1:1 gegen Bolivien! Was für ein Fehlstart für Gastgeber und Top-Favorit Argentinien in die Copa América. Der noch schlimmer hätte kommen können, denn erst Kun Agüeros Prachttreffer glich ein tölpelhaftes Gegentor aus. Nachdem das Experiment, Barcelona kopieren zu wollen, kompletten Schiffbruch erlitten hatte.
Wie holt man das Beste aus Lionel Messi heraus? Der Antwortversuch von Argentiniens Teamchef Sergio Batista: Indem man das Team um ihn herum so spielen lässt, wie das der FC Barcelona macht. Mit dieser Taktik ging der Gastgeber in das vermeintlich leichte Eröffnungsspiel gegen Bolivien – die Erinnerung an das peinliche 1:6 vor zwei Jahren in der WM-Quali lebte zwar noch, aber das Eröffnungsspiel der Copa América fand schließlich im wundervollen neuen Stadion von La Plata auf Seehöhe statt, nicht auf 3600 Meter in La Paz. Kein Grund zur Sorge also. Oder doch?
Minimum acht Mann hinter dem Ball
Bolivien verlegte sich, wie kaum anders zu erwarten war, auf die Defensive. Das machte die Mannschaft von Teamchef Gustavo Quinteros allerdings hervorragend: Dem argentinischen Mittelfeld, das versuchte, mit Kurzpässen den Ballbesitz zu halten und auf den Moment zu warten, in dem der extrem tief stehende Messi seinen Turbo zündet, wurde kaum Platz und Zeit gelassen. Selbst die beiden Stürmer Marcelo Moreno und Edivaldo Rojas halfen mit, Banega, Cambiasso und Messi Bälle nicht verarbeiten zu lassen.
Mascherano ließ sich im Ballbesitz zwischen Gabriel Milito und Nicolás Burdisso fallen, um von hinten heraus das Spiel zu lenken, ihm fehlten aber oftmals die Anspielstationen. Und selbst, wenn das Spiel zumindest mal im Mittelfeld angekommen war, hatte Bolivien immer noch minimum acht Mann hinter dem Ball. Und was das argentische Hauptproblem dabei war: Es fehlte komplett die Anspielstation in der Spitze. Messi stand so extrem tief, dass die bolivianischen Innenverteidiger keinen Gedanken daran verschwenden mussten, wie sie es anstellen sollten, vom aus der tiefe kommenden Superstar nicht aus der Position gezogen zu werden. Weil der Superstar in der Tiefe, sprich auf Höhe des Mittelkreises, verharrte und kaum am Spiel teilnahm.
Auch die Flügel lahmen
Durch das Zentrum ging also nichts, auch nachdem sich Cambiasso weiter nach vorne orientiert hatte. Und auch über die Flügel kamen die Argentinier nicht so zum Zug, wie sie sich das gewünscht hätten. Carlos Tévez, der etwas überraschend den Vorzug vor Ángel di María erhalten hatte, musste sich zumeist gegen zwei Bolivianer – Lorgio Álvarez und Joselito Vaca – behaupten; Ezequiel Lavezzi auf der anderen Seite erwischte einen rabenschwarzen Tag. Dem Napolitaner gelang nichts, aber auch gar nichts.
So tröpfelte das Spiel ohne Highlights vor sich hin, denn das Team aus Bolivien zeigte wenig Willen, selbst die Agenden der Gestaltung zu übernehmen. Und in den wenigen Versuchen zeigte die Mannschaft, dass sie das auch nicht kann. Die einzige Bedrohung für die argentische Hintermannschaft waren schnelle Konter – denn bei Ballgewinn Umschalten ging sehr gut.
Systemwechsel in der Pause, Rückstand danach
Es war in diesen 45 Minuten jedem, wirklich jedem klar geworden: Das Experiment, Barcelona kopieren zu wollen, war komplett gescheitert. Vor allem die Flügel und eine Option in der Spitze ging ab, und dieses Problem hat Batista natürlich erkannt und in der Pause korrigiert: Tévez ging von der linken Seite nach vorne, dafür übernahm Di María den Flügel und der blasse Cambiasso blieb draußen.
Und doch begann der zweite Spielabschnitt für Argentinien mit einem Schock: Einen bolivianischen Eckball lenkte Edivaldo Rojas mit der Ferse Richtung erstem Pfosten ab, der dort postierte Banega versuchte äußerst tölpelhaft, den Ball zu stoppen, und Torhüter Romero bekam die Kugel erst zu fassen, als der Referee schon auf Tor entschieden hatte.
