Defensive vermehrt lange Panik-Bälle nach vorne geholzt wurden.

Varianten in den Defensivreihen

Es dauerte eine Zeit lang, bis Chile darauf reagierte. Mit Fortdauer des Spiels orentierte sich dann aber Gary Medel vermehrt Richtung Abwehrkette neben Ponce, was in Drucksituationen – vor allem, wenn Uruguay presste – eine Vierer-Abwehr gegen das offensive Uru-Trio stehen ließ. So taten sich die Chilenen dann etwas leichter.

Bei Uruguay stieß Lugano immer wieder etwas nach vorne, um vor allem die Kreise der etwas zurückgezogen agierenden und ständig rochierenden Jiménez und Sánchez zu stören, die beiden hatten allerdings mehr mit Arévalo und Pérez zu tun. Von den Wing-Backs der Uruguayer war Maxi Pereira rechts der etwas defensivere, er ließ sich im Zweifelsfall etwas zurückfallen und ließ so die Abwehr zu einer Viererkette werden.

Die Duelle auf den Flügeln

Álvaro Pereira machte zwar auch einiges nach hinten, dachte aber grundsätzlich etwas offensiver als sein Namenskollege auf der anderen Seite. Generell waren auch die Duelle auf den Flanken von großem Interesse für das Spiel, weil eben beide Teams mit einer Dreierkette hinten und einem eher eng stehenden Dreigestirn vorne agierten. Das hieß: Beide Mannschaften hatten ihre Flügel jeweils nur mit einem Spieler besetzt.

Die beiden Pereiras waren das eben bei Uruguay, Beausejour und Isla bei den Chilenen. Hier hatte das Duo aus Uruguay deutliche Vorteile: Isla kommt eher von der Außenverteidigerposition und Jean Beausejour ist wohl einer der wenigen Spieler, die nach einem Jahr in der Premier League (Birmingham) schlechter sind als vorher.

Vor allem Alvaro Pereira aber hatte Isla weitgehend im Griff und versuchte immer wieder, sich mit dem Sturmtrio zu verbinden. Das gelang in diesem Spiel deutlich besser als beim eher enttäuschenden 1:1 gegen Peru, weil die Offensivkräfte tiefer standen und weniger nachlässig im Passspiel agierten. Allerdings hatte die tiefere Positionierung zur Folge, dass man meist zumindest vier Chilenen noch zwischen Ball und Tor hatte.

Sánchez tiefer, mehr Kontrolle

Alexis Sánchez hatte gegen Mexiko das halbe Feld beackert, ehe er in einer etwas zurückgezogenen Rolle mit Matí Fernández das Spiel an sich riss. Diesmal begann Sánchez gleich in einer etwas tieferen Position, allerdings stand ihm permanent Diego Pérez auf den Beinen. Erst, als er sich noch weiter zurückfallen ließ, in den engeren Raum zwischen Uru-Mittelfeld und Uru-Sturm, bekam die Celeste Probleme mit ihm.

Zumindest einer der Sechser hatte nun aufzurücken, was dahinter Platz schuf – in erster Linie für Jimenez. Wenn Lugano oder Cáceres rausrückten, hatte aber wiederum Humberto Suazo, „Chupete“ (Schnuller) genannt, Platz. Zumden wurde nun selbst durchaus Pressing insziniert und die drei gefährlichen Stürmer bekamen immer weniger Gelegenheit, selbst mit aggressivem Zum-Mann-Gehen Chile unter Druck zu setzen.

Cavani muss raus

Besser wurde es nach der Pause nicht – im Gegenteil. Weil sich Edinson Cavani am Knie verletzt hatte, musste der Napoli-Stürmer draußen bleiben, und mit dem Wechsel – Álvaro González kam – veränderte Tabárez auch sein System. González ging auf die rechte Mittelfeldseite, Maxi Pereira blieb hinten, dafür blieb auf der linken Seite Álvaro Pereira vorne und Cáceres rückte auf die Flanke. Uruguay spielte nun also ein einem klassischen, flachen 4-4-2, was Chile voll in die Hände spielte.

Denn zwar hatten Isla und Beausejour nun an den Seitenlinien jeweils zwei Gegenspieler, aber jetzt passte das Verhältnis in der Abwehr (3 Chilenen gegen 2 Urus) und im Zentrum hatte Chile ebenso eine Überzahl. Vidal rückte auf, Sánchez konnte sich ausbreiten, und Uruguay hatte kaum noch etwas zu melden. Umso mehr fiel das 1:0 für die Celete aus heiterem Himmel: Álvaro Pereira ging mit nach vorne, der Laufweg von Suárez verwirrte die Abwehr. Ponce wusste nicht, wen er decken sollte, Contreras deckte die Torlinie ab, statt Pereira zu stellen, und schon war Chile hinten.

