Südafrika 2010 – Finale | Danke, Iniesta: Er bewahrte die Fußballwelt vor einem Weltmeister, der über 120 Minuten nur getreten, gemotzt und zerstört hat und gar nicht erst versucht hat, Fußball zu spielen. Das späte 1:0 macht aus Spanien einen korrekten Titelträger.
Spanien – Holland 1:0 n.V.
ARD-Stammtischbruder Paul Breitner hatte Recht. „Weil’s nix bringt“, meinter er auf die Frage, warum das deutsche Team im Semfinale gegen Spanien nicht körperlicher gespielt habe. „Du kriegst Gelb, dem Spanier ist die Attacke aber wurscht und er wickelt dich zwei Minuten später genauso ein. Und du kannst nimmer gscheit hingehen, weilst sonst vom Platz fliegst!“ Die Holländer hatten ihn offenbar nicht gehört, denn das Hauptkonzept von Oranje im Finale war: Niedertreten, alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Zu Beginn des Spiels lief alles wie erwartet: Spanien krallt sich sofort den Ballbesitz, die Holländer stehen – wie schon die Deutschen im Semifinale – zunächst zu tief. Die Folge: Schon nach zehn Minuten hatten die Spanier drei hochkarätige Tormöglichkeiten vorgefunden. Die Seleccion trat ebenso wie das Oranje-Team in der erwarteten Aufstellung an, jedoch spielte Pedro nicht so aktiv wie im Semifinale. Er war nominell auf der rechten Außenbahn aufgestellt, hielt sich aber tatsächlich sehr viel in der Mitte auf, beinahe als hängende Spitze hinter Villa.
So blieb Ramos die rechte Seite weitgehend alleine überlassen, was zu Beginn gegen den langsamen Van Bronckhorst auf ganz gut funktionierte. Ramos und Cadevila die Dribbler über die Außen, Xavi und Iniesta die schnellen Passgeber im Zentrum – alles keine Überraschung. Nach etwa einer Viertelstunde fingen die Holländer allerdings zum einen an, höher zu stehen und wesentlich früher und wesentlich konsequente zu Pressen, zudem stiegen sie nun desöfteren ziemlich rustikal ein. Nicht nur die Brutalo-Fouls von Van Bommel (der Iniesta aus vollem Lauf das Standbein umtrat) und De Jong (der Kickboxer gegen Xabi Alonso), die beide ohne Wenn und Aber mit klaren roten Karten geahndet hätten werden müssen – es gab jeweils nur Gelb – sondern viele kleine Fouls im Mittelfeld, um den Spielfluss der Spanier zu stören.
Was wunderbar funktionierte. Den Spaniern gelang es nun praktisch gar nicht mehr, wirklich konstruktiv in Richtung des holländischen Strafraums zu kommen, Kuyt drängte Ramos vermehrt nach hinten (wodurch Van Bronckhorst deutlich entlastet wurde) und Robben beschäftigte nun Capdevila, der oft von Xabi Alonso beim Doppeln von Robben unterstützt wurde. Somit erfüllten Robben und Kuyt ihre Aufgabe: Das Abstellen der spanischen Flanken. Denn wenn man den Spaniern die Seite nimmt und das Aufbauspiel ins Zentrum zwingt, lassen sich Räume gut zustellen. Das schafften Podolski/Boateng und Lahm/Trochowski im Semifinale nicht, den Holländern gelang es schon.
Allerdings hieß das, das auch das Oranje-Aufbauspiel über das Zentrum zu gehen hatte. Kuyt beschäftigte zwar Ramos, kam aber sonst nicht zur Geltung und mehr als Eckbälle konnte der auf sich alleine gestellte Robben nicht produzieren. So blieb den Holländern nur noch die Option über 50m-Pässe in Richtung Van Persie und Sneijder (letzterer agierte wie gewohnt als hängende Spitze), welche aber entweder sichere Beute von Casillas, Puyol und Piqué wurden, oder – noch viel öfter – gleich irgendwo im Nirvana endeten, ohne Chance, jemals einen Mitspieler zu erreichen. Das logische Resultat zur Pause war somit das 0:0.
Nach der Pause taute dann Iniesta, der von Mark van Bommel ziemlich in die Mangel genommen worden war, deutlich auf. Er wich nun vermehrt auf die linke Seite aus, wo der holländische Außenverteidiger Gregory van der Wiel keinen allzu guten Tag hatte. Wenn immer sich Iniesta nun aus der Umklammerung von Van Bommel lösen konnte, wurde es gefährlich, vor allem, nachdem auch Innenverteidiger John Heitinga nach seiner Verwarnung viel vorsichtiger in die Zweikämpfe gehen hatte müssen. Iniesta rochierte zudem mit Villa, sodass Van der Wiel, sollte Iniesta doch wieder in die Mitte ziehen, weiterhin beschäftigt war.
Nach einer Stunde brachte Del Bosque dann Jesús Navas für den diesmal eher enttäuschenden Pedro, um die Oranje-Schwachstelle Van Bronckhorst kosequenter anzubohren. Mit Erfolg: Navas brachte über seine linke Seite nun viel mehr Wirbel, als der nicht allzu positionstreue Pedro das vor ihm tat. Offensiv war Van Bronckhorst nun komplett aus dem Spiel, defensiv hatte er einige Probleme. Durch Iniesta (mit dem fleißigen Capdevila) auf der einen und dem wuseligen Navas auf der anderen Seite gelang es den Spaniern, ihre vor der Pause abgeschalteten Flügel wieder deutlich zu beleben.