Und beinahe hätte Bolivien nur wenige Minuten später der Albiceleste den Todesstoß versetzt! Ganz alleine lief Moreno auf Goalie Romero zu, verschlampte das Pflicht-Tor aber auf fahrlässige Art und Weise und zeigte somit, warum er in Europa (bei Donetsk und Bremen) praktisch nie spielt. Er arbeitet zwar viel, ist aber harmlos ohne Ende.
Erst Agüero erfüllt das Spiel mit Leben
Nach dem Systemwechsel vom 4-3-3 auf der Grundlage des Barcelona-Systems auf ein 4-2-3-1 fühlte sich das argentinische Team aber dennoch sichtlich wohler – vorne rührte mit Tévez ein laufstarker und an sich auch torgefährlicher Mann die zuvor komplett unterbeschäftigte bolivianische Inneverteidigung ein wenig um, Di María sorgte auf dem linken Flügel für deutlich mehr Zug nach vorne, auch Messi wurde nun vermehrt eingebunden. Nur Lavezzi auf der rechten Seite stand weiterhin komplett neben sich. Ihm versprangen Bälle, er verlor Zweikämpfe, und als er doch mal mit einem schönen Solo durchkam, segelte die komplett abgerissene Flanke meterhoch über das Tor (58.).
Eigentlich unverständlich, dass Batista 70 Minuten damit wartete, den armen Kerl auszutauschen. Als für ihn aber Kun Agüero den Platz betrat, war von einer Sekunde auf die andere Leben im Spiel des Gastgebers zu erkennen. Nun konnte Argentinien endlich über beide Seiten Druck machen, mit Messi zentral und Tévez vorne. Und so dauerte es auch nicht lange, bis die bolivianische Defensive für einmal nicht ganz mitkam: Ein schnell abgespielter Freistoß, eine umsichtige Brust-Ablage des aufgerückten Burdisso, ein Volleyschuss von Agüero – und fünf Minuten nach seiner Einwechslung hatte Agüero schon getroffen.
Bolivien verteidigt den Punkt
Die Bolivianer wussten: Wenn sie gegen die nun in Schwung kommenden Argentinier mit einem Punkt rausgehen, können sie immer noch hoch zufrieden sein. So versuchten sie es auch (mit Ausnahme eines Schusses des eingewechselten Chávez) gar nicht mehr, eventuell doch noch den eigenen Siegtreffer zu erzielen, sondern nur noch, jenen des Gegners zu verhindern. Vor allem über die Seite von Agüero kam weiterhin viel Wirbel, aber letztlich musste sich Argentinien tatsächlich mit dem 1:1 begnügen.
Fazit: „Experiment Barcelona“ ist gescheitert
Es dauerte genau 45 Minuten, dann war der Spuk vorbei – Argentinien kann trotz Messi nicht wie Barcelona spielen. Dazu fehlte im Mittelfeld das ballsichere Personal, dazu wurde Messi viel zu wenig eingebunden, dazu kam zu wenig von den Flügeln (vor allem von Zanetti), als dass der fehlende Mann vorne zu kompensieren gewesen wäre. Wenn alle Stricke reißen, muss halt doch der lange Ball herhalten, wenn man wie Barcelona spielen will, aber nicht Barcelona ist. Und dafür bräuchte es einen Mann in der Spitze.
Es darf angenommen werden, dass Sergio Batista im zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien mit jener Formation startet, die am Ende auf dem Feld war, also mit Di María und Agüero über die Flügel in einem 4-2-3-1. Darin fühlte sich das Team sichtlich wohler, und so wurde nach dem dämlichen Gegentor und der Schrecksekunde, als Moreno das 0:2 hatte machen müssen, ein dennoch verdienter Punkt gerettet.
Den Bolivianern muss aber bei aller Konzentration auf den Gastgeber auch ein Kompliment gemacht werden. Der Außenseiter war top eingestellt, das defensive 4-4-2 passte genau zum Matchplan, sodass der haushohe Favorit mehr als nur geärgert werden konnte. Und am Ende könnte das der Punkt sein, der Bolivien zumindest als einem der zwei besseren Gruppendritten ins Viertelfinale hievt.
(phe)