Mit Valdivia endgültig Rambazamba

Ab etwa der 60. Min.

Weshalb Claudio Borghi nach einer Stunde endgültig auf volle Offensive setzte. Verteidiger Jara ging raus, und mit Valdivia kam ein echte Zehner, der um sich herum de facto fünf offensive Anspielstationen hatte: die beiden Flügel, die beiden hängenden Spitzen und Suazo. Zudem rückte Vidal, der die Position von Jara eingenommen hatte, immer wieder weit auf um das Spiel zu eröffnen.

Uruguay fand gegen den unglaublichen Valdivia überhaupt kein Mittel, weil Arévalo und Pérez jetzt gegen drei Spielen mussten (Sánchez und Jimenez eben noch dazu). Gegen dieses quirlige, spielstarke und schnelle Trio waren die beiden Kanten heillos überfordert.

Und nicht nur die: Auch Lugano und Coates kamen in dieser Phase mit dem schauen nicht hinterher, wen von den vielen Chilenen sie denn nun bewachen sollte. So fand Valdivia, kaum fünf Minuten auf dem Feld, den auf der Seite freien Beausejour, dessen Hereingabe den aus der Etappe kommenden Sánchez, und weil Coates zu weit weg war, war der Ball zum 1:1 ins Netz geflogen.

Und in dieser Tonart ging es weiter: Chile spielte nun Rambazamba-Fußball wie in besten Bielsa-Tagen, zudem kam mit Paredes statt dem müder werdenden Suazo noch ein frischer Mann. Die Chilenen spielten sich in einen Rausch, in dem Uruguay unterzugehen drohte.

Voll unter Druck, also kommt ein Offensiver

Darum musste Tabárez natürlich wieder reagieren, und er tat es auch. Aber nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, mit einem zusätzlichen Verteidiger, nein, der Uru-Teamchef brachte mit Nico Lodeiro einen Offensiven und stellte wieder auf drei Stürmer um, mit Arévalo verließ ein Sechser den Platz. Somit gab Tabárez zwar eine Viertelstunde vor Schluss das Zentrum endgültig auf, wollte aber vorne wieder mehr Druck auf die seit längerem unbehelligte chilenische Defensive auszuüben.

Die kurz zuvor von Borghi um den gelernten Sechser Carlos Carmona verstärkt worden war. Dennoch hatte Chile auch weiterhin alles bombenfest im Griff; spielte Uruguay zwar in der Schlussphase nicht mehr ganz so her wie zwischen 60. und 75. Minute, als das eine Demontage reinsten Wassers war. Chancen auf einen Siegtreffer, der hochverdient gewesen wäre, waren zwar noch da. Aber auch mit dem 1:1 ist Chile auf dem Weg zum Gruppensieg und damit gut im Rennen, Argentinien im Viertelfinale aus dem Weg zu gehen – denn es ist gut möglich, dass es der Zweite mit dem Gastgeber zu tun bekommen wird.

Fazit: Was für ein sensationelles Spiel

Es war nicht nur das bislang mit sehr viel Abstand beste Spiel dieser Copa América sondern mit Sicherheit auch eines der besten Fußballspiele im Jahr 2011 überhaupt. Der enorme Druck, den Uruguay in der ersten halben Stunde ausgeübt hat zeigte, wie dieser chilenischen Mannschaft beizukommen ist. Aber nicht nur für Uruguay oder die Gegner war dieses Spiel als Anschauungsuntericht wichtig.

Nein, vor allem Claudio Borghi hat schon zum zweiten Mal hintereinader gezeigt, dass er mit klugen Umstellungen in der Lage ist, ein Spiel komplett an sich zu reißen und selbst einen so starken Gegner wie den WM-Vierten in der zweiten Halbzeit in alle Einzelteile zu zerlegen. Valdivia geigte nach seiner Einwechslung sofort auf, war trotz zahlloser Fouls nie unter Kontrolle zu bringen und sicherlich der Schlüsselspieler in dieser Partie.

Natürlich weiß Borghi, dass er als Nachfolger des nicht nur in Chile ungemein beliebten Marcelo Bielsa immer mit seinem Vorgänger verglichen wird. Spätestens in dieser zweiten Hälfte aber wurde klar, dass auch in Borghi ein Anhänger des spektakulären Offensivfußballs steckt. Wohl nicht ganz so unvoreingenommen bedingungslos wie „El Loco“, aber wenn es die Situation erfordert, weiß er, was die Mannschaft kann. Und er scheut nicht davor zurück, die Waffe, die sein Team darstellt, auch zu benützen.

Da kann man nur sagen: Bitte mehr davon!