Alleine, Torerfolg wollte keiner gelingen. So hätten sich die Spanier nicht wundern müssen, hätte Robben eine der beiden krassen Unachtsamkeiten in der Defensive ausnützen konnte: Die Abwehrreihe war jeweils zu weit aufgerückt, ein Pass in den Lauf des nun auch mehr durch die Mitte ziehnten Robben, und zwei Mal wäre es fast geschehen, allerdings klärte in beiden Szenen Casillas hervorragend – in der zweiten hatte Puyol zudem etwas Glück, nicht mit seiner zweiten Gelben vom Platz zu müssen. In diesen wenigen Szenen blitzte auf, dass die Holländer ja durchaus ansehnlichen Fußball spielen könnten.
Was man den Spaniern hoch anrechnen muss ist die Tatsache, dass sie sich (von Iniestas kurzem Auszucker abgesehen) von den holländischen Härteeinlagen nie wirklich aus der Ruhe bringen ließen, und auch keine dummen Fouls begingen – die meisten Verwarnungen für die Spanier nach der Pause resultierten aus notwendigen, taktischen Vergehen. Auf der anderen Seite gab es nun zwar keine wirklich böswilligen Attacken mehr auf die Gesundheit der Gegenspieler, aber durch permanentes In-den-Mann-Gehen schafften es die Holländer auch in der zweiten Hälfte, einen wirklich durchgängigen Spielfluss bei den Spaniern nie aufkommen zu lassen. Diese zogen zwar in einzelnen Szenen immer wieder das Tempo an (vor allem Navas, aber auch Iniesta), wirklich schwere Bäller musste Oranje-Keeper Stekelenburg aber nicht pararieren – so ging es also in die Verlängerung.
Fàbregas, der für Xabi Alonso gekommen war, ermöglichte es Xavi, nun etwas mehr aus der Tiefe zu kommen. Die Spanier haben eingesehen, dass sie zu ihrem Kurzpass-Spiel in diesem Finale nicht mehr kommen würden, und stellten dahingehend um – Xavi als Passgeber, um die Offensivkräfte vor ihm für Sololäufe in Szene zu setzen. Navas, Iniesta und Fàbregas fanden in der ersten Hälfte der Verlängerung jeweils schon auf diese Art und Weise Möglichkeiten vor.
Van Marwijk nahm mit De Jong einen Sechser raus und brachte mit Rafael van der Vaart einen weiteren Offensiven – zumindest nominell. In der Praxis musste nämlich Van der Vaart beinahe auf einer Höhe mit Mark van Bommel ebenso im defensiven Mittelfeld auflaufen und konnte so offensiv für keinerlei Akzente sorgen. Das sollte aus Sicht der Holländer jedoch Edson Braafheid, der zwar ebenso Linksverteidiger ist wie der mit Navas leicht überforderte Giovanni van Bronckhorst, für den er gekommen war, allerdings zum einen als schneller gilt (was gegen Navas wichtig war), als auch als mutiger in der Vorwärtsbewegung.
Als dann mit John Heitinga sich dann endlich doch noch ein Holländer den wohlverdienten Ausschluss abgeholt hatte, musste Mark van Bommel in die Abwehrzentrale zurück. Der für Villa ins Spiel gekommene Torres (der einmal mehr wirkungslos blieb und nur durch seine Zerrung ohne Fremdeinwirkung auffiel) konnte dies nicht nützen, die Überzahl half aber ohne Frage beim entscheidenden Tor. Dieses fiel nämlich genau über das Loch, das der Neu-Verteidiger Van Bommel im Mittelfeld riss und welches Van der Vaart nicht gut genug abdecken konnte. Abseits war es keines, Van der Vaart stellte sich etwas ungeschickt an, und Iniesta traf völlig freistehend zum verdienten 1:0. Das war natürlich die Entscheidung: Mit einem Mann weniger und einem solchen Nackenschlag im Gepäck war es den Holländern nicht mehr möglich, nach 115 Minuten Zerstören plötzlich auf Fußball umzustellen.
Fazit: Mit Worten wie „armselig“, „erbärmlich“, „widerlich“, „ekelhaft“ und „skandalös“ warf sky-Kommentator Marcel Reif im Zusammenhang mit dem Holzhacker-Auftitt der Holländer nur so um sich – und er hatte mit jedem einzelnen damit absolut Recht. Noch schlimmer ist es allerdings, dass sich Oranje nach dem Spiel ausgerechnet auf Schiedsrichter Howard Webb ausredeten. Das einzige, was man dem Engländer vorwerfen muss ist, dass er nicht schon viel früher angefangen hat, Holländer vom Platz zu stellen.
Was das Spiel selbst angeht sind die Spanier ohne jeden Zweifel der verdiente Sieger, weil sie diejenige Mannschaft waren, die zumindest versuchten, ein Fußballspiel zu absolvieren und sie haben sich von der Brutalo-Gangart der Holländer praktisch nicht aus der Fassung bringen lassen. Mit der Ruhe, welche die Spanier schon im ganzen Turnierverlauf auszeichnete, wartete die Seleccion geduldig auf die Chancen, und letztlich wurde eine davon genützt.
(phe)