Das zentrale Sechseck

Beim Frauenfußball gibt’s keine systematischen Varianten? Stimmt nicht! Denn der krasse Underdog aus Äquatorialguinea versuchte Turnier-Mitfavorit Norwegen mit einer eher experimentellen Formation zu ärgern. Fast mit Erfolg – die Chancen auf einen Sieg wären da gewesen.

Äquatorialguinea – Norwegen 0:1

Der brasilianische Teamchef des Afrikameisters von 2008, Marcelo Frigério, verpasste seinem Team ein System, in dem gilt: „Immer paarweise“. So überstützte Dulcia auf der linken Seite Flügelflitzerin Dorine ebenso wie Bruna rechts Kollegin Vania. Vor der defensiven Dreierkette, in der Carolina den Abwehrboss im Stile eines Liberos gab, das Sechser-Duo mit Chantelle und Ana Cristina. Zentral offensiv unterstützte Jumaria nach Kräften Añonma – letztere ist Legionärin in der deutschen Liga und mit Abstand die beste Kickerin in ihrem Team.

So ergibt sich vor der Dreier-Abwehr im Grunde ein eher flaches Sechseck, in dem die Spielerinnen ihre Positionen sehr flexibel interpretierten. Dorine und Vania gingen gegen den Ball oft sehr weit zurück, sodass sich eine Fünferkette ergab, auch die beiden Sechser ließen sich tief fallen und machten ein Durchkommen durch die Mitte praktisch unmöglich und Isabell Herlovsen verbrachte einen eher frustrierenden Nachmittag.

Massive Überzahl im Zentrum

Der eigentliche Clou bei dieser Formation war aber die Überzahl im Zentrum, die Äquatorialguinea gegen das 4-2-3-1 der Norwegerinnen hatte. Das kam zum einen, weil Madeleine Giske kaum etwas unternahm, um die Kreise von Chantelle und Ana Cristina zu stören. Und zum anderen, weil das Defensiv-Duo der Norwegerinnen, Ingvild Stensland und Trine Rønning sehr hoch standen, meist zwischen den beiden Mittelfeld-Duos der Afrikanerinnen. Womit Jumaria und vor allem die technisch sehr versierte Añonma Platz hatten, sich auszubreiten.

Denn zwischen den Innenverteidigern und den Sechsern war bei Norwegen in der ersten Hälfte extrem viel Platz, in den das Team von Marcelo Frigério problemlos vorstoßen konnte. Bei Ballgewinn schaltete Äquatorialguinea nämlich explosionsartig um auf Angriff, entweder mit einem langen Ball Richtung Añonma, oder über die Flügeln, wie das jeweilige Duo vom näher stehenden Sechser unterstützt wurde, indem man versuchte, schnelle Dreiecke zu bilden. So war nach einer etwas wackeligen Anfangsphase der krasse Außenseiter das gefährlichere Team – zielstrebiger, schneller und mit einem klaren Plan, wie dem Gegner beizukommen ist.

Landsen korrigiert Missstände

Norwegens Teamchefin Eli Landsen reagierte in der Halbzeit und nahm die indisponierte Madeleine Giske aus dem Spiel, statt ihrer kam Lene Mykjåland in die Partie. Sie orientierte sich etwas tiefer als Giske zuvor und schaffte es so, der equatorguineanischen Überzahl etwas die Wirkung abzugraben. Sie entlastete Stensland und Rønning merklich.

Zudem rückte die Abwehrkette der Norwegerinnen bei Ballbesitz nun extrem weit auf. Das war nicht ohne Risiko – im Gegenteil, die schnelle Añonma war eine ständige Gefahr – war aber notwendig. So wurde Diala nach hinten gedrückt und so die Option des langen Balls zumindest erschwert. Außerdem erlaubte es dem norwegischen Zentrum seinerseits, mehr Druck auszuüben.

Nur Añonma hält kräftemäßig durch

Norwegen hatte das Spiel nach der Pause recht gut im Griff, auch weil bei den Afrikanerinnen langsam aber sicher die Kräfte nachließen. Die Flügeln ließen sukzessive nach, die schon länger mit Problemen kämpfende Diala musste nach einem Krampf raus; auch für Jumaria war das Spiel nach einer Stunde beendet. Die einzige, die keine Verschleißerscheinungen zeigte, war Añonma – ihre Torschüsse hatten aber eine beängstigende Streuung und blieben mäßig gefährlich.

Norwegen kam erst wieder ins Stottern, als eine Viertelstunde vor Schluss die so wichtige Mykjåland, die einen Schlag abbekommen hatte, wieder vom Feld musste. Was viele Rochaden in der Offensive bedeutete: Die für Mykjåland gekommene Leni Kaurin ging auf links, Haavi von dort auf rechts, Thorsnes von dort in die Spitze zur zuvor schon statt Horlevsen gekommenen Petersen. Die plötzliche Unordnung bei den Norwegerinnen wurde sofort mit einigen Kontern bestraft. Nur das Tor, das sich Äquatorialguinea längst verdient gehabt hätte, blieb aus.

Sodass am Ende kam, was kommen musste: Goalie Miriam konnte eine scharfe Hereingabe nicht klären und Emilie Haavi musste am zweiten Pfosten nur noch einschieben. Das 1:0 für Norwegen – der Endstand.

Fazit: Experiment fast belohnt

Obwohl Afrikameister 2008 ist Äquatorialguinea auch im Frauenfußball im Grunde ein absoluter Nobody, in der Weltrangliste auch weit etwa hinter Österreich zurück. Aber mit viel Leidenschaft und einer unüblichen Foramtion, welche die Spielerinnen mit ebenso großem Einsatz wie taktischer Disziplin mit Leben erfüllten, gelang es beinahe, dem haushoven Favoriten ein Bein zu stellen. Dass es am Ende nicht geklappt hat, liegt mehr an fehlender Cleverness und Abgebrühtheit vor dem Tor als an fehlender individueller Klasse.

Was durchaus Mut geben kann – und nicht nur zeigt, dass es auch im Frauenfußball (zumindest bei einer WM-Endrunde) nicht mehr geht, vermeintlich „Kleine“ zu unterschätzen. Vor allem dann, wenn sie nicht nur mit viel Willen daherkommen, sondern auch mit einem sehr genauen Plan.

(phe)

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.