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Es war ein Double-Header in Mendoza. Darum waren die eigentlichen armen Hunde des Abends die Akteure aus Peru und Mexiko. Denn zum einen interessierte sich selbst im Stadion kaum noch jemand für den späten, aber hochverdienten 1:0-Sieg der Peruaner – als das Spiel eine halbe Stunde nach Ende des chilenischen Feuerwerks losging, waren die Ränge halbleer. Und zum anderen KONNTE das Niveau gar nicht mit dem ersten Spiel schritthalten.

Peru - Mexiko 1:0

Mit Sergio Makarián stellte der peruanische Teamchef im Gegensatz zum erstaunlich guten Auftritt gegen Uruguay sein System um: Aus dem 4-1-4-1 wurde gegen die frisierte U23 von Mexiko ein 4-4-1-1. Juan Vargas, der gegen Uruguay nur eine halbe Stunde spielen konnte, war nun fit genug für die Startelf und er agierte versetzt hinter Paolo Guerrero. Ließ sich immer mal wieder ins Mittelfeld fallen, versuchte aber vor allem, in die Schnittstelle zwischen Mier, dem rechten Mann in der mexikanischen Dreierkette, und Wing-Back Aguilar zu kommen. Das gelang im immer wieder ganz gut, aber die Bälle auf Guerrero kamen kaum einmal an.

Ähnlich wie bei Advincula auf der anderen Seite. Anders als Cruzado links ging er im Ballbesitz mit nach vorne, wodurch im Angriffsfall ein schräges 4-3-3 aus der Formation wurde. Die Absicht war klar: Die mexikanische Dreierkette auseinander ziehen. So hatte Peru das Spiel recht sicher im Griff, das allerdings auf einem nach dem Chile-Spiel kurz davor mäßigen Niveau und in einem noch überschaubareren Tempo.

Mexikos Offensive kaum im Spiel

Das Probelm bei den Mexikanern war, dass die drei Offensivspieler kaum ins Spiel eingebunden waren, bzw. das hauptsächlich nur dann waren, wenn sie sich relativ weit fallen ließen. Gerade Aquiño tat das durchaus, dann wiedern blieben Giovani und Marquez-Lugo oft so weit vorne, dass das wenig brachte.

Mexikos Aushilfs-Teamchef Tena änderte nach der Pause das Personal, behob damit aber nicht das Problem: Pacheco kam neu ins Offensiv-Trio, dafür spielte Aquiño nun für den in der Kabine gebliebenen Aguilar den Wing-Back. Weil aber nun der neu besetzte Angriff ebenso hoch stand und die Peruaner den Druck deutlich erhöhten, wurde genau gar nichts besser. Auch, weil Bälle, wenn sie doch mal in die Spitze kamen, viel zu leicht wieder verloren wurden.

Makarián mit den besseren Änderungen

Die klügere Umstellung nahm für die zweite Hälfte Sergio Makarián vor. Er brachte Yotun für den schwachen Advincula, der Neue ging auf die linke Seite, dafür rückte rechts Außenverteidiger Contreras mit Macht nach vorne. War dieser in der Offensive, deckte Sechser Balbín den Rückraum ab. Mit großem Erfolg: Peru machte nun über beide Flanken Druck, standen hinten aber dennoch sicher und mussten sich so kaum Sorgen machen.

Einige Male klopfte vor allem Guerrero an, zweimal rettete nur das Aluminium für die Mexikaner, immer wieder auch Torhüter Michel, ehe zehn Minuten vor Schluss doch noch der längst überfällige Siegtreffer für Peru fiel: Die Abseitsfalle schnappte bei einem Querpass auf den freistehenden Guerrero nicht zu, und das Tor war gefallen. Die Entscheidung.

Fazit: Undankbare Situation, aber Peru behält die Nerven

Hatte Bolivien gegen Costa Rica noch die Nerven weggeworfen, blieben die Peruaner trotz all der Umstände bis zum Schluss ruhig und gesammelt. Weder die Tatsache, dass sich das beim Spiel zuvor noch kochende Stadion immer mehr leerte, noch die Vielzahl an vergebenen Hochkarätern ließ die Peruaner verzweifeln. Sie hielten sich konsequent an ihren in der Halbzeit modifizierten Plan und wurden dafür belohnt.

Enttäuschend war dafür auch der zweite Auftritt der jungen Mexikaner. Ohne wirkliche Inspiration und vor allem ohne echten Plan im Spiel nach vorne schien es von Anfang an nur zwei Optionen zu geben: Entweder sie schaffen ein torloses Remis, oder sie fangen sich doch noch eines. Aber es kam auch von der Bank nichts – es wurden von Luis Fernando Tena nur die Symptome behandelt, aber nicht das Problem behoben.